Foto: junge Welt, 30.12.2016 |
Arbeitskampf für höheren Mindestlohn in der
Textilbranche des Landes vorläufig beendet. Staat auf seiten der Unternehmen
Seit dem
26. Dezember wird in Ashulia wieder »normal« gearbeitet. Doch die große
Streikaktion, die kurz vor dem Jahreswechsel das durch zahlreiche
Textilfabriken geprägte Viertel am Rande von Bangladeschs Hauptstadt Dhaka
erschütterte, wird noch eine ganze Weile nachwirken. Anfangs waren einige
tausend Beschäftigte im Ausstand, zum Schluss beteiligten sich einigen Quellen
zufolge bis zu 150.000 Menschen an den Arbeitskämpfen. Fast zwei Wochen
dauerten die Protestaktionen. Erst Polizeigewalt, die Verhaftung mehrerer
Anführer sowie die Drohungen anwesender Spitzenpolitiker – darunter zwei
Minister – brachten die Streikenden zurück an ihre Arbeitsplätze.
Zentrale
Forderung der Streikenden war eine deutliche Anhebung des Mindestlohns. 15.000
Taka monatlich, umgerechnet 180 Euro, fordern die Arbeiterinnen und Arbeiter
der Branche, von denen knapp drei Viertel weiblich und zumeist unter 30 Jahre
alt sind. In Ashulia sind bisher 7.000 Taka das »übliche« Entgelt für sie. Der
generell geltende Mindestlohn in der Textilindustrie beträgt sogar nur 5.300
Taka. Dessen letzte Anhebung liegt bereits drei Jahre zurück. Und während die
Lebenshaltungskosten weiter steigen, stagnieren die Einkünfte gerade in jenem
Sektor, der das Rückgrat der Wirtschaft Bangladeschs darstellt.
Das
Besondere am jüngsten Streik war, dass er anscheinend spontan begann und sich
schnell ausweitete. Selbst die Gewerkschaften schienen von den Entwicklungen
überrascht. Ausgangspunkt der Proteste war offenbar die Fabrik der Firma Windy
Apparels Limited. Dort hatten am am 11. und 12. Dezember Beschäftigte einen
Forderungskatalog mit zwölf Punkten an das Management übergeben. Auch darin war
die Mindestlohnerhöhung zentrales Element. Im weiteren Verlauf der damit
begonnenen Auseinandersetzung kam es zu Arbeitsniederlegungen. Spätestens als
die Firmenleitung 120 Aktivisten feuerte, griff der Streik auf angrenzende
Betriebe über, deren Beschäftigte sich mit ihren Kolleginnen und Kollegen
solidarisierten. Die Belegschaften von rund 30 Fertigungsstätten waren
schließlich an den Aktionen beteiligt. Am Ende verkündete der Chef des
industriellen Dachverbandes BGMEA, Siddiqur Rahman, die Wiederaufnahme der
Arbeit in 59 Betrieben. So viele waren es, weil einige weitere Firmen die
Produktion vorübergehend eingestellt und ihre Mitarbeiter ausgesperrt hatten.
Das
Unternehmen Windy Apparels kann als Beispiel dafür stehen, mit welchen Methoden
ein Großteil der Branche arbeitet. Der Arbeitskonflikt entzündete sich nämlich
zumindest mittelbar auch an einem Todesfall, der sich bereits zwei Monate zuvor
ereignet hatte. Am 13. Oktober hatte sich die 23jährige Näherin Tasleema Aktar
nur mit Mühe an ihren Arbeitsplatz schleppen können. Die junge Frau war zu diesem
Zeitpunkt bereits zwei Wochen lang krank und hatte Fieber. Ein Dilemma für sie,
denn ihr war sehr wohl bekannt, dass bereits ein Fehltag genügen kann, um den
Job zu verlieren. Deshalb war sie auch an jenem verhängnisvollen Tag in der
Fabrik erschienen, und ihr Vorgesetzter gestattete ihr nicht einmal, verkürzt
zu arbeiten. Als die Frau wenig später zusammenbrach und in die
Betriebskrankenstation gebracht wurde, schickte man sie von dort wieder zurück.
Zu Beginn der Mittagspause kollabierte sie ein zweites Mal. In ein Krankenhaus
gebracht, stellten die Ärzte dort nur noch ihren Tod fest. Und damit nicht
genug: Tasleemas Leichnam wurde aus dem Spital weggebracht und mehrere Stunden
am Fabriktor abgelegt. Ihr Mann, der in einem anderen Betrieb in der Nähe tätig
ist, durfte nicht früher gehen, um ihre sterblichen Überreste zu bergen. »Das
zeigt, wie wenig unser Leben zählt«, sagte eine Arbeitskollegin der Toten zur
Journalistin Anjali Kamat, die für das US-Onlinemagazin Slate den Fall genau
recherchiert hat.
Geht es
um Klassenauseinandersetzungen dieser Art, schlägt sich der Staat auch in
Bangladesch im Zweifelsfall auf die Seite der Unternehmen. Das zeigt das
aktuelle Vorgehen der Polizei, die Schlagstöcke und Gummigeschosse gegen die
Demonstranten einsetzte. Neben sieben Aktivisten wurde auch der TV-Journalist
Nazmul Huda festgenommen, sein Laptop, Kamera und Mobiltelefon konfisziert.
Laut Vorwürfen der Behörden soll er die Streikenden angestachelt haben, melden
sein Arbeitgeber News 24 und die Zeitung Dhaka Tribune. Doch es sieht eher nach
einem Einschüchterungsversuch aus: Huda gehörte zu den ersten Reportern, die im
April 2013 nach dem Einsturz des achtstöckigen Fabrikgebäudes »Rana Plaza«, bei
dem mehr als 1.100 Menschen starben, wichtige Aspekte ans Licht brachte – vor
allem, dass die Inhaber die Beschäftigten trotz schon aufgetretener Risse im
Mauerwerk weiter zur Arbeit zwangen. Die in Amsterdam ansässige
Nichtregierungsorganisation »Kampagne für saubere Kleidung« (CCC) verurteilte
am 24. Dezember in einer Erklärung die »eskalierende Repression« gegenüber
gewerkschaftlichen Aktivisten der Branche.
Von
Thomas Berger
aus junge Welt vom 30.12.2016
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