Sonntag, 16. Juni 2013

Halbwahrheiten und Propaganda: Der 17. Juni 1953 in der DDR

Am morgigen 17. Juni jährt sich zum 60. Mal der Tag, den die Meinungsmache in diesem Land gerne zum "Volksaufstand gegen die kommunistische Diktatur" hochstilisieren möchte. 
Bereits seit Tagen werden in den bürgerlichen Medien fabulöse Geschichten hierüber verbreitet. Alles leicht verdaulich - wenn man sich nicht wirklich für Geschichte und die damalige Realität interessiert...

Wenn man dies jedoch unbefangen hinterfragt, dann wird einem schnell deutlich, dass die Realität ein wenig anders aussah als die Märchengeschichte der herrschenden Propaganda!

Wir dokumentieren aus diesem Grund eine historische Einschätzung von Bertold Brecht, zum zweiten einen Artikel aus dem Jugendmagazin "Position" der SDAJ, welcher sich ein wenig mehr historische Genauigkeit gönnt die Ereignisse des 17. Juni 1953 zu analysieren, sowie last, but not least, eine Erklärung des Landesvorstandes der DKP Berlin zum Jahrestag, welche eine sehr umfassende historische Einordnung der Ereignisse liefert.
Wir tun dies, damit deutlich wird, dass hinter der medial verbreiteten halben Wahrheit eine ganze, große Propaganda-Lüge steckt.


„Die Demonstrationen des 17. Juni zeigten die Unzufriedenheit eines beträchtlichen Teils der Berliner Arbeiterschaft mit einer Reihe verfehlter wirtschaftlicher Maßnahmen. Organisierte faschistische Elemente versuchten, diese Unzufriedenheit für ihre blutigen Zwecke zu missbrauchen. Mehrere Stunden lang stand Berlin am Rande eines Dritten Weltkrieges. Nur dem schnellen und sicheren Eingreifen sowjetischer Truppen ist es zu verdanken, daß diese Versuche vereitelt wurden. Es war offensichtlich, daß das Eingreifen der sowjetischen Truppen sich keineswegs gegen die Demonstrationen der Arbeiter richtete. Es richtete sich augenscheinlich ausschließlich gegen die Versuche, einen neuen Weltbrand zu entfachen. Es liegt jetzt an jedem einzelnen, der Regierung beim Ausmerzen der Fehler zu helfen, welche die Unzufriedenheit hervorgerufen haben und unsere unzweifelhaft großen sozialen Errungenschaften gefährden“

Bertolt Brecht: Gesammelte Werke, Bd. 23, S. 249 f., Anmerkungen S. 546
   

Fehler und Feinde: Worum ging es beim „Arbeiteraufstand“ vom 17. Juni 1953 in der DDR?


Berlin, Hauptstadt der DDR, Strausberger Platz. 17. Juni 1953. Am frühen Morgen sammeln sich einige Tausend streikende Arbeiter. Sie fordern den Sturz der Regierung, die Rücknahme der Erhöhung der Arbeitsnormen, die deutsche Einheit.

Bereits am Tag zuvor haben Bauarbeiter der Großbaustelle Stalinallee, die an den Strausberger Platz angrenzt, protestiert. An diesem und den nächsten Tagen finden in der ganzen DDR Streiks und Demonstrationen statt, von Generalstreik ist die Rede. Die Demonstranten geraten in Auseinandersetzungen mit der Volkspolizei. Sie besetzen Büros der SED. Sie verprügeln Funktionäre der Partei und des Staates, töten einige, das Haus der Ministerien brennt. Sie stürmen Gefängnisse und befreien Gefangene. Auf dem Brandenburger Tor wehte damals die rote Fahne. Sie wird heruntergerissen. Die Demonstranten jubeln. Gegen Mittag greift die sowjetische Armee ein – nach dem Krieg hatten die Alliierten Truppen in Deutschland stationiert. Panzer und Soldaten patrouillieren in den Straßen. Die Proteste werden niedergeschlagen.

