Donnerstag, 9. März 2017

Den Krieg im Innern proben

Foto: UZ
Polizei und Bundeswehr üben den gemeinsamen Kampf gegen Terroristen

Vom 7. bis zum 9. März fanden in sechs Städten der Bundesrepublik die Übung „Getex 2017“ von Polizei und Bundeswehr für den Fall eines Terroranschlags statt.

Laut Deutschem Bundeswehrverband nehmen daran Einheiten aus Bayern, Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und dem Saarland teil. Es geht also um den in den letzten Jahren im „Kampf gegen den internationalen Terrorismus“ immer wieder angekündigten Einsatz der Bundeswehr im Inneren im Falle einer Überforderung der Polizei.

In einem fingierten Spektakel werden in mehreren Städten gleichzeitig Anschläge verübt, die von Polizei und Militär gemeinsam bekämpft werden müssen. Eine Kampfeinheit mit dem Namen „Kata aib Saif Alnabi“ (Kampfeinheiten des Schwertes des Propheten) zündet in einem bayerischen Bahnhof eine Bombe, die 20 Menschen in den Tod reißt, während gleichzeitig in einer Bremer Schule eine weitere Bombe hochgeht und in der Nachbarschule eine Schießerei stattfindet. Noch eine Bombe detoniert im Terminal des Düsseldorfer Flughafens mit zahlreichen Opfern, auf dem Flugfeld taucht eine Flugabwehrrakete auf. Wiederum in Bayern wird ein Bus gekapert und dabei eine Geisel erschossen.

Wenngleich eine solche analog ablaufende Anschlagserie von Ursula von der Leyen als unwahrscheinlich, aber denkbar angesehen wird, stellt sich die Frage, was nun der konkrete Anlass dieser mit Innenminister de Maizière klandestin vereinbarten Übung ist. Diesen beiden Ministern zufolge gilt es, das hoheitliche Handeln der Bundeswehr bei Einsätzen im Landesinnern zu erproben.

Wie diese Übung konkret aussehen wird, verraten die Behörden der Öffentlichkeit nicht. Thomas Wiegold, Autor über Verteidigungs- und Sicherheitspolitik, erläutert in seinem Internet-Blog „Augen geradeaus!“ den „Befehl Nr. 1 zur Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung einer gemeinsamen Stabsrahmenübung“. Er stellt fest, dass schon bisher technische Amtshilfe der Bundeswehr für andere Behörden möglich war – vermutet aber, dass die Getex-Übung genutzt werden könnte, um zukünftig Soldaten für hoheitliche Aufgaben im Inland einsetzen zu können. Es bedarf auch, wie man hinzufügen kann, keines Panzer- und Hubschraubereinsatzes, einen Lastwagen daran zu hindern, auf einem Weihnachtsmarkt in eine Menschenmenge zu fahren, zumal wenn der potentielle Attentäter den Behörden bereits bestens bekannt ist.

Das Unternehmen sollte ursprünglich überhaupt geheim gehalten werden, wurde aber schließlich vom Deutschen Bundeswehrverband veröffentlicht, der einen Einsatz der Bundeswehr im Inneren als „Lückenfüller der Polizei“ selbst ablehnt.

Das „Getex“-Projekt wurde Mitte letzten Jahres in Bonn vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe entworfen und im November 2016 von der Bundesregierung beschlossen. Während in Nordrhein-Westfalen die Übung am Computer simuliert wird, muss damit gerechnet werden, dass sie in anderen Bundesländern reell vorgenommen wird, was einem Probeausnahmezustand gleichzusetzen wäre.

Ein konkreter Anlass für die Übung wird von den Verantwortlichen nicht genannt, die Idee wurde ein halbes Jahr vor dem Anschlag in Berlin entworfen. Die Übung wird, wenn sie auch außerhalb der Kommandozentralen und auf der Straße stattfindet, für den größten Teil der betroffenen Bevölkerung überraschend kommen und zu einer weiteren Hysterie gegenüber der muslimischen Bevölkerung führen und soll womöglich durch zunehmende Militärpräsenz Sicherheit vermitteln.

Die Militarisierung der Städte ist ein alarmierendes Zeichen, das zusammen mit der zunehmenden Aggression nach außen und der durch von der Leyen auf der NATO-Sicherheitskonferenz beschworenen Aufstockung der Rüstungsausgaben für die NATO auf 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ein einheitliches Bild abgibt.

Von Andreas Grimm


»Entgrenzte Sicherheitspolitik«

Foto: junge Welt
Durch gemeinsame Übungen von Polizei und Bundeswehr wird Einsatz des Militärs im Inland normalisiert. Gespräch mit Rolf Gössner*

In den vergangenen drei Tagen wurden sogenannte Stabsrahmenübungen von Polizei und Bundeswehr durchgeführt. Offiziell darf die Bundeswehr aber gar nicht im Innern eingesetzt werden. Warum und auf welcher Grundlage werden solche Einsätze dann geprobt?

