Was die in Merkels Regierungszeit offiziell
halbierte Arbeitslosigkeit bedeutet
Glückliches
Deutschland! Welch segensreiche zwölf Jahre hat dir diese Kanzlerin beschert.
Über alle drei ihrer Regierungsperioden hinweg, in trauter Zusammenarbeit mit
SPD, dann FDP, dann wieder bis heute die SPD, fast jedes Jahr ging die
Arbeitslosigkeit zurück. Nur im Krisenfolgejahr 2009 war es anders.
Frau
Merkel und die von ihr geführte Partei, die CDU, rühmen sich im Wahlkampf, dass
sich seit Beginn ihrer Kanzlerschaft die Arbeitslosigkeit in Deutschland
halbiert habe.
Wie
erklärt sich der große Erfolg? Die Kanzlerin selber betont, dass in den zwölf
Jahren ihrer Regierungszeit viele neue sozialversicherungspflichtige
Arbeitsplätze geschaffen worden seien. In Wirklichkeit waren das die wenigsten.
Die
Mehrheit waren prekäre, schlecht bezahlte, nicht sozialversicherungspflichtige
Jobs, die ihren Mann oder ihre Frau nicht ernähren, aber die Statistik
aufhübschen. 44 Millionen Personen mit Wohnsitz in Deutschland werden als
erwerbstätig gerechnet. Jeder ab dem 15. Lebensjahr mit einer Stunde Arbeit im
Monat wird dabei mitberechnet und taucht deshalb in der Arbeitslosenstatistik
nicht auf.
Nur 24
Millionen der 44 Millionen Erwerbstätigen haben einen Vollzeitjob. 15,3
Millionen haben nur oder immerhin einen Teilzeitjob. Jeder 12. Arbeitnehmer hat
zusätzlich zu seiner Vollzeitstelle noch einen sogenannten Mini-Job, also ein
Beschäftigungsverhältnis auf 450-Euro-Basis. Insgesamt sind in Deutschland 7,3
Millionen Menschen gering beschäftigt, also Mini-Jobber. 4,9 Millionen Personen
beziehen ihr Einkommen ausschließlich aus einem Nebenjob.
Die
Arbeitslosenzahlen sind auch sonst geschönt. Allein die Zahl der Arbeitslosen,
die aus Gründen wie Weiterbildungsmaßnahmen, Eingliederung, Krankheit und „über
58 bei Hartz-IV“ aus der Statistik gestrichen werden, liegt bei über einer
Million. Zusätzlich geht das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
(IAB) davon aus, dass sich 3,1 bis 4,9 Millionen Menschen gar nicht arbeitslos
gemeldet haben.
Deutschland
hat einen der größten Niedriglohnsektoren. Knapp 1 Million Menschen sind
dauerhaft in Leiharbeit. Sie verdienen deutlich weniger als Festangestellte.
Über 9,6 Prozent der Menschen in Deutschland verdienen unter 869 Euro im Monat
und fallen damit unter die Erwerbsarmutsgrenze.
Über eine
Million Erwerbstätige in Deutschland sind „Aufstocker“, die unter
Hartz-IV-Niveau arbeiten gehen und einen Ausgleich zu ihrem Lohn vom Amt
erhalten müssen, um zu überleben. Das Statistische Bundesamt bezeichnet 7,7
Prozent aller Erwerbstätigen als armutsgefährdet.
Der
Arbeitsmarkt hat sich in den zwölf Jahren Merkel verändert. Die Arbeit ist auf
mehr Personen als früher verteilt. Vor allem schlecht bezahlte Jobs sind
hinzugekommen. Während die Lohnentwicklung, gemessen an den Tarifverträgen, mit
der Produktivität Schritt gehalten hat, bilden die Leiharbeiter, die gering
Beschäftigten und schlecht Bezahlten innerhalb der Arbeiterklasse eine zweite
Schicht, deren Lohn- und Lebensniveau zurückbleibt.
Das ist
keineswegs Frau Merkels Werk allein. Es ist das Konzept der deutschen
herrschenden Klasse. Es wurde von den Arbeitgeberverbänden entworfen und von
Merkels Vorgänger im Kanzleramt, Gerhard Schröder, und seiner Regierung
eingeleitet. Dass Frau Merkel das Amt des Regierungschefs übernahm, als die
gemessene Arbeitslosigkeit einen Höhepunkt erreichte, ist Zufall. Kein Zufall
ist es, dass die Massenarbeitslosigkeit alter Prägung vom Kapital nicht mehr
gebraucht wird. Eine vielfach zersplitterte Arbeiterklasse kann auch anders
eingeschüchtert werden.
Frau Merkel
hat angekündigt, die Arbeitslosigkeit bis 2025 noch einmal zu halbieren – auf
dann drei Prozent, womit nach Ansicht der herrschenden Volkswirtschaftslehre
„Vollbeschäftigung“ erreicht wäre. Wir sollen diese ihre Absicht wahrscheinlich
als Drohung begreifen.
Von Lucas
Zeise
„unsere zeit (UZ) – Zeitung der DKP“ vom 08. September 2017
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