Sonntag, 26. November 2017

Unbesiegter Comandante

Foto: junge Welt
Vor einem Jahr starb Fidel Castro. In Kuba und Lateinamerika ist er auch heute noch lebendig

Am 25. November 2016 um 22.29 Uhr Ortszeit starb Fidel Castro Ruz im Alter von 90 Jahren. 

Mit dem Tod ihres Anführers werde auch die Kubanische Revolution untergehen, hatten deren Gegner seit dem Sieg der Rebellen im Januar 1959 gehofft. 

Doch der von den westlichen Medien dämonisierte Comandante en Jefe reagierte auf solche Phantasien stets gelassen. »Unsere Feinde sollten sich keine Illusionen machen, ich sterbe morgen und mein Einfluss mag zunehmen«, sagte er vor mehr als zehn Jahren. »Ich könnte es wie El Cid machen, den sie tot auf dem Pferd mit sich führten und so Schlachten gewannen«, fügte er unter Anspielung auf den in Spanien als Nationalheld verehrten kastilischen Ritter aus dem elften Jahrhundert hinzu.

Ein Jahr nach dem Ableben Castros scheint es, dass sich seine Erwartung bestätigt. »Yo soy Fidel« (Ich bin Fidel) skandierten Hunderttausende während der Trauerkundgebung am 29. November 2016 auf dem Platz der Revolution in Havanna. Heute ist Kuba gefordert, diese Aussage unter Beweis zu stellen.

Kurze Entspannung

Nach einer kurzen Phase, in der Washington das kubanische System nach der Methode »Wandel durch Annäherung«, in seinem Sinne zu verändern versuchte, fiel Donald Trump in die alte Rhetorik des Kalten Krieges zurück. Der seit Januar amtierende US-Präsident verfolgt gegenüber Havanna mittlerweile wieder die Politik, die sein Vorgänger Barack Obama vor drei Jahren als »gescheitert« bezeichnet hatte. Fidel Castro rechnete mit dieser Möglichkeit. »Ich traue der Politik der Vereinigten Staaten nicht«, schrieb er 2015 warnend an den Studentenverband FEU. Viele auch der jüngeren Menschen reagieren auf den erneuten Kurswechsel des mächtigen Nachbarn, wie es Kubaner seit fast 60 Jahren gewohnt sind: Mit einem trotzigen »Jetzt erst recht«. Obwohl kein Denkmal an ihn erinnert, kein Platz und keine Straße – wie er es selbst verfügt hatte – nach ihm benannt sind, ist Fidel Castro auf Kuba präsent wie zu Lebzeiten. In Lateinamerika wird er – wie die Befreier Simón Bolívar und José Martí – nicht nur als historische Persönlichkeit, sondern als Visionär und Impulsgeber für eine andere Welt gesehen. Die Würdigung seines Lebens und seiner Leistungen erfolgt zurückblickend und immer auch in die Zukunft gewandt.

In seiner Heimat gilt Fidel Castro als der erste Kubaner, der den Traum des Nationalhelden José Martí von einem freien, unabhängigen und souveränen Staat verwirklicht hat. Mit dem Sieg der Guerilleros wurde das Land von 1959 an zum ersten Mal seit Landung der spanischen Eroberer vor über 500 Jahren nicht mehr von ausländischen Mächten beherrscht. Über die Angelegenheiten Kubas wird seitdem nicht mehr in Madrid oder Washington, sondern in Havanna entschieden. Fidel hatte dies 1953 im Prozess nach dem Angriff auf die Moncada-Kaserne in seiner berühmten Verteidigungsrede »Die Geschichte wird mich freisprechen« angekündigt. In dieser Ansprache, die als programmatisches Manifest der Revolution gilt, versprach er zudem soziale Programme, die Verteilung von Land an arme Bauern sowie ein Bildungs- und Gesundheitssystem für alle. Anders als die bis dahin in Kuba agierenden Politiker hielten die Rebellen nach dem Sieg ihre Zusagen ein. Für ihren Anführer Fidel Castro gilt nach Wahrnehmung vieler Kubaner dasselbe, was der französische Philosoph Jean-Paul Sartre über dessen Kampfgefährten Che Guevara gesagt hatte: »Bei ihm sind Wort und Tat aus einem Guss.«

