Dienstag, 15. November 2016

Novembergedenken 2016

Im Rahmen des traditionellen Gedenken an die Toten der Novemberevolution auf dem Kieler Eichhof-Friedhof hielt der Vertreter der DKP Kiel folgende Rede.

Die Kieler Kommunistinnen und Kommunisten unterstützen die Idee, im Hinblick auf den 100. Jahrestag der Novemberrevolution im Jahr 2018 für die darauf gerichteten Aktivitäten ein „Dach“ zu schaffen, unter dem sich die verschiedenen Akteurinnen und Akteure mit ihren jeweils eigenen Gedanken und Projekten versammeln, sich zusammensetzen, austauschen und Vereinbarungen treffen und sich auch auseinandersetzen; diskutieren und streiten sowohl über die Bewertung des historischen Geschehens als auch über die Aufgaben, die Gegenwart und Zukunft uns stellen.

Dazu mag uns das Gedenken an die Menschen, an deren Gräbern und Gedenksteinen wir heute stehen, verpflichten oder zumindest ermuntern; für mich jedenfalls gilt immer noch das auch an diesem Ort schon zitierte Wort Erich Mühsams: „Nichts mehr könnt ihr für die tun, die der Tod getroffen. Menschen, lasst die Toten ruh‘n und erfüllt ihr Hoffen!“

Um diese Hoffnung und ihre mögliche Erfüllung soll es hier gehen. Wenn es uns allen darum geht, dann lässt uns ein (erneuter) Blick in die Vergangenheit auch erkennen, welche Illusionen wir aufgeben und welche Fehler wir auf keinen Fall wiederholen sollten. 

Im Jahr 1918 haben Matrosen, Soldaten des Landheeres und Arbeiterinnen und Arbeiter mit ihrer Erhebung, aus der eine Revolution erwuchs, die die Welt grundlegend veränderte, zunächst einmal einen Krieg beendet, in dem sich nicht zuletzt Angehörige der Arbeiterklasse vieler Länder vier Jahre lang gegenseitig niedergemetzelt hatten, angeblich zum Besten ihrer jeweiligen Vaterländer.

Mit der Zustimmung der Arbeiterparteien und der Gewerkschaften zum Krieg, für die die SPD und die Generalkommission der deutschen Gewerkschaften das Beispiel gegeben hatten, wurde die ArbeiterInnenbewegung auf Dauer und scheinbar unwiderruflich gespalten, denn nirgendwo blieb diese Politik ohne Widerspruch. Das vielbesungene einigende Band zwischen den vormals revolutionären Arbeiterparteien und auch das zwischen den ihnen zumindest nahestehenden Gewerkschaften war zerrissen. Wer in Deutschland den alten Idealen treu blieb, wurde der Verfolgung durch die Militärbehörden ausgeliefert. Viele dieser Menschen beschritten den Weg zur Gründung neuer Parteien, der USPD, später der KPD.

Der deutsche Gewerkschaftsfunktionär Paul Müller schrieb im Jahr 1915, im Kriege, der um die Zukunft des deutschen Handels und Verkehrs geführt würde, gingen „Unternehmer- und Arbeiterinteressen vollkommen konform“, und: „Der tiefempfundene Selbsterhaltungstrieb läßt uns in diesem Falle deutlich die Gefährlichkeit wertloser theoretischer Spintisierereien erkennen; ein gesunder nationaler Egoismus dämpft den ungesunden internationalen Illusionismus, wo es sich um so reale Interessenfragen handelt.“

Und just vor 100 Jahren, im November / Dezember 1916, gab die deutsche Sozialdemokratie und gaben die Vorstände der deutschen Gewerkschaften ihre Zustimmung zum „Hindenburg-Programm“, der restlosen Mobilisierung aller in Deutschland verfügbaren Kräfte für den imperialistischen Krieg durch das Gesetz über den „vaterländischen Hilfsdienst“. Die Militärdiktatur in Deutschland erreichte ihren Höhepunkt, die Gewerkschaften aber lobten deren angeblich „kriegssozialistischen Maßnahmen“, und die Metallarbeiter-Zeitung nannte das Kriegsamt, das diesen ersten totalen Krieg organisierte, „die große Firma Deutschland“, wörtlich: „Die grundlegende Absicht bleibt (…), die Arbeitskraft des deutschen Volkes restlos mobil zu machen“, und: „… die gesamte Arbeitskraft und Arbeitsleistung Deutschlands zu vereinigen, die große Firma Deutschland darzustellen.“

Das klingt schon so modern, dass einem angst und bange werden kann.
Dabei sollte es sich doch niemals wiederholen…

