Aus
den Monopolmedien schäumt die Hetze
gegen den laufenden Streik. Die armen Fahrgäste! Unverhältnismässigkeit!
Irrsinn! Keine Kompromissbereitschaft! Der Streik als persönliche Marotte des
GDL-Vorsitzenden …
Wer will, kann im Moment
lernen, dass der Staat nicht die neutrale Instanz über den Klassen ist,
sondern der Klassenstaat der Kapitalisten. Von der Kanzlerin bis zu den Partei-
und Staatsapparatschiks kommt unisono die Aufforderung an die GDL, sich mit dem
Bahnvorstand zu “einigen”. Gemeint ist Unterwerfung. Gedroht wird mit
Zwangsschlichtung, die faktisch ein Streikverbot wäre. Der Streik einer kleinen Gewerkschaft macht
Kapitalisten und Staat hysterisch, und die Bevölkerung soll hysterisch gemacht
werden.
Im
folgenden Artikel analysiert Rainer Perschewski Probleme der gewerkschaftlichen
Organisierung und Interessenvertretung am Beispiel der EVG und der GDL. Rainer
Perschewski ist Dipl. Sozialökonom, EVG-Betriebsrat und Landesvorsitzender der
DKP Berlin
Zunächst
einige Zahlen zum Personal der Deutschen Bahn und zu den Gewerkschaften, in
denen es organisiert ist:
Daten und Fakten zum DB Konzern in
Deutschland 2014
Gesamtbeschäftigte
in Deutschland: ca. 198.000 Beschäftigte davon u.a.
•
ca.18.600 Lokführer
• ca.
11.900 Zugbegleitpersonal
• ca.
17.400 Servicepersonal
• ca.
22.500 Betriebspersonal
• ca.
38.000 Instandhaltungspersonal
Der Organisierungsgrad
• der
Eisenbahnergewerkschaft EVG im DB Konzern beträgt etwa 60 % (auch beim
Zugbegleitpersonal oder den Lokrangierführern).
• der GDL
für den Bereich der Lokführer beträgt etwa 75 – 80 %
Die EVG
hat etwa 210.000 Mitglieder, davon ca. 45% Rentner (und ca. 5.000 Lokführer).
In den letzten Jahren steigt der Organisationsgrad.
Die GDL
hat etwa 34.000 Mitglieder. Die Mitgliederangaben der GDL sind seit mehr als 10
Jahren konstant. Angaben über ihren Rentneranteil gibt es nicht. Es ist aber
davon auszugehen, dass ihre Altersstruktur ähnlich der der EVG ist.
Bei den
Betriebsratswahlen 2014 hat die EVG über 80 Prozent der Mandate erhalten. Die
GdL etwa 9 Prozent. Der Rest entfällt auf freie Listen.
Bei den
Aufsichtsratswahlen 2015 der Gesellschaften der DB AG erhielt die EVG 91
Prozent der Mandate. …
Alle Räder stehen still…. – Zur Gewerkschafts-
und Tarifpolitik in der Deutschen Bahn
Von
Rainer Perschewski
Der
Tarifkonflikt der Deutschen Bahn AG mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft
(EVG) und der Gewerkschaft der Lokführer Deutschlands (GdL) seit Sommer 2014
dauert nicht nur ungewöhnlich lange, sondern macht auch Veränderungen in der
Tarifpolitik in Deutschland deutlich. Ursachen und Auswirkungen sollen im
Nachfolgenden betrachtet werden. Zum Gesamtverständnis ist ein kurzer Blick auf
die sogenannte „Bahnreform“ und auf die Bahngewerkschaften erforderlich. Nötige
Verallgemeinerungen bezüglich der Politikveränderung anderer Gewerkschaften
können an dieser Stelle nicht erfolgen. Diese Teilanalyse kann aber als
Baustein und Diskussionsgrundlage für eine Gesamtbetrachtung hilfreich sein.