Nicht noch einmal 


Berlin, Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschlands, Strausberger Platz. 17. Juni 2012. Eine Kundgebung der NPD. Die antifaschistischen Gegendemonstranten werden von einer Polizeikette auf Abstand gehalten. Einer der Nazis ruft zu ihnen herüber: „Noch einmal retten euch die Sowjetpanzer nicht!“ Für diesen Faschisten ist klar, auf welcher Seite er vor 60 Jahren gestanden hätte.

Zonen-Diktatur


Ein Arbeiteraufstand, ein Volksaufstand gegen die SED-Diktatur, gegen das stalinistische Regime – das war der 17. Juni, so lernen wir es in Schule und Uni, so stellen Zeitungen und Fernsehsender es dar. Diese Darstellung entstand schon während der Ereignisse selbst: Deutschland war vom Kalten Krieg geteilt, der kapitalistische Westen begrüßte die Unruhen in der „Zone“. Im August erklärte der Bundestag den 17. Juni zum „Tag der deutschen Einheit“.

Zehn Prozent


Deutschland war damals noch immer von den Zerstörungen des Krieges gezeichnet. Die DDR arbeitete mit aller Kraft daran, das Land aufzubauen. Sie zahlte Reparationen für die Verwüstungen, die die Naziarmee in Osteuropa angerichtet hatte – anders als die Bundesrepublik, die Kredite aus dem Marshall-Plan der USA erhielt. Und sie baute die Kasernierte Volkspolizei auf, um sich gegen Angriffe aus dem Westen verteidigen zu können. Die DDR war darauf angewiesen, ihre Industrie zu entwickeln. Im Mai beschloss der Ministerrat, die Arbeitsnormen für die Industriebetriebe pauschal um zehn Prozent anzuheben. Viele Arbeiter hatten vorher die Normen sehr leicht übererfüllt und dafür Zuschläge bekommen – die Erhöhung der Normen bedeutete also weniger Lohnzuschläge. „Die Normerhöhung als solche war gerechtfertigt“, erklärt Klaus Steiniger, Chefredakteur der Zeitschrift Rotfuchs. „Aber der Weg entsprach nicht demokratischen Gepflogenheiten, das ist einfach administrativ verfügt worden.“ Die Erhöhung der Arbeitsnormen führte zu Unzufriedenheit unter den Arbeitern, sie wurden zum wichtigsten Anlass der Unruhen.

Neue Anzüge


Am 16. Juni, einen Tag vor dem eigentlichen Aufstand, zog eine Demonstration von Bauarbeitern der Stalinallee vom Strausberger Platz zum Haus der Ministerien, dem Sitz der Regierung. Fritz Selbmann, Minister für Schwerindustrie, kam heraus. Selbmann hatte zwölf Jahre in den Zuchthäusern und KZs der Nazis verbracht. Er stieg auf einen Tisch und erklärte, dass die Regierung die Normerhöhungen zurückgenommen hatte. Denn die SED hatte ihren Fehler erkannt und versuchte, ihn zu korrigieren. Aber dazu war es bereits zu spät. Ein Teil der Demonstranten bekam die Rücknahme der Normerhöhungen überhaupt nicht mit. Für andere stand diese Frage nicht im Vordergrund – die Zusammensetzung der Arbeiterklasse hatte sich verändert. Viele Nazifunktionäre hatten nach 1945 auf dem Bau eine neue Arbeit gefunden. Sie waren gegen die sozialistische Regierung, egal, wie hoch die Normen waren. Die Demonstration erhielt weitere Verstärkung. Massen von Menschen in Maureranzügen, in Arbeitskleidung strömten auf den Platz. Die Anzüge waren neu und ungebraucht. Die Menschen kamen aus Westberlin. Selbmann wurde von der Menge niedergeschrieen.

