Anmerkungen zum Tarifabschluss im Pilotbezirk Bayern
Die Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie ist
zu Ende. Über 75 000 MetallerInnen versuchten mit Warnstreiks die vom
IG-Metall-Vorstand aufgestellte Forderung nach 5,5 Prozent mehr im
Geldbeutel - möglichst eins zu eins - durchzusetzen und dem Kapital Mores
zu lehren. Ihre Kampfbereitschaft war schon gleich nach der
Friedenspflicht bewundernswert entschlossen. Nach einer kurzen
Verhandlungsrunde kam es für die bundesweit 3,7 Millionen MetallerInnen
zu folgendem Tarifabschluss: Zwei Null-Monaten (Mai/Juni 2013) folgten
zum 1. Juli 2013 eine Entgelterhöhung um 3,4 Prozent für 10 Monate (bis
30. April 2014) und zum 1. Mai 2014 werden dann die Entgelte um weitere
2,2 Prozent für 8 Monate (bis 31. Dezember 2014) erhöht. Damit, so ist
auf der Metall-Internetseite zu lesen, "hat die IG Metall eine Erhöhung
der Entgelttabellen um insgesamt 5,6 Prozent durchgesetzt. Eine
Differenzierung des Tarifergebnisses haben wir verhindert. Eine
entsprechende Erhöhung der Ausbildungsvergütungen und in Bayern die
Anbindung an die Eckentgeltgruppe 5 B. Die Gesamtlaufzeit des
Tarifvertrages beträgt 20 Monate. Laufzeitende ist der
31. Dezember 2014.
Der Tarifvertrag zum flexiblen Übergang in die Rente
wurde wieder in Kraft gesetzt. Die Gegenfinanzierung und die
Rückstellungsbedarfe wurden geklärt. Die Schieds- und
Schlichtungsvereinbarung bleibt unverändert gütig. Die Friedenspflicht
endet am 28. Januar."
Beide - Gewerkschaft und Unternehmer - preisen nun den
in München vereinbarten Pilotabschluss für die Metall- und
Elektrobranche, der rasche Abschluss sei ein großer Erfolg. Die
Unternehmer zeigten sich sichtbar zufrieden mit dem Ergebnis. Die lange
Laufzeit gebe den beteiligten Firmen "die nötige Planungssicherheit",
erklärte auf der Unternehmerseite die Verhandlungsführerin
Renkhoff-Mücke. Und Jürgen Wechsler, Bezirksleiter und
Verhandlungsführer für die IG Metall Bayern, bewertete das Ergebnis als
"erfolgreichen Kompromiss", der erst durch die Hunderttausenden
Warnstreikenden ermöglicht worden sei. IG-Metall-Boss Berthold Huber
sprach von einem "guten Verhandlungsergebnis". Die Beschäftigten würden
"fair und angemessen an der wirtschaftlichen Entwicklung beteiligt".
Auch Unternehmerpräsident Dieter Hundt bezeichnete das
ausgehandelte Tarifergebnis mit Blick auf die vereinbarten Nullmonate
und die längere Laufzeit als vertretbar. "Angesichts der
unterschiedlichen wirtschaftlichen Lage in der Branche stelle das
Ergebnis allerdings für viele Unternehmen eine enorme Belastung dar. Und
man höre, Hundt lobte auch die Tatsache, dass die bisherigen
Tarifabschlüsse 2013 eine sehr differenzierte Entwicklung je nach Lage
der Branchen zeigten.
"Es gibt keine tarifpolitischen Geleitzüge mehr",
sagte der BDA-Präsident. Und Gesamtmetall-Präsident Rainer Dulger
frohlockt darüber, dass man "ohne verstaubte Rituale" ausgekommen sei.
Um die IG-Metall-Mitglieder von der eigenen Verhandlungsüberlegenheit zu
überzeugen und den vielen Kritikern der langjährigen zahmen
gewerkschaftlichen Lohnpolitik den Wind aus den Segeln zu nehmen zählt
die IG Metall nun einfach beide Steigerungsstufen aus 2013 und 2014
zusammen und kommt so auf ein errechnetes Lohnplus von 5,6 Prozent - und
liegt damit sogar noch über ihrer ursprünglichen Forderung von
5,5 Prozent. Die aber war nur auf ein Jahr bezogen.
