Was in deutschen Medien über das
südamerikanische Land verbreitet wird – und wie es tatsächlich aussieht
»Maduros
Herrschaft ist diktatorisch, er hat keine demokratische Legitimation, und die
Mehrheit der Bevölkerung steht nicht hinter ihm. Er kann sich nur noch auf das
Militär stützen.«
Nicolás
Maduro ist zweimal zum Präsidenten Venezuelas gewählt worden, 2013 und 2018.
Die Wahl im vergangenen Jahr entsprach in ihren Regularien exakt der
Parlamentswahl 2015, die von der Opposition gewonnen worden war und deren
Legitimität allgemein anerkannt ist.
Die Umstände der Wahl waren in einem Abkommen festgelegt worden, das Vertreter von Opposition und Regierung bis Anfang 2018 unter internationaler Vermittlung ausgehandelt hatten. Allerdings verweigerten die Oppositionellen im letzten Augenblick die Unterschrift unter das fertige Abkommen. Der frühere spanische Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero, der an den Verhandlungen als Vermittler beteiligt gewesen war, reagierte darauf Anfang Februar 2018 mit einem Brief, den die in Caracas erscheinende Tageszeitung Últimas Noticias veröffentlichte. Das ausgehandelte Abkommen habe die über Monate verhandelten Themen aufgegriffen, unter anderem »einen Wahlprozess mit Garantien und einen Konsens über das Datum der Wahlen«.
»Maduro
hat das Parlament aufgelöst und entmachtet und regiert nun gänzlich
unkontrolliert. Mit der Verfassung des Landes ist das unvereinbar.«
Venezuelas
Parlament ist nicht aufgelöst worden, sondern arbeitet. Erst Anfang Januar
wurde ein gewisser Juan Guaidó von den Abgeordneten der Oppositionsparteien zu
dessen Präsident gewählt.
Richtig
ist allerdings, dass die Beschlüsse der Nationalversammlung nach Entscheidungen
des Obersten Gerichtshofs (TSJ) »null und nichtig« sind, weil sich das
Parlament weigert, mehrere Urteile der Richter umzusetzen. Das begann bereits
unmittelbar nach der Wahl 2015, als die Richter nach Einsprüchen die
Bestätigung von vier gewählten Abgeordneten aus dem Bundesstaat Amazonas – drei
der Opposition und einer der Regierungspartei PSUV – aussetzten. Trotzdem
wurden die drei Regierungsgegner vom Parlamentspräsidium vereidigt und nahmen
an den Abstimmungen teil. Daraufhin stellten die Richter fest, dass die unter
diesen Bedingungen gefassten Beschlüsse ungültig seien. Im Juli 2017
bekräftigten die Richter diese Entscheidung in einem weiteren Urteil, in dem
sie die Ernennung neuer Richter durch das Parlament aufgrund der
Nichteinhaltung des in der Verfassung dafür festgelegten Verfahrens für
ungültig erklärten.
»Maduro
hat sein Land mit Konzeptlosigkeit und Korruption in den Abgrund geführt. Mit
Sozialismus hat das nichts zu tun.«
Venezuela
ist nach wie vor ein kapitalistisches Land. Das hat auch Hugo Chávez in seinem
letzten Wahlprogramm 2012 – das nach dessen Tod 2013 von Nicolás Maduro
wortwörtlich übernommen wurde – betont: »Täuschen wir uns nicht, die
sozioökonomische Ordnung, die in Venezuela noch vorherrscht, ist
kapitalistischen und Rentencharakters.«
Seit
seiner Amtsübernahme 2013 sieht sich Maduro einem eingebrochenen Ölpreis
gegenüber. Da der Brennstoff jedoch nach wie vor das Hauptexportgut Venezuelas
ist, sind die Staatseinnahmen dramatisch zurückgegangen. Verschärft wurde die
Krise durch einen regelrechten Wirtschaftskrieg privater Handelskonzerne, die
Waren zurückhielten. Supermärkte waren leer, viele Lebensmittel gab es nur noch
auf dem Schwarzmarkt zu kaufen. Das hat sich geändert, inzwischen sind die Geschäfte
wieder voll – allerdings sind die Preise durch die Inflation so hoch, dass sie
sich nur Wohlhabende leisten können. Hinzu kommen vor allem ab 2017 die immer
weiter verschärften Sanktionen durch die USA und – in geringerem Ausmaß – durch
die Europäische Union. Sie machen es Caracas nahezu unmöglich, Waren auf dem
Weltmarkt regulär einzukaufen, weil der Zahlungsverkehr über die meist in den
USA sitzenden Finanzinstitutionen blockiert ist.
Was man
dem Präsidenten vorwerfen kann, ist, dass es lange keine wirksamen Maßnahmen
gegen die sich immer weiter verschärfenden Probleme gegeben hat. Regelmäßige
Lohnerhöhungen wurden durch die Inflation aufgefressen, wirtschaftspolitische
Maßnahmen blieben Stückwerk und widersprüchlich. Erst in der jüngsten Zeit scheint
man Wege gefunden zu haben, mit Hilfe befreundeter Länder die ausländische
Blockade zu umgehen. Tatsächlich sind Berichten zufolge in den vergangenen
Tagen und Wochen die Preise für Lebensmittel und andere Waren teilweise
gesunken.
»Mit
Ausnahme von Russland und China fehlt Maduro auf internationaler Ebene
jeglicher Rückhalt, sein Regime ist praktisch isoliert.«
In der
vergangenen Woche bildete sich bei den Vereinten Nationen in New York eine
Gruppe von rund 60 Staaten der Welt, die sich für die Verteidigung der
UN-Charta einsetzen wollen – in klarer Unterstützung Venezuelas gegen die von
den USA geführte Aggression. Demgegenüber haben weltweit nur etwa 40 bis 50
Regierungen den Oppositionspolitiker Juan Guaidó als »Präsidenten« anerkannt.
