Anhänger von Maduro demonstrieren in Caracas (2.2.2019), Foto: junge Welt |
Venezuela: Fragen des Völkerrechts spielen
offenbar geringe Rolle, obwohl Verstöße offensichtlich sind.
Wir veröffentlichen daher hier ein Interview der
Tageszeitung „junge Welt“ mit dem Völkerrechtler Norman Paech* und einen Kommentar des Deutschlandfunks.
Seit
Tagen beherrscht die Lage in Venezuela die Schlagzeilen. Mit welchen Gedanken
schlagen Sie morgens die Zeitung auf?
Seit
Jahren ist Venezuela immer irgendwo im Fokus der Berichterstattung, wenn es
darum geht, über die ökonomische Misere dort oder die Schwierigkeiten der
Regierung zu sprechen. Insofern haben wir es jetzt nur mit einem
Kulminationspunkt einer Entwicklung zu tun, der voraussehbar war.
Zunächst
waren auch in bürgerlichen Medien Vokabeln wie »Staatsstreich« zu vernehmen,
als sich Juan Guaidó am 23. Januar selbst zum »Übergangspräsidenten« erklärte.
Davon ist mittlerweile weniger zu hören.
Ursprünglich
war man auf dem richtigen Pfad. Wir haben es hier mit einem vollkommen
unzulässigen und rechtswidrigen Putsch zu tun, auch nach der venezolanischen
Verfassung. Damals kannte man Guaidó wohl nicht und wusste nur wenig über die
Hintergründe: Es geht um einen seit langer Zeit geplanten »Regime change«, der
in den USA und in interessierten Kreisen verfolgt wird. Jetzt, wo ein
eventueller Erfolg in Sicht ist, hat man sich wieder auf die Schleimspur der
US-Regierung begeben. Man spricht nicht mehr darüber, was doch eigentlich in
den westlichen Wertvorstellungen eine große Rolle spielen sollte: das
Völkerrecht und die Souveränität von Staaten.
In der
Diplomatie und im Völkerrecht hat jede Regierung das Recht, eine andere
anzuerkennen oder auch nicht. In Venezuela ist es aber anders: Hier wird sich
nicht darauf beschränkt, der Regierung von Präsident Nicolás Maduro die
Anerkennung zu verweigern, sondern hier geht es klar darum, diese zu ersetzen.
Das ist die Unterstützung eines Umsturzes und nach allen Regeln der UN-Charta
ein unerlaubter Eingriff in die Souveränität eines Staates.
Wenn dem
so ist, wo bleibt der Aufschrei derjenigen, die sonst das Völkerrecht
hochhalten?
Ich
wundere mich darüber, dass in der deutschen Presse nur sehr wenig Kritik an dem
Vorgehen, dem sich nun auch die Bundesregierung angeschlossen hat, zu hören ist.
Denken Sie nur daran, was im Fall der Krim zu vernehmen war. Oder denken Sie
daran, was derzeit als Satire durchs Internet geistert: Russlands Präsident
Wladimir Putin würde eine selbsternannte Präsidentin Marine Le Pen in
Frankreich anerkennen, vor dem Hintergrund der Proteste der »Gelbwesten« und
des Ausnahmezustandes, den die französische Regierung unter Emmanuel Macron
durch die großen Polizeieinsätze zu verantworten hat. Die Reaktion auf ein
solches Szenario wäre sicher eine völlig andere als bei Venezuela. Man würde
sich schnell an das Völkerrecht erinnern.
Begründet
wurde die Anerkennung Guaidós damit, Maduro habe ein Ultimatum zur Ausrufung
neuer Präsidentschaftswahlen verstreichen lassen.
Das ist
der Rückfall in eine koloniale und imperiale Praxis: Regierungen werden dazu
aufgefordert, sich zu unterwerfen, wodurch sie letztlich in den Vasallenstatus
zurückkehren. Man muss sagen, dass wir es hier mit einer absoluten
diplomatischen Frechheit zu tun haben. Es war realistischerweise nicht zu
erwarten, dass Maduro diesem Ultimatum folgt. Das wäre einer totalen Aufgabe
gleichgekommen.
