Spezialdemokraten - Foto: junge Welt |
Das zweite SPD-Desaster in Nordrhein-Westfalen
Die SPD
war 39 Jahre ununterbrochen an Landesregierungen in Nordrhein-Westfalen (NRW)
beteiligt, als sie dort am 22. Mai 2005 erstmals eine in dieser Höhe
unterwartete Niederlage erlitt. CDU und FDP bildeten eine Koalition.
Die
Politik der SPD, die zusammen mit den Grünen seit 1998 die Bundesregierung
stellte, war damit auch auf dieser Ebene gescheitert. Eine halbe Stunde nach
Schließung der Wahllokale trat der damalige SPD-Chef Franz Müntefering zurück,
noch am selben Abend teilte Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) mit, er strebe
vorgezogene Neuwahlen für den Herbst an. Seitdem ist Angela Merkel (CDU) in
Koalitionen mit SPD, FDP und wiederum SPD Bundeskanzlerin.
Die in der BRD Herrschenden erwiesen sich allerdings als undankbar und hielten sich wieder an das politische Original. Die SPD genießt auf Bundesebene seitdem eine Art Gnadenbrot. Merkel musste das Erbe der Schröderschen »Enttabuisierung des Militärischen« und der »Agenda 2010« nur verwalten. Die Drecksarbeit im Inland war weitgehend erledigt, das Modell von Lohndumping und Massenarmut wurde auf schwächere EU-Partner übertragen – gestützt auf nationalistische Ressentiments. Deutsche direkte oder indirekte Teilnahme an den Kriegen des Westens wurde Gewohnheit – fast geräuschlos. Merkel kann es besser als Schröder.
Die SPD bleibt daher seit 2009 bundesweit zuverlässig unter 30 Prozent. 2016 deuteten Umfragen darauf hin, dass sie unter die 20-Prozent-Marke rutschen könnte. An dieser Gefahr wird sich, das scheint die bundespolitische Bedeutung der NRW-Wahlen von diesem Sonntag zu sein, bis zu den Bundestagswahlen im September nichts ändern. Das Desaster der Sozialdemokraten an diesem Sonntag in NRW ist die Wiederholung desjenigen von 2005 – mit dem Unterschied: Sie sind zwar wie damals in der Bundesregierung, allerdings als Juniorpartner, als bloßer Mehrheitsbeschaffer, der problemlos gegen einen anderen ausgetauscht werden kann. Anders als Müntefering trat der jetzige SPD-Vorsitzende Martin Schulz am Wahlabend nicht zurück, womit feststehen dürfte: Der Schulz-Effekt wird die SPD am 24. September weitere Stimmen kosten. Sollte die FDP an Fahrt gewinnen, was nach Schleswig-Holstein und NRW weit tragen kann, rückt eine Neuauflage der Koalition von CDU/CSU und FDP näher. Die Grünen können, auch das signalisiert die NRW-Wahl, von allen Regierungsplänen wahrscheinlich Abschied nehmen.
Aus
diesem seit 2005 etablierten politischen System in der BRD – CDU und CSU halten
SPD und FDP in einer Art Gefangenschaft – kann sich die SPD nur befreien, wenn
sie der Schröder-Politik den Abschied gibt. Solange das nicht der Fall ist, und
es deutet nichts darauf hin, wird ihr Erosionsprozess weitergehen. Schulz
beschleunigt ihn offenkundig.
Von
bundesweiter Bedeutung ist vor allem das gute Abschneiden der Partei Die Linke
in NRW. Sollte sie es nicht in den Landtag schaffen, dann gilt: Jeder
Prozentpunkt in NRW, das zehnmal soviel Wahlberechtigte wie
Mecklenburg-Vorpommern hat, fällt bei den Bundestagswahlen mindestens ebenso
ins Gewicht wie ein Prozent in allen ostdeutschen Länder zusammen. Der Erfolg
wurde von einem Landesverband erreicht, der noch vor kurzem bei führenden
ostdeutschen Funktionären der Partei als »Chaostruppe« galt. Ursache war, dass
in NRW der politische Akzent der Linken stets auf der sozialen Frage lag, dass
marxistische Kräfte dort in der Partei und in ihrem Umfeld eine wichtige Rolle
spielen.
Hannelore Kraft hat vorgemacht, dass die SPD mit dem Beschweigen und Bekämpfen der Linken, mit einer hoch nervösen radikalen Abgrenzung in letzter Minute keinen Boden gut machen kann. Ein Lernprozess ist deswegen bei den Sozialdemokraten weder im Bund noch in NRW zu erwarten. Das Land ist schon lange nicht mehr »Herzkammer« der SPD, sondern Betonbasis für jene Politik, die zu Schröder und den Desastern von 2005 und 2014 geführt hat.
Hannelore Kraft hat vorgemacht, dass die SPD mit dem Beschweigen und Bekämpfen der Linken, mit einer hoch nervösen radikalen Abgrenzung in letzter Minute keinen Boden gut machen kann. Ein Lernprozess ist deswegen bei den Sozialdemokraten weder im Bund noch in NRW zu erwarten. Das Land ist schon lange nicht mehr »Herzkammer« der SPD, sondern Betonbasis für jene Politik, die zu Schröder und den Desastern von 2005 und 2014 geführt hat.
Von
Arnold Schölzel
aus „junge Welt“, Online spezial, vom 15.05.2017
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