Die
Tarifauseinandersetzung bei der DB AG eskalierte in dem längsten Streik seit
ihrer Gründung 1994. Die kleinere Gewerkschaft im Bahnkonzern – die GdL – lies
die Räder stillstehen. Wie zu erwarten war, führte dieser Streik zu einer
kontroversen Diskussion auch innerhalb der Gewerkschaftslinken über das
Verhältnis zu diesem Streik und zur GDL. Die einhellige Medienschelte und
unsagbare Hetze gegen die GdL oder einzelne ihrer Funktionäre wurden ohne Wenn
und Aber verurteilt, genauso der Versuch, über diese Auseinandersetzung das
Streikrecht einzuschränken. Allerdings werden in der Solidarität auch Argumente
durcheinander geworfen, die mit der Auseinandersetzung zwischen den Akteuren im
Bahnkonzern nichts zu tun haben.
Die Entwicklung der Eisenbahnergewerkschaft EVG
Um die
Situation differenzierter einzuschätzen reicht die Betrachtung der Zeit seit
dem Beginn der so genannten Bahnreform 1994. Die GdED (Mitgliedsgewerkschaft im
DGB) galt in der BRD als eine eher konservative Gewerkschaft, was aus ihrer
damaligen Mitgliederstruktur – sehr hohem Beamtenanteil- zu erklären ist. Die
Bahnreform von 1994 vollzog sich unter Mitwirkung der GdED und war eine
„weiche“ Privatisierung, d.h. die Umwandlung des öffentlichen Betriebes in eine
Unternehmensform des Handelsrechts, konkret in eine Aktiengesellschaft unter
Beibehaltung des öffentlichen Eigentums. Nach erfolgter Umwandlung war ein
Verkauf des Unternehmens vorgesehen. Mitte 2000 änderte die Gewerkschaft ihren
Namen in TRANSNET – Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands. TRANSNET stand
für Transport und Netz, also die beiden Säulen der Bahn. 2008 scheiterte die
Kapitalprivatisierung der Deutschen Bahn AG an der Weltwirtschaftskrise. Auch
hier hatte TRANSNET den Kurs der „kritischen Begleitung“ des Börsenganges
ausgegeben. 2010 schloss sich die TRANSNET mit der Gewerkschaft der Deutschen
Bundesbahnbeamten und Anwärter (GDBA – Mitgliedsorganisation im Deutschen
Beamtenbund) zur Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) zusammen, mit der es
vorher eine Tarifgemeinschaft gab. Kurz skizziert sind folgende Punkte für die
Entwicklung maßgebend:
Die
Deutsche Bahn war 1994 das letzte große „Filetstück“ des öffentlichen
Eigentums, das für die Privatisierung vorbereitet wurde. Die
Eisenbahnergewerkschaft GdED entschied sich unter dem Eindruck der
Postprivatisierung und der gescheiterten Gegenwehr der Postgewerkschaft für
einen gemäßigten Kurs und beschränkte sich auf die Regelung der Bahnreform von
1994. Mit der Gründung der DB AG wurde eine neue Tarifstruktur eingeführt, die
den Bestand für die bis dato Beschäftigten absicherte, aber für neu
eingestellte Mitarbeiter das Entgeltniveau absenkte. Zeitgleich begann ein
Umbau der Deutschen Bahn AG, der Verkäufe von Unternehmensteilen und einen
drastischen Personalabbau beinhaltete.
Mit dem
Amtsantritt von Hartmut Mehdorn im Dezember 1999 als Vorstandsvorsitzender der
DB AG wurde der Konzern insgesamt für eine (Teil-) Kapitalmarktprivatisierung
vorbereitet (einschließlich der Infrastruktur). Der
Beschäftigungssicherungstarifvertrag (2005), den alle (!) Bahngewerkschaften
abgeschlossen haben, ist als Zugeständnis der Gewerkschaften an den
Privatisierungskurs zu werten. Erstmalig mussten die Bahnbeschäftigten
Verschlechterungen hinnehmen (40 statt 38 Std. Wochenarbeitszeit, 2 Tage
Urlaubsabsenkung, etc.) Um das Unternehmen in seiner Einheit zu erhalten, wurde
ein Teilverkauf des Konzerns als alternativlos betrachtet. Hier rückte die
TRANSNET-Führung unter Norbert Hansen in ihren Positionen immer näher an die
Konzernleitung. Gerade dieser Zeitraum prägte den Eindruck, dass die
TRANSNET-Führung einen „Kuschelkurs“ mit dem Bahnvorstand führte. Oder anders
ausgedrückt: Der Interessengegensatz war in der Politik der Gewerkschaft nicht
mehr ansatzweise zu erkennen.
