Samstag, 1. Juni 2013

IGM-Tarifergebnis

Anmerkungen zum Tarifabschluss im Pilotbezirk Bayern


Die Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie ist zu Ende. Über 75 000 MetallerInnen versuchten mit Warnstreiks die vom IG-Metall-Vorstand aufgestellte Forderung nach 5,5 Prozent mehr im Geldbeutel - möglichst eins zu eins - durchzusetzen und dem Kapital Mores zu lehren. Ihre Kampfbereitschaft war schon gleich nach der Friedenspflicht bewundernswert entschlossen. Nach einer kurzen Verhandlungsrunde kam es für die bundesweit 3,7 Millionen MetallerInnen zu folgendem Tarifabschluss: Zwei Null-Monaten (Mai/Juni 2013) folgten zum 1. Juli 2013 eine Entgelterhöhung um 3,4 Prozent für 10 Monate (bis 30. April 2014) und zum 1. Mai 2014 werden dann die Entgelte um weitere 2,2 Prozent für 8 Monate (bis 31. Dezember 2014) erhöht. Damit, so ist auf der Metall-Internetseite zu lesen, "hat die IG Metall eine Erhöhung der Entgelttabellen um insgesamt 5,6 Prozent durchgesetzt. Eine Differenzierung des Tarifergebnisses haben wir verhindert. Eine entsprechende Erhöhung der Ausbildungsvergütungen und in Bayern die Anbindung an die Eckentgeltgruppe 5 B. Die Gesamtlaufzeit des Tarifvertrages beträgt 20 Monate. Laufzeitende ist der 31. Dezember 2014.

Der Tarifvertrag zum flexiblen Übergang in die Rente wurde wieder in Kraft gesetzt. Die Gegenfinanzierung und die Rückstellungsbedarfe wurden geklärt. Die Schieds- und Schlichtungsvereinbarung bleibt unverändert gütig. Die Friedenspflicht endet am 28. Januar."

Beide - Gewerkschaft und Unternehmer - preisen nun den in München vereinbarten Pilotabschluss für die Metall- und Elektrobranche, der rasche Abschluss sei ein großer Erfolg. Die Unternehmer zeigten sich sichtbar zufrieden mit dem Ergebnis. Die lange Laufzeit gebe den beteiligten Firmen "die nötige Planungssicherheit", erklärte auf der Unternehmerseite die Verhandlungsführerin Renkhoff-Mücke. Und Jürgen Wechsler, Bezirksleiter und Verhandlungsführer für die IG Metall Bayern, bewertete das Ergebnis als "erfolgreichen Kompromiss", der erst durch die Hunderttausenden Warnstreikenden ermöglicht worden sei. IG-Metall-Boss Berthold Huber sprach von einem "guten Verhandlungsergebnis". Die Beschäftigten würden "fair und angemessen an der wirtschaftlichen Entwicklung beteiligt".

Auch Unternehmerpräsident Dieter Hundt bezeichnete das ausgehandelte Tarifergebnis mit Blick auf die vereinbarten Nullmonate und die längere Laufzeit als vertretbar. "Angesichts der unterschiedlichen wirtschaftlichen Lage in der Branche stelle das Ergebnis allerdings für viele Unternehmen eine enorme Belastung dar. Und man höre, Hundt lobte auch die Tatsache, dass die bisherigen Tarifabschlüsse 2013 eine sehr differenzierte Entwicklung je nach Lage der Branchen zeigten.

