Sonntag, 17. Februar 2019

Washingtons »humanitäre Maßnahmen«


Foto Lower class magazin
Die USA bereiten sich seit Jahren auf eine Militärintervention in Venezuela vor

Die seit Jahren verhängten Sanktionen gegen Venezuela sollen, wie es im Fall der Blockade gegen Kuba bereits 1960 in einem Memorandum der US-Regierung offen formuliert wurde, »Hunger, Elend und Verzweiflung« erzeugen. 

In Washingtons Planspielen erfordert die Not der Bevölkerung dann irgendwann »humanitäre Hilfsmaßnahmen«, die notfalls mit einer militärischen Intervention durchgesetzt werden und zum Sturz unbequemer Regierungen führen. In Jugoslawien, dem Irak und Libyen, wo die Einrichtung eines »humanitären Korridors« jeweils einem Krieg vorausging, war die Methode erfolgreich. In Lateinamerika wird sie deshalb seit Jahren geübt.

So fand in der Karibik zum Beispiel unter dem Oberbefehl des Südkommandos der US-Streitkräfte (»Southcom«) im Juni 2017 das multinationale Militärmanöver »Tradewinds 2017« statt. Mehr als 2.500 Soldaten aus 15 Staaten der Region sowie den NATO-Ländern Kanada, Frankreich, den Niederlanden und Großbritannien waren beteiligt. Nach Aussagen des damaligen Southcom-Befehlshabers Admiral Kurt W. Tidd bestand ein Ziel der Übung in der »Vorbereitung auf humanitäre Hilfseinsätze«. Ausgangspunkt des Manövers war der nur 30 Kilometer vor der venezolanischen Küste gelegene Marinehafen Chaguaramas auf der Karibikinsel Trinidad. Im April 2017 hatte Tidd erklärt: »Die wachsende humanitäre Krise in Venezuela könnte eine regionale Antwort erforderlich machen.«

Nur fünf Monate später wurde in dem »Tres Fronteras« genannten Dreiländereck zwischen Brasilien, Peru und Kolumbien das einwöchige Militärmanöver »Amazon Log 17« durchgeführt. Neben Truppen der drei Staaten waren – nach dem parlamentarischen Staatsstreich gegen die linke Präsidentin Dilma Rousseff – zum ersten Mal in der Geschichte auch die USA an einer Übung im Amazonasgebiet beteiligt. Auch dieses natürlich von Southcom überwachte Manöver diente offiziell vor allem dem Training »humanitärer Hilfsmaßnahmen«.

Anfang Januar 2018 berichtete das Strategische lateinamerikanische Zentrum für Geopolitik (Celag), dass 415 Angehörige der US-Luftwaffe zu einer Southcom-Übung mit dem Namen »Nuevos Horizontes« (Neue Horizonte) in Panamá eingetroffen waren. Ihr Auftrag seien der »Schutz« der Kanalzone sowie »humanitäre Einsätze«. Und das multinationale Großmanöver in Guatemala im April 2018? Wie der Name »Ejercicio Fuerzas Aliadas Humanitarias« (Übung der verbündeten humanitären Streitkräfte) bereits verrät, bestand eine Aufgabe der Southcom unterstellten Einheiten natürlich in der Koordinierung von »humanitären Interventionen«.




Ton wird schärfer

Foto: junge Welt
Russland und China stellen sich klar hinter venezolanische Regierung. Putschistenführer Guaidó eskaliert weiter

Der von Washington organisierte Putschversuch gegen die Regierung Venezuelas droht sich zu einem globalen Konflikt auszuweiten. Nachdem Kuba über einen Aufmarsch von US-Truppen in der Karibik berichtet hatte, warnten Russland, China und andere Länder die USA vor einer weiteren Eskalation. »Wir sind sehr besorgt darüber, dass einige Länder offenbar eine Militäraktion gegen Venezuela in Betracht ziehen«, erklärte der russische Botschafter bei den Vereinten Nationen, Wassili Nebensja, am Donnerstag. Er teile den Vorwurf des kubanischen Außenministers Bruno Rodríguez, dass die Vereinigten Staaten »humanitäre Hilfsmaßnahmen« lediglich als Vorwand nutzten, um von ihren Putschabsichten abzulenken und eine militärische Aggression gegen Venezuela zu rechtfertigen, sagte der Diplomat vor Journalisten in New York.

