Im Rahmen des traditionellen Gedenken an die
Toten der Novemberevolution auf dem Kieler Eichhof-Friedhof hielt der Vertreter
der DKP Kiel folgende Rede.
Die
Kieler Kommunistinnen und Kommunisten unterstützen die Idee, im Hinblick auf
den 100. Jahrestag der Novemberrevolution im Jahr 2018 für die darauf
gerichteten Aktivitäten ein „Dach“ zu schaffen, unter dem sich die
verschiedenen Akteurinnen und Akteure mit ihren jeweils eigenen Gedanken und
Projekten versammeln, sich zusammensetzen, austauschen und Vereinbarungen
treffen und sich auch auseinandersetzen; diskutieren und streiten sowohl über
die Bewertung des historischen Geschehens als auch über die Aufgaben, die
Gegenwart und Zukunft uns stellen.
Dazu mag
uns das Gedenken an die Menschen, an deren Gräbern und Gedenksteinen wir heute
stehen, verpflichten oder zumindest ermuntern; für mich jedenfalls gilt immer
noch das auch an diesem Ort schon zitierte Wort Erich Mühsams: „Nichts mehr
könnt ihr für die tun, die der Tod getroffen. Menschen, lasst die Toten ruh‘n
und erfüllt ihr Hoffen!“
Im Jahr 1918 haben Matrosen, Soldaten des Landheeres und Arbeiterinnen und Arbeiter mit ihrer Erhebung, aus der eine Revolution erwuchs, die die Welt grundlegend veränderte, zunächst einmal einen Krieg beendet, in dem sich nicht zuletzt Angehörige der Arbeiterklasse vieler Länder vier Jahre lang gegenseitig niedergemetzelt hatten, angeblich zum Besten ihrer jeweiligen Vaterländer.
Mit der
Zustimmung der Arbeiterparteien und der Gewerkschaften zum Krieg, für die die
SPD und die Generalkommission der deutschen Gewerkschaften das Beispiel gegeben
hatten, wurde die ArbeiterInnenbewegung auf Dauer und scheinbar unwiderruflich gespalten,
denn nirgendwo blieb diese Politik ohne Widerspruch. Das vielbesungene
einigende Band zwischen den vormals revolutionären Arbeiterparteien und auch
das zwischen den ihnen zumindest nahestehenden Gewerkschaften war zerrissen.
Wer in Deutschland den alten Idealen treu blieb, wurde der Verfolgung durch die
Militärbehörden ausgeliefert. Viele dieser Menschen beschritten den Weg zur
Gründung neuer Parteien, der USPD, später der KPD.
Der
deutsche Gewerkschaftsfunktionär Paul Müller schrieb im Jahr 1915, im Kriege,
der um die Zukunft des deutschen Handels und Verkehrs geführt würde, gingen
„Unternehmer- und Arbeiterinteressen vollkommen konform“, und: „Der
tiefempfundene Selbsterhaltungstrieb läßt uns in diesem Falle deutlich die
Gefährlichkeit wertloser theoretischer Spintisierereien erkennen; ein gesunder
nationaler Egoismus dämpft den ungesunden internationalen Illusionismus, wo es
sich um so reale Interessenfragen handelt.“
Und just
vor 100 Jahren, im November / Dezember 1916, gab die deutsche Sozialdemokratie
und gaben die Vorstände der deutschen Gewerkschaften ihre Zustimmung zum
„Hindenburg-Programm“, der restlosen Mobilisierung aller in Deutschland
verfügbaren Kräfte für den imperialistischen Krieg durch das Gesetz über den
„vaterländischen Hilfsdienst“. Die Militärdiktatur in Deutschland erreichte
ihren Höhepunkt, die Gewerkschaften aber lobten deren angeblich
„kriegssozialistischen Maßnahmen“, und die Metallarbeiter-Zeitung nannte das
Kriegsamt, das diesen ersten totalen Krieg organisierte, „die große Firma
Deutschland“, wörtlich: „Die grundlegende Absicht bleibt (…), die Arbeitskraft
des deutschen Volkes restlos mobil zu machen“, und: „… die gesamte Arbeitskraft
und Arbeitsleistung Deutschlands zu vereinigen, die große Firma Deutschland
darzustellen.“
Das
klingt schon so modern, dass einem angst und bange werden kann.