"Es gibt keine tarifpolitischen Geleitzüge mehr", sagte der BDA-Präsident. Und Gesamtmetall-Präsident Rainer Dulger frohlockt darüber, dass man "ohne verstaubte Rituale" ausgekommen sei. Um die IG-Metall-Mitglieder von der eigenen Verhandlungsüberlegenheit zu überzeugen und den vielen Kritikern der langjährigen zahmen gewerkschaftlichen Lohnpolitik den Wind aus den Segeln zu nehmen zählt die IG Metall nun einfach beide Steigerungsstufen aus 2013 und 2014 zusammen und kommt so auf ein errechnetes Lohnplus von 5,6 Prozent - und liegt damit sogar noch über ihrer ursprünglichen Forderung von 5,5 Prozent. Die aber war nur auf ein Jahr bezogen. 
Angelique Renkhoff-Mücke, die Verhandlungsführerin der Unternehmer in Bayern, sieht das Tarifergebnis mit anderen Augen und spricht daher im Zusammenhang mit dem Tarifergebnis von Belastungen für die Unternehmen von "2,96 Prozent im Jahr 2013 und 3,25 Prozent im Jahr 2014", was wohl der Wahrheitsfindung eher dient. 
Erklären, warum die IG-Metall-Führung so einen Tarifabschluss akzeptiert, kann man sich nur, wenn man unter anderem bedenkt, dass diese Tarifauseinandersetzung im Bundestagswahljahr 2013 stattfand und deshalb ein Tarifkonflikt - besonders wenn die Forderung auch eine Umverteilungskomponente gehabt hätte, schnell auch eine politische Dimension angenommen hätte. Kapital, Regierung und SPD/Grüne hätten Farbe bekennen müssen. Das aber fürchten sie alle wie der Teufel das Weihwasser. Aber selbst durchgesetzte 5,5 Prozent hätten nicht genügt, um die in den letzten Jahren erfolgte Umverteilung zugunsten der Konzerne auch nur annähernd zu kompensieren. Und so bleiben die Löhne und Gehälter der KollegInnen selbst in der noch gut organisierten Metallindustrie weiter hinter dem "verteilungsneutralen Spielraum" - also der Summe aus Inflation und Produktivität - zurück. Dass, obwohl der Produktivitätszuwachs in der Metallbranche noch höher war als die gesamtgesellschaftliche Produktivitätsentwicklung.

Mitgedacht werden muss bei der Bewertung des Tarifergebnisses auch die Tatsache, dass von den nun vereinbarten bescheidenen Tariferhöhungen aufgrund vielfach schon längst existierender und zu befürchtender zusätzlicher betrieblicher Verzichtsvereinbarungen immer weniger bei den Beschäftigten tatsächlich ankommen wird. Aber auch aus internationaler Perspektive ist das ausgehandelte Tarifergebnis enttäuschend. Durch die über viele Jahre hinweg von den Unternehmern und Gewerkschaften gemeinsam gepredigte - und im Interesse der Profitund Standortlogik auch praktizierte "Lohnzurückhaltung" sind die Reallöhne im vergangenen Jahrzehnt in Deutschland um 5,4 Prozent zurückgegangen. Nicht zuletzt konnten mit den deutschen Dumpinglöhnen die südeuropäischen Industrien niederkonkurriert werden. Schon 44 Jahre bin ich IG-Metall-Mitglied und erlaube mir daher Kritik an diesem Blitz-Tarifabschluss und auch am Versuch, aus einer Ergebnis"Mücke" ein elefantöses Tarifergebnis zu machen. Was da jetzt am Tisch ausgehandelt wurde ist kein "fairer Kompromiss", den kann es gar nicht geben.

Ein Kompromiss verläuft, wenn es kein fauler ist, genau entlang der die Klassenkampfparteien trennenden Demarkationslinie. Diese Linie verschiebt sich ständig zu Gunsten dessen, der aktiver für seine Interessen kämpft, sich wenn nötig auch der "alten Rituale" - sprich z. B. des Erzwingungsstreiks - bedient. Der Abschluss taugt weder für die dringend notwendige Stärkung der Massenkaufkraft noch hat er auch die ursprünglich geforderte Erhöhung der Ausbildungsvergütung um 60 Euro durchgesetzt. Die Azubis erhalten lediglich die gleiche prozentuale Erhöhung analog ihrer bereits ausgebildeten Kollegen.

Wie kann da der Zweite Vorsitzende der IGM, Detlef Wetzel, sagen: "Dieser Abschluss sendet ein gutes und richtiges Signal. Die jungen Menschen können sich auf die IG Metall verlassen, denn die IG Metall garantiert ihnen sichere und gute Perspektiven. Die Metall- und Elektroindustrie erweist sich nur so in Zeiten des demografischen Wandels als attraktiver Arbeitgeber für junge Menschen." Dem widerspreche ich. Sichere und gute Perspektiven haben die jungen Menschen nur, wenn sie sich ihrer eigenen Macht bewusst werden und in der IG Metall und überall wo sie leben und arbeiten gemeinsam mit ihren älteren Kollegen für ein besseres Leben kämpfen.

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