Dienstag, 21. Februar 2017

Genosse der »Gosse«

Fotomontage junge Welt
Martin Schulz will SPD aus dem Tief holen, ohne das Kapital anzugreifen. Agenda 2010 soll leicht »korrigiert« werden

Martin Schulz, designierter Kanzlerkandidat der SPD, nutzte den Montagvormittag, um die Lohnabhängigen einzuseifen. In Bielefeld veranstalteten die Sozialdemokraten eine »Arbeitnehmerkonferenz«.

Im Wahlkampfmodus fiel dem bekennenden »Agenda-2010«-Sympathisanten ein, dass soziale Reformen notwendig seien. Die Bezugsdauer für das Arbeitslosengeld I solle verlängert werden, sagte Schulz dem Boulevardblatt Bild. 

Es war der Genosse der Bosse, Gerhard Schröder, der 2003 Hartz IV auf den Weg gebracht hatte. Schulz ist der Genosse der Gosse, in welche die Partei durch die Agenda 2010 geraten ist. Diese sei »die richtige Antwort auf eine Phase der Stagnation« gewesen, hatte er Anfang Februar erklärt. Am Montag verkündete er mit pastoralem Singsang: »Fehler zu machen ist nicht ehrenrührig. Wichtig ist: Wenn Fehler erkannt werden, müssen sie korrigiert werden.«

Die Verringerung von befristeten Arbeitsverhältnissen schreibt sich Schulz auf die Wunschliste. »Darum werden wir die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen abschaffen, wenn ich nach dem 24. September Bundeskanzler bin.« Wenn jahrzehntelange Beschäftigung nicht zu einer Absicherung im Alter oberhalb der Sozialhilfe reiche, sei die Legitimation der Rentenversicherung in Frage gestellt. »Wir werden deshalb das Rentenniveau stabilisieren«, sprach er. Stellt sich die Frage, auf welchem Niveau? Die SPD wolle eine »angemessene Absicherung«. Weiter wird die Peitsche über den Erwerbslosen geschwungen: »Jeder muss die Möglichkeit bekommen, aus eigener Kraft den Gang zum Jobcenter zu verhindern.« Es gehe um den Respekt vor der Lebensleistung eines Menschen. Zuletzt hielt Schulz seine schützende Hand über kämpferische Gewerkschafter: Beschäftigte, die Betriebsratswahlen organisieren, sollen vor dem Rausschmiss bewahrt werden.

Doch das sozialistische Eiland in Bielefeld wurde zerrüttet, denn auf der Konferenz tauchten Arbeiter aus dem Niedriglohnsektor auf. Zeitungszusteller der Neuen Westfälischen Zeitung, die zu 100 Prozent der SPD-Medienholding Deutsche Druck und Verlagsgesellschaft gehört, protestierten gegen die Armutspolitik der Partei. Sie würden wegen der geltenden Ausnahmen beim gesetzlichen Mindestlohn mit 7,23 Euro pro Stunde abgespeist. Die ver.di-Mitglieder demonstrierten vor der Veranstaltung. Sprüche wie »Malochen wie ein Pferd, bezahlt werden wie ein Pony!« waren zu lesen. Betriebsrat Hans-Dietmar Hölscher sagte gegenüber jW, was die SPD betreibe, sei »Beschiss im Quadrat«. Schulz habe erklärt, »mehr soziale Gerechtigkeit zu wagen«. In einer Mitteilung erklärten die Gewerkschafter: »Er und die SPD könnten hier und heute in Bielefeld im eigenen Unternehmen damit beginnen.« Ein Tarifvertrag wäre ein Anfang. Seit zwölf Jahren arbeite Hölscher im Betrieb und habe erst einmal eine Lohnerhöhung bekommen. (…)

Ein Bonmot hob sich Schulz bis zum Schluss auf: »Dass ich die SPD glücklich mache, das macht mich glücklich.« Genug Schaum geschlagen – rasieren, bitte!

Von Simon Zeise
aus junge Welt vom 21.02.2017

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