In Moskau wies die Sprecherin des Außenministeriums, Maria Sacharowa, darauf hin, dass der von den USA und den Putschisten geplante »humanitäre Korridor« eine gezielte Provokation sei, die Menschenleben kosten könne. Putschistenführer Juán Guaidó hatte wiederholt angekündigt, am 23. Februar »so oder so« die vor allem aus den USA stammenden »Hilfsgüter« vom kolumbianischen Grenzort Cúcuta nach Venezuela zu bringen. Dafür will er nach eigenen Angaben rund 150.000 »Freiwillige« mobilisieren.

Beobachter fürchten, dass der unter Erfolgsdruck stehende Guaidó es darauf anlegen könne, Zwischenfälle mit den Polizei- und Militäreinheiten zu provozieren, die die Staatsgrenzen schützen. Die seit gut einer Woche in der Region konzentrierten US-Spezialeinheiten könnten die gewünschten Bilder von gewalttätigen Auseinandersetzungen als Rechtfertigung für eine »humanitäre Intervention« nutzen. »Washington ist davon besessen, die legitime Regierung einer souveränen Nation zu stürzen und die Prinzipien des Völkerrechts zu missachten«, erklärte Maria Sacharowa am Donnerstag.

»Wir unterstützen Maduro und werden alle militärischen Verträge erfüllen«, betonte am selben Tag im Nachrichtensender Rossija 24 auch Juri Borissow, der für Verteidigung und internationale militärische Zusammenarbeit zuständige Vizeministerpräsident. Russland werde sich strikt an die Verteidigungsabkommen mit der Regierung von Nicolás Maduro halten, versicherte Borissow.

Auch Chinas Ton gegenüber Washington wurde schärfer. Beijing akzeptiere ausschließlich die »legitime Regierung Venezuelas«, unterstrich die Sprecherin des Außenministeriums, Hua Chunying, am Donnerstag. Von westlichen Medien gestreute Gerüchte, wonach sich chinesische Diplomaten in Washington mit Vertrauten des Putschistenführers Juán Guaidó getroffen hätten, um »über die chinesischen Investitionen in Venezuela« zu sprechen, wies Hua zurück. »Die Berichte sind falsch, das sind Fake News«, erklärte sie. Sie forderte die Korrespondenten aus dem Westen auf, »nach den Grundsätzen der Objektivität und Fairness« zu berichten. Die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua meldete derweil, dass in der venezolanischen Hafenstadt La Guaira 64 Container mit 933 Tonnen medizinischen Geräten und Medikamenten eingetroffen seien. Der größte Teil der Hilfslieferung komme aus China und Kuba, erklärte Gesundheitsminister Carlos Alvarado. Auch Russland, Palästina, die Türkei sowie weitere Länder hätten sich daran beteiligt.

Es gebe eine ganze Gruppe von Ländern, die die Souveränität Venezuelas, dessen Recht auf Selbstbestimmung und die Charta der Vereinten Nationen verteidigten, stellte der venezolanische Außenminister Jorge Arreaza dazu auf einer Pressekonferenz am Sitz der Weltorganisation in New York fest. Er beschuldigte Washington, eine »neue Art der psychologischen Kriegführung« zu betreiben. Eine Verletzung der Souveränität werde sein Land auf keinen Fall dulden, kündigte Arreaza an. »Wir werden jeden Millimeter des venezolanischen Territoriums auf dem Luft-, See- oder Landweg schützen«, versicherte er.

Für Oppositionspolitiker Juan Guaidó geht es mittlerweile um alles oder nichts. Präsident Nicolás Maduro kündigte am Mittwoch eine juristische Strafverfolgung der Putschisten an. »Juán Guaidó und seine Gefolgsleute werden früher oder später vor Gericht gestellt, weil sie dafür verantwortlich sind, einen Staatsstreich zu organisieren und an dem Versuch beteiligt waren, diesen auszuführen«, erklärte Maduro in einem Interview des libanesischen Nachrichtensenders Al-Majadin.

Während es für Guaidó eng wird, will US-Präsident Donald Trump seinem Schützling knapp eine Woche vor dem von diesem angekündigten Showdown zu Hilfe eilen. Der US-Präsident kündigte an, am Montag auf dem Campus der »Florida International University« (FIU) eine Rede zu halten, in der er seine Unterstützung für Guaidó bekräftigen und – nach Angaben des Weißen Hauses – den Sozialismus als »Plage« bezeichnen werde. Tatsächlich dürfte es Trump dabei weder um die Zukunft der Menschen noch um das Schicksal der Putschisten in Venezuela gehen, sondern vor allem um die Präsidentschaftswahl 2020. Der Verwaltungsbezirk Miami-Dade, in dem das Campusgelände liegt, ist die Hochburg der rechten Exilvenezolaner in den USA.