Die
Tarifpolitik war dennoch relativ erfolgreich: So konnte die Tarifgemeinschaft
den Personalabbau ohne Massenentlassungen regeln. Mit dem Konstrukt
„Konzernweiter Arbeitsmarkt“ wurden Regelungen vereinbart, die Beschäftigte vor
einer Entlassung absicherten und durch interne Vermittlungen anderweitig
einsetzten. Auch konnten 2006 einheitliche Löhne bei der DB für Ost- und
Westdeutschland durchgesetzt werden. Das ist heute in den meisten Branchen
immer noch nicht üblich. Teile der Verschlechterungen wurden mit der neuen
Tarifvertragsstruktur 2008 zurückgenommen. So wurde die Wochenarbeitszeit
wieder auf 39 Std. abgesenkt. Die neue Tarifstruktur enthielt zum Teil wiederum
eine Senkung des Lohnniveaus für Neubeschäftigte und eine Besitzstandswahrung
für Beschäftigte. Der Urlaubsanspruch wurde ebenso wieder erhöht.
Der
Wechsel des TRANSNET-Vorsitzenden Norbert Hansen an die Konzernspitze als
Personalvorstand war Fluch und Segen zugleich. Er machte deutlich, wie weit die
Führung der Gewerkschaft sich der Deregulierungspolitik der Bundesregierung
untergeordnet hatte. Hansen war zudem kompromisslos in seiner Politik.
Privatisierungsgegner wurden in der Gewerkschaft an den Rand gedrängt.
Gleichzeitig gab der Wechsel die Möglichkeit einer Neuorientierung, denn der Kurs
der Führung wurde nicht widerspruchlos hingenommen. Beispielsweise sprachen
sich die Ost-Bezirke vor Gewerkschaftstagen jeweils gegen den
Privatisierungskurs aus.
Nach dem
Stopp des Börsenganges aufgrund der Weltwirtschaftskrise im Herbst 2008 und dem
Scheitern von Norbert Hansen als Personalvorstand der DB AG im Mai 2009, stand
auch der Gewerkschaftsvorstand vor der Frage: Wie weiter? Durch den stetigen
Personalabbau der DB AG verloren die Bahngewerkschaften zudem an Nachwuchs und
litten unter sinkenden Mitgliederzahlen. Der Fortbestand der Gewerkschaft
konnte nur gesichert werden, wenn die Struktur geändert wurde. Zudem reichte es
nicht mehr, einfach nur Beschlüsse zu transportieren, sondern die Einbeziehung
der Mitglieder versprach wieder mehr Mitglieder zu gewinnen.
Die
Zusammenarbeit mit der GdBA und die Orientierung auf den Zusammenschluss
enthielt die Chance, einen Aufbruch zu etwas Neuem zu wagen. In der Diskussion
um die neue Struktur wurde die Möglichkeit der Einbeziehung der Mitglieder
gesehen. Um mit einem verkleinerten Apparat arbeiten zu können, mussten
Funktionen und Entscheidungsmöglichkeiten an ehrenamtliche Funktionäre
abgegeben werden. Hierzu diente eine Betriebsgruppenstruktur als Möglichkeit
der Gewerkschaft auch wieder im Betrieb ein Gesicht zu geben. Betriebsgruppen
haben seit der Gründung der EVG eine eigene Satzung, einen Vorstand mit
festgelegten Verantwortlichkeiten, sowie eigene Anteile an den Beiträgen der
Mitglieder.
Vor dem
ersten ordentlichen Gewerkschaftstag 2012 wurde mit einer Programmdiskussion
begonnen und auch wieder Grundsatzfragen diskutiert. Hierbei setzte sich die
Haltung gegen die Privatisierung durch. Im neuen Grundsatzprogramm spricht sich
die EVG gegen die Privatisierung der Daseinsvorsorge aus. Damit wurde die
langsam eingeleitete Wendung in der Haltung zur Privatisierung festgeschrieben.
