Foto: junge Welt, Polizei-Spezialeinheiten gegen Demonstration |
Repression gegen Medien in der Türkei
Die
Verhaftung von Murat Sabuncu und anderen Journalisten der Cumhuriyet bedeute,
»dass eine weitere rote Linie in Sachen Meinungsfreiheit in der Türkei
überschritten wurde«, twitterte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz am Montag,
nachdem die türkische Regierung die Redaktionsräume einer der
traditionsreichsten Zeitungen des Landes gestürmt sowie Haftbefehle gegen
insgesamt 15 von deren Mitarbeitern erlassen hatte.
Die
Anzahl der »roten Linien«, die das AKP-Regime in den vergangenen Monaten in
Sachen Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen sowie Einschränkung von
Grundfreiheiten hinter sich gelassen hat, dürfte in die Hunderte gehen: Die
kollektive militärische Bestrafung der kurdischen Zivilbevölkerung, der
Einmarsch in Syrien, die Unterstützung islamistischer Terrorbanden, die
(zumindest zeitweise) Inhaftierung Zehntausender Oppositioneller und Folter an
Gefangenen gehören mittlerweile so selbstverständlich zum täglichen Geschäft
der Regierung in Ankara, dass es selbst den fleißigsten Chronisten schwerfällt,
alles zu erfassen.
Nach
jedem Vorfall, der es über die Aufmerksamkeitsschwelle der Massenmedien
schafft, folgt dasselbe Ritual: Jemand aus Brüssel meldet sich zu Wort und
bekundet, »besorgt« zu sein. Reale Auswirkungen auf die mannigfaltigen
wirtschaftlichen, diplomatischen und militärischen Beziehungen hatte diese
Rhetorik bislang nicht.
Dabei gibt es insbesondere für die Einstellung aller Waffenexporte in die Türkei zwingende Gründe. Deutsche Waffen werden von Ankaras Truppen zur Durchführung grausamer Kriegsverbrechen genutzt. Einen Tag vor der Ausschaltung der Cumhuriyet-Redaktion tauchte ein Video auf, dass die extralegale Hinrichtung kurdischer Kämpferinnen durch türkische Soldaten zeigt. Eine Frau wird von einer Bergklippe geworfen, eine andere durch einen Kopfschuss getötet – im Einsatz: Gewehre von Heckler & Koch.
Die
Komplizenschaft insbesondere der deutschen Regierung bei dem gegen verschiedene
Teile der Bevölkerung geführten Bürgerkrieg lässt sich quantifizieren. Während
im ersten Halbjahr Dutzende europäische Politiker zu verschiedensten
Gelegenheiten ihre »Bedenken« gegen dieses und jenes zu Protokoll gaben, wuchs
der Export von Kleinwaffenmunition auf das Zehnfache des Vorjahresvolumens an
und die Türkei rückte von Platz 25 auf Platz 8 der wichtigsten Abnehmerländer
vor. Während Angela Merkel von der Türkei Augenmaß bei der Verfolgung
angeblicher Anhänger des exilierten Imams Fethullah Gülen einforderte, machte
sich die deutsche Bundesanwaltschaft daran, so viele türkische und kurdische
Erdogan-Gegner wie seit Jahrzehnten nicht zu verhaften und anzuklagen.
Wer so
handelt, kann sich auch seine heuchlerische Rhetorik schenken. Weder Berlin
noch Brüssel sind unbeteiligte, kritische Beobachter der Faschisierung der
Türkei. Ohne beider aktives Mithelfen könnte Erdogan all die »roten Linien«
nicht überschreiten.
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