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100 Jahre Oktoberrevolution
Ein Kanonenschuss vom Panzerkreuzer »Aurora«
gab das Signal: Am 7. November 1917 (25. Oktober nach dem Julianischen
Kalender) stürmten Rotgardisten das Winterpalais in Petrograd und verhafteten
die Provisorische Regierung.
Die Staatsmacht ging in die Hände der Bolschewiki
über, die Große Sozialistische Oktoberrevolution leitete eine neue Epoche der
Menschheitsgeschichte ein.
Der Rote
Oktober 1917 in Russland war im vollen Wortsinn ein epochales Ereignis. Er
beendete das Gemetzel des Ersten Weltkriegs, den Lenin als imperialistischen
Krieg analysiert hatte, fegte die bürgerliche Herrschaft hinweg und ergriff mit
der Parole »Land, Brot und Frieden« die Massen.
»Einfache« Menschen überwanden
ihre Unterdrücker und nahmen sich mit einem Mal als Subjekte der Geschichte
wahr. In allen gesellschaftlichen Bereichen setzte die Oktoberrevolution enorme
produktive Kräfte frei und strahlte auf alle Kontinente aus.
Die neue Epoche,
die sie einleitete, stand für den Bruch mit dem von inneren Widersprüchen
zerrissenen krisenhaften Kapitalismus und dessen Ablösung durch eine neue
Gesellschaftsordnung: den Sozialismus als neue Stufe der Menschheitsentwicklung.
Sie war »das Signal zum Aufbruch in geschichtliches Neuland« (Hans Heinz Holz).
Folgerichtig
soll von den zivilisatorischen Leistungen jener welthistorischen Umwälzung,
die auch dem Westen soziale Konzessionen abnötigte, keine Rede mehr sein – von
der sozialen Absicherung bis zur Gleichstellung der Geschlechter, von der
Brechung des bürgerlichen Bildungsprivilegs bis zur Niederringung des
faschistischen Aggressors in einem mit mindestens 27 Millionen Toten allein in
der Sowjetunion unfassbar verlustreichen Krieg.
Seit
1989/91 werden die Uhren wieder zurückgedreht, gibt es Rückschläge von einer
Wucht, die die Jahre der Restauration nach dem Wiener Kongress 1815 in mildem
Licht erscheinen lassen: Der Imperialismus befindet sich in einer tiefen Krise
und überzieht immer mehr Länder mit Vernichtung und Tod. Nun richtet er seine
Waffen gegen China, die einzige noch von einer Kommunistischen Partei geführte
Großmacht. Acht Milliardäre besitzen einer Oxfam-Studie vom Januar zufolge
genauso viel Vermögen wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung.
Obdachlosigkeit und Hunger grassieren selbst in den reichen Metropolen,
faschistische Bewegungen gedeihen allerorten. Organisierte Gegenwehr existiert
kaum. Der Linken in Europa droht eine Rückkehr zum Zirkelwesen.
Keines
der mit dem Imperialismus verbundenen Menschheitsprobleme, die 1917 in Russland
zum Umsturz führten, ist seither verschwunden. Die Kanonensalve des
Panzerkreuzers »Aurora«, die die Oktoberrevolution und mit ihr eine neue Epoche
einleitete, hallt bis heute nach. Im kollektiven Bewusstsein der Menschheit
mahnt sie den nächsten historischen Schritt an.
Von
Stefan Huth
Roter Oktober
In Russland siegt die Revolution
W. Lebedew „Armee und Flotte verteidigen Russlands Grenzen“, 1920 |
Am 10.
Oktober 2017 (23. Oktober nach unserem Kalender) fasste das Zentralkomitee der
Bolschewiki den Beschluss zum bewaffneten Aufstand. Lenin hatte schon vorher –
in Briefen und Artikeln, die er noch in der Illegalität schreiben musste –
darauf aufmerksam gemacht, dass sich das Kräfteverhältnis im Lande
grundsätzlich verändert hatte. Die Bolschewiki hatten nunmehr die Mehrheit der
Menschen und der Sowjets hinter sich.
Doch die
Kräfte der Gegenrevolution formierten sich neu. Lenin musste zuvor und auf
dieser Tagung erst die Genossen in den eigenen Reihen überzeugen, vor allem den
Widerstand Kamenews und Sinowjews überwinden. Beide gehörten zu den führenden
Bolschewiki.
Einen Tag
später tagte im Smolny in Petrograd der Sowjet der Nordgebiete. Die Mehrheit
der Deputierten – von Nowgorod bis Archangelsk, von Narwa und Reval bis Wyborg
und Helsingfors – unterstützten die Bolschewiki. Ähnlich verliefen die Tagungen
der Sowjets, die im Oktober im ganzen Land auf Gouvernements- und Gebietsebene
durchgeführt wurden: in Charkow, Irkutsk, Minsk, Saratow, Wladimir, Kiew,
Jekaterinburg, Reval usw. Die Zeit war reif. Hinter den Bolschewiki standen die
Massen, ihre Losungen und Forderungen nach Frieden, Brot und Land waren die
ihren: „Alle Macht den Sowjets!“
Am 16.