Mit Blick
auf die Parallelen zu anderen Fällen: Ist Kolonialismus der treffende Ausdruck,
wenn es um die Beschreibung der Kontinuität dieser Politik geht?
Soweit
würde ich nicht gehen. In der Vergangenheit hatte man sich doch immer wieder an
das Völkerrecht gehalten, wenn es auch Ausnahmen gegeben hat. Die
politisch-ökonomische Unterwanderung von Staaten wurde oft im Hintergrund
gehalten. Das ist im jetzigen Fall völlig anders, wo offen und dreist seitens
der USA mit militärischen Maßnahmen gedroht wird. Das ist reine
Kanonenbootpolitik.
Wozu
braucht es das Völkerrecht überhaupt noch, wenn es eh keine konsequente
Anwendung findet?
Unsere
Straftatbestände von Betrug bis Mord werden tagtäglich verletzt – hier stellt
niemand die Frage, ob man sich von dem Recht verabschieden soll. Meine Antwort
ist klar: Dieses Völkerrecht wird gebraucht. Man muss es immer wieder
herstellen.
*Norman
Paech ist emeritierter Professor für Völkerrecht und war von 2005 bis 2009
Bundestagsabgeordneter für Die Linke
Interview:
Jan Greve
DLF-Kommentar zu USA, EU und Venezuela:
»Rückfall in kolonialistische Zeiten«
Deutschlandradio-Reporter Sebastian Engelbrecht
kommentierte am Montag abend im DLF die Anerkennung des venezolanischen
Parlamentspräsidenten Juan Guaidó als Interimspräsidenten des Landes:
Es ist
ein Rückfall in kolonialistische Zeiten. (…) Man reibt sich die Augen: Sind die
Zeiten einer paternalistischen Politik Europas gegenüber den Staaten auf der
südlichen Halbkugel nicht ein- für allemal vorbei? Schamlos mischt sich der
deutsche Außenminister Heiko Maas in die inneren Angelegenheiten Venezuelas ein
– und beruft sich dabei auf die Werte der Demokratie, auf das Leid der
Venezolaner, die hungern und gesundheitlich schlecht versorgt werden.
Die
Bundesregierung handelt im Einvernehmen mit Spanien, Frankreich und
Großbritannien, den großen Kolonialmächten des Kontinents. Zuvor hatten die
europäischen Staaten Maduro gar ein Ultimatum gestellt. (…)
Es fragt
sich, mit welchem Recht Deutschland und seine europäischen Partner so handeln.
Sie missachten die Souveränität Venezuelas, indem sie in einem internen
Machtkampf Partei ergreifen. Dabei wähnen sie sich auf der sicheren Seite,
nachdem die USA bereits zwei Wochen zuvor Guaidó aus der Ferne zum Präsidenten
inthronisiert haben. Diese opportunistische Politik der Europäer folgt einer
finsteren Tradition: Jahrzehntelang haben sich die USA in Mittel- und Südamerika
in innere Angelegenheiten anderer Staaten eingemischt. Sie stützten
Militärdiktaturen, etwa in Chile und Argentinien – ebenso wie autoritäre Regime
in El Salvador und Guatemala.
Dass
Venezuela freie Präsidentschaftswahlen braucht, ist unbestritten. Dass Maduro
das Land in eine aussichtslos erscheinende Krise manövriert hat, ebenso.
Dennoch bleibt der Kampf um die Macht in Venezuela eine Angelegenheit der
Venezolaner. (…)
Was ist
der Grund der einseitigen Parteinahme der USA, Deutschlands und einiger
europäischer Staaten für Guaidó? Die Bekenntnisse zur Unterstützung der
Demokratie und zur Verbesserung der humanitären Situation erscheinen wie eine
Camouflage der eigenen Interessen. Venezuela gilt als das ölreichste Land der
Erde. Hier haben alle beteiligten Exkolonialmächte auf lange Sicht ein
Interesse an guten Beziehungen und an einem gefügigen Präsidenten.
Glücklicherweise
folgt Italien nicht der Linie der ehemaligen europäischen Kolonialmächte. Ein
Denkanstoß aus dem eigenen Lager.
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