Für den Fall des Verkaufs der DG AG ist eine Mitgliederbefragung vorgesehen.
Ebenso forderte dieser Gewerkschaftstag weitere Anpassungen der Satzung bspw.
der Stellung der Betriebsgruppen.
Mit den
Vorbereitungen zum kleinen Gewerkschaftstag 2014 wurde die Frage der
verstärkten Einflussnahme der betrieblichen Gewerkschaftsgruppen auf die
Gewerkschaftspolitik diskutiert. Mit der im November 2014 beschlossenen
Satzungsänderung konnte ein Schritt zu „mehr Demokratie wagen“ gegangen werden.
Die Bedeutung der Betriebsgruppen ist dadurch gewachsen. Sie erhalten Sitz und
Mandat auf lokaler und auf Bundesebene. Damit besteht die Möglichkeit die
Belange der Gewerkschaftsbasis in den Betrieben wieder stärker zur Geltung zu
bringen.
Die hier
beschriebenen Prozesse machen deutlich, dass die EVG eine Gewerkschaft im
Umbruch ist. Mit dem Betriebsgruppensystem und der ehrenamtlichen
Funktionärsstruktur besteht die Möglichkeit, dass die Kolleginnen und Kollegen
ihre Geschicke aktiv selbst in die Hand nehmen. Wie weit das gelingt müssen die
nächsten Jahre zeigen. Ein Kriterium wird sein, ob Kolleginnen und Kollegen
insbesondere außerhalb der Interessensvertretungen in die aktive Arbeit
einbezogen werden können. Dazu muss es der EVG gelingen, als konsequente
Interessensvertretung der Beschäftigten wahrgenommen zu werden, die sich traut
ungeschminkt die Lage darzustellen und die deutlich macht, wo ihr Standpunkt
ist.
Zur Entwicklung der GDL
Die für die
EVG skizzierte Entwicklung gilt natürlich zum Teil auch für die
Berufsorganisation der Lokführer – GDL. Die Entwicklung der GDL als
Organisation des Deutschen Beamtenbundes ist noch mehr geprägt von der
veränderten Situation im größeren Deutschland seit 1990. Die Organisierung der
Lokführer im Osten Deutschlands vollzog die GDL unter der Maßgabe, dass auch
die Lokführer der Deutschen Reichsbahn Beamte werden. Hier machte die
Bahnreform einen Strich durch die Rechnung. Mit der Privatisierung des Unternehmens
1994 wurden auch alle neuen Lokführer keine Beamten mehr. Auch hierzu einige
skizzenartige Anmerkungen:
Die
beschriebene Lage veränderte die Mitgliederstruktur der GDL und
althergebrachtes Gebaren der Beamtenorganisation nach fast 130 Jahren drastisch.
Erstmalig in ihrer Geschichte ist die bis dato reine Standesorganisation in der
Situation, wie eine Gewerkschaft agieren zu können. Allerdings vergingen noch
einige Jahre bis sich dieses auch in der konkreten Praxis äußerte.
Begünstig
durch das Verhalten der DGB Gewerkschaft TRANSNET im Zusammenhang mit der
Tarifpolitik im Hinblick auf den Börsengang, mit der Vernachlässigung und
Fehlern der Berufsgruppenarbeit entwickelte sich das Bewusstsein, wieder mehr
auf die Durchsetzung eigener Interessen zu setzen. Dieses wurde von anderen
Berufsorganisationen, wie der Pilotenvereinigung Cockpit, schon vorgelebt.
Die
Trennung der GDL von der gemeinsamen Tarifpolitik im Bahnkonzern erfolgte
Schrittweise. Anfang 2003 forderte die GDL erstmalig einen Spartentarifvertrag
für die Lokführer. Im Mai 2003 erhielt sie die Tarifführerschaft für die
Belange der Lokführer. 2005 scheiterten die Verhandlungen zu einem
Tarifvertrag. In die Tarifauseinandersetzung 2007 ging die GDL mit der
Forderung nach einem Fahrpersonaltarifvertrag. Nach mehreren Streikaktionen
einigte sich die GDL mit der DB AG im Januar 2008 auf Eckpunkte für einen
eigenständigen Tarifvertrag und einer durchschnittlichen Tariferhöhung von 11
Prozent. Letzteres wurde allerdings mit der Verrechnung von Urlaubs- und
Weihnachtsgeld und einiger Zulagen in die Gehaltstabellen erkauft.
