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Bundesregierung streicht brisante Passagen zum
Einfluss von »Eliten« aus Armutsbericht
Manchmal
besagt »kein Kommentar« mehr als tausend Worte. »Nicht bewerten« könne er das,
was am Donnerstag in der Süddeutschen Zeitung (SZ) über den Armutsbericht der
Bundesregierung zu lesen war, befand Armin Schäfer, Politikwissenschaftler an
der Universität Osnabrück, gestern gegenüber jW. Dass all die Arbeit, die er
sich gemacht hat, einfach weggewischt und von Amts wegen der Vergessenheit
preisgegeben werden soll, nagt aber wohl schon an ihm. Immerhin sei ja seine
Studie für jeden Interessierten frei im Internet zu haben, bemerkte er dann
doch, ansonsten wolle er sich aufgrund des »laufenden Verfahrens« nicht äußern.
Laufendes
Verfahren? Eher gilt: Die Sache ist gelaufen. Aber von vorne:
Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hatte Schäfer im Frühjahr 2015 mit
der Aufgabe betraut, herauszufinden, ob und inwieweit Eliten und Vermögende die
Politik mitbestimmen. Der Endbericht des Forschungsprojekts gelangt zu einem
eindeutigen Urteil: »Unsere Untersuchung hat gezeigt, dass das Einkommen
politische Meinungen beeinflusst.« Politische Entscheidungen stimmten »mit
höherer Wahrscheinlichkeit mit den Einstellungen höherer Einkommensgruppen«
überein. Was dagegen Bürger mit weniger Geld »in besonders großer Zahl wollen,
hatte in den Jahren von 1998 bis 2013 eine besonders niedrige Wahrscheinlichkeit,
umgesetzt zu werden«.
Gut zu
wissen. Oder besser doch nicht? Wie die SZ berichtete, sind praktisch sämtliche
der fraglichen Textstellen aus dem Armutsbericht verschwunden. Die Zeitung hat
die erste Version vom Oktober aus dem Hause Nahles mit der aktuellen Fassung
verglichen, an die in der Zwischenzeit weitere Ministerien und das Kanzleramt
Hand angelegt haben. Kein Opfer der Ressortabstimmung wurde immerhin der Satz,
dass »eine Politikänderung wahrscheinlicher ist, wenn diese den Einstellungen
der Befragten mit höherem Einkommen mehrheitlich entsprach«. Allerdings liefere
die Untersuchung der Uni Osnabrück »keine belastbaren Erkenntnisse über Wirkmechanismen«,
erfährt man. Das soll wohl heißen: Die Forscher können sich auch täuschen.
»Unbequeme
Wahrheiten aus Berichten zu streichen hat noch nie ein Problem gelöst«,
kommentierte gestern Jan Korte von der Linksfraktion im Bundestag. »Wer die soziale
Schieflage und ihre Auswirkungen auf politische Mitbestimmung ignoriert, führt
die Demokratie nicht aus der Krise, sondern treibt sie noch weiter hinein.«
Christina Deckwirth vom Verein Lobbycontrol monierte, »in einem anderen Kontext
nennt man so ein Verhalten Realitätsverweigerung«.
Der
Paritätische Wohlfahrtverband hat das fragliche Kapitel »Armut und Reichtum und
Demokratie« aus der ersten Vorlage veröffentlicht und die Streichungen
kenntlich gemacht. Von den knapp 18 Seiten wurden mal eben zwölf wegzensiert.
Das betrifft auch die Gründe, warum die Politik die Mächtigen und Reichen
hofiert. So hieß es ursprünglich, »dass sich die Lebensstile und Diskurse der
Politikerinnen und Politiker – aber auch vieler Vertreterinnen und Vertreter
der Medien – eher an denen der oberen Mittelschicht orientieren«. Eine weitere
mögliche Erklärung sei »der Einfluss durch Lobbying oder persönliche Kontakte«.
Der zugehörige Abschnitt »Einfluss von Interessenvertretungen und Lobbyarbeit«
wurde jedoch komplett weggekürzt. Aufs Kürzen versteht sich die Regierung
bekanntlich, gerade bei den Armen.
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