Ein
wesentlicher Bestandteil des Klassenbewusstseins ist die Erkenntnis der
Gemeinsamkeit der Interessen innerhalb der Klasse.
Diese Erkenntnis ist der
erste Schritt, um aus einer Klasse an sich zur Klasse für sich zu werden. Von
diesem Zustand sind wir weit entfernt.
Die
allgemeine Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt, aber auch viele vom Klassengegner
bewusst genutzte „Spaltpilze” unter den Beschäftigten selbst, sorgen für eine
weitgehende Entsolidarisierung.
Auch innerhalb der Gewerkschaften stehen
Standort- und Betriebsinteressen oft über der Durchsetzung von
Klasseninteressen.
Dies liegt nicht zuletzt an der Dominanz der Betriebsräte
innerhalb der Gewerkschaftsstrukturen.
Der Entwicklung
von Solidarität und Klassenbewusstsein stehen auf allen Ebenen viele
Hindernisse entgegen. Die Spaltung hat sich tief im Bewusstsein der Werktätigen
verankert. Um dies aufzubrechen, müssen wir im ersten Schritt verstehen, mit
welchen Einstellungen wir es zu tun haben.
Nation & Standort Deutschland:
Auf einer
Mitgliederversammlung der IG Metall in meinem Betrieb feiert sich der BR für
den Erhalt eines deutschen Werks. Erkauft wurde dieser Erhalt mit einem
Schichtmodell, das den Samstag als Regelarbeitstag beinhaltet. Die
Argumentation: „Wenn wir das nicht so vereinbaren, können wir die Arbeitszeit
bald auf null verkürzen. Denn in Polen sind Wochenenden egal; die arbeiten auch
an Sonntagen. Da müssen wir mithalten.“ „Die Polen“ seien also unsere Gegner
und „wir Deutschen“ im Vergleich mit ihnen zu teuer. Für den Redebeitrag gab es
Standing Ovations auf der Mitgliederversammlung. Wohin die Logik dieses
„Unterbietungswettbewerbs“ führt und wer der Nutznießer ist, dazu wurde nichts
gesagt.
Branche:
Häufig
identifizieren sich Kolleginnen und Kollegen mit ihrer Branche bzw.
Beschäftigtengruppe. Diese Identifikation geht oft mit einem Nicht-Interesse
für die Auseinandersetzungen in anderen Bereichen einher oder führt zu einer
bewussten Abgrenzung. Bezeichnend sind hier z.B. Äußerungen aus dem ansonsten
beispielgebenden Streik der Sozial- und Erziehungsdienste: „Wir kämpfen für
etwas Wichtiges, unsere Arbeit ist besonders. Unsere Streiks sind deshalb nicht
zu vergleichen mit Lohnkämpfen in der Industrie. Uns geht es nicht bloß um mehr
Geld, wir wollen Anerkennung.“ Die Abgrenzung geht soweit, dass man über
streikende Kollegen anderer Bereiche schimpft und sich beschwert, dass sie den
Hals nicht vollkriegen. So während der Warnstreiks im öffentlichen Dienst oder
bei Streiks im Bahn- und Flugverkehr. Diese Haltung ist verbreitet insbesondere
in Bereichen mit geringem Organisationsgrad und schlechten Arbeitsbedingungen:
„Denen geht es eh schon besser als mir, jetzt sollen sie mir nicht mit ihrer
Gier das Leben schwer machen“.
Betrieb:
Auch die
Konkurrenz zwischen den Kapitalisten wirkt sich eins zu eins auf die
Arbeiterklasse aus. Als Beschäftigter ist man in gewissem Maße vom Erfolg des
eigenen Kapitalisten im Wettbewerb abhängig und steht damit in Konkurrenz zur
Belegschaft anderer Unternehmen. Der Erhalt des eigenen Arbeitsplatzes hat
höchste Priorität und wird im Zweifelsfall gegen die Kollegen in anderen
Betrieben durchgesetzt. Die Folge sind Zustimmungen zu Sonderregelungen und
Zugeständnisse für die Erhaltung eines Betriebs, oft in Abweichung zum
Flächentarifvertrag. In einer Diskussion mit IG Metall-KollegInnen zum Thema
„Mobiles Arbeiten“ und den damit verbundenen Risiken zur Entgrenzung der Arbeit
sagt eine Kollegin: „Ich arbeite nun mal in diesem Betrieb und möchte daher
auch, dass das Unternehmen erfolgreich ist. Wenn es dafür nötig ist, bestimmte
Arbeiten am Wochenende fertig zu stellen, dann bin ich dazu bereit. Oberstes
Ziel ist der Erhalt des Arbeitsplatzes.“ Sie ist also bereit, Mehrarbeit zu leisten
bzw. weitere Einschnitte in ihr Privatleben in Kauf zu nehmen, um die
Wettbewerbsfähigkeit „ihres“ Unternehmens zu sichern. Damit setzt sie – bewusst
oder unbewusst – Kollegen in derselben Lage in anderen Betrieben unter Druck,
sich einer Abwärtsspirale der Arbeitsbedingungen anzuschließen.