Nach der
Tarifauseinandersetzung 2007/2008 versuchte die GDL ihren Organisationsbereich
auf Schienenunternehmen des Nahverkehrs des öffentlichen Dienstes auszuweiten.
Ein 2010 geführter Arbeitskampf im bayrischen Nahverkehr scheiterte und führte
zur Übernahme des von ver.di ausgehandelten Tarifvertrages.
In der
Tarifrunde 2014/2015 fordert die GDL die Ausweitung ihrer Zuständigkeit auf das
gesamte Zugpersonal, und macht dies zur Vorbedingung der Aufnahme von
Verhandlungen. Erstmalig umfasst dies auch Berufsgruppen bei denen sie nur eine
kleine Minderheit vertritt.
Die
dargestellte Entwicklung macht deutlich, dass die GDL die Herauslösung der
Lokführer aus dem bis dahin gemeinsamen Tarifwerk konsequent verfolgt hat. Zur
Einschätzung muss auch folgendes gesehen werden: Es wird ganz offen
argumentiert, dass in der Masse nichts mehr herauszuholen sei. Günter Kinscher,
ehemaliger stellvertretender Vorsitzender der GDL führte im DLF am 11. Oktober
2007 aus: „Wichtig ist der eigene Tarifvertrag, denn wir haben in der
Vergangenheit erlebt, dass wir gemeinsam nichts erreichen. Es läuft alles
gemeinsam mit den anderen Gewerkschaften nur nach dem sozialistischen
Grundsatz: Was nicht für alle gut ist, ist für keinen gut. Und das ist genau
das, was wir beklagen, wir müssen da raus und das geht offensichtlich nur mit
einem eigenen Tarifvertrag.“ Hier tritt das weltanschauliche Verständnis der
GDL – Führung von ihrer Arbeit klar hervor.
Zur
Ausweitung des Verhandlungsmandates durch die GDL eine abschließende These:
Die
Entwicklung des Berufsstandes der Lokführer unterliegt durch die technische
Entwicklung einem sich beschleunigenden Prozess der Herabqualifizierung. Die
Ausbildung von Lokführern, das Beherrschen von Dampfloks oder auch der Diesel-
oder Elektroloks erforderte eine Qualifikation in der auch eigene
Entscheidungsverantwortung und selbstbestimmte Tätigkeiten im großen Maße
erforderlich waren. Die technische Entwicklung „entmündigt“ diesen Berufstand.
Ein Fahrdienstleiter kann vom Stellwerk aus Züge dirigieren oder auch zum
Stillstand bringen. Inzwischen gibt es nicht mehr nur Versuche, Züge unbemannt
fahren zu lassen. Die Ausweitung ihres Vertretungsanspruches auf das Zugpersonal
wird damit mittelfristig zur Überlebensfrage der Organisation.
Die Tarifauseinandersetzung 2014/2015 bei der
Deutschen Bahn AG
Die
Streikaktionen der GDL lösten im Herbst 2014 fast hysterische Reaktionen aus.
Wie Eingangs beschrieben sind diese Reaktionen von Politik und Medienkonzernen
zu verurteilen. Auch sind sie für die letzten Jahrzehnte beispiellos. Seitens
der Bundesregierung wird die Situation genutzt, um eine Diskussion über das
Streikrecht zu führen.
Streikfähigkeit
und das Streikrecht sind aber unabdingbare Merkmale und Konsequenzen
gewerkschaftlicher Organisiertheit. Ein Streik dient der Durchsetzung von
Interessen und Forderungen zur Verbesserung der Situation der Lohnabhängigen
und ist die einzig wirksame Waffe der Lohnabhängigen. Daher muss unabhängig von
der Einschätzung dieses Konflikts, gegen diese Bestrebungen von Kabinett und
Kapital gemeinsam Widerstand entwickelt werden.