Angelique
Renkhoff-Mücke, die Verhandlungsführerin der Unternehmer in Bayern,
sieht das Tarifergebnis mit anderen Augen und spricht daher im
Zusammenhang mit dem Tarifergebnis von Belastungen für die Unternehmen
von "2,96 Prozent im Jahr 2013 und 3,25 Prozent im Jahr 2014", was wohl
der Wahrheitsfindung eher dient.
Erklären, warum die IG-Metall-Führung
so einen Tarifabschluss akzeptiert, kann man sich nur, wenn man unter
anderem bedenkt, dass diese Tarifauseinandersetzung im
Bundestagswahljahr 2013 stattfand und deshalb ein Tarifkonflikt -
besonders wenn die Forderung auch eine Umverteilungskomponente gehabt
hätte, schnell auch eine politische Dimension angenommen hätte. Kapital,
Regierung und SPD/Grüne hätten Farbe bekennen müssen. Das aber fürchten
sie alle wie der Teufel das Weihwasser. Aber selbst durchgesetzte
5,5 Prozent hätten nicht genügt, um die in den letzten Jahren erfolgte
Umverteilung zugunsten der Konzerne auch nur annähernd zu kompensieren.
Und so bleiben die Löhne und Gehälter der KollegInnen selbst in der noch
gut organisierten Metallindustrie weiter hinter dem
"verteilungsneutralen Spielraum" - also der Summe aus Inflation und
Produktivität - zurück. Dass, obwohl der Produktivitätszuwachs in der
Metallbranche noch höher war als die gesamtgesellschaftliche
Produktivitätsentwicklung.
Mitgedacht werden muss bei der Bewertung des
Tarifergebnisses auch die Tatsache, dass von den nun vereinbarten
bescheidenen Tariferhöhungen aufgrund vielfach schon längst
existierender und zu befürchtender zusätzlicher betrieblicher
Verzichtsvereinbarungen immer weniger bei den Beschäftigten tatsächlich
ankommen wird. Aber auch aus internationaler Perspektive ist das
ausgehandelte Tarifergebnis enttäuschend. Durch die über viele Jahre
hinweg von den Unternehmern und Gewerkschaften gemeinsam gepredigte -
und im Interesse der Profitund Standortlogik auch praktizierte
"Lohnzurückhaltung" sind die Reallöhne im vergangenen Jahrzehnt in
Deutschland um 5,4 Prozent zurückgegangen. Nicht zuletzt konnten mit den
deutschen Dumpinglöhnen die südeuropäischen Industrien
niederkonkurriert werden. Schon 44 Jahre bin ich IG-Metall-Mitglied und
erlaube mir daher Kritik an diesem Blitz-Tarifabschluss und auch am
Versuch, aus einer Ergebnis"Mücke" ein elefantöses Tarifergebnis zu
machen. Was da jetzt am Tisch ausgehandelt wurde ist kein "fairer
Kompromiss", den kann es gar nicht geben.
Ein Kompromiss verläuft, wenn es kein fauler ist,
genau entlang der die Klassenkampfparteien trennenden Demarkationslinie.
Diese Linie verschiebt sich ständig zu Gunsten dessen, der aktiver für
seine Interessen kämpft, sich wenn nötig auch der "alten Rituale" -
sprich z. B. des Erzwingungsstreiks - bedient. Der Abschluss taugt weder
für die dringend notwendige Stärkung der Massenkaufkraft noch hat er
auch die ursprünglich geforderte Erhöhung der Ausbildungsvergütung um
60 Euro durchgesetzt. Die Azubis erhalten lediglich die gleiche
prozentuale Erhöhung analog ihrer bereits ausgebildeten Kollegen.
Wie kann da der Zweite Vorsitzende der IGM, Detlef
Wetzel, sagen: "Dieser Abschluss sendet ein gutes und richtiges Signal.
Die jungen Menschen können sich auf die IG Metall verlassen, denn die
IG Metall garantiert ihnen sichere und gute Perspektiven. Die Metall-
und Elektroindustrie erweist sich nur so in Zeiten des demografischen
Wandels als attraktiver Arbeitgeber für junge Menschen." Dem
widerspreche ich. Sichere und gute Perspektiven haben die jungen
Menschen nur, wenn sie sich ihrer eigenen Macht bewusst werden und in
der IG Metall und überall wo sie leben und arbeiten gemeinsam mit ihren
älteren Kollegen für ein besseres Leben kämpfen.
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