Kuba schlägt Alarm

US-Militärübung in der Dominikanischen Republik 2009, Foto: junge Welt
Havanna enthüllt Vorbereitungen der USA für Intervention in Venezuela. Truppen werden in Karibik zusammengezogen

Ein Krieg gegen Venezuela wird wahrscheinlicher. Die kubanische Regierung hat den USA in der Nacht zum Donnerstag (Ortszeit) vorgeworfen, ein »als humanitäre Mission getarntes militärisches Abenteuer« vorzubereiten. In einer offiziellen Erklärung ruft Havanna die »internationale Gemeinschaft« auf, alle Kräfte zu mobilisieren, um eine Intervention in Venezuela zu verhindern.

Nach Angaben Kubas wurde zwischen dem 6. und 10. Februar die Ankunft von US-Spezialeinheiten auf verschiedenen Flughäfen in der Region registriert. Unter anderem habe es Militärtransportflüge der USA zu einem Flughafen auf Puerto Rico, zum Luftwaffenstützpunkt San Isidro in der Dominikanischen Republik und auf »andere strategisch gelegene Karibikinseln« gegeben, heißt es in der Erklärung.

Die Transporte seien von US-Militärstützpunkten gestartet, von denen Truppen für Sondereinsätze und der Marineinfanterie operierten. Derartige Einheiten setzten die USA für »verdeckte Aktionen, darunter gegen Führer anderer Länder« ein, erklärte die Regierung in Havanna weiter. Die USA bereiteten ein »als humanitäre Intervention getarntes Militärabenteuer in Venezuela« vor, warnte auch Außenminister Bruno Rodríguez auf Twitter.

Zeitgleich bestätigte die US-Botschaft in Brasilien eine Visite von Craig Faller, Kommandeur des Südkommandos der US-Streitkräfte (Southcom), dem alle militärischen Operationen der USA in Lateinamerika unterstehen. Zwischen dem 10. und dem 13. Februar habe Faller sowohl mit dem Außen- und dem Verteidigungsminister als auch mit den Spitzen des brasilianischen Militärs über Maßnahmen zum Schutz »des Friedens in der Region und der Stabilität der westlichen Hemisphäre« beraten, heißt es in einer US-Mitteilung.

Am Donnerstag meldeten Aktivisten dann die Ankunft Fallers auf der nur 60 Kilometer von der venezolanischen Küste entfernten niederländischen Karibikinsel Curaçao. Über der dortigen Militärbasis, wo die größte Ansammlung westlicher Einheiten in der gesamten Karibik konzentriert ist, wehe statt der holländischen die US-Fahne.

Der Ring zieht sich offenbar zu. Am Mittwoch hatte sich bereits der kolumbianische Präsident Iván Duque in Washington mit US-Präsident Donald Trump über das weitere Vorgehen zum Sturz der Regierung in Caracas verständigt. Für die Strategie Washingtons nimmt Kolumbien eine Schlüsselrolle ein.

Im Juni 2018 hatte die Regierung in Bogotá eine »Vereinbarung zur Zusammenarbeit und Verteidigung« mit der NATO unterzeichnet. Als einziges Land in Lateinamerika wurde Kolumbien daraufhin im Juli 2018 der spezielle NATO-Status eines »Global Partner« zugesprochen. Damit sind – im Falle einer Invasion – auch die europäischen NATO-Staaten zumindest teilweise involviert.

Die aktuelle Situation in Lateinamerika erinnere an die von Washington organisierten Kriege in Jugoslawien, dem Irak und Libyen, die unter dem Vorwand, einen »humanitären Korridor« zum Schutz der Zivilbevölkerung einzurichten, begonnen worden seien, erklärte die kubanische Regierung. Das Ergebnis derartiger »Maßnahmen« seien unzählige Tote gewesen.

Angesichts der akuten Bedrohung ruft Kuba die Solidaritätsbewegungen auf, ihre Kräfte zu bündeln, »um eine militärische Aktion gegen Venezuela zu verhindern«. So finden am Samstag in Berlin und Hamburg jeweils um 14 Uhr Kundgebungen zur Unterstützung Venezuelas statt.

Alle Artikel von Volker Hermsdorf
Aus „junge Welt“ vom 15. & 16.02.2019

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