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Foto: junge Welt |
Proteste gegen Trump und Co.
Als
Linker kommt man sich dieser Tage fehl am Platz vor. Wenn in Washington Angela
Davis neben John Kerry gegen Donald Trump demonstriert, ist das schwer
auszuhalten. Ebenso könnte es als Dschungelprüfung durchgehen, wenn Linke in
Koblenz gegen das Treffen der europäischen »Rechtspopulisten« protestieren –
und sich in einer Reihe mit Sigmar Gabriel und Luxemburgs Außenminister Jean
Asselborn wiederfinden.
Manche
ziehen daraus die Schlussfolgerung, dass der Gegner nicht mehr die Rechten
sind. Weil Hillary Clinton eine üble Kriegstreiberin ist, müsse man Trump gut
finden. Weil der SPD-Chef verlogen ist, habe die AfD doch irgendwie recht. Weil
die EU ein geschäftsführender Ausschuss der Großkonzerne ist, müsse man auf Le
Pen hoffen. Das ist dasselbe wie aus der Toilette zu löffeln, weil der Eintopf
nicht schmeckt.
Das
transatlantische imperialistische System ist in der Krise. Global gewinnen neue
Akteure an Einfluss, etwa Russland in Europa oder China in der Pazifikregion.
Zugleich gelingt es der herrschenden Klasse in Nordamerika und Westeuropa immer
weniger, überall die Kontrolle zu behalten. Doch die eigentlichen Gründe für
diese Krise werden übertüncht. Kriege, Neoliberalismus und Ausbeutung werden
nicht in Frage gestellt. Die Umweltzerstörung wird beklagt, doch diskutiert
wird über kosmetische Scheinlösungen, durch die das Wirtschaften der Konzerne
nicht angetastet wird.
Gleichzeitig
läuft hinter und zunehmend vor den Kulissen ein Kampf innerhalb der
herrschenden Klasse, wie man die eigene Macht wieder stabilisieren kann. Soll
man sich weiter »modern« geben – oder will man »zurück« bis mindestens in die
50er Jahre? Beiden Seiten kommt es durchaus gelegen, wenn nur darüber gestritten
wird, warum in Trumps Kabinett kein »Latino« sitzt oder ob ein Jugendlicher in
der DDR den falschen Karriereweg eingeschlagen hat. Hauptsache, niemand stellt
die ans Eingemachte gehenden Fragen. Denn beantworten könnte die weder die
»moderne« noch die »reaktionäre« Rechte.
Von André
Scheer
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Madame Tussauds Trump, Foto: junge Welt |
Würstchen im Lakaienzimmer
Was bedeutet Donald Trump? Er macht die
Schweinereien selbst. Zwei kleine Bücher begrüßen den neuen US-Präsidenten
Marx
bemerkt im »Achtzehnten Brumaire des Louis Bonaparte«, dass sich die Geschichte
sozusagen zweimal ereignet, einmal als Tragödie und einmal als Farce. Mittlerweile
gibt es noch einen dritten Auftritt: als Schauerroman. In dieser Form der
Geschichte spielt ein Untoter die Hauptrolle: Donald Trump, nun als 45.
Präsident der Hauptmacht des weltumspannenden Kapitals.
Nahezu
alles kann der Figur Trump zugeschrieben werden. Er ist nichts Halbes und
nichts Ganzes, Symptom und Verfall des staatsmonopolistischen Kapitalismus in
seiner spätimperialistischen Phase, alles und nichts zugleich und für dieses
»Alles« auch noch die hervorragende Projektionsfläche. Sämtliche erträumten
Sehnsüchte der Zukurzgekommenen wie der Selbstherrlichen gehen in ihn ein – und
heraus kommt die einzige Enttäuschung, von der man freilich auch vorher schon
hätte wissen können, nämlich dass im Kapitalismus Ausbeutung herrscht und die
Kapitalbesitzer einen radikalisierten Klassenkampf von oben führen, der von
unten mit Befriedungsgesten beantwortet wird.
Nun ist
es in der gut zweihundertjährigen Geschichte des modernen Kapitalismus nichts
Neues, wenn das politische Personal mit seinen Handlangern jeder Beschreibung
spottet. Marx hatte für den sogenannten Volkskaiser Napoleon III. zwischen 1852
und 1870 nur die Bezeichnung »Würstchen« übrig, während Lenin im Sommer 1919
über die bürgerlichen Politiker und Publizisten mit sozialdemokratischer Fassade
bemerkte, sie säßen mit Zylinder und weißen Handschuhen im Lakaienzimmer der
Bourgeoisie und posaunten von dort aus ihre Vertröstungen Richtung
Arbeiterklasse. Von politischer »Klasse« reden zu wollen wäre heute angesichts
des regierenden Stumpfsinns in Europa und der westlichen Welt wohl eine
endgültige Entweihung des Begriffs der Einzigartigkeit. Donald Trump, Spitze
des Eisbergs und titanische Untiefe, dürfte daher so etwas wie der Ahnherr des
Lakaientums sein, der von sich selber behauptet, ihm stünden Lakaien
haufenweise zu, und sein Zimmer sei immerhin ein Turm.