Die
Tarifforderungen der GDL (5 % mehr Lohn, zwei Stunden Arbeitszeitverkürzung)
sind richtig und es steht der GDL völlig zu, hierzu eine
Tarifauseinandersetzung zu führen. Das ist ihr Recht als Berufsorganisation und
die konsequente Antwort auf Arbeitsverdichtung und Schichtbelastungen. Die
Frage der Arbeitszeitverkürzung ist eine zentrale Forderung, die von der gesamten
Gewerkschaftsbewegung wieder in den Mittelpunkt gestellt werden muss.
Die GDL
fordert die Einbeziehung des Zugbegleitpersonals und machte dieses zur
Grundbedingung für die Aufnahme von Verhandlungen. Der Hinweis in den
Diskussionen, dass sie schließlich das Recht habe, für ihre Mitglieder zu
verhandeln, verstellt den Blick auf die oben beschriebene Herangehensweise. Das
Personal ist nur in geringer Zahl bei ihr organisiert und es besteht für diese
Berufsgruppen bereits ein Tarifvertrag. Damit ist aber auch der Unterschied zu
dem bisherigen Agieren der GDL deutlich. Es geht um die Herauslösung weiterer
Berufsgruppen aus dem bestehenden Tarifvertragswerk. Der Erzwingungsstreik
dient so objektiv der Spaltung der Belegschaft. Das Prinzip „Ein Betrieb, eine
Gewerkschaft ein Tarifvertrag!“ und damit die gemeinsame Durchsetzung von
Forderungen wird bewusst durchbrochen. Mehr noch, seitens einiger
Streiksolidaritätsgruppen wird die Argumentation der GDL unkritisch aufgenommen
und damit dieses Prinzip ohne Not „ad acta“ gelegt. In der Konsequenz schwächt
dies die gewerkschaftliche Kampfkraft. Dabei ist es unerheblich, ob die
Realität in vielen Betrieben eine andere ist. Das Ziel bleibt dennoch richtig.
Die GDL
ist im Grunde mit dem Versuch gescheitert, ein eigenes Tarifvertragswerk
aufzubauen und damit mehr für ihren Berufsstand herauszuholen, denn in der
Realität hat sie weniger erreicht als die EVG. Der Grund ist banal, denn die
GDL hat mit dem Tarifvertrag für die Lokführer ein gewachsenes Terrain
verlassen, ohne dessen Komplexität im Auge zu haben. Dazu weigerte sich die GDL
Tarifverträge mit zu zeichnen – trotz bestehender Angebote – die sie nicht
verhandelt hat. So gelten inzwischen neuere Tarifregelungen nicht für GDL-
Mitglieder. Durch den Alleingang der GDL haben die Lokführer also auch
finanzielle Nachteile erfahren.
Für die
aktuelle Tarifauseinandersetzung bedeutet das in der Konsequenz, dass durch die
Ausweitung des Verhandlungsmandates der GDL auf weitere Berufsgruppen ein
Tarifvertrag abgeschlossen wird, der unter dem Niveau der bestehenden
Tarifverträge liegt. Diese Situation einfach hinzunehmen ist völlig
unakzeptabel. Genau das ist aber die Konsequenz von Forderungen wie sie derzeit
von Soli-Gruppen für den GDL – Streik an die EVG erhoben werden.
Nein zum Tarifeinheitsgesetz! Ja zum
Streikrecht!
