Widersprüche, Klagen und Überbrückungshilfe:
Verein »Sanktionsfrei« unterstützt Hartz-IV-Bezieher
Alle
Jahre wieder zu Weihnachten: Einem Ablasshandel gleich üben sich Tafeln,
Prominente, Kirchenmänner und Politiker in karitativer Wohltätigkeit. Speisung
von Obdachlosen, Päckchen für arme Kinder und viele gute Worte werden
öffentlich zelebriert. Worüber die Wohltäter schweigen: Das repressive
Hartz-IV-System produziert die Existenznot: Leistungsbeziehern, die nicht
spuren, wird die magere Grundsicherung gekürzt oder gestrichen. Der Verein
»Sanktionsfrei« will ihnen helfen. Seit Oktober ist dessen Plattform online.
Neben
juristischem Beistand will der Verein Sanktionen ausgleichen. Betroffene
bekommen den fehlenden Betrag als Darlehen. Über Widersprüche und Klagen soll
das Geld möglichst zurückgeholt werden. Zweimal sei dies bereits gelungen,
erläuterte Hannemann. Bisher habe der Verein vier Sanktionen ausgeglichen.
Möglich wird das durch regelmäßige Spenden. Dafür werben die Akteure Unterstützer,
sogenannte Hartzbreaker. Knapp 400 Menschen zahlen bislang insgesamt rund 2.500
Euro monatlich ein, wovon 1.350 Euro in den Solidartopf zum Ausgleich der
Kürzungen fließen. Der Rest diene der Vereinsarbeit.
Auf der
Plattform kommen auch Unterstützte zu Wort. Eine alleinerziehende Mutter
berichtete, dass ihr das Jobcenter für ein Vierteljahr zehn Prozent der
Leistungen wegen eines versäumten Termins gestrichen habe. Die Vorladung habe
sie aber nicht erhalten. »Mit Hartz IV lebt man ohnehin am Limit – wenn dein
Kind neue Schuhe braucht, musst du die kaufen«, beschreibt sie ihre Situation.
Wird das Minimum gekürzt, gerate man schnell in Not. Noch drastischer traf es
eine andere junge Frau. Sie hatte eine Maßnahme abgebrochen, »weil die mir
nichts gebracht hat«. Sofort kappte ihr das Jobcenter für drei Monate den kompletten
Regelsatz. Das ist bei unter 25jährigen möglich. »Ich musste Schulden machen
und sehen, woher ich mein Essen kriege«, berichtete sie. Die
Lebensmittelgutscheine vom Amt hätten ihr nur bedingt weitergeholfen. »Ich kann
davon nicht mal Klopapier kaufen, kein Waschmittel, kein Putzmittel.«
Der
Verein sucht weitere Unterstützer. Der Ausgleich der Sanktionen lindere nicht
nur die akute Existenznot, meint Hannemann. »Die Sanktionierten erhalten ihre
Würde zurück, können sich endlich wieder auf ihr Leben konzentrieren.« Schon zu
ihrer Zeit als Arbeitsvermittlerin im Jobcenter Hamburg-Altona hatte sie die
Sanktionspraxis als Verstoß gegen Grund- und Menschenrechte kritisiert. Deshalb
suspendierte sie die Behörde 2013 vom Dienst. Ihre Klage auf Rückkehr in ihren
alten Job blieb erfolglos.
Mit
dieser Auffassung steht Hannemann nicht alleine da. Kürzlich hatte eine
Fallmanagerin des Jobcenters im Landkreis Osterholz (Niedersachsen) vor dem
Arbeitsgericht Verden verloren. Die 35jährige hatte sich vergeblich dagegen
gewehrt, nach ihrer Ansicht rechtswidrige Sanktionen gegen Hartz-IV-Bezieher
bei Verstößen gegen einseitig vom Amt auferlegte Pflichten zu verhängen. Die
Geschäftsleitung habe penibel kontrolliert, ob sie eifrig strafe, berichtete
die Frankfurter Rundschau am vergangenen Donnerstag unter dem Titel
»Jobcenter-Rebellin gibt auf«. Eine Berufung könne sie sich nicht leisten, hieß
es. Alleine der verlorene Prozess habe sie 3.000 Euro gekostet. Die Konsequenz:
Die 35jährige habe nun – nach langer Krankschreibung – gekündigt. Weil sie
nicht sanktionieren wollte, ist sie jetzt selbst erwerbslos.
Link zur Website des Vereins "Sanktionsfrei": https://sanktionsfrei.de/
Von Susan
Bonath
aus junge Welt vom 20.12.2016
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