Nicht ohne RIAS


Nicht nur Menschen kamen aus dem Westteil der Stadt, um den Aufstand anzuheizen, auch Losungen. Der „Rundfunk im amerikanischen Sektor“, RIAS, ein Sender der USA, erreichte große Teile der DDR. Dieser Sender verbreitete den Aufruf für die Streiks, er forderte den Sturz der Regierung der DDR. Egon Bahr, Sozialdemokrat, damals Mitarbeiter des RIAS, erklärte: „Ohne den RIAS hätte es den Aufstand so nicht gegeben.“ So wurde der Aufstand angeheizt, und er wurde in die Richtung gelenkt, die dem Westen nutzte. Auch der Aufruf zur Demonstration vom Strausberger Platz wurde über den RIAS verbreitet.

Keine Verletzten


Klaus Steiniger war damals in Rostock, er leitete eine Praktikumsgruppe von Jura-Studierenden. Als SED-Mitglied wurde er am 17. Juni dazu eingeteilt, den amtierenden Oberbürgermeister Karleck vor Angriffen zu schützen. Aber das war nicht nötig. Mit anderen erhielt er die Anweisung, in der Nacht zum 18. in die Betriebe zu fahren, um zu sehen, ob es Unruhen gäbe. Aber in Rostock war es überwiegend ruhig. Nur in zwei Betrieben wurde gestreikt. Auf der Warnow-Werft rissen die Demonstranten die rote Fahne und die Fahne der DDR von den Gebäuden. Eine Einheit sowjetischer Marineinfanterie kam auf das Gelände. Es gab keine Verletzten. „Aber ohne die Sowjets hätte es zu Lynchmorden an Funktionären kommen können“, so Steiniger. So wie in Rathenow, wo der Betriebsschutzleiter der Handelsorganisation zusammengeschlagen, durch die Straßen getrieben und ermordet wurde. Oder wie in Magdeburg, wo die Aufständischen ein Gefängnis stürmen wollten und zwei Volkspolizisten und einen Mitarbeiter der Staatssicherheit erschossen.

Noch warten


(Foto: Bundesarchiv, Bild 175-14676 / CC-BY-SA)
Die Fehler der SED hatten Teile der Arbeiterklasse gegen sie aufgebracht. Sie gaben den Feinden des Sozialismus, die es in der DDR noch gab und die in der BRD noch die Macht hatten, die Möglichkeit, die Unzufriedenheit für ihre eigenen Pläne zu nutzen. Die Kräfte des Sozialismus waren schwach, sie mussten von sowjetischen Panzern gerettet werden. Die SED zog ihre Schlussfolgerungen daraus: Die bewussten Teile der Arbeiterklasse müssen den Sozialismus verteidigen und gestalten. Sie organisierte die Bildung der Kampfgruppen der Arbeiterklasse. Und sie organisierte eine neue Bewegung, um die Arbeitsproduktivität zu steigern. Die Weberin Frida Hockauf erklärte: „So, wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben.“ Durch ein verändertes Webverfahren konnte sie die Arbeitsnorm deutlich übertreffen. Das Kapital musste noch lange warten, bis es in Ostdeutschland wieder die Macht übernehmen konnte.


Quelle: Dieser Artikel erschien in POSITION # 3/2013



 17. Juni 1953: Planmäßige Konterrevolution

Erklärung des Landesvorstandes der DKP Berlin zum Jahrestag des 17. Juni 1953.


Die Bewertung der Ereignisse am 17. Juni 1953 in der DDR unterliegt wie alle relevanten gesellschaftlichen Vorgänge und Erscheinungen den Deutungsansprüchen der agierenden politischen Kräfte. Er wurde zum Bestandteil des ideologischen Kampfes um die Verwirklichung der Klasseninteressen und –ziele der beteiligten Kräfte.

Die Kapitalfraktionen in der Bundesrepublik und ihre politischen Handlanger von der CSU über die SPD bis zu den Grünen sind sich mit „Volks- oder Arbeiteraufstand“ oder „Aufstand gegen die kommunistische Herrschaft“ weitgehend in der Begriffswahl einig.

Die sich als marxistisch oder anderweitig oppositionell verstehenden Parteien und politischen Gruppierungen tun sich bei ihren Definitionsbemühungen schwerer. Ihre Uneinigkeit gruppiert sich um Fragestellungen nach der Schuld an diesen Ereignissen sowie um Abwägungen, ob man beispielsweise die Sache als „berechtigtes Aufbegehren vor allem der Arbeiter gegen die Verschlechterung der Arbeits- und Lebensbedingungen in der 2. Hälfte des Jahres 1952“ bezeichnen kann oder als „faschistischen Putsch“.