Es ist eigentlich ein allzu großer Sprung, direkt vom November 1918 in die Gegenwart. Schließlich liegen dazwischen Ereignissen wie der Kapp-Putsch, in dessen Abwehr die ArbeiterInnenklasse noch einmal zu einigem Handeln fand; zum letzten Mal, weshalb der Machtantritt des Faschismus nicht verhindert werden konnte und Deutschlands zweitem Griff nach der Weltmacht auch ein zweiter Weltkrieg folgte. Wie recht hatte doch Carl von Ossietsky, der in der Bewertung der Entwicklung nach der Revolution zu ihrem 10 Jahrestag schrieb: „Ein verlorener Krieg kann schnell verwunden werden. Eine verspielte Revolution … ist die Niederlage eines Jahrhunderts.“

Dieses Jahrhundert haben wir hinter uns gelassen. Der Blick nach vorn zeigt uns eine Welt der Kriege, des unverhohlenen Großmachtstrebens des deutschen Imperialismus, verkauft unter dem Stichwort „Neue Macht – neue Verantwortung“, der Werbung für den Kriegsdienst unter dem verlogenen Motto „Wir kämpfen für den Frieden“, und nicht zuletzt des Auflebens einer rassistischen, faschistoiden Bewegung, die Massencharakter anzunehmen droht. Eine Welt des entfesselten Kapitalismus, für den die herrschende Klasse den Begriff „marktkonforme Demokratie“ setzt, in dem Millionen Menschen in die Erwerbslosigkeit und Armut geworfen sind.

Weit entfernt sind wir von der Forderung, das Hoffen der Toten der Revolutionsjahre erfüllt zu haben. Dieses Hoffen hatte übrigens bis in die Jahre nach der Befreiung vom Faschismus in allen Teilen der Arbeiterbewegung einen Begriff, auch wenn er durchaus unterschiedlich ausgestaltet wurde: Sozialismus. Noch im Jahr 1946 nannte der Kieler Bürgermeister Andreas Gayk den Sozialismus „Sehnsucht und Ziel aller Schaffenden“. Aber seine Partei hatte den Weg nach Godesberg schon eingeschlagen.

Die Kommunistinnen und Kommunisten haben dieses Ziel nie aufgegeben. Wir sind überzeugt: Wenn Arbeiterinnen und Arbeiter weiterhin ihr Wohlergehen und ihr Schicksal mit den Gewinnerwartungen des Kapitals verbunden sehen, gehen wir auch hier bei uns einer neuen Katastrophe entgegen. Der bereits zitierte Andreas Gayk sagte 1946 auch, keine Stadtverwaltung in Kiel werde so wahnsinnig sein, noch einmal auf Rüstungsproduktion zu setzen, denn ohne den Aufbau einer reinen Friedensindustrie würde unserer Stadt ein weiteres Mal die Zerstörung drohen.

Heute ist Kiel Zentrum der Rüstungsindustrie und Kriegshafen, Drehscheibe für den Transport von Kriegsgerät und Soldaten bis an die Grenzen Russlands. Im Kieler Institut für Sicherheitspolitik sitzen hochgelehrte Professoren, die uns einreden, vor einer Konfrontation mit Russland dürfe man nicht zurückschrecken, und wir müssten keine Angst davor haben. Sie spielen ein Spiel, in dem unser aller Leben ein Teil des Einsatzes ist.

Einige von uns haben gestern im Hansafilmpalast den Film „Ich bin kein Herr. Ernst Busch in Kiel“ gesehen. Ein musikalisches Leitmotiv, das den ganzen Film durchzog, war Brechts „Lied vom Klassenfeind“. Darin heißt es auch:

    „Sie übten sich fleißig im Schießen
    und sprachen laut vom Feind
    und zeigten wild über die Grenze.
    Und uns haben sie gemeint.
    Denn wir und sie, wir sind Feinde
    in einem Krieg, den nur einer gewinnt.
    Denn sie leben von uns und verrecken,
    wenn wir nicht mehr die Kulis sind.
    Und das ist es auch, weswegen
    ihr euch nicht wundern dürft,
    wenn sie sich werfen auf uns, wie der Regen
    sich auf den Boden wirft.“

Unser Hoffen richtet sich darauf, im Kampf gegen die soziale Verelendung, gegen den Weg in eine neue Barbarei, für den Erhalt und die Sicherung des Friedens zu einer neuen Einheit der ArbeiterInnenbewegung zu finden. Und nur in diesem Kampf wird sie zu erreichen sein; nur wenn wir diesen Kampf gemeinsam aufnehmen, kann sie eine Zielklarheit und eine Kraft gewinnen, die das ewig menschenmordende kapitalistische System zersprengt und endgültig überwindet. Wer den Gegner nicht erkennt und kein Ziel vor Augen hat, ist zum Scheitern verurteilt.

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