Hinter Maduro gestellt haben sich dagegen nicht nur die linken Regierungen
Lateinamerikas, sondern auch die Karibikgemeinschaft Caricom und der
südafrikanische Staatenbund SADC. Wichtige Handelspartner sind und bleiben
Indien, der Iran, die Türkei und andere. Selbst in der Organisation
Amerikanischer Staaten (OAS) haben die USA und die venezolanische Opposition
keine Mehrheit für eine Anerkennung Guaidós finden können. Auch
UN-Generalsekretär António Guterres betonte, dass der einzige rechtmäßige
Präsident Venezuelas Nicolás Maduro ist. Mexiko und Uruguay bemühen sich um
eine Vermittlung ohne ausländische Einmischung.
»Kritische
Medien haben unter Maduro keine Chance, sie werden geknebelt und unterdrückt.«
Kaum
tritt in Venezuela ein Oppositionspolitiker öffentlich auf, ist er sofort von
Dutzenden Mikrofonen umlagert. Es gibt in Venezuela 16 private Fernsehkanäle
und mindestens 18 private Radio-Senderketten, die oft mehrere parallele
Programme ausstrahlen. Hinzu kommen viele lokale Gemeindesender. Dem stehen
drei landesweite Staatssender – VTV, TVes und Vive – gegenüber sowie weitere
nur lokal oder über Kabel verbreitete Programme, darunter der internationale
Nachrichtensender Telesur. Allerdings hat die Telekommunikationsbehörde Conatel
die Verbreitung mehrerer ausländischer Sender in den Kabelnetzen unterbunden.
Betroffen davon ist zum Beispiel der kolumbianische Kanal NTN 24, der sich zum
Sprachrohr der militanten Regierungsgegner gemacht hat. Problemlos zu empfangen
sind nach einer aktuellen Aufstellung von Kabelnetzbetreibern nach wie vor Fox
und Voice of America aus den USA; die britische BBC, die Deutsche Welle und
andere. Interessanterweise macht aber der private Anbieter »Super Cable« seinen
Kunden Sender wie TV Bolivia, Cubavisión, das chinesische CCTV oder das
iranische Hispan TV nicht zugänglich, im Gegensatz zum staatlichen Betreiber
CANTV.
Massenhaft
verbreitet sind auch in Venezuela Internetseiten und »soziale Netzwerke«. Immer
wieder gibt es Zensurvorwürfe. So beklagte das Internetportal Aporrea.org
zuletzt, dass es nicht mehr uneingeschränkt erreichbar sei. Allerdings fallen
auch staatliche Seiten wie die Homepage der Tageszeitung Correo del Orinoco
oder die Angebote von Radio Nacional de Venezuela häufig aus. Ob es sich also
um administrative Eingriffe oder technische Probleme handelt, ist unklar.
Probleme
haben in den vergangenen Jahren Zeitungen und Zeitschriften gehabt, denn
infolge der Wirtschaftskrise und der vor allem von den USA verhängten
Sanktionen ist es für die Verlage immer schwieriger geworden, an das notwendige
Papier zu kommen. Deshalb haben Oppositionsblätter wie Tal Cual oder El
Nacional ihre gedruckten Ausgaben eingestellt, andere – zum Beispiel El
Universal – erscheinen ungehindert weiter. Betroffen davon sind aber nicht nur
die Organe der Opposition. Im vergangenen Jahr musste die Zeitung der
Kommunistischen Partei Venezuelas, Tribuna Popular, ebenfalls ihre Druckausgabe
aufgeben und erscheint seither nur noch digital. Mehrere staatliche
Publikationen haben den Umfang ihrer Ausgaben eingeschränkt oder wurden ganz
eingestellt.
»Das
Regime hat an der Grenze zu Kolumbien mit Gewalt verhindert, dass humanitäre
Hilfe ins Land gelangt. Sicherheitskräfte versuchen, jede Unruhe skrupellos im
Keim zu ersticken.«
Das
Internationale Komitee vom Roten Kreuz hat deutlich gemacht, dass es sich nicht
um humanitäre Hilfe handelte, sondern um eine politische Aktion. Auch die
Vereinten Nationen verweigerten eine Beteiligung an der Show.
Zwischen
20.000 und 50.000 Personen sollten nach Angaben der Opposition durch die
Lieferungen für zehn Tage versorgt werden. Selbst wenn das stimmt ist das
verschwindend wenig verglichen mit den sechs Millionen
CLAP-Lebensmittelpaketen, die monatlich in Venezuela vertrieben werden. Nach
unabhängigen Angaben beziehen inzwischen rund 90 Prozent der Bevölkerung diese
subventionierten Grundnahrungsmittel.
Hilfslieferungen
erreichen Venezuela auf vielen Wegen, unter anderem geliefert aus Russland und
China. Mit der EU hat Caracas Unterstützung im Wert von zwei Milliarden Euro
vereinbart, die über die UNO ins Land kommen soll. Venezuela konnte aber nicht
akzeptieren, dass eine politische Gruppe ohne Kontrolle einen Konvoi mit
unbekannter Ladung über die Grenze bringt.
Die
Fernsehbilder zeigen zudem, dass die Gewalt an der Grenze nicht von den
venezolanischen Sicherheitskräften ausging. Kolumbianische Sender übertrugen
live, wie Vermummte Molotowcocktails befüllten und Steine auf die Soldaten
warfen. Von kolumbianischer Seite wurden sie daran nicht gehindert.
Von André
Scheer
Aus „junge Welt“ vom 28.02.2019
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