Freitag, 24. Juni 2016

Stimmen zum Brexit

1. Das andere „Nein“ zur EU – DKP begrüßt Brexit-Entscheidung
Pressemitteilung des DKP-Parteivorstandes, 24. Juni 2016

Nachdem Angela Merkel am Freitagmittag ihre Stellungnahme zum Brexit abgegeben hatte, sagte der DKP-Vorsitzende Patrik Köbele:
„Angela Merkel ist enttäuscht. In ihrer Stellungnahme zum Brexit-Referendum am Freitagmittag verkündete sie, man solle dafür sorgen, dass die Bürgerinnen und Bürger konkret spüren können, wie sehr die Europäische Union dazu beiträgt, ihr persönliches Leben zu verbessern.‘

Die arbeitenden Menschen in Europa spüren konkret, wie das imperialistische Staatenbündnis EU dazu beiträgt, ihr Leben zu verschlechtern. Spardiktat und Abschottung, Demokratieabbau und Kriegspolitik: Die EU ist ein Werkzeug der Banken und Konzerne. Deshalb begrüßt die DKP die Entscheidung der britischen Wähler, die EU zu verlassen.

Dabei sehen wir natürlich auch die rechten Kräfte im Brexit-Lager. Sie haben die sozialen Probleme benutzt, um Angst vor Flüchtlingen zu schüren. Diese Kräfte sind und bleiben unsere Gegner.

Wir sind mit dem anderen Nein verbunden: Dem Kampf für einen linken EU-Austritt, dem ,Nein‘ zur EU als ,Ja‘ zur internationalen Solidarität, dem ,Leave‘-Votum, das eine soziale Politik fordert. Dieses andere ,Nein‘ zur EU zeigt eine Alternative zur asozialen Politik der EU und zur rassistischen Hetze der Rechten.“


2. Übernommen vom Blog Wurfbude:
#Brexit und die Aktualität Lenins
24. Juni 2016 von xyz

Die Mehrheit der Abstimmenden des UK hat beschlossen, die EU verlassen zu wollen. Es kommt zum weithin gefürchteten Brexit. Wie sieht eine linke Position