Der
Tarifkonflikt bei der Deutschen Bahn wird begleitet durch die Debatte um den
von der Bundesregierung beschlossenen Entwurf für ein Tarifeinheitsgesetz. Mit
wohlgewählten Formulierungen des Entwurfes wird versucht die Intention des
Gesetzes zu verschleiern. So sei das Ziel der Änderung des
Tarifvertragsgesetzes, „die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie durch die
Auflösung von Tarifkollisionen zu sichern und damit den Koalitions- und
Tarifpluralismus in geordnete Bahnen zu lenken.“ Die geradezu einheitliche
Medienschelte der Tarifkämpfe förderte eine undifferenzierte Antistreikhaltung
und ruft damit vermeintlich zwangsläufig nach staatlicher Regulierung. Diese
von den Medienkonzernen gestaltete Inszenierung wird von der schwarz-roten
Regierungskoalition dankbar aufgegriffen. Kurz gefasst wird festgelegt, dass
diejenige Gewerkschaft einen Tarifvertrag abschließen kann, welche die Mehrheit
der Beschäftigten im Betrieb organisiert. Damit wird der „Tarifvertrag der
Minderheitsgewerkschaft verdrängt“. So demokratisch sich diese Regelung auch
anhört, faktisch wird damit den Berufsorganisationen das Streikrecht
abgesprochen, da sie zwangsläufig die Minderheit bilden. Künftig bilden sie
eine Zwangsgemeinschaft – in der Regel mit den DGB-Gewerkschaften. Der geplante
Eingriff in das Streikrecht ist vor dem Hintergrund der in Deutschland
geltenden restriktiven Arbeitskampfregelungen noch von größerer Brisanz. Die
Durchsetzung eines Tarifvertrages ist faktisch die einzige Möglichkeit einen
legalen Arbeitskampf durchzuführen. In den meisten anderen europäischen Ländern
ist eine derartige Einschränkung unvorstellbar. Das Streikrecht ist nicht an
die Durchsetzung von Tarifregelungen gebunden und selbst kleine Einheiten können
die Arbeit niederlegen. Die „Lex Deutschland“ wird nun noch mehr eingeengt und
ein weiterer Schritt in Richtung des Abbaus erkämpfter demokratischer Rechte
vollzogen. Die Gewerkschaften des DGB haben daher unabhängig von dem aktuellen
Geschehen allen Grund, einer weiteren staatlichen Reglementierung des
Arbeitskampfrechtes zu widersprechen. Derzeit entzweit dieses geplante Gesetz
die DGB Gewerkschaften in einem ungeahnten Ausmaß.
Der EVG
wird unterstellt, dass sie dieses Gesetz nur halbherzig ablehne, während der
Arbeitskampf der GDL als Kampf gegen die Einschränkung des Streikrechts zu
werten sei. Tatsächlich lässt die Erklärung des kleinen EVG Gewerkschaftstages
in ihrer Deutlichkeit zu wünschen übrig. Der stellvertretende EVG Vorsitzende
Klaus-Dieter Hommel erklärte dagegen gegenüber der Zeitschrift Focus: „Finger
weg von jeder Regelung, die die Tarifautonomie einschränkt“. Ein neues Gesetz
könne die augenblickliche Situation nur verschlimmbessern. „Wir wollen nicht,
dass das Streikrecht berührt wird. Am Ende zählen noch die Richter die
Mitglieder, damit sie entscheiden können, welche Gewerkschaft einen
Tarifvertrag aushandeln darf. Das geht nicht“, so Hommel.
Das
Tarifeinheitsgesetz ist daher eindeutig abzulehnen. Im Tarifkonflikt der Bahn
wird von Teilen der Linken der Schluss gezogen, dass der Arbeitskampf der GDL
auch ein Kampf gegen das Tarifeinheitsgesetz ist, da sie ja von der Wirkung
dieses Gesetzes betroffen sei. Diese politische Dimension des Streikes ist
schließlich die Begründung, weshalb der Streik vorbehaltlos unterstützt werden
muss. Hierzu zwei kurze Thesen:
Die
Argumentation ähnelt der aus dem Tarifkonflikt 2007/2008: Hier wurde der
Arbeitskampf der GDL von einigen Teilen der Linken als Kampf gegen den
Börsengang der DB AG hingestellt. Nach der Einigung auf einen Tarifvertrag im
Januar 2008 spielte der Börsengang der DB AG keine Rolle mehr in der Politik
der GDL. Es gibt keinerlei Anzeichen, dass die GDL sich nach einer Einigung in
diesem Tarifkonflikt anders verhalten könnte.
Das
Tarifeinheitsgesetz richtet sich nur vordergründig gegen die
Berufsgewerkschaften. Die eigentliche Intention des Gesetzes deutet sich in
anderen Formulierungen der Begründung an. Die Tarifautonomie hat nach
Auffassung von Bundesministerin Nahles eine Befriedungsfunktion, auf die das
„öffentliche Interesse“ insbesondere in Krisenzeiten angewiesen sei.
