Venezuelas Opposition setzt auf die Macht der
Bilder. Auch deutsche Medien unterstützen sie dabei
Am 5. Mai
berichtete der lateinamerikanische Fernsehsender Telesur, dass die Partei des
brasilianischen Staatschefs Michel Temer im Parlament einen Antrag eingebracht
habe, die für das nächste Jahr vorgesehenen Präsidentschaftswahlen auf 2020 zu
verschieben. Die Begründung dafür lautet, man wolle per Verfassungsänderung die
Wahlen zum Staatsoberhaupt und zu den Gouverneuren zusammenlegen.
Keinem
der deutschen Leitmedien war diese Information eine Meldung wert. Auch dpa und
AFP, die beiden in Deutschland führenden Presseagenturen, interessierten sich
für diese Nachricht nicht, obwohl es sich bei Brasilien immerhin um ein
G-20-Mitglied handelt. Die Tatsache, dass Temer nicht demokratisch gewählt
wurde, sondern vor einem Jahr durch einen institutionellen Putsch gegen
Präsidentin Dilma Rousseff in sein Amt kam, wird von den meisten Medien ohnehin
unterschlagen.
Wäre
Venezuelas Präsident Nicolás Maduro – der im Gegensatz zu Temer demokratisch
gewählt ist – auf einen solchen Einfall gekommen, wäre das wohl anders gewesen.
Denn Venezuela prägt die internationale Berichterstattung.
Organisierte Provokation - Foto: junge welt |
Beide
Agenturen unterschlagen, warum sich die Beamten den Demonstrationszügen
entgegengestellt hatten. Das Bildungsministerium liegt mitten im
Regierungsviertel von Caracas, nur fünf Häuserecken vom Präsidentenpalast
Miraflores entfernt. Wenn in der Vergangenheit Demonstrationen der Opposition
bis in das Stadtzentrum marschieren durften, kam es immer wieder zu Angriffen
auf Regierungsgebäude. So wurde am 12. Februar 2014 nach einer ansonsten
friedlichen Kundgebung von Regierungsgegnern das Gebäude der
Generalstaatsanwaltschaft attackiert. Das war der Beginn einer Gewaltwelle, die
43 Menschenleben forderte. Als Anstifter wurde später der Oppositionspolitiker
Leopoldo López zu knapp 14 Jahren Haft verurteilt.
Seither
verweigern die Behörden des Innenstadtbezirks Libertador den Regierungsgegnern
die Genehmigung für Proteste im Zentrum und versperren den Demonstrationszügen
an der Bezirksgrenze den Weitermarsch.
Die
Opposition nutzt das seit Wochen erfolgreich für eine sich wiederholende
Inszenierung: Man versammelt sich mit wechselnden Parolen im Osten der Hauptstadt,
wo die Viertel der Mittelschicht liegen und die Opposition die
Bezirksverwaltung stellt. Dann marschiert man trotz fehlender Genehmigung zu
dem jeweils ausgegebenen Ziel los – das fast immer im Regierungsviertel liegt.
Wenn sich Polizei und Nationalgarde in den Weg stellen, kommt der Einsatz der
mit Helmen und Gasmasken ausgerüsteten Stoßgruppen. Steine und Molotowcocktails
fliegen auf die Beamten, bis diese mit Tränengas und Wasserwerfern antworten.
Die Kameras richten sich dann auf die Oppositionsführer, die sich medienwirksam
als Opfer der Polizeigewalt inszenieren.
Im
Internet kursiert ein Video, in dem sich Lilian Tintori, die Ehefrau des
inhaftierten Leopoldo López, während einer Demonstration im April als Opfer der
Repression inszeniert. Zu sehen ist, wie sie inmitten von Rauch heldenmütig
ihre Gasmaske mit einem jugendlichen Demonstranten teilt – nicht ohne sich
vorher zu vergewissern, dass die Reporter ihre Aufnahmegeräte eingeschaltet
haben. Auffällig ist allerdings, dass die zahlreich anwesenden Kameraleute
offenkundig kein Problem mit dem mutmaßlichen Tränengas hatten – und dass es
auch Tintori selbst wohl nicht eilig hatte, sich in Sicherheit zu bringen.
Hundertausende Regierungsanhänger April 2017 - Foto: jW |
Mitte
April präsentierte das staatliche Fernsehen VTV genüsslich eine Panne des
privaten Nachrichtenkanals Globovisión. Der hatte offenkundig zu früh zu seinem
Reporter geschaltet, der von einer Demonstration der Opposition berichtete –
und so ging live über den Sender, wie der Berichterstatter den Protestierenden
Anweisungen gab, was sie rufen sollten.
Solche
Details unterschlagen die 90-Sekunden-Häppchen im deutschen Fernsehen – sie
passen nicht ins Bild. Dabei hatte tagesschau.de am 20. April selbst darauf
hingewiesen, dass man den Informationen beider Seiten nicht trauen dürfe: »Die
Medien berichten einseitig – entweder für oder gegen den amtierenden
Präsidenten –, und die Venezolaner wissen kaum noch, wem und was sie überhaupt
glauben sollen.« Unterschlagen wird, dass die öffentlich-rechtlichen Sender an
der Stimmungsmache aktiv beteiligt sind. Als die Deutsche Welle vor wenigen
Tagen den spanischen Europaabgeordneten Javier Couso befragte, warum die
Linksfraktion gegen einen Antrag zu Venezuela gestimmt hatte, stellte der
Politiker falsche Behauptungen der Journalistin richtig – und wurde von ihr
dafür ständig unterbrochen. Nach knapp fünf Minuten endete das Interview mit
dem enttäuschten Kommentar der Fragestellerin: »Ich habe nicht die Antworten
erhalten, die ich haben wollte.« Couso darauf: »Die Antworten gebe ich, nicht
Sie.«
Von André
Scheer
aus „junge Welt“ vom 11.05.2017
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