Oktober fand in Petrograd eine erweiterte ZK-Sitzung der Bolschewiki statt. Sie
bestätigte die eine Woche zuvor beschlossene Resolution über den Aufstand und
bildete ein militärisch-revolutionäres Parteizentrum. Unter Anleitung Lenins,
der weiter nicht legal wirken konnte, wurde es zum Führungskern des Revolutionären
Militärkomitees beim Petrograder Sowjet. Kamenew und Sinowjew versuchten auf
dieser Sitzung erneut, der Revolution in den Rücken zu fallen. Ihre
Gegenargumente zeigten, wie Lenin es formulierte, „eine so erstaunliche
Kopflosigkeit und Verängstigung, eine solche Preisgabe aller Grundideen des
Bolschewismus und des revolutionären proletarischen Internationalismus … dass
es schwerfällt, für so schmachvolle Schwankungen eine Erklärung zu finden.“
Doch sie argumentierten nicht nur gegen den bewaffneten Aufstand, sie verrieten
ihn auch, indem sie in der Presse öffentlich dagegen polemisierten. Es zeugt
von Lenins Souveränität, dass er trotzdem die Brücke zu beiden nicht abbrach.
In den
folgenden Tagen wurde der Aufstand in Petrograd akribisch vorbereitet, der
richtige Zeitpunkt gesucht, die revolutionären Massen wurden mobilisiert. Man
musste den konterrevolutionären Kräften zuvorkommen.
Der
Aufstand begann am 24. Oktober (6. November). In Petrograd, der Hauptstadt
Russlands, war er minutiös vorbereitet. Am Morgen des Tages hatten
Offiziersschüler gegen fünf Uhr die Druckerei der Partei der Bolschewiki
besetzt, verwüsteten die Einrichtung und versiegelten das Gebäude. Um sechs Uhr
tagte das ZK der Bolschewiki und beschloss, die Druckerei unverzüglich zurückzuerobern
und die auf die Hauptstadt vorrückenden konterrevolutionären Truppen
aufzuhalten. Um 11 Uhr war die Druckerei bereits wieder in der Hand der
Revolutionäre.
Wenig
später war die Peter-Pauls-Festung, die nicht nur als Kaserne diente, sondern
auch ein berüchtigtes Gefängnis des zaristischen Russlands beherbergte,
besetzt.
Während
die Provisorische Regierung an diesem Tag verzweifelt versuchte Verstärkung
heranzuziehen, was nur teilweise gelang, mobilisierte das Revolutionäre
Militärkomitee in Petrograd mit Lew Trotzki, seit September Vorsitzender des
Petrograder Sowjets und Mitbegründer der Roten Garden, an der Spitze, weitere
revolutionäre Kräfte: So wurde allen Einheiten des Flottenstützpunkts Kronstadt
der Befehl erteilt, in voller Gefechtsbereitschaft Kurs auf die Hauptstadt zu
nehmen, dem Stab der Roten Garden die Brücken wieder freizukämpfen.
Nachmittags
gingen die Regierungstruppen, die das Telegrafenamt besetzt hatten, auf die
Seite der Revolutionäre über. Am Morgen des 25. Oktober standen neben
zehntausenden Rotgardisten und Soldaten Torpedoboote und mindestens 5 000
Matrosen für den Aufstand bereit. Arbeiter sicherten im Kraftwerk die
Stromversorgung. Bereits in der Nacht übernahmen die Revolutionäre nach dem
Haupttelegrafenamt das Hauptpostamt und die großen Bahnhöfe der Stadt,
besetzten Ministerien und die Staatsbank, sicherten die wichtigen Brücken der
Stadt an der Newa – alles nach einem genauen Plan.
Um 21 Uhr
40 des 25. Oktober (7. November) gab der Kreuzer „Aurora“ das Signal. Der Sturm
auf das Winterpalais in Petrograd begann. Allerdings nicht so spektakulär, wie
es die Szenen aus dem Film „Oktober“ von Sergei Eisenstein später zeigten.
Treppauf, treppab, von Saal zu Saal und Zimmer zu Zimmer stürmten Mitglieder
der Roten Garden – vor allem bewaffnete Arbeiter –, revolutionäre Matrosen und
Soldaten. Um zwei Uhr nachts wurden die Mitglieder der Provisorischen Regierung
endlich festgenommen.
Der
Vertreter des Revolutionären Militärkomitees, der Bolschewik Antonow-Owsejenko,
erklärte den Regierungsvertretern: „Ich erkläre Sie alle, Mitglieder der
Provisorischen Regierung, für verhaftet.“ Wenig später waren die noch im
Winterpalais verbliebenen Regierungsmitglieder auf dem Weg in die
Peter-Pauls-Festung. Der Regierungschef Kerenski hatte die Stadt bereits am
Mittag verlassen – in einem Wagen mit dem Stander der US-Botschaft.
Noch in
der Nacht zum 26. Oktober tagte der am Vortag einberufene II. Gesamtrussische
Kongress der Arbeiter-und-Soldaten-Deputierten. Er konnte sich bereits auf den
Sieg des Aufstands stützen. In drei entscheidenden Fragen beschloss der
Kongress: Er stimmte über das „Dekret über die Bildung der
Arbeiter-und-Bauern-Regierung“ und über die Dekrete über den Frieden und den
Boden ab. Vorsitzender des Rates der Volkskommissare wurde Lenin.
Die
Revolution erfasste in den folgenden Tagen und Wochen das Land. In Moskau waren
die Kämpfe erst nach fünf Tagen beendet. 500 Revolutionäre verloren ihr Leben.
Sie siegte in anderen russischen Großstädten, in Minsk, Ende Oktober im Baltikum,
im Ural, Anfang 1918 am Don, in Kiew.
Die
Revolutionäre mussten sich jedoch vom ersten Tag an gegen die innere
Konterrevolution wie gegen ausländische Interventen erwehren. Harte Kämpfe
standen bevor.
Der
Grundstein aber war gelegt.
Von nh
aus „unsere zeit (UZ) – Zeitung der DKP“ vom 03. November 2017
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