Beschäftigungsverhältnis:
Die
fatalste Spaltungslinie, wenn es um die Streikfähigkeit eines Betriebes geht,
ist jene, die sich durch die Belegschaft selbst zieht. Hier wird die
Stammbelegschaft gegen die Leiharbeiter oder Werkverträgler ausgespielt.
Gemeinsame Interessen und Kämpfe werden allein schon durch die formale
Betriebszugehörigkeit erschwert. Aber auch im Bewusstsein einiger Kollegen und
ihrer BR-Vertreter finden sich Auffassungen, wonach Leiharbeit gut sei, weil
sie als „Flexibilitätspuffer” die Stammbelegschaft vor Entlassungen schütze.
Von Kollegen höre ich oft Aussagen, dass nicht jeder ein festes
Beschäftigungsverhältnis „verdiene” — der Kollege xy sei nicht gut genug dafür
bzw. strenge sich nicht ausreichend an und sollte daher in Leiharbeit bleiben.
Ein „festes“ Beschäftigungsverhältnis müsse man sich also erst verdienen. Neben
der Erschwerung gemeinsamer Kämpfe und dem potentiellen Einsatz von
Leiharbeitern als direkte Streikbrecher, verschärft die Duldung von Leiharbeit
im eigenen Unternehmen auch unmittelbar den Leistungsdruck auf die
Festangestellten, erhöht die Unsicherheit und macht erpressbar.
Arbeiter vs. Angestellte:
Auch wenn
diese Trennung offiziell nicht mehr existiert (mit der Einführung von ERA und
dem TVöD wurden einheitliche Entgeltgruppen geschaffen), ist die Spaltung
zwischen „Kopf- und Handarbeiter” real und im Bewusstsein vieler KollegInnen
weiterhin vorhanden. Ein grundlegendes Misstrauen gegenüber den „Hemdträgern”
hat reale Grundlagen (höhere Bezahlung, mehr Verantwortung und Kontrolle), wird
aber mit wachsendem Anteil von Angestellten zu einem zunehmenden Problem für
die Kampffähigkeit einer Belegschaft. So wurde der viel diskutierte Streik beim
Verpackungshersteller Neupack in Hamburg unter anderem deswegen verloren, weil
es nicht gelungen war, die Angestellten in die Streikfront mit einzureihen. Sie
wurden in der Auseinandersetzung zu Verbündeten des Kapitalisten und zu
Streikbrechern. Viele auch gewerkschaftlich organisierte Arbeiter sehen die
Angestellten als Gegner oder Schmarotzer: Es wird als ungerecht empfunden, dass
die gut organisierten „Werker“ für die Hemdträger in Tarifauseinandersetzungen
die „Kohlen aus dem Feuer holen” und gleichzeitig am wenigsten von einer
prozentualen Tariferhöhung haben. Andersherum sind viele Angestellte weiterhin
der Auffassung, dass sie so wichtig sind für das Unternehmen, dass sie keine
kollektive Interessenvertretung benötigen, sondern ihre Interessen besser
individuell durchsetzen können.
Alter:
Die
Spaltung zwischen jung und alt hat ganz konkrete betriebliche und
gewerkschaftliche Ausdrucksformen. Verhandlungen zu betrieblichen
Umstrukturierungen oder Ausgliederungen enden oft in neuen Tarifverträgen, die
niedrigere Einstiegsgehälter beinhalten bei gleichzeitiger
„Besitzstandswahrung“ für die aktuell Beschäftigten. Gewerkschaftliche
Errungenschaften werden aufgegeben und unterschiedliche Lohnniveaus im selben
Betrieb akzeptiert. Darin drückt sich ein Verständnis von Gewerkschaftsarbeit
aus, das die unmittelbaren Interessen der derzeitigen Mitglieder
berücksichtigt, aber keine langfristigen Klasseninteressen. Das verschlechtert
auf lange Sicht die Kampffähigkeit der gesamten Belegschaft.
