Donnerstag, 29. Dezember 2016

Keine Ruhe in Bangladesch

Foto: junge Welt, 30.12.2016
Arbeitskampf für höheren Mindestlohn in der Textilbranche des Landes vorläufig beendet. Staat auf seiten der Unternehmen

Seit dem 26. Dezember wird in Ashulia wieder »normal« gearbeitet. Doch die große Streik­aktion, die kurz vor dem Jahreswechsel das durch zahlreiche Textilfabriken geprägte Viertel am Rande von Bangladeschs Hauptstadt Dhaka erschütterte, wird noch eine ganze Weile nachwirken. Anfangs waren einige tausend Beschäftigte im Ausstand, zum Schluss beteiligten sich einigen Quellen zufolge bis zu 150.000 Menschen an den Arbeitskämpfen. Fast zwei Wochen dauerten die Protest­aktionen. Erst Polizeigewalt, die Verhaftung mehrerer Anführer sowie die Drohungen anwesender Spitzenpolitiker – darunter zwei Minister – brachten die Streikenden zurück an ihre Arbeitsplätze.

Zentrale Forderung der Streikenden war eine deutliche Anhebung des Mindestlohns. 15.000 Taka monatlich, umgerechnet 180 Euro, fordern die Arbeiterinnen und Arbeiter der Branche, von denen knapp drei Viertel weiblich und zumeist unter 30 Jahre alt sind. In Ashulia sind bisher 7.000 Taka das »übliche« Entgelt für sie. Der generell geltende Mindestlohn in der Textil­industrie beträgt sogar nur 5.300 Taka. Dessen letzte Anhebung liegt bereits drei Jahre zurück. Und während die Lebenshaltungskosten weiter steigen, stagnieren die Einkünfte gerade in jenem Sektor, der das Rückgrat der Wirtschaft Bangladeschs darstellt.

Umgerechnet 28 Milliarden US-Dollar erwirtschaften die Textilfabriken. Die zumeist für westliche Unternehmen produzierten Konsumgüter stehen für fast 80 Prozent aller Exporte des südasiatischen Landes. Etwa vier Millionen Frauen und Männer nähen Kleidungsstücke, die zumeist in den Regalen und auf den Grabbeltischen von Discountern wie Kik oder Primark oder denen der Modeketten des »mittleren Preissegments« wie H&M, C&A, Tesco, S. Oliver, Gap oder Inditex (Zara) landen.

Das Besondere am jüngsten Streik war, dass er anscheinend spontan begann und sich schnell ausweitete. Selbst die Gewerkschaften schienen von den Entwicklungen überrascht. Ausgangspunkt der Proteste war offenbar die Fabrik der Firma Windy Apparels Limited. Dort hatten am am 11. und 12. Dezember Beschäftigte einen Forderungskatalog mit zwölf Punkten an das Management übergeben. Auch darin war die Mindestlohnerhöhung zentrales Element. Im weiteren Verlauf der damit begonnenen Auseinandersetzung kam es zu Arbeitsniederlegungen. Spätestens als die Firmenleitung 120 Aktivisten feuerte, griff der Streik auf angrenzende Betriebe über, deren Beschäftigte sich mit ihren Kolleginnen und Kollegen solidarisierten. Die Belegschaften von rund 30 Fertigungsstätten waren schließlich an den Aktionen beteiligt. Am Ende verkündete der Chef des industriellen Dachverbandes BGMEA, Siddiqur Rahman, die Wiederaufnahme der Arbeit in 59 Betrieben. So viele waren es, weil einige weitere Firmen die Produktion vorübergehend eingestellt und ihre Mitarbeiter ausgesperrt hatten.

Das Unternehmen Windy Apparels kann als Beispiel dafür stehen, mit welchen Methoden ein Großteil der Branche arbeitet. Der Arbeitskonflikt entzündete sich nämlich zumindest mittelbar auch an einem Todesfall, der sich bereits zwei Monate zuvor ereignet hatte. Am 13. Oktober hatte sich die 23jährige Näherin Tasleema Aktar nur mit Mühe an ihren Arbeitsplatz schleppen können. Die junge Frau war zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Wochen lang krank und hatte Fieber. Ein Dilemma für sie, denn ihr war sehr wohl bekannt, dass bereits ein Fehltag genügen kann, um den Job zu verlieren. Deshalb war sie auch an jenem verhängnisvollen Tag in der Fabrik erschienen, und ihr Vorgesetzter gestattete ihr nicht einmal, verkürzt zu arbeiten. Als die Frau wenig später zusammenbrach und in die Betriebskrankenstation gebracht wurde, schickte man sie von dort wieder zurück. Zu Beginn der Mittagspause kollabierte sie ein zweites Mal. In ein Krankenhaus gebracht, stellten die Ärzte dort nur noch ihren Tod fest. Und damit nicht genug: Tasleemas Leichnam wurde aus dem Spital weggebracht und mehrere Stunden am Fabriktor abgelegt. Ihr Mann, der in einem anderen Betrieb in der Nähe tätig ist, durfte nicht früher gehen, um ihre sterblichen Überreste zu bergen. »Das zeigt, wie wenig unser Leben zählt«, sagte eine Arbeitskollegin der Toten zur Journalistin Anjali Kamat, die für das US-Onlinemagazin Slate den Fall genau recherchiert hat.

Geht es um Klassenauseinandersetzungen dieser Art, schlägt sich der Staat auch in Bangladesch im Zweifelsfall auf die Seite der Unternehmen. Das zeigt das aktuelle Vorgehen der Polizei, die Schlagstöcke und Gummigeschosse gegen die Demonstranten einsetzte. Neben sieben Aktivisten wurde auch der TV-Journalist Nazmul Huda festgenommen, sein Laptop, Kamera und Mobiltelefon konfisziert. Laut Vorwürfen der Behörden soll er die Streikenden angestachelt haben, melden sein Arbeitgeber News 24 und die Zeitung Dhaka Tribune. Doch es sieht eher nach einem Einschüchterungsversuch aus: Huda gehörte zu den ersten Reportern, die im April 2013 nach dem Einsturz des achtstöckigen Fabrikgebäudes »Rana Plaza«, bei dem mehr als 1.100 Menschen starben, wichtige Aspekte ans Licht brachte – vor allem, dass die Inhaber die Beschäftigten trotz schon aufgetretener Risse im Mauerwerk weiter zur Arbeit zwangen. Die in Amsterdam ansässige Nichtregierungsorganisation »Kampagne für saubere Kleidung« (CCC) verurteilte am 24. Dezember in einer Erklärung die »eskalierende Repression« gegenüber gewerkschaftlichen Aktivisten der Branche.

Von Thomas Berger
aus junge Welt vom 30.12.2016

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