Dabei
sollte es sich doch niemals wiederholen…
Es ist
eigentlich ein allzu großer Sprung, direkt vom November 1918 in die Gegenwart.
Schließlich liegen dazwischen Ereignissen wie der Kapp-Putsch, in dessen Abwehr
die ArbeiterInnenklasse noch einmal zu einigem Handeln fand; zum letzten Mal,
weshalb der Machtantritt des Faschismus nicht verhindert werden konnte und
Deutschlands zweitem Griff nach der Weltmacht auch ein zweiter Weltkrieg
folgte. Wie recht hatte doch Carl von Ossietsky, der in der Bewertung der
Entwicklung nach der Revolution zu ihrem 10 Jahrestag schrieb: „Ein verlorener
Krieg kann schnell verwunden werden. Eine verspielte Revolution … ist die
Niederlage eines Jahrhunderts.“
Dieses
Jahrhundert haben wir hinter uns gelassen. Der Blick nach vorn zeigt uns eine
Welt der Kriege, des unverhohlenen Großmachtstrebens des deutschen
Imperialismus, verkauft unter dem Stichwort „Neue Macht – neue Verantwortung“,
der Werbung für den Kriegsdienst unter dem verlogenen Motto „Wir kämpfen für
den Frieden“, und nicht zuletzt des Auflebens einer rassistischen,
faschistoiden Bewegung, die Massencharakter anzunehmen droht. Eine Welt des
entfesselten Kapitalismus, für den die herrschende Klasse den Begriff
„marktkonforme Demokratie“ setzt, in dem Millionen Menschen in die
Erwerbslosigkeit und Armut geworfen sind.
Weit
entfernt sind wir von der Forderung, das Hoffen der Toten der Revolutionsjahre
erfüllt zu haben. Dieses Hoffen hatte übrigens bis in die Jahre nach der
Befreiung vom Faschismus in allen Teilen der Arbeiterbewegung einen Begriff,
auch wenn er durchaus unterschiedlich ausgestaltet wurde: Sozialismus. Noch im
Jahr 1946 nannte der Kieler Bürgermeister Andreas Gayk den Sozialismus „Sehnsucht
und Ziel aller Schaffenden“. Aber seine Partei hatte den Weg nach Godesberg
schon eingeschlagen.
Die
Kommunistinnen und Kommunisten haben dieses Ziel nie aufgegeben. Wir sind
überzeugt: Wenn Arbeiterinnen und Arbeiter weiterhin ihr Wohlergehen und ihr
Schicksal mit den Gewinnerwartungen des Kapitals verbunden sehen, gehen wir
auch hier bei uns einer neuen Katastrophe entgegen. Der bereits zitierte
Andreas Gayk sagte 1946 auch, keine Stadtverwaltung in Kiel werde so wahnsinnig
sein, noch einmal auf Rüstungsproduktion zu setzen, denn ohne den Aufbau einer
reinen Friedensindustrie würde unserer Stadt ein weiteres Mal die Zerstörung
drohen.
Heute ist
Kiel Zentrum der Rüstungsindustrie und Kriegshafen, Drehscheibe für den
Transport von Kriegsgerät und Soldaten bis an die Grenzen Russlands. Im Kieler
Institut für Sicherheitspolitik sitzen hochgelehrte Professoren, die uns
einreden, vor einer Konfrontation mit Russland dürfe man nicht zurückschrecken,
und wir müssten keine Angst davor haben. Sie spielen ein Spiel, in dem unser
aller Leben ein Teil des Einsatzes ist.
Einige
von uns haben gestern im Hansafilmpalast den Film „Ich bin kein Herr. Ernst
Busch in Kiel“ gesehen. Ein musikalisches Leitmotiv, das den ganzen Film
durchzog, war Brechts „Lied vom Klassenfeind“. Darin heißt es auch:
„Sie übten sich fleißig im Schießen
und sprachen laut vom Feind
und zeigten wild über die Grenze.
Und uns haben sie gemeint.
Denn wir und sie, wir sind Feinde
in einem Krieg, den nur einer gewinnt.
Denn sie leben von uns und verrecken,
wenn wir nicht mehr die Kulis sind.
Und das ist es auch, weswegen
ihr euch nicht wundern dürft,
wenn sie sich werfen auf uns, wie der Regen
sich auf den Boden wirft.“
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