Geschlecht:
Uns allen
sind die Zahlen zur ungleichen Bezahlung von Frauen und Männern bekannt. Wir
wissen, dass Frauen seltener in Leitungspositionen anzutreffen sind als Männer,
dass sie bei Einstellung und Beförderung diskriminiert werden. In diesen Zahlen
drückt sich eine Spaltung aus, die bis tief ins Bewusstsein der Arbeiterklasse
wirkt. Als ich einem Kollegen gegenüber darüber klagte, dass es schwer bis
unmöglich sei, in Vollzeit zu arbeiten und gleichzeitig ein Kind groß zu
ziehen, sagte er, dass er Teilzeit arbeiten würde, wenn er eine Frau wäre. Anstatt
gemeinsam um bessere Arbeitsbedingungen und eine kürzere Vollzeit zu kämpfen,
die eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie für alle möglich machen würde,
wird akzeptiert, dass individuelle Lösungen gesucht werden, die in der
Konsequenz eine schlechtere Bezahlung und prekäre Beschäftigung bedeuten.
Frauen werden also mit „ihren Problemen“ alleine gelassen.
Ethnie/Nationalität:
Diese
Spaltungslinie hat nach meiner bisherigen Erfahrung in einem Großbetrieb eine
geringere betriebliche, aber umso größere gesellschaftspolitische Bedeutung.
Migranten werden zum Schleifen gewerkschaftlicher Errungenschaften und direkt
als billige Arbeitskräfte missbraucht. Angriffe auf die Rechte von Migranten
werden nicht als Angriffe auf die gesamte Klasse begriffen und von ihr
entsprechend bekämpft. Auch sie werden von der Klasse und ihren Organisationen
mit „ihren Problemen“ weitgehend alleine gelassen. Schlimmer noch, teilweise
werden die Angriffe sogar befürwortet, weil sie als Schutz des Lebensstandards
und der Rechte der Einheimischen ausgegeben werden. Dadurch kann Rassismus als
Spaltpilz verheerende desorientierende Wirkung entwickeln.
Individualisierung der Interessenvertretung
Das
Ergebnis all dieser Spaltungslinien ist eine fragmentierte Klasse. Wenn Kämpfe
geführt werden, finden sie isoliert statt und sind damit oft zum Scheitern
verurteilt. Mutlosigkeit angesichts der Übermacht des Kapitals oder eine starke
Individualisierung, d.h. das völlige Negieren des Vorhandenseins gemeinsamer
Interessen und der Sinnhaftigkeit kollektiven Handelns, sind die Folge.
Auch die
Gewerkschaften setzen dem nur selten etwas entgegen. Wie stark die
Individualisierung bereits verankert ist, zeigt sich beispielsweise in der
aktuellen Kampagne der IG Metall zum Thema Arbeitszeit. Unter dem Motto „Mein
Leben. Meine Zeit“ geht es vorrangig um die Möglichkeit, die Arbeitszeit
flexibel und individuell anpassen zu können, um beispielsweise Familie und
Beruf unter einen Hut bringen zu können. Da es so viele unterschiedliche
Vorstellungen von der persönlichen Arbeitszeitgestaltung gäbe (es soll auch
Menschen geben, die gerne 40 Stunden und mehr arbeiten wollen), verzichtet die
IG Metall komplett auf zentrale gemeinsame Forderungen.
Diese
Individualisierungstendenzen sind das Beste, was den Unternehmen passieren
kann. Jeder Einzelne, der mehr als die kollektiv vereinbarte Arbeitszeit oder
für weniger Lohn arbeitet, fällt damit dem Rest seiner Klasse in den Rücken.
Wenn es keine kollektiven Haltelinien mehr gibt, ist der Einzelne den
Anforderungen des Unternehmens hilflos ausgeliefert. Jede Öffnungsklausel
kollektiver Vereinbarungen führt zum Aufweichen von erreichten Standards und
letztlich zu deren Abschaffung. Die Kapitalisten haben ein leichtes Spiel, wenn
sie uns auf all diesen Ebenen auseinanderdividieren können.
