Dienstag, 18. Juni 2013

Karstadt begeht Tarifflucht

Den Karstadt Beschäftigten drohen weitere finanzielle Einbußen. Mit dem Trick eines Tarifausstiegs, will der Milliardär Nicolas Berggruen den Einzelhandelsriesen auf Maximalprofit trimmen. Damit wird die Belegschaft von künftigen Tarifergebnissen im Handel abgeschnitten. Um dieses Ziel zu erreichen, wurden kurzerhand die Betriebsräte, Mitte Mai, in die Zentrale nach Essen einberufen.

Zu hören bekamen die Interessenvertreter dort die neuste Entwicklung des Handelskonzerns. Nach offiziellen Zahlen ist seit Oktober 2012 bis Februar 2013 nur 1,3 Milliarden Euro Umsatz gemacht worden. 135 Millionen Euro weniger, fast zehn Prozent, gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Schlussfolgerung für Berggruen und seiner Riege von Managern: Weitere Kosteneinsparungen beim Personal. Arbeitsdirektor Kai-Uwe Weitz verkündete daraufhin, Karstadt würde aus der bisherigen Tarifbindung aussteigen. Von dem Frontalangriff auf die Belegschaft sind alle Waren- und Sporthäuser betroffen.

Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di kritisierte unmittelbar nach dem Beschluss der Karstadt-Bosse und der Unterrichtung an die Betriebsräte, den weiteren Kahlschlag. In einer Pressemitteilung beklagte Stefanie Nutzenberger, ver.di-Bundesvorstandsmitglied für den Handel „mit dem Ausstieg aus der Tarifbindung stolpert das Karstadt-Management in seine nächste Fehlentscheidung”.

Nutzenberger bezeichnete die Vorgehensweise als falsches Signal an die Beschäftigten und Kunden. Berggruen solle nicht an den Grundfesten der berechtigten Arbeitnehmeransprüche rütteln. Die Karstadt-Geschäftsführung habe mit der heutigen Ankündigung das Vertrauen seiner Beschäftigten endgültig verspielt.

Karstadt hat in unverantwortlicher Weise die Kündigung aller Manteltarifverträge mit Ausnahme von Hamburg durch den Handelsverband maßgeblich mit betrieben. „Es ist deshalb nicht glaubhaft, wenn man nun selber angeblich an den Manteltarifverträgen festhalten wolle“, warnt Nutzenberger. „Die Menschen können nach zehn Jahren, in denen sie auf Millionen verzichtet haben, den Versprechungen einer Geschäftsführung, keinen Glauben mehr schenken. Die Beschäftigten brauchen und erwarten zu Recht eine planbare Zukunftsperspektive – und dazu gehört ein verbindlicher Tarifvertrag statt leerer Versprechungen“, so die Gewerkschafterin.

Deren Kritik an der Konzernpolitik ist besonders scharf. Anlass dafür ist, dass es bei mehreren Sekretären im Handel bereits Widerstand gibt, sich nicht erneut über den Tisch ziehen zu lassen. Von einem neuen „Sanierungsplan“ auf Kosten der Beschäftigten wollen diese nichts mehr wissen. Zu stark sind die Erinnerungen an den jahrelang vereinbarten Lohnabbau, welcher mit Hilfe der Gewerkschaft abgeschlossen wurde. 2004 hatte sich ver.di mit einem Katalog von Grausamkeiten in einem Sanierungskonzept ohne große Mobilisierung der Beschäftigten einverstanden erklärt. Der Illusion hingegeben, den Kapitalismus mitgestalten zu können.

Auf die von Karstadt angekündigte „Tarifpause“ antwortete die Belegschaft während der begonnenen Tarifauseinandersetzung im Handel bereits mit ersten Warnstreiks. So will der Betriebsrat, trotz der Flucht aus dem Flächentarif des Warenhauskonzerns, für Lohnerhöhungen kämpfen. „Dies ginge zum Beispiel über Haustarife. Hier werde ver.di von dem Unternehmern kurzfristig Termine einfordern“, so ein ver.di Sprecher. Auch bestünde die Möglichkeit in der aktuellen Tarifrunde weitere Warnstreiks durchzuführen, sollte Karstadt sich weigern zu verhandeln. Zusätzlich denke man über weitere Aktionen nach. Erste Flugblätter an die Kunden wurden in Hessen verteilt. Informationen gab es darin über den „Tarifausstieg“ und die Arbeitsbedingungen beim Handelskonzern. Aufgeklärt wurde auch in Richtung „Bedienintensität“. Bei weiterer Stellenvernichtung drohe die Abwanderung von Kunden. Eine gehobene Preisgestaltung haben bisher viele Konsumenten akzeptiert, wenn die Beratung stimmte. Bliebe dafür aber in Zukunft noch weniger Zeit, gäbe es aufgrund des Verdrängungswettbewerbs im Handel genügend Ausweichmöglichkeiten im SB-Bereich.

Unterstützung bekommen die Karstadt Betriebsräte auch vom Kaufhof. Deren Belegschaftsvertreter betonten, dass es richtig sei, sich nicht aus der Tarifrunde zu verabschieden. Deshalb müsse in die Tarifauseinandersetzung aktiv und gemeinsam eingegriffen werden. An die Adresse von ver.di gerichtet, betont die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende, Marion Bartusch, Kaufhof Düsseldorf-Wehrhahn: „Ver.di darf keinen Tarifabschluss im Handel ohne die Rücknahme der Zwangstarifpause bei Karstadt abschließen.“

Bereits vor einem Jahr kündigten die Warenhausbosse den Abbau von rund 2000 Vollzeitarbeitsplätzen bis 2014 an. Gemessen am hohen Teilzeitanteil dürften es tatsächlich um die 4000 sein. Karstadt hatte 2009 Insolvenz angemeldet. Berggruen kaufte 2010 im Herbst den Warenhauskonzern symbolisch für einen Euro. Die neusten Nachrichten aus der Zentrale des Handelsriesen zeigen, dass auch beim jetzigen Eigentümer Berggruen, rigoros der Personalabbau weiter laufen soll.

Das Konzept der Konzernspitze, mit der Tarifflucht Ruhe in die Filialen zu bringen, ist offensichtlich. Dies muss durchschaut werden. Wo, wenn nicht in dieser Tarifrunde, kann dazu am besten Widerstand entwickelt und mobilisiert werden. Erinnert werden muss dabei auch an die Beschlüsse des letzten ver.di Bundeskongresses. Zahlreiche Anträge befassten sich mit der Zusammenführung von Warnstreiks und Arbeitskämpfen der unterschiedlichen ver.di Fachbereiche.

Die Forderung einer Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich, bei gleichzeitiger Verringerung der Ladenöffnungszeiten, gehört in die Auseinandersetzung. Sie wäre eine offensive Antwort auf das kapitalistische Streben, Arbeit immer billiger zu machen.

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