Auch die Ausbreitung des Niedriglohnsektors
zeigt Wirkung
Deutschland
hat einen neuen Rekord aufgestellt, und diesen wird mit Sicherheit niemand bejubeln:
„In 2015 ist nicht nur die Wirtschaftskraft Deutschlands, sein Reichtum,
sondern auch seine Armut gestiegen“, stellt der Paritätische Wohlfahrtsverband
in seinem letzte Woche erschienen Armutsbericht fest. Die Armutsquote erreichte
demnach mit 15,7 Prozent einen neuen Höchststand seit der Wiedervereinigung,
was rechnerisch bedeute, „dass im Jahre 2015 rund 12,9 Mio. Menschen in
Deutschland unter der Einkommensarmutsgrenze lebten“.
Obwohl
die Bundesrepublik in den letzten zehn Jahren meist eine gute Wirtschaftsleistung
aufweisen konnte und 2015 sogar einen preisbereinigten Zuwachs des
Bruttoinlandsprodukts von 1,7 Prozent, schlug sich dies nicht in einem Abbau
der Armut nieder. „Vielmehr muss mit Blick auf die letzten zehn Jahre
konstatiert werden, dass wirtschaftlicher Erfolg offensichtlich keinen Einfluss
auf die Armutsentwicklung hat.“ Ganz im Gegenteil: Eine immer größer werdende
Zahl von Menschen wird vom zunehmenden gesellschaftlichen Reichtum abgekoppelt.
Zu diesem Befund passe, dass der Anstieg der Armutsquote mit einem weiteren
Rückgang der Arbeitslosenquote und der Hartz-IV-Quote einherging. Das sei ein
Beleg dafür, dass zunehmende Beschäftigtenzahlen allein nicht „eine weitere
Spaltung verhindern können“.
Betroffen
davon ist fast jeder zweite Alleinerziehende (43,8 Prozent), jede vierte
kinderreiche Familie (25,2 Prozent), zwei von drei Arbeitslosen (59 Prozent),
jeder dritte Mensch mit niedrigem Qualifikationsniveau (31,5 Prozent), jeder
dritte Ausländer (33,7 Prozent) oder jeder vierte Mensch mit
Migrationshintergrund (27,7 Prozent). Aber auch unter den Erwerbstätigen ist
die Armutsquote leicht angestiegen auf 7,8 Prozent. Besonders dramatisch wuchs
allerdings der Anteil armer Rentner (+49 Prozent).
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Hochkonjunktur an den Tafeln in Deutschland, Foto: UZ |
„Die Zahl
von rund sechs Millionen Bürgerinnen und Bürger, die von Altersarmut bedroht
sind, ist alarmierend und darf nicht mehr verharmlost werden“, forderte der
Präsident der Volkssolidarität, Wolfram Friedersdorff, bereits Anfang Februar
in einer Erklärung angesichts der damals gemeldeten Daten des Europäischen
Statistikamtes Eurostat. Friedersdorff kritisierte, dass die Bundesregierung
alles daran setze, die tatsächliche Situation in Deutschland kleinzureden –
nicht nur die Altersarmut, auch „die Ursachen dafür wie die zunehmende Spaltung
der Einkommen, die Ausbreitung des Niedriglohnsektors oder die massiven
Einschnitte im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung würden von der
Regierung vertuscht“.
Dass die
Bundesregierung tatsächlich versucht, das Problem der Armut im Land
kleinzureden, zeigt die Diskussion um den fünften Armuts- und Reichtumsbericht
der Bundesregierung, der in diesem Jahr vorgelegt werden soll. So ließ
vermutlich das Bundeskanzleramt kritische Passagen streichen, die darauf
hinwiesen, dass auch in Deutschland vor allem Politik für Reiche gemacht wird.
Gestützt
wurde diese Aussage von dem Forschungsbericht „Systematisch verzerrte
Entscheidungen? Die Responsivität der deutschen Politik von 1998 bis 2015“, der
im Auftrag des Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) erstellt wurde.
Wissenschaftler hatten 252 in DeutschlandTrend-Umfragen gestellte Sachfragen
beispielsweise zu „Konjunkturhilfen, Zuzahlungen bei Medikamenten, die Erhöhung
des gesetzlichen Renteneintrittsalters“ ausgewertet, und für Deutschland
ähnliches festgestellt, was für die USA lange bekannt ist: Wenn Arme und Reiche
Unterschiedliches wollen, folgt die Politik fast ausnahmslos den Reichen.
Von
Bernardo Grub
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