Donnerstag, 21. Juni 2012

Marktdemokratie in Griechenland: Griechenland hat Merkel gewählt


Foto: KKE
Griechenland hat Merkel gewählt. Auf diese personalisierte Formel lässt sich das Wahlergebnis vom vergangenen Sonntag verkürzen. 

Ein Paradox schlechthin. Steht die deutsche Kanzlerin schließlich in allen Caféhausdiskussionen, in den Gesprächen beim Bäcker, Friseur oder Gemüsehändler als Synonym für alle Schlechtigkeiten, die als Folge der polit-ökonomischen Krise das Leben der Menschen bedrücken. Frau Merkel ist persona non grata, und nun hat die Mehrheit der Wähler/innen mit Antonis Samaras genau ihren griechischen Kronprinz gewählt.


Mit knapp 30 % der abgegebenen Stimmen kommt seine Nea Dimokratia in den Genuss der 50 Bonussitze, benötigt für die erforderliche Regierungsbildung von 151 nur 22 Mandate hinzu, die ihr die sozialdemokratische PASOK – mittlerweile auf unter 13 % abgesackt – konfliktfrei liefern wird. Mit 172 Parlamentssitzen werden diese beiden Parteien wie in den Jahrzehnten zuvor eine Mehrheit herstellen, die konsequent die „deutsche“ EU-Linie umzusetzen plant. 

Schließlich hatten Samaras und Venizelos bereits im März der EU-Kommission ihre unerschütterliche Haltung zur finanzkapitalistischen Plünderung des Landes und zum rigorosen Sozialabbau schriftlich zugesagt. Gleichwohl vertreten beide Parteien magere 26 % der wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger. In diesem Viertel der Wahlberechtigten, konzentriert sich der Bevölkerungsteil, der mit der konkreten Umsetzung der Memoranden eigene Vorteile verbindet. So funktioniert parlamentarische Demokratie in Griechenland, was für die deutsche Kanzlerin Marktdemokratie heißt.

SYRIZA heißt der zweite Gewinner der Wahl. Dieses Wahlbündnis, von der refomistischen Synaspismos dominiert, hatte sich nach der Wahl vom 6. Mai zur Partei konstituiert und hoffte nun nach dem sprunghaften Anstieg des Stimmenanteiles als stärkste Partei die 50 Bonussitze zu kassieren, um die Regierungsverantwortung übernehmen zu können. Mit 27 % der abgegebenen Stimmen wurde das Ziel nur knapp verfehlt.

Alexis Tsipras, Spitzenkandidat von SYRIZA
Wie stets bei Wahlen in Griechenland seit Ende der Junta 1974  gelang es der herrschenden Politik und den Massenmedien erneut, die öffentliche Diskussion auf Bipolarität zu fokussieren. Was sich früher in der öffentlichen Wahldebatte auf ND und PASOK konzentrierte, gelang nun mit dem bipolaren Fokus auf ND und SYRIZA. Einerseits im Interesse des konservativen Klientels die Angst vor drohendem Chaos schürend, andererseits die Wut der abhängig Arbeitenden, der Rentner und Jugend mit Wortradikalität und Versprechungen eines Endes der Memoranden in neuen Hoffnungen bindend: Beide, ND und SYRIZA, haben sich in ihrer Programmatik auf die EU- und NATO-Systematik verpflichtet.

Auf dieser politischen Basis versprachen die Vorsitzenden beider Parteien das Blaue vom Himmel. Samaras als Vorsitzender der ND präsentierte ein 18 Punkte-Programm zur Überwindung der Krise. Renten und Kindergeld wolle er erhöhen, die Auszahlung von Arbeitslosengeld von einem auf zwei Jahre verlängern, gegen die weitere Absenkung von Löhnen im Privatsektor vorgehen und innerhalb eines Jahres mindestens 150.000 Arbeitsplätze schaffen. Wie er ein solches Prosperitätsprogramm trotz seiner mit der EU unterzeichneten Austeritätsverpflichtung vereinbaren will, dazu schwieg er wohlweißlich.

Alexis Tsipras, Spitzenkandidat von SYRIZA, verkündete ein wahres Feuerwerk an Wahlversprechen – er wolle das mit den Gläubigern ausgehandelte Memorandum zurücknehmen, Mindestlohn und Arbeitslosengeld erhöhen, Steuererhöhungen abschaffen, Vetternwirtschaft und Steuerhinterziehung bekämpfen und eine schrittweise Kontrolle über Banken und die Schlüsselindustrie einführen. Gleichzeitig versicherte er gehorsam, die Mitgliedschaft in der Eurozone und in der EU nicht anzutasten, ebenso selbstverständlich die militärische Sicherheit Griechenlands. Dass dies mit den bestehenden NATO-Strukturen verbunden ist, vergaß er zu erwähnen.

