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Vor einem Jahr starb Fidel Castro. In Kuba und
Lateinamerika ist er auch heute noch lebendig
Am 25.
November 2016 um 22.29 Uhr Ortszeit starb Fidel Castro Ruz im Alter von 90
Jahren.
Mit dem Tod ihres Anführers werde auch die Kubanische Revolution
untergehen, hatten deren Gegner seit dem Sieg der Rebellen im Januar 1959
gehofft.
Doch der von den westlichen Medien dämonisierte Comandante en Jefe
reagierte auf solche Phantasien stets gelassen. »Unsere Feinde sollten sich
keine Illusionen machen, ich sterbe morgen und mein Einfluss mag zunehmen«,
sagte er vor mehr als zehn Jahren. »Ich könnte es wie El Cid machen, den sie
tot auf dem Pferd mit sich führten und so Schlachten gewannen«, fügte er unter
Anspielung auf den in Spanien als Nationalheld verehrten kastilischen Ritter
aus dem elften Jahrhundert hinzu.
Ein Jahr
nach dem Ableben Castros scheint es, dass sich seine Erwartung bestätigt. »Yo
soy Fidel« (Ich bin Fidel) skandierten Hunderttausende während der
Trauerkundgebung am 29. November 2016 auf dem Platz der Revolution in Havanna.
Heute ist Kuba gefordert, diese Aussage unter Beweis zu stellen.
Nach
einer kurzen Phase, in der Washington das kubanische System nach der Methode
»Wandel durch Annäherung«, in seinem Sinne zu verändern versuchte, fiel Donald
Trump in die alte Rhetorik des Kalten Krieges zurück. Der seit Januar amtierende
US-Präsident verfolgt gegenüber Havanna mittlerweile wieder die Politik, die
sein Vorgänger Barack Obama vor drei Jahren als »gescheitert« bezeichnet hatte.
Fidel Castro rechnete mit dieser Möglichkeit. »Ich traue der Politik der
Vereinigten Staaten nicht«, schrieb er 2015 warnend an den Studentenverband
FEU. Viele auch der jüngeren Menschen reagieren auf den erneuten Kurswechsel
des mächtigen Nachbarn, wie es Kubaner seit fast 60 Jahren gewohnt sind: Mit
einem trotzigen »Jetzt erst recht«. Obwohl kein Denkmal an ihn erinnert, kein
Platz und keine Straße – wie er es selbst verfügt hatte – nach ihm benannt
sind, ist Fidel Castro auf Kuba präsent wie zu Lebzeiten. In Lateinamerika wird
er – wie die Befreier Simón Bolívar und José Martí – nicht nur als historische
Persönlichkeit, sondern als Visionär und Impulsgeber für eine andere Welt
gesehen. Die Würdigung seines Lebens und seiner Leistungen erfolgt
zurückblickend und immer auch in die Zukunft gewandt.
In seiner
Heimat gilt Fidel Castro als der erste Kubaner, der den Traum des
Nationalhelden José Martí von einem freien, unabhängigen und souveränen Staat
verwirklicht hat. Mit dem Sieg der Guerilleros wurde das Land von 1959 an zum
ersten Mal seit Landung der spanischen Eroberer vor über 500 Jahren nicht mehr
von ausländischen Mächten beherrscht. Über die Angelegenheiten Kubas wird
seitdem nicht mehr in Madrid oder Washington, sondern in Havanna entschieden.
Fidel hatte dies 1953 im Prozess nach dem Angriff auf die Moncada-Kaserne in
seiner berühmten Verteidigungsrede »Die Geschichte wird mich freisprechen«
angekündigt. In dieser Ansprache, die als programmatisches Manifest der
Revolution gilt, versprach er zudem soziale Programme, die Verteilung von Land
an arme Bauern sowie ein Bildungs- und Gesundheitssystem für alle. Anders als
die bis dahin in Kuba agierenden Politiker hielten die Rebellen nach dem Sieg
ihre Zusagen ein. Für ihren Anführer Fidel Castro gilt nach Wahrnehmung vieler
Kubaner dasselbe, was der französische Philosoph Jean-Paul Sartre über dessen
Kampfgefährten Che Guevara gesagt hatte: »Bei ihm sind Wort und Tat aus einem
Guss.«
Kubas Weg
Che & Fidel, Foto: junge Welt |
Der
Comandante en Jefe steht für den eigenen Weg Kubas nach dem Sieg der
Revolution, der sich von der Entwicklung auf der benachbarten Insel Hispaniola
mit Haiti und der Dominikanischen Republik ebenso unterscheidet wie der auf der
US-Kolonie Puerto Rico. »In Puerto Rico«, klagte der Freiheitskämpfer Oscar
López Rivera in dieser Woche bei seinem ersten Besuch auf Kuba, »entscheiden
nicht die Puertoricaner, sondern Washington und die Wall Street«. Die Folgen
seien Armut, Korruption, ein marodes Bildungs- und Gesundheitssystem sowie ein
Berg von über 70 Milliarden Dollar Schulden. Als aktuelles Beispiel für den
Unterschied zwischen beiden Ländern nannte López Rivera die schnelle
Unterstützung für die Opfer des Hurrikans »Maria« in Kuba und die bis heute
unterlassene Hilfeleistung für die betroffenen Menschen auf seiner Insel. Am
Dienstag, beim Besuch der Grabstätten Fidel Castros und José Martís auf dem Friedhof
Santa Ifigenia in Santiago de Cuba, sagte López Rivera, der wegen seines
Einsatzes für die Unabhängigkeit Puerto Ricos fast 36 Jahre lang in den USA im
Gefängnis saß, das Beispiel der beiden Befreier habe nicht nur für Kuba,
sondern »für die gesamte Menschheit« eine große Bedeutung.