Spaltung überwinden & Klassenbewusstsein
entwickeln
Als
Kommunistinnen und Kommunisten im Betrieb und in der Gewerkschaft sind wir
täglich mit diesen Spaltpilzen konfrontiert und müssen oftmals individuell
Antworten darauf finden, wie wir in unserer täglichen Praxis zur Einheit der
Klasse beitragen können. Im Folgenden möchte ich zumindest ein paar Beispiele
für Handlungsmöglichkeiten in der täglichen gewerkschaftlichen und
betrieblichen Praxis benennen, die exemplarisch eine Orientierung geben können:
·
Fachbereichs-
und Gewerkschaftsübergreifende Arbeitskampfplanung: Um die Gemeinsamkeit der
Interessen über Branchen- und Gewerkschaftsgrenzen hinweg zu erkennen, braucht
es gemeinsame Kampferfahrungen. Ein erster Schritt wäre eine Koordination der
Aktionen bei zeitgleichen Tarifauseinandersetzungen, Solidaritätsbesuche in
anderen Betrieben oder Berichte von Arbeitskämpfen in anderen Bereichen auf
Betriebsversammlungen. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass Tarifverhandlungen
zeitlich abgestimmt werden, um gemeinsame Aktionen dieser Art zu ermöglichen.
·
Kampf
um den Erhalt des Flächentarifs als Mittel und Ausdruck der branchenweiten
Solidarität: Flächentarifverträge sind die letzten Bastionen gegen die Spaltung
nach Betrieb. Aktuellen Tendenzen zu Öffnungsklauseln oder von der
wirtschaftlichen Lage des Unternehmens abhängigen Entgeltbestandteilen müssen
wir entschieden entgegentreten. Jede weitere Verbetrieblichung der
Tarifverträge schwächt die Durchsetzungsmacht der Gewerkschaften. Dabei gilt
es, Tarifflucht von beiden Seiten zu bekämpfen: wir müssen sowohl der
„klassischen“ Tarifflucht von Kapitalisten durch Auslagerungen oder Austritt
aus den Arbeitgeberverbänden als auch der Tendenz zu Haustarifverträgen in
großen Industriebetrieben entgegentreten.
·
Solidarität
im Betrieb zwischen verschiedenen Abteilungen, Angestellten, Arbeitern,
Leiharbeitern und Werkverträglern entwickeln: Der Schlüssel zur Entwicklung von
betrieblicher Solidarität ist eine aktive und politische Vertrauensleutearbeit.
VL-Strukturen müssen abteilungsübergreifend organisiert sein und Bewusstsein
über Arbeitsbedingungen und Probleme des jeweils anderen herstellen. Ein
wichtiges Mittel hierfür sind Betriebszeitungen, die zur Entwicklung einer
kritischen Öffentlichkeit im Betrieb beitragen.
·
Kampf
um „Insourcing“ und gegen Fremdvergabe: Jede weitere Spaltung der Belegschaft
durch Fremdvergabe oder den Einsatz von Leiharbeit muss bekämpft werden. Durch
Auslagerung werden schlagartig über Jahre erkämpfte Arbeitsbedingungen zunichte
gemacht und die Belegschaft, die hierfür gemeinsam gestritten hatte, aufgelöst.
Auch hier ist ein erster Schritt das Bekanntmachen entsprechender Pläne des
Unternehmens. Das restriktive deutsche Arbeitsrecht macht Kämpfe um diese Frage
schwer, aber auch unterhalb der Schwelle eines Streiks gibt es viele
Aktionsmöglichkeiten („Dienst nach Vorschrift”, Blockieren von Überstunden
durch den BR, Informationsveranstaltung des BR etc.). Diese Frage macht nicht
zuletzt deutlich, wie wichtig der Kampf um ein Streikrecht ist, das diesen
Namen verdient. Beispielhaft sind die spontanen Arbeitsniederlegungen tausender
Bremer Daimler Kollegen im November 2014 gegen die Auslagerung der Logistik an
eine Billigfirma.
Es ist
klar, dass das Problem an dieser Stelle nicht erschöpfend diskutiert werden
kann. Die Analyse der vielfältigen Spaltungsebenen und die genannten
Ansatzpunkte zur Überwindung der Spaltpilze kann lediglich als eine Anregung
für die weitere Diskussion dienen. Denn: Jeder von uns hat Ansätze und Ideen
aus der eigenen betrieblichen und gewerkschaftlichen Arbeit. Wir müssen stärker
darin werden, diese Erfahrungen auszutauschen und miteinander zu lernen. Denn:
Die Herausforderungen zu strukturieren und zu verallgemeinern ist notwendig, um
gemeinsam Antworten und Handlungsansätze zu finden, wie wir als Kommunisten
unserer Aufgabe in Betrieb und Gewerkschaft gerecht werden können:
Klassenbewusstsein schaffen und unsere Verankerung in der Arbeiterklasse erhöhen.
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