Fidel Castro (Foto: Ismael Francisco-Cubadebate) |
Zur Erinnerung:
Fidel Castro über Sozialismus auf Kuba nach dem Ende der Sowjetunion
Fidel Castro über Sozialismus auf Kuba nach dem Ende der Sowjetunion
Auszüge aus einem Interview mit Fidel aus dem Jahr 2000
Federico Mayor Zaragoza*:
Zusammen
mit China, Vietnam und Nordkorea wird Kuba als die letzte Bastion des
Sozialismus angesehen. Hat das Wort Sozialismus zehn Jahre nach dem Fall der
Berliner Mauer überhaupt noch Sinn?
Fidel Castro:
Heute bin
ich mehr denn je davon überzeugt, dass es einen großen Sinn hat.
Das, was
vor zehn Jahren geschah, war die naive und unbewusste Zerstörung eines großen
sozialen und historischen Prozesses, der zwar perfektioniert, aber niemals
zerstört werden musste. Das hatten die Horden Hitlers nicht geschafft, nicht
einmal, indem sie mehr als 20 Millionen Sowjetbürger töteten und die Hälfte des
Landes zerstörten. Die Welt verblieb unter der Vorherrschaft einer einzigen
Supermacht, die beim Kampf gegen den Faschismus nicht einmal fünf Prozent der
Opfer beisteuerte, die die Sowjets erbrachten. In Kuba haben wir ein vereintes
Land und eine Partei, die zwar anleitet, aber weder die Kandidaten aufstellt
noch sie auswählt. Die Bewohner eines jeden Viertels, die in offenen
Versammlungen zusammenkommen, schlagen die Kandidaten der 14 686 Wahlkreise
vor, stellen sie auf und wählen sie. (…)
In den
Vereinigten Staaten, wo so viel über Mehrparteiensysteme gesprochen wird, gibt
es zwei Parteien, die sich in bezug auf Methoden, Ziele und Absichten exakt
gleichen und in der Praxis das kompletteste Einparteiensystem haben entstehen
lassen, das es auf der Welt gibt. In diesem „demokratischen Land“ gehen 50
Prozent der Bürger nicht zur Wahl und normalerweise gewinnt das Team, das mehr
finanzielle Mittel gesammelt hat, mit lediglich 25 Prozent der Stimmen die
Wahl. Die gesamte Politik reduziert sich auf Scheinauseinandersetzungen,
Eitelkeiten und Ambitionen von Einzelpersonen oder von Interessengruppen
innerhalb des etablierten wirtschaftlichen und sozialen Modells. (…)
•
Im
Kapitalismus, einschließlich in den industrialisiertesten Ländern, regieren in
Wirklichkeit die großen nationalen und internationalen Firmen. Sie entscheiden
über die Investitionen und die Entwicklung. Sie sind verantwortlich für die
materielle Produktion, die wichtigsten ökonomischen Dienstleistungen und einen
Großteil der sozialen Dienstleistungen. Der Staat zieht einfach nur die Steuern
ein, verteilt sie und gibt das Geld aus. In vielen dieser Länder kann die
gesamte Regierung in Urlaub gehen, ohne dass irgend jemand etwas davon bemerkt.
Das
entwickelte kapitalistische System, das später zum modernen Imperialismus
wurde, hat schließlich eine neoliberale und globalisierte Ordnung errichtet,
die schlichtweg unhaltbar ist. Es hat eine Welt der Spekulation geschaffen, der
fiktiven Schaffung von Reichtümern und Werten, die nichts mit der realen
Produktion zu tun haben, und märchenhafte Privatvermögen, von denen einige das
Bruttoinlandsprodukt von Dutzenden von armen Ländern übertreffen. Es wäre
unnötig, die Plünderung und Verschwendung der natürlichen Ressourcen der Welt
und das elende Leben von Milliarden Menschen hinzuzufügen. Das kapitalistische
System hat der Welt nichts zu bieten und dient zu nichts weiter als seiner
Selbstzerstörung, wobei es vielleicht zusammen mit sich die natürlichen
Bedingungen zerstört, die als Stütze für das menschliche Leben auf dem Planeten
dienen.