In diesem Kampf um die Begriffe als dem Kern der ideologischen Auseinandersetzung sollten für die marxistischen Kräfte weder intellektuelle Rechthaberei noch wohlwollende Weisheiten aus der Distanz von 60 abgelaufenen Jahren zählen, sondern die Fähigkeit, die Vorgänge als Ausdruck des Agierens von Klassenkräften, als Klassenkampf zu analysieren und zu werten.
Der 17. Juni 1953 war nur acht Jahre vom Tag der Befreiung des deutschen Volkes vom Faschismus entfernt, dem Tage, an dem die Zerschlagung des deutschen Imperialismus faschistischer Prägung durch die Siegermächte in Berlin-Karlshorst per Unterschrift besiegelt wurde. Dieser Sieg wurde errungen auf der Grundlage eines von den Völkern nachdrücklich geforderten antifaschistischen Bündnisses, das mit der Sowjetunion eine zwar stark geschwächte, aber an internationalem Einfluss außerordentlich gestärkte staatliche Macht zur Grundlage hatte. Es ist die Plattform des am 2. August 1945 von den drei Siegermächten unterzeichneten Potsdamer Abkommens.

Der Zusammenhang zwischen den Interessen der Völker, der politischen Rolle der Sowjetunion, also zwischen klassenbedingten Zielen und Aktivitäten einerseits und dem Wohlergehen der Völker andererseits wird hier deutlich.

Die Haltung zu diesem Abkommen bringt die Achtung oder Missachtung des Volkswillens, den Umgang mit den historischen Lehren zum Ausdruck. Die Entscheidung fällt – wie in allen Angelegenheiten von gesellschaftlichem Belang – in Abhängigkeit von den Klasseninteressen. Daran ändert auch kein Fabulieren über die Abhängigkeit der politischen Kräfte in West- und Ostdeutschland von den jeweiligen Großmächten und ihren führenden Persönlichkeiten etwas. Die Lebensinteressen des deutschen Volkes, die unübersehbaren Erfordernisse des gesellschaftlichen Fortschritts verlangten gebieterisch, die Bestimmungen des Potsdamer Abkommens zu realisieren. Damit war noch kein sozialistischer Weg für Deutschland vorbestimmt, obwohl in dieser Zeit so gut wie alle, besonders lautstark führende Sozialdemokraten, davon redeten.

Die Haltungen zum Potsdamer Abkommen und die ihnen entsprechende politische Praxis bestimmen auch die Handlungslinien, die zum 17. Juni 1953 in der DDR führen. Geschützt und unterstützt durch die sowjetische Besatzungsmacht werden in Ostdeutschland die Bestimmungen des Potsdamer Abkommens buchstabengetreu realisiert. Das Gemeinwesen erhält eine antifaschistische Prägung, die in der imperialistischen Zeit entstandenen Monopolmächte werden zerschlagen, Rüstungskonzerne und Großgrundbesitzer im Ergebnis demokratische Entscheidungen enteignet und die Masse der Produktionsmittel in gesellschaftliches, staatliches Eigentum überführt. Dieser im Ansatz schon revolutionäre Vorgang war zwangsläufig mit politischen Konsequenzen verbunden, speziell mit der Ausgestaltung der Machtorgane. Entscheidend dabei war, dass es gelang, 1946 die Spaltung der deutschen Arbeiterbewegung in zwei Parteien zu überwinden und damit für den zu errichtenden Staat antifaschistisch-demokratischen Charakters die politische Grundlage zu legen.