Der Bundeswehr-Einsatz im Inland ist ja in Einzelfällen längst schon Realität und auch begrenzt zulässig – nicht nur im Spannungs- oder Notstandsfall nach den Notstandsgesetzen, sondern auch im Fall von Katastrophen und schweren Unglücken als technische oder logistische Amtshilfe zur Unterstützung der Polizei gemäß Artikel 35 Grundgesetz. Allerdings bislang ohne eigene hoheitlichen Befugnisse. Doch das soll sich ändern: Die Bundeswehr soll quasi zur nationalen Sicherheitsreserve im Inland ausgebaut werden, zur »Hilfspolizei« mit eigenen hoheitlichen Kompetenzen und militärischen Mitteln. So eben auch zur Abwehr von Terrorangriffen – einer klassischen Aufgabe der Polizei. Etwa im Fall von bundesweit gleichzeitig verübten Terroranschlägen und wenn die Polizei überfordert ist. Das ist das Szenario der gemeinsamen Getex-Übungen zur Bewältigung »terroristischer Großlagen«. Gestützt werden diese Übungen nicht zuletzt auf ein Bundesverfassungsgerichtsurteil, das den Militäreinsatz im Innern in »Ausnahmesituationen katastrophischen Ausmaßes« für grundgesetzkonform erklärte.

In der medialen Auseinandersetzung hat man in den vergangenen Tagen oft gehört, dass der Inlands­einsatz der Bundeswehr im Fall von schlimmen Terrorangriffen doch gerechtfertigt sei. Warum ist es so bedenklich, wenn die Grenze zwischen Polizei und Bundeswehr verwischt wird?

Längst gibt es eine fatale Tendenz, den Rechtsstaat im Namen von »Sicherheit« und »Terrorbekämpfung« radikal umzubauen und dabei die verfassungsrechtlichen Grenzen zwischen Militär und Polizei mehr und mehr zu schleifen. So soll die Anwendung des Ausnahmezustands als normal erscheinen. Das geht zu Lasten von Rechtsstaatlichkeit, wirksamer Machtbegrenzung und demokratischer Kontrolle – und damit auch zu Lasten der Rechtssicherheit im Lande. Diese Art entgrenzter »Sicherheitspolitik« produziert Unsicherheit und ist in hohem Maße geschichtsvergessen, weil sie unter Missachtung jener wichtigen Lehren aus der deutschen Geschichte vollzogen wird, wonach Polizei und Militär, ihre Aufgaben und Befugnisse, strikt zu trennen sind.

Durch solche Übungen wird doch auch die Angst vor »terroristischen Großlagen« geschürt. Ist es ein verschwörungstheoretischer Blickwinkel, hier Kalkül zu unterstellen, um den Einsatz der Bundeswehr im Innern auch in anderen Bereichen zu rechtfertigen?

Zumindest haben solche Manöver die Nebenwirkung, die Bevölkerung immer wieder in Angst zu halten und weich zu kochen. So lassen sich Antiterrormaßnahmen jedenfalls ohne großen Widerspruch durchsetzen. Angst ist das Schmieröl der Staatstyrannei – diese Erkenntnis verweist darauf, dass Verunsicherung und Angst als Herrschaftsinstrumente nutzbar sind. Die Umsetzung dieser Politik mit der Angst hat seit dem Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 eine fatale Aufrüstungsdynamik in Gang gesetzt, die Grund- und Freiheitsrechte beschränkt sowie Demokratie und Rechtsstaat beschädigt. Dabei gerät in Vergessenheit, dass es weder in einer hochtechnisierten Risikogesellschaft, in der wir ja leben, noch in einer offenen und liberalen Demokratie absoluten Schutz vor Gefahren und Gewalt geben kann.

Entwerten solche Übungen und Planspiele nicht die Arbeit der Polizei, und warum ist das problematisch?

»Innere Sicherheit«, Gefahrenabwehr, Kriminalitätsbekämpfung und Strafverfolgung sind – auch im Fall von Terroranschlägen – klassische Aufgaben der Polizei und nicht der Bundeswehr. Soldaten sind keine Hilfspolizisten und nicht für polizeiliche Aufgaben nach dem Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit ausgebildet, sondern zum Kriegführen und mit Kriegswaffen ausgerüstet. Und sie sind auch nicht dazu da, Personalmangel bei der Polizei auszugleichen, wie er in den Bundesländern zu verzeichnen ist. So ähnlich sieht es auch die Gewerkschaft der Polizei und fordert dementsprechend mehr Polizeikräfte.

* Rolf Gössner ist Rechtsanwalt, Publizist und Vorstandsmitglied der Internationalen Liga für Menschenrechte

Interview: Claudia Wrobel
aus „junge Welt“ vom 09.03.2017

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