Es ist
nicht das Ende der Geschichte gekommen, wie einige illusionäre Euphoriker sich
vorstellten. Jetzt ist in Wirklichkeit der Zeitpunkt, wo sie vielleicht erst
beginnt. (…)
•
Sicherlich
dachte alle Welt, dass Kuba nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Lagers
und der UdSSR nicht durchhalten könne. Man müsste dabei zusätzlich fragen, wie
dies möglich war mit einer doppelten Blockade und dem politischen und wirtschaftlichen
Krieg, den uns die mächtigste jemals existierende Macht aufzwang, ohne
Internationalen Währungsfonds, ohne Weltbank, ohne Kredite. Wir schafften es
dennoch, die Großtat zu vollbringen. Bei einem kürzlich in Havanna
veranstalteten Gipfeltreffen sagte ich gegenüber unseren Gästen mit einer
gewissen Ironie, dass dies möglich war, weil wir das Privileg hatten, nicht dem
IWF anzugehören.
•
Es gab
Zeiten, in denen wir in einem Meer des umlaufenden Geldes schwammen; unsere
Währung hatte außergewöhnlich an Wert verloren und das Haushaltsdefizit betrug
bis zu 35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Ich beobachtete intelligente
Besucher, die fast bis zur Ohnmacht in Erstaunen versetzt wurden. Unser Peso,
die nationale Währung, hatte bis 1994 soviel an Wert verloren, dass der
Umtauschkurs 150 Peso für einen US-Dollar betrug. Trotzdem schlossen wir keine
einzige Gesundheitseinrichtung, keine einzige Schule, keine einzige
Kinderkrippe, keine einzige Universität und keine einzige Sportanlage. Niemand
wurde auf die Straße geworfen, ohne Arbeit oder Sozialversicherung, sogar als
es an Brenn- und Rohstoffen mangelte. Es gab nicht den geringsten Entwurf für
eine der gewöhnlich angewendeten und verhassten Schocktherapien, die so sehr
von den westlichen Finanzinstitutionen empfohlen werden.
Jede
Maßnahme, die zum Entgegenwirken des schrecklichen Schlages getroffen wurde,
diskutierte man nicht nur in der Nationalversammlung, sondern auch in
Hunderttausenden von Versammlungen, die in Fabriken, Produktions- und
Dienstleistungszentren, Gewerkschaften, Universitäten, Mittelschulen und in
allen Organisationen der Bauern, Frauen, Häuserblocks sowie in anderen
Organisationen sozialen Charakters stattfanden. Das Wenige, über das wir
verfügten, wurde mit der größtmöglichen Gleichheit verteilt. Wir besiegten den
Pessimismus innerhalb und außerhalb des Landes.
•
In diesen
kritischen Jahren verdoppelte sich die Anzahl von Ärzten, verbesserte sich die
Qualität unserer Ausbildung und gewann der Peso siebenfach an Wert – von 150
Peso für einen US-Dollar bis zu 20 Peso für einen US-Dollar im Zeitraum von
1994 bis 1998 –, wobei dieser Umtauschkurs seitdem stabil geblieben ist. Nicht
ein einziger Dollar entwich ins Ausland. Man gewann an Erfahrung und Effizienz
auf der Höhe der immensen Herausforderung, die wir vor uns hatten. Wenn wir
auch noch nicht das Produktions- und Konsumniveau erreicht haben, über das wir
zum Zeitpunkt des sozialistischen Desasters in Europa verfügten, so haben wir
uns doch mit stetigem und sichtbarem Schritt erholt. Die Kennziffern in Bezug
auf Bildung, Gesundheit, soziale Sicherheit und viele andere soziale Aspekte,
auf die wir stolz waren, haben wir aufrechterhalten, und einige haben wir sogar
übertroffen.
Der große
Held dieser Großtat war das Volk, das seine riesigen Opfer und sein immenses
Vertrauen beitrug. Dies war die Frucht der Gerechtigkeit und der Ideen, die in
mehr als 30 Jahren Revolution gesät wurden. Dieses wahrhafte Wunder wäre ohne
die Einheit und ohne den Sozialismus unmöglich gewesen.
* Federico Mayor Zaragoza war in Spanien
Minister für Bildung und Wissenschaft (1981–1982) und Mitglied des Club of
Rome. Das vollständige Interview in deutscher Fassung ist in „junge Welt“
(26.07.2000) erschienen.
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