Dass diese Maßnahmen objektiv in die Richtung auf eine sozialistische Gesellschaftsordnung hin trieben, liegt in der Natur der Sache. Es erscheint in diesem Zusammenhang völlig müßig, darüber zu streiten, ob die Beschlüsse der 2. Parteikonferenz der SED von 1952 vielleicht doch etwas zu voreilig gefasst worden seien. Auch eine andere Problematik begünstigt Spekulationen dieser Art. Die sowjetische Besatzungszone befand sich politisch und ökonomisch in einer Situation anhaltender Schwäche. In einem weitgehend zerstörtem Land, ohne bedeutende Ressourcen, ohne größere ökonomische Hilfe von außen, aus einer faschistischen Vergangenheit kommend eine völlig neue gesellschaftliche Ordnung zu errichten, bei einem militant feindlichen Nachbarn und bei offener Grenze – das war tatsächlich ein gewagtes Unternehmen, das von fundierten Gesellschaftstheorien und einem nahezu grenzenlosen historischen Optimismus getragen werden musste.

Diese Grundhaltung, die man als revolutionär bezeichnen kann, muss gerade heute verteidigt werden, wenn Kleingeister oder Feinde raten, bei erkennbaren Schwierigkeiten auf schöneres Wetter zu warten!

Bekanntlich war die Tinte auf den in Cecilienhof zu unterzeichnenden Dokumenten noch nicht trocken, als die von den USA betriebenen Aktivitäten um den Erhalt und die Ausdehnung der imperialistischen Herrschaft begannen. Damit war jede politische, ökonomische und militärische Aktion in ihrer „antibolschewistischen“ Zielrichtung definiert. Europa und Deutschland bildeten dabei Brennpunkte.

Dieser Linie folgt die Neuordnung des deutschen Monopolkapitals als „in seine Schranken verwiesene“ Konkurrenz, der Erhalt des früheren faschistischen Führungspersonals, die offene und verdeckte Unterdrückung demokratischer Kräfte und Willensbekundungen, die Nutzung der Währung als hochwirksames Instrument zur Spaltung des Landes, die Verordnung der Staatsgründung durch die imperialistischen Siegermächte, die Einbeziehung in die von den USA dominierten Bündnissysteme verbunden mit der unter dem Namen Marshall bekannt gewordenen wirtschaftlichen Unterstützungsmaßnahmen. Das versetzte die Regierung unter Adenauer bereits fünf Jahre nach der Niederlage des deutschen Imperialismus in die komfortable Lage, vor dem Bundestag zu erklären: „Die Bundesregierung unterstützt jederzeit mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln den Willen der Bevölkerung der Sowjetzone nach Befreiung von dem kommunistischen Joch der Sozialistischen Einheitspartei.“ (Anton Latzo: Die Fälscher sind am Werk!: Der 17. Juni – ein Beispiel, S. 3, herausgegeben vom Landesvorstand Brandenburg der DKP)

In dieser Zeit wird in den USA die Bedeutung der ideologischen Kriegsführung entdeckt, mit der „eine Verbindung von Propaganda und subversiven Aktivitäten oder die Benutzung der Propaganda für Subversions- und Diversionszwecke“ (a.a.O., S. 11) als Kampfmethode zum Tragen kommt.

Das systematische Hinarbeiten auf einen Tag X in der DDR (Wortschöpfung der Initiatoren des Ministeriums für gesamtdeutsche Fragen) Anfang der 1950-er Jahre ist vielfach belegt. Dieser Prozess wurde durch dieses Ministerium offen und verdeckt geführt.

Im März 1952 erfolgt bei diesem Ministerium die Gründung eines Forschungsbeirates für Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands, in dem Vertreter der Banken, der Industriekonzerne, der Gutsbesitzer, des DGB und der SPD an einem „Generalstabsplan für die administrative Machtübernahme“ arbeiten. (nach Hans Bentzien: Was geschah am 17. Juni?, S. 84 ff, Verlag edition ost)

Am 12. Juni 1953 lassen führende Konzerne, die in der DDR enteignete Betriebe zu beklagen haben, Aktien dieser Betriebe – „Ostwerte“ – aufkaufen.

