Donnerstag, 31. Dezember 2015

Hartz IV weniger wert

Foto: Hinz und Kunz
Durch Preisentwicklung haben ALG-II-Bezieher heute weniger finanziellen Spielraum als bei Einführung des Systems. Anhebung des Regelsatzes unzureichend

Die sogenannte turnusmäßige Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes entspricht nicht mal im Ansatz einer Anpassung an das Existenzminimum. Die Anhebung um fünf Euro ab 1. Januar auf dann 404 Euro wird von der Entwicklung der Verbraucherpreise zunichte gemacht. Das geht aus einer Berechnung des Deutschen Gewerkschaftsbundes hervor, die dieser am Mittwoch veröffentlichte.

Empfänger von Hartz IV und Sozialhilfe haben demnach heute weniger finanziellen Spielraum als bei der Einführung des Systems 2005. Dazu beigetragen hat unter anderem die Entwicklung der Nahrungsmittelpreise. Während diese in den vergangenen zehn Jahren um durchschnittlich 24,4 Prozent gestiegen sind, wurde der Regelsatz lediglich um 15,7 Prozent angehoben. Der Anteil für Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke im Regelsatz ist mit etwa 35 Prozent der größte, für alkoholische Getränke wird Hartz-IV-Beziehern im Bedarf gar kein Geld eingeräumt. »Trotz guter Konjunktur hat sich die Spaltung zwischen oben und unten noch vergrößert«, kritisierte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach. »Die Sicherung des Existenzminimums ist ein Verfassungsauftrag und keine Frage fiskalpolitischer Opportunität.«

Trotzdem wird der Hartz-IV-Satz von der Bundesregierung systematisch kleingerechnet. Obwohl seit 2013 eine sogenannte Einkommens- und Verbrauchsstichprobe vorliegt, wendet das Kabinett diese nicht zur Ermittlung des Regelsatzes an (jW berichtete), sondern bezieht sich noch auf die Stichprobe von 2008. Die neue soll erst 2017 zum Tragen kommen. Die nun durchgeführte turnusmäßige Anpassung beruht zu 70 Prozent auf der Preisentwicklung regelsatzrelevanter Güter und zu 30 Prozent auf der Lohnentwicklung im Vorjahresvergleich.

Der Paritätische Gesamtverband hat bereits am Montag darauf hingewiesen, dass der Regelsatz im Jahr 2011 manipuliert wurde und dadurch kleiner ist, als er selbst nach den Anforderungen der Bundesregierung bei Einführung des Hartz-Systems sein sollte. Das habe mit einer Feststellung des Existenzminimus nichts mehr zu tun. Damals wurde unter anderem die Referenzgruppe verändert, so dass nicht mehr wie zuvor die 20 Prozent der Haushalte mit dem niedrigsten Einkommen als Bezugsgruppe dienten, sondern nur noch 15 Prozent. Diese Manipulationen würden seitdem systematisch jedes Jahr fortgeschrieben. »Es ist schon mehr als enttäuschend, dass auch Frau Nahles diese Tricksereien übernimmt, gehörte sie doch vor ihrer Berufung zur Arbeitsministerin zu den Hauptkritikerinnen der Methoden ihrer Vorgängerin (Ursula von der Leyen, jW)«, kritisierte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes.

Ausgeschlossen aus der Referenzgruppe sind nur diejenigen Haushalte, die ausschließlich Transferleistungen beziehen. Personen, deren Einkommen so niedrig ist, dass sie »aufstocken« müssen, oder die zwar einen Anspruch auf Leistungen haben, diesen aber nicht geltend machen, werden nicht herausgerechnet. Auch das drückt die Berechnung. Der Verband fordert, die einst selbst gesetzten Regeln anzuwenden, und errechnet damit einen Regelsatz von 491 Euro. Dies entspricht einer Anhebung von gut 21 Prozent. »Es geht nicht um statistische Petitessen. Es geht um das Existenzminimum von Millionen Menschen«, appellierte Schneider an die Bundesregierung.

Von Claudia Wrobel, aus „junge Welt“ vom 31.12.2015

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