Wärmehalle für Wohnungslose, Foto: junge Welt |
Wohnungs- und Obdachlosigkeit auf Nachkriegsrekordniveau.
Bis 2018 1,2 Millionen Menschen betroffen.
Zunehmend auch Familien auf der Straße
Bis 2018 1,2 Millionen Menschen betroffen.
Zunehmend auch Familien auf der Straße
Achthundertsechzigtausend
Menschen sind im Jahr 2016 ohne Wohnung.
Das entspricht einem Zuwachs von 150
Prozent innerhalb von 24 Monaten.
Dass weitere 350.000 hinzukommen werden, ist
bereits heute abzusehen; 2018 werden voraussichtlich 1,2 Millionen Menschen in
der BRD ohne Wohnung sein.
Die
Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e. V. (BAGW) stellte am Dienstag,
den 14.11.2017) ihren Jahresbericht vor. Werena Rosenke und Thomas Specht, Geschäftsführende
des Vereins, konstatieren »teils rechtswidrige Zustände« und »elende
Bedingungen« im Land der »Exportweltmeister« mit dem Mantra »es geht uns doch
noch so gut«.
Das
Problem des Wohnungsmangels gehe indes auf wissentliches Verschulden der
Bundesregierungen bereits seit 1990 zurück. Die Zahlen wollten die führenden
Politiker gar nicht wissen: »Wenn die Bundesregierung die Statistik selber
anfertigen würde, würden die Leute denken, der Bund sei auch der Verursacher
des Problems«, zitiert BAGW-Chef Specht aus einem Gespräch mit dem früheren
Staatssekretär im Bundesbauministerium, Jan Mücke (FDP), der heute als Lobbyist
der Tabakindustrie arbeitet. »Sie verschließen die Augen«, führt Specht weiter
aus. Oder sie wollen gar nicht zuständig sein: Im Jahr 2011, als das besagte Gespräch
stattfand, hätte noch gegengesteuert werden können.
Das
Problem trifft früher oder später alle. Specht nennt einen Maximalanteil von 23
bis 25 Prozent des Haushaltseinkommens für die monatliche Mietüberweisung als
gerechtfertigt. Wirklichkeit der BRD im Jahr 2017 sei aber, dass viele Menschen
bereits die Hälfte des Monats für ihren Vermieter zur Arbeit gehen (50 Prozent
des Nettoeinkommens). Wenn sie die Miete nicht mehr zahlen können, bleiben nur
kommunale Notunterkünfte.
Oder die
Straße: Auf mindestens 52.000 Menschen trifft das nach der BAGW derzeit zu,
darunter viele EU-Einwanderer aus Osteuropa, die zu schäbigsten Konditionen
»für die BRD-Wirtschaft notwendig sind«, so Specht. Die
Bundesarbeitsgemeinschaft sieht »Gerechtigkeitsprobleme« und »Versorgungsprobleme«
in nahezu allen Städten ab 100.000 Einwohnern. Mietpreise seien generell zu
hoch. Es fehlten vor allem Wohnungen für Kleinfamilien und Alleinstehende.
BAGW-Koleiterin
Werena Rosenke macht auf das Sanktionsregime in der Sozialgesetzgebung
aufmerksam. Sie fordert eine Mietschuldenübernahme zum Wohnungserhalt und die
Streichung von verschärften Sanktionsmöglichkeiten bei unter 25jährigen
Mietern. Ein »bundesweites Präventionssystem« sei vonnöten und »kommunale
Fachstellen«.
Die
Sondierungschefin der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, hatte am Montag immerhin
verkündet, »der Mietwucher ist das Problem des kommenden Jahrzehnts«. Ganz so,
als wäre das Eigentum nicht bereits das Problem der Gegenwart. Verdrängung,
Entmietung, Umwandlung von Wohnungen in Büros, künstlicher Leerstand, fehlende
Neubauten seit 1990: Insgesamt fehlt demnächst für 1,2 Millionen Menschen ein
Zuhause, das entspricht den Dimensionen der Stadt Köln. Darauf haben
Wohnungsbauexperten wie etwa Andrej Holm vielfach hingewiesen.
Von
Anselm Lenz
aus „junge Welt“ vom 15.11.2017
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