Mit Tsipras und Samaras als bipolare Kontrahenten im Kopf-an Kopf-Rennen boten ND und SYRIZA die medienwirksame Vorlage, um die scheinbaren Gegensätze ihrer politischen Positionen in der öffentlichen Debatte zu fokussieren. Insbesondere Alexis Tsipras als Hoffnungsträger vieler Linken und Pseudolinken wurde hierzulande gerne als »Schreckgespenst des Kommunismus« hoch stilisiert. In den griechischen Massenmedien wird er gehätschelt, um ihm möglichst viele potentielle Wähler der wirklichen Kommunisten, der KKE, in die Arme zu spielen. Denn die Mächtigen haben vor allem Angst vor wachsendem Einfluss der Kommunistischen Partei Griechenlands. Ihr Blick richtete sich seit Jahren bei jeder neuen Wahl auf die steigenden Ergebnisse der KKE. Sie klein zu halten, sie zu denunzieren, ihr den „richtigen“ Weg vorzuschlagen, ob von angeblich links oder rechts vorgetragen, war und ist stets Kernziel bürgerlicher Medien und Politik. Weder die neue sozialdemokratische Abspaltung „Demokratische Linke“ vor einigen Monaten noch die konservativen „Unabhängige Griechen“ erfüllten die bürgerlichen Intentionen. Die KKE konnte am 6. Mai noch ein wenig höheres, wenn auch keineswegs befriedigendes Stimmenergebnis erzielen. Der smarte Tsipras mit der als linksradikal bezeichneten SYRIZA, die das brave Bürgertum insbesondere im EU-Ausland aufschreckte, errang den Spitzenplatz im Antikommunismus. Ob es ein Pyrrhussieg war, werden die nächsten Monate oder auch erst Jahre zeigen.

Foto: KKE
Die KKE jedenfalls mit 4,5 % der abgegebenen Stimmen und nur mehr 267 000 gegenüber noch 529 000 Stimmen am 6. Mai hat eine empfindliche Wahlniederlage einstecken müssen. Nichts gäbe es zu beschönigen, erklärte Al. Papariga unmittelbar nach der Wahl im Fernsehsender NET. Die Partei habe vielen Genossen/innen und Freunden/innen nicht hinreichend deutlich erklären können, warum ein Zusammengehen mit SYRIZA die Preisgabe kommunistischer Basispolitik bedeutet hätte. Auch die Zuspitzung der Debatten auf die Spitzenkandidaten/innen drängte die KKE in die Defensive. Die Personalisierung war Teil des Antikommunismus im Wahlkampf.

Keines der die Nation drückenden Probleme sei durch diese Wahl gelöst. Papariga sprach von einem negativen Wahlergebnis für Griechenland:
  1. ND als Regierungspartei werde die barbarische, den Monopolinteressen dienende Memorandum-Politik fortsetzen.
  2. Der gleichsam wie der Phönix aus dem Nichts hoch geschnellte, neue, sich radikal gebärdende Reformismus im Parteienkorsett von SYRIZA habe ein Massenpotential an Hoffnungen gebunden, die ohne grundsätzlichen Bruch mit bestehenden gesellschaftspolitischen Strukturen nicht zu erfüllen seien.
  3. Der Einbruch des KKE-Stimmenanteiles bestätige die Analyse nach dem 6. Mai, dass die Kommunisten/innen vor einem der schwierigsten Wahlkämpfe der letzten 40 Jahre stünden. Jede/r Grieche/in wisse, dass es keine einfachen Lösungen für die hoch komplizierte gesellschaftliche Situation im Land gäbe. Die einzige Partei, die mit einer differenzierten Analyse verbunden mit einer ebensolchen Programmatik sowie dem nüchternen Hinweis, all dies sei ohne grundsätzlichen Bruch mit bestehenden Vertragsstrukturen nicht zu haben, insbesondere dem Bruch mit dem Maastricht und – dem Lissabon-Vertrag,  sei die KKE. Zugleich wisse jede/r, dass der abwartende Blick auf die da Oben, die es als Stellvertreter zu richten hätten, ob in einer konservativen oder einer mutmaßlichen Linksregierung, keinerlei Lösung der politischen Probleme brächten. Nur die Selbstaktivierung der Kräfte des ganzen Volkes könne eine Perspektive schaffen. Und das Volk könne versichert sein, dass die kommunistische Partei an ihrer Seite stehe, wenn die Menschen in Griechenland, die abhängig Arbeitenden, die Jugend und Rentner sich dem Weg zum Umsturz öffneten.
  4. Der auch bei dieser Wahl bestätigte starke Stimmenanteil der faschistischen Chrysi Avgi zeige, dass insbesondere ein Teil der Jugend ohne Perspektive den Ausweg des faschistischen Terrors gewählt hätten. Ihre Aggression richte sich vorwiegend gegen Migranten und insbesondere auch gegen die kommunistische Partei und deren Jugendverband (KNE).
Die griechischen Wähler/innen haben sich am 17. Juni für die Wahl vorgeblich einfacher Lösungen entschieden. Sie als Illusionen zu erklären, als Sackgasse weiterer Ausplünderung und Angriffe auf die Existenzrechte der großen Mehrheit des griechischen Volkes, hat die KKE vergeblich versucht. Auch die, die den Weg der Illusionen und doppelzüngigen Versprechungen gewählt hätten, wissen: Auch nach dem 17. Juni werde die KKE für sie da sein!


von Udo Paulus
aus: „UZ - unsere zeit“ vom 22. Juni 2012

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