Kubas Weg

Che & Fidel, Foto: junge Welt
Der Comandante en Jefe steht für den eigenen Weg Kubas nach dem Sieg der Revolution, der sich von der Entwicklung auf der benachbarten Insel Hispaniola mit Haiti und der Dominikanischen Republik ebenso unterscheidet wie der auf der US-Kolonie Puerto Rico. »In Puerto Rico«, klagte der Freiheitskämpfer Oscar López Rivera in dieser Woche bei seinem ersten Besuch auf Kuba, »entscheiden nicht die Puertoricaner, sondern Washington und die Wall Street«. Die Folgen seien Armut, Korruption, ein marodes Bildungs- und Gesundheitssystem sowie ein Berg von über 70 Milliarden Dollar Schulden. Als aktuelles Beispiel für den Unterschied zwischen beiden Ländern nannte López Rivera die schnelle Unterstützung für die Opfer des Hurrikans »Maria« in Kuba und die bis heute unterlassene Hilfeleistung für die betroffenen Menschen auf seiner Insel. Am Dienstag, beim Besuch der Grabstätten Fidel Castros und José Martís auf dem Friedhof Santa Ifigenia in Santiago de Cuba, sagte López Rivera, der wegen seines Einsatzes für die Unabhängigkeit Puerto Ricos fast 36 Jahre lang in den USA im Gefängnis saß, das Beispiel der beiden Befreier habe nicht nur für Kuba, sondern »für die gesamte Menschheit« eine große Bedeutung.

In vielen Teilen der Welt wird Fidel Castros Wirken an seinem ersten Todestag gewürdigt. Das Ende der Apartheid in Südafrika wurde 1975 mit der von Fidel angeordneten und nach einer aufständischen Sklavin benannten »Operation Carlota« kubanischer Soldaten in Angola eingeleitet. Außer bei der weißen »Herrenrasse«, die durch Kubas Hilfe ihre Macht einbüßte, wird Fidels Name heute überall auf dem afrikanischen Kontinent mit Respekt und Anerkennung genannt. Er hat die Bewegung der Blockfreien über viele Jahre ebenso inspiriert wie später den Integrationsprozess Lateinamerikas. Gemeinsam mit dem venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez entwickelte er die »Bolivarische Allianz für die Völker unseres Amerikas« (ALBA). Dieser Staatenbund hat – im Gegensatz zu westlichen Modellen – die soziale Verpflichtung des Handels, Zusammenarbeit in den Bereichen Gesundheit und Bildung, den Aufbau eines solidarischen Bank- und Finanzsystems sowie zahlreiche Kooperationen zum gegenseitigen Vorteil zum Ziel. Ebenfalls auf ein Konzept Fidel Castros zurückgehend folgte 2010 die Konstituierung der »Lateinamerikanischen und Karibischen Staatengemeinschaft« (CELAC) als Alternative zu der von den USA dominierten »Organisation Amerikanischer Staaten« (OAS). Castro setzte die alten Visionen Bolívars und Martís damit Stück für Stück in reale Politik um. Sein Ziel eines sozialen und friedlichen Lateinamerikas gilt auf dem Kontinent nicht als rückwärtsgewandt, sondern als Zukunftsprojekt.

Früher als viele andere erkannte der Revolutionsführer auch einige der heute aktuellen globalen Herausforderungen. »Eine wichtige biologische Spezies läuft aufgrund der schnellen und progressiven Beseitigung seiner natürlichen Lebensgrundlagen Gefahr zu verschwinden: der Mensch«, warnte er bereits 1992 auf einem Gipfeltreffen der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro. Damals forderte er: »Wenn man die Menschheit vor der Selbstzerstörung bewahren will, müssen die Reichtümer und die verfügbaren Technologien auf dem Planeten besser verteilt werden.« Auf einer anderen UN-Konferenz geißelte er 2003 den hohen Energieverbrauch und das Konsumdenken der Industrienationen. »Diese Wirtschaftsordnung und diese Verbrauchsmuster sind unvereinbar mit den begrenzten und nicht erneuerbaren Ressourcen unseres Planeten, mit den Gesetzen der Natur und des Lebens.« Kuba zog daraus die Konsequenz und ist heute das Land der Welt, das die Kriterien der Vereinten Nationen für eine nachhaltige Entwicklung am weitesten erfüllt.

Mediziner für die Welt

Ein ständiges Thema war für Castro die »zerstörerische Macht der modernen Waffen«. Kubas Alternative sei, die eigenen Ressourcen »der Entwicklung von Waffen zu widmen, um den Tod zu bekämpfen, um AIDS zu bekämpfen, um Krankheiten zu bekämpfen, um Krebs zu bekämpfen«. Heute behandeln Zehntausende kubanische Mediziner Menschen in mehr als 60 Ländern der Welt. Junge Leute aus Staaten des globalen Südens erhalten in der 1999 auf Initiative Fidels gegründeten Lateinamerikanischen Hochschule für Medizin (ELAM) Stipendien in Havanna.

Kubas weltweit anerkannte Erfolge sind das Ergebnis einer anderen Prioritätensetzung, für die Fidel Castro und der Begriff »Fidelismus« auch ein Jahr nach dem Tod des Revolutionsführers weiterhin stehen. Er selbst hatte offenbar sogar das geahnt. »Bald wird es mir ergehen, wie allen anderen«, sagte Fidel im April 2016, sieben Monate vor seinem Tod, auf dem VII. Parteitag der Kommunistischen Partei Kubas. »Alle kommen wir an die Reihe, aber die Ideen der kubanischen Kommunisten bleiben.«

Von Volker Hermsdorf
aus „junge Welt“ vom 25.11.2017

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