Schließlich hätte sich die Tarifpartnerschaft gerade hier bewährt. Nun muss das
Kapital derzeit nicht gerade den Kampfgeist der Gewerkschaften fürchten. Dieses
Gesetz aber baut vor, denn Kämpfe können sich spontan entwickeln. Das hat die
Geschichte der Gewerkschaftsbewegung immer wieder gezeigt. Muss die von
Interessen geleitete Berichterstattung der Medien nicht unter dem Blickwinkel
betrachtet werden, dass Regierung und Konzerne ein Interesse daran haben, das
Streikrecht einzuschränken?
Rainer Perschewski |
Einige Schlussfolgerungen
Die
Argumentation in der Solidarität mit den Arbeitskämpfen der
Berufsgewerkschaften ist zwiespältig. Sie vermittelt den Eindruck, als würde
den Arbeitskämpfen der Berufsgewerkschaften etwas zugeschrieben, was man sich
von den DGB Gewerkschaften wünschen würde. Gerade der hier dargestellte
Tarifkonflikt der Bahn macht deutlich, dass die GDL zwar radikaler agiert, sich
im Ergebnis oder in der Praxis nicht in der Form verhält. Der Abbruch des
letzten Streiks spricht Bände. Die der GDL untergeschobenen Ambitionen sind
daher eher ein Zurechtbiegen der Realität.
Die hier
vorgenommene Darstellung der Entwicklung der Gewerkschaften am Beispiel der EVG
und der GDL verdeutlicht, dass die Gewerkschaftslandschaft in mehreren
Richtungen bewertet werden muss.
Die
Einheitsgewerkschaft befindet sich im Umbruch. Die EVG von heute unterliegt
einen Veränderungsprozess. Es reicht nicht, immer wieder auf den „Verrat“
einzelner Gewerkschaftsführer zurückzugreifen, um diese Gewerkschaft zu
charakterisieren. Die These ist, dass diese Entwicklungen sich auch in anderen
Gewerkschaften vollziehen. Der Streit im DGB zum Tarifeinheitsgesetz ist ein
Ausdruck davon.
Die
Entwicklung der GDL zeigt, dass sich auch die Standesorganisationen verändern
und sich als Berufsgewerkschaften neu aufstellen. Es entstehen auch neue
Berufs- oder Spartengewerkschaften als Ausdruck der sich verändernden
Arbeitswelt, aber auch durch Berufsgruppen die sich durch die DGB –
Gewerkschaften nicht mehr vertreten sehen. Der Standesdünkel der alten
Organisationen gerät in den Hintergrund und die ökonomischen Kämpfe dominieren
deren Politik.
Die
Berufsgewerkschaften sind bereit, in Zeiten sich verschärfender
Verteilungskämpfen ihre Konflikt- und Streikfähigkeit einzusetzen, und das
unabhängig davon, ob es mit den Interessen der übrigen Beschäftigten
übereinstimmt. „Diese exklusive Solidarität ist es, die das Grundprinzip der
Solidarität, die Unterstützung der Schwachen durch Starke verletzt, die
Einheitsgewerkschaft bedroht und die Spaltung der Arbeiterklasse vertieft.
Genau deshalb lehnen wir sie ab, sagen ihnen, dass es der falsche Weg ist, den
sie beschreiten. Eine Änderung ihres Verhaltens können wir nur über eine
scharfe inhaltliche aber solidarische Auseinandersetzung mit ihnen, über ihr
Bewusstsein, über eine gemeinsame Praxis in den betrieblichen und tariflichen
Kämpfen und eine Stärkung ihrer berufsspezifischen Interessen in den
Gewerkschaften erreichen.“
Trotz
dieser Veränderungen gilt somit weiterhin, dass einheitliche Gewerkschaften mit
einer übergreifenden Zuständigkeit für Berufsgruppen einer Branche der richtige
Weg sind, weil nur so das Solidaritätsprinzip gelebt werden kann; starke
Berufsgruppen sich für schwache einsetzen und so die Konkurrenz unter den
Lohnabhängigen beseitigt werden kann. Diese Einheit muss sich in der Aktion
herstellen und kann nicht durch ein Gesetz geregelt werden.
Von
Rainer Perschewski
Der
Artikel erschien zuerst in Marxistische Blätter, Heft 1/2015
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