Am 17. Juni dieses Jahres und in den Tagen davor versammelt sich in Westberlin eine Art Generalstab: Allan Dulles, der US-Spionagechef, seine Schwester Eleanore, Sonderberaterin für Berliner Fragen im State Department, General B. Ridgeway, der die US-Truppen im Koreakrieg geführt hatte, der Staatssekretär im Bundeskanzleramt Otto Lenz, der „gesamtdeutsche“ Minister Jakob Kaiser, Heinrich von Brentano und der Vorsitzende der SPD Erich Ollenhauer (nach Hans Bentzien, a.a.O., S. 167 und Anton Latzo, a.a.O., S. 9)
Der Krieg gegen die um ihre Stabilität und Entwicklung ringende DDR umfasste, wie ursprünglich konzipiert, das gesamte Arsenal von der Propaganda bis zu subversiven Handlungen. Die Bedingungen dafür konnten mit Westberlin als „billigster Atombombe“, einer S-Bahnfahrt in das „Feindland“ für 20 Pfennig und als Stationierungsort eines Heeres von Spionage- und Agentenorganisationen nicht günstiger sein. Dieser Krieg war gerichtet auf ein Staatswesen, auf ein Land, das um die Grundlagen seiner Existenz zu kämpfen hatte.
Die wirtschaftlichen Spannungen entfalteten sich in der DDR, die in dieser Zeit mit äußerster Kraftanstrengung ihre industrielle Basis auszubauen begonnen hatte, etwa in der Zeit nach der 2. Parteikonferenz der SED vom Juli 1952. Mit dem dort gefassten Beschluss, zur planmäßigen Errichtung der Grundlagen des Sozialismus überzugehen, war eine Wendemarke gesetzt worden, von der der Gegner wusste, dass bei einem erfolgreichen Beschreiten dieses Weges die Chancen für eine kapitalistische Restauration der Verhältnisse in Ostdeutschland auf längere Sicht verloren gehen. Für das in der Entwicklung befindliche gesellschaftliche System der DDR waren damit aber auch grundlegende Veränderungen und Belastungen verbunden.

Die Grundstoffindustrie und der Maschinenbau mussten verstärkt ausgebaut werden, für die Landwirtschaft wurde der genossenschaftliche Weg konzipiert, der Aufbau einer eigener Armee stand auf dem Plan und der Staatsapparat war an die neuen Anforderungen anzupassen. Die Reformen in allen gesellschaftlichen Bereichen, wie dem Gesundheitswesen, der Bildung, der Kultur mussten mit z.T. neuer Orientierung weitergeführt werden. Als ein Kernproblem der Entwicklung des Landes erwies sich die Stärkung der Akkumulationskraft der Wirtschaft, von der die Lösung aller anderen Aufgaben abhing. Sie war zusätzlich durch die zu leistenden Reparationen begrenzt.

Über die Versuche der Partei und der Regierung, in dieser Situation die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit mit allen Mitteln, bis hin zur festgelegten Normerhöhung von 10 Prozent, zu stärken, wird immer noch fleißig diskutiert. Dass eine wirtschaftliche Leistungssteigerung in gesellschaftlicher Breite administrativ nicht durchsetzbar ist, bedarf heute wie damals keines wohlmeinend belehrenden Kommentars. Einen Weg zu finden, bei dem in einer höchst angespannten Situation der Fortgang eines revolutionären Prozesses gewährleistet werden kann, war eine Kunst im politischen Kampf und wird es bleiben. Das ist eine Ebene, die von Kleinbürgern nicht zu erfassen ist.

Tatsächlich ließen die wirtschaftlichen Anspannungen und der Versuch ihrer Lösung durch einen Zwang zur Effektivitätserhöhung bei gleichzeitiger Begrenzung von Wirtschafts- und Sozialleistungen die Unzufriedenheit nicht nur der Arbeiter und Angestellten spürbar anwachsen.

Das war der Nährboden, auf dem die Zielstellungen, den Staat und die politische Ordnung zu liquidieren, ansetzten. Der Ablauf der Ereignisse bestätigt diesen Zusammenhang. Streiks und Unruhen am 17. Juni und davor erfassten – nach unterschiedlichen Quellenangaben – 6 bis 11 Prozent der Arbeiterschaft und 272 von ca. 10.000 Gemeinden (nach GRH – Information Nr. 2/2013: 17. Juni – Wahrheiten und Lügen – Eine notwendige Wortmeldung, S. 45). Die Forderungen der Arbeiter waren grundsätzlich ökonomischer und sozialer Natur und in der Mehrzahl mit dem Appell an die Regierung verbunden, in ihrem Sinne zu handeln.

