Foto: junge Welt, 08.12.2016 |
Einer der größten Polizeieinsätze in der
Geschichte der Hansestadt soll das OSZE-Treffen sichern. Anwohner sind vor
allem eines: genervt
Kampfhubschrauber
in der Luft, Scharfschützen in Position, NATO-Draht an Bahndämmen, überall
Polizei – Hamburgs harte Hunde proben den Aufstand. Für die heute beginnende
zweitägige Ministerratssitzung der Organisation für Sicherheit und
Zusammenarbeit in Europa (OSZE), mit der das Jahr des deutschen Vorsitzes in
der OSZE endet, wird die Hansestadt in den Ausnahmezustand versetzt. Die
Polizei hat faktisch das Kommando übernommen.
Eine
monströse Streitmacht ist im Einsatz: rund 13.200 Beamte, davon allein 700 aus
Spezialeinheiten. Flughäfen und Bahnhöfe werden von der Bundespolizei
überwacht, die Bundeswehr schickt Eurofighter zur Absicherung des Luftraums.
Dass
dieses Heer für den Schutz der Tagung überdimensioniert ist, gibt sogar
Hamburgs Polizei zu.
Wegen der
vielen »Blauen« in der Stadt sehen viele Hamburger rot. Autofahrer schimpfen
über lange Staus, die von den Sperrungen in der City, rund 3.000 eingesetzten
Polizeifahrzeugen und Kolonnen der Minister verursacht werden. Paketfahrer
klagen, dass sie Weihnachtspakete nicht rechtzeitig zustellen können, und die
Anwohner der Messehallen, Veranstaltungsort der Tagung, sind sauer, weil sie
ständig kontrolliert werden.
Auch wenn
die groteske Entscheidung, das OSZE-Treffen ebenso wie den G-20-Gipfel in
Nachbarschaft zu den linken Szenequartieren Karolinen- und Schanzenviertel
stattfinden zu lassen, nach wie vor diskutiert wird, rechnen die
Sicherheitsbehörden heute und morgen eher nicht mit Störungen. Bisher sind fünf
Gegendemos angemeldet, bei denen von einem friedlichen Verlauf ausgegangen
wird.
Leiter
des Polizeieinsatzes in Hamburg ist Hartmut Dudde, der auch den Einsatz zum
G-20-Gipfel managen soll (jW berichtete). Der Spitzenbeamte gilt quasi als
Erfinder der »Hamburger Linie«, die eher auf Eskalation als Vernunft setzt.
Wegen der Entscheidung für Dudde will das in Köln beheimatete »Komitee für
Grundrechte und Demokratie« während des OSZE-Treffens eine Demonstrationsbeobachtung
organisieren.
Der
Kontakt der Minister zur Bevölkerung bleibt auf ein Minimum reduziert, wie dpa
berichtet. Bei den Arbeitssitzungen, beim Mittagstisch im Ruderklub »Germania«
an der Außenalster und beim Dinner im Rathaus bleiben Steinmeier und Co unter
sich. Der Brite Boris Johnson, der in Potsdam noch das Hohelied auf die OSZE
gesungen hatte, reist gar nicht erst an.
Auf der
Tagesordnung der Konferenz sollen der Konflikt in der Ukraine und die
Bekämpfung des Terrorismus stehen. Selbst die Mainstreammedien geben zu, dass
dabei nicht viel herauskommen kann. Wegen des Konsensprinzips, das eine
Zustimmung aller 57 Mitgliedsstaaten vorschreibt, gab es seit 2002 keine
gemeinsame Abschlusserklärung mehr. Der deutsche OSZE-Sonderbeauftragte Gernot
Erler illustrierte das Problem am Dienstag so: »Sie können sich vorstellen,
dass die russische Seite eine Erklärung nicht akzeptieren wird, wenn darin das
Wort Annexion der Krim vorkommt. Und umgekehrt die Ukraine das nicht anerkennen
wird, wenn das nicht vorkommt.« Klingt logisch!
Von
Kristian Stemmler
Aus „junge Welt“ vom 08.12.2016
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