In vielen
Teilen der Welt wird Fidel Castros Wirken an seinem ersten Todestag gewürdigt.
Das Ende der Apartheid in Südafrika wurde 1975 mit der von Fidel angeordneten
und nach einer aufständischen Sklavin benannten »Operation Carlota« kubanischer
Soldaten in Angola eingeleitet. Außer bei der weißen »Herrenrasse«, die durch
Kubas Hilfe ihre Macht einbüßte, wird Fidels Name heute überall auf dem
afrikanischen Kontinent mit Respekt und Anerkennung genannt. Er hat die Bewegung
der Blockfreien über viele Jahre ebenso inspiriert wie später den
Integrationsprozess Lateinamerikas. Gemeinsam mit dem venezolanischen
Präsidenten Hugo Chávez entwickelte er die »Bolivarische Allianz für die Völker
unseres Amerikas« (ALBA). Dieser Staatenbund hat – im Gegensatz zu westlichen
Modellen – die soziale Verpflichtung des Handels, Zusammenarbeit in den
Bereichen Gesundheit und Bildung, den Aufbau eines solidarischen Bank- und
Finanzsystems sowie zahlreiche Kooperationen zum gegenseitigen Vorteil zum
Ziel. Ebenfalls auf ein Konzept Fidel Castros zurückgehend folgte 2010 die
Konstituierung der »Lateinamerikanischen und Karibischen Staatengemeinschaft«
(CELAC) als Alternative zu der von den USA dominierten »Organisation
Amerikanischer Staaten« (OAS). Castro setzte die alten Visionen Bolívars und
Martís damit Stück für Stück in reale Politik um. Sein Ziel eines sozialen und
friedlichen Lateinamerikas gilt auf dem Kontinent nicht als rückwärtsgewandt,
sondern als Zukunftsprojekt.
Früher
als viele andere erkannte der Revolutionsführer auch einige der heute aktuellen
globalen Herausforderungen. »Eine wichtige biologische Spezies läuft aufgrund
der schnellen und progressiven Beseitigung seiner natürlichen Lebensgrundlagen
Gefahr zu verschwinden: der Mensch«, warnte er bereits 1992 auf einem
Gipfeltreffen der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro. Damals forderte er:
»Wenn man die Menschheit vor der Selbstzerstörung bewahren will, müssen die
Reichtümer und die verfügbaren Technologien auf dem Planeten besser verteilt
werden.« Auf einer anderen UN-Konferenz geißelte er 2003 den hohen
Energieverbrauch und das Konsumdenken der Industrienationen. »Diese
Wirtschaftsordnung und diese Verbrauchsmuster sind unvereinbar mit den
begrenzten und nicht erneuerbaren Ressourcen unseres Planeten, mit den Gesetzen
der Natur und des Lebens.« Kuba zog daraus die Konsequenz und ist heute das
Land der Welt, das die Kriterien der Vereinten Nationen für eine nachhaltige
Entwicklung am weitesten erfüllt.
Mediziner für die Welt
Ein ständiges
Thema war für Castro die »zerstörerische Macht der modernen Waffen«. Kubas
Alternative sei, die eigenen Ressourcen »der Entwicklung von Waffen zu widmen,
um den Tod zu bekämpfen, um AIDS zu bekämpfen, um Krankheiten zu bekämpfen, um
Krebs zu bekämpfen«. Heute behandeln Zehntausende kubanische Mediziner Menschen
in mehr als 60 Ländern der Welt. Junge Leute aus Staaten des globalen Südens
erhalten in der 1999 auf Initiative Fidels gegründeten Lateinamerikanischen
Hochschule für Medizin (ELAM) Stipendien in Havanna.
Kubas
weltweit anerkannte Erfolge sind das Ergebnis einer anderen Prioritätensetzung,
für die Fidel Castro und der Begriff »Fidelismus« auch ein Jahr nach dem Tod
des Revolutionsführers weiterhin stehen. Er selbst hatte offenbar sogar das geahnt.
»Bald wird es mir ergehen, wie allen anderen«, sagte Fidel im April 2016,
sieben Monate vor seinem Tod, auf dem VII. Parteitag der Kommunistischen Partei
Kubas. »Alle kommen wir an die Reihe, aber die Ideen der kubanischen
Kommunisten bleiben.«
Von
Volker Hermsdorf
aus „junge Welt“ vom 25.11.2017
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