Dass die Demonstrationen sich über Berlin hinaus, speziell auf die Arbeiterzentren, ausbreiteten und fast schlagartig durch politische Forderungen ergänzt oder ersetzt worden sind, hat andere Ursachen. Sie kann man am besten in den Archiven des RIAS (Rundfunk im amerikanischen Sektor) und beim Chefredakteur des Senders, Egon Bahr, studieren. Das plötzliche Auftauchen von Totschlägern und Brandstiftern aus Westberlin mit Forderungen „Weg mit der Regierung“ und „Freie Wahlen sofort“ auf handgemalten Transparenten und auf tausenden von Flugblättern weist darauf hin, dass außer dem RIAS noch andere „nachhelfende“ Organisationen, wie das Ostbüro der SPD, in Aktion waren. Diese Phase der Ereignisse erinnert sehr an die Zeit der Noskeleute und an deren Plakate: „Schlagt ihre Führer tot!“. Und sie wiederholte sich, als 36 Jahre später, sozusagen über Nacht, der Wandel von der Losung „Wir sind das Volk“ zur Losung „Wir sind ein Volk“ vollzogen wurde.

Die Debatte darüber, dass die Kennzeichnung der Vorgänge als „faschistischer Putsch“ die entstandene Unzufriedenheit unter den Werktätigen und die bei der Führung der SED liegenden Ursachen der Probleme ausblenden würde, geht an den Realitäten vorbei.
Man kann darüber diskutieren, dass die Analyse der Lage und der Tätigkeit der Parteiführung und der Regierung nicht dem erforderlichen Niveau und der gebotenen Konsequenz entsprachen. Wer sich aber der Mühe unterzieht, die Dokumente dieser Zeit zu lesen und in der Lage ist, die nachfolgende politische und ökonomische Entwicklung unbefangen zur Kenntnis zu nehmen, wird feststellen, dass der „Neue Kurs“ kein propagandistischer Schachzug der SED-Führung war und grundlegende Schlussfolgerungen sowohl für die Wirtschaftspolitik als auch für die Führungstätigkeit der Partei gezogen wurden. Ebenso darf im Sinne der zu beherzigenden Lehren auch nicht übersehen werden, dass in den Tagen um den 17. Juni 1953 faschistoide Methoden des politischen Kampfes praktiziert worden sind und „alte“ Faschisten in den „Widerstandszentren“ keine geringe Rolle spielten.

Was am 17. Juni 1953 geschah, war eine planmäßig, mit allen Mitteln und mit äußerster Konsequenz betriebene Konterrevolution. Aktivitäten dieser Art begleiteten die sozialistischen Staaten vom ersten Tag ihrer Existenz an. Dass sie schließlich zum Erfolg führten, zwingt besonders diejenigen, die sich zu den marxistisch-leninistischen Kräften zählen dazu, die historischen Vorgänge und Erfahrungen mit aller Gründlichkeit in ihren Lernprozess einzubeziehen.

Im Kampf gegen den gesellschaftlichen Fortschritt hat die Bourgeoisie im Zeitalter des Imperialismus immer faschistische Lösungen „in der Hinterhand“.

Landesvorstand Berlin der DKP
8. Juni 2013

Hinweis: Pünktlich zur Flut antikommunistischer Hetztiraden nun die Klarstellung: Der Landesvorstand der Deutschen Kommunistischen Partei Brandenburg gibt anlässlich des Jahrestages des Versuches der Konterrevolution auf dem Boden der Deutschen Demokratischen Republik die Schrift “Die Fälscher sind am Werk -  Der 17. Juni 1953″ von dem Genossen Anton Latzo heraus.

Bestellungen an: info@dkpbrandenburg.de

Quelle: news.dkp.de

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