Es ist
sicher richtig, Trump als veritables Arschloch zu betrachten, wie es Aaron
James in seiner amüsanten »Assholes«-Theorie getan hat. Danach ist Donald Trump
der Prototyp eines Arschloches, da er sich erstens in den zwischenmenschlichen
Beziehungen systematische Freiheiten herausnimmt, die unter normalen Umständen
reguläre Sanktionen hervorrufen, weil er zweitens von einem tief verwurzelten
und falsch verstandenen Vorrechtsempfinden motiviert wird, wonach ihm angeblich
diese Freiheiten zustehen, und er drittens unempfänglich für die Einwände
anderer Menschen ist. Für eine Regierungsführung bedeutet dies erstens, dass
der von Trump schon verkündete Isolationismus die einzig mögliche Politikvariante
darstellt, dass zweitens die America-first-Ideologie deren einzig mögliche
Grundlage ist und dass drittens alle anderen Staaten der Erde die
Beratungsresistenz der zukünftigen US-Politik in ihre Berechnungen mit
einpreisen müssen.
Richtig
dürfte auch die Beobachtung von Georg Seeßlen sein, dass Trump ein wandelnder
Widerspruch ist. Analog zur Schizophrenie als Basis des bürgerlichen Denkens,
das eine vielleicht zu wollen, aber das andere zu tun, wächst Trump in eine
Elite hinein, die er durchaus hasst und die ihn hasst, deren Regeln er aber
genau kennt, zugleich befolgt und persifliert, um schließlich bei alledem
vulgär genug zu bleiben, um »dem Volk« zu dienen: »Er macht die Schweinereien
selbst.«
Daher
kann es auch sein, dass der US-Präsident Donald Trump ohne aktives politisches
Handeln die Unterminierung der repräsentativen Demokratie innerhalb der
formaldemokratischen Apparate institutionalisiert. Auf diese Weise könnte er
dazu beitragen, Rechtsstaatlichkeit und Humanismus unter kapitalistischer Ägide
im Auge des Taifuns als Scheinwirklichkeiten des demokratischen
Selbstverständnisses zu entlarven. Freilich würde dieser Effekt seine Dynamik
kaum auf emanzipatorische Weise entfalten, denn nichts ist heikler und
regressiver als die unorganisierte Aufstandsbewegung aus reiner Empörung gegen
den »Verrat« des selbsternannten Volkstribuns. Die Gestalt Trump wirkt wie die
grobe Karikatur eines Kapitalisten, vor dem nur eindringlich gewarnt werden
kann, also als Anschauungsunterricht und Lektürebild aus der »Geschichte der
KPdSU (B) – kurzer Lehrgang«, dem »Lehrbuch für Politische Ökonomie« oder den
Lehrmaterialien für Staatsbürgerkunde Klasse 9 an polytechnischen Oberschulen
der DDR. Es empfiehlt sich, das einmal Gelernte und Erkannte nicht zu vergessen,
denn dort, wo dem alten Schlagwort »Wissen ist Macht« inzwischen die Kraft des
Nichtwissens entgegensteht bzw. der Scheiterhaufen der Wissensvernichtung
leuchtet, ist die aktive Erinnerung daran erforderlich, was wann aus welchem
Grund schon einmal bekannt war.
Gegenwärtig
wird wieder offenbar, wie recht die Linie Hegel–Marx–Lenin–Ulbricht damit
hatte, als sie gegenüber dem peinlichen Geraune einer ratlosen Öffentlichkeit
auf Weltgeist, Vernunftstaat und revolutionäre Kaderpolitik setzte. Da die US-amerikanische
Tradition nur das selten angewandte Amtsenthebungsverfahren oder das Attentat
als Verhinderungsmodus vorsieht, sollte man sich auf eine Trump-Ära einstellen.
Letztlich ist Donald Trump die Quintessenz des zeitgemäßen bürgerlichen
Bewusstseins, ohne Ziel und Plan die Theorie des staatsmonopolistischen
Kapitalismus in die Praxis umzusetzen. Er bedeutet geistige Leere und volle
Gefahr.
Bücher zum Thema:
·
Aaron
James: Assholes. Zum Beispiel Donald Trump. Goldmann, München 2016, 128 Seiten,
acht Euro.
·
Georg
Seeßlen: Trump! Populismus als Politik. Bertz und Fischer, Berlin 2017, 144
Seiten, 7,90 Euro
Von
Detlef Kannapin
aus „junge Welt“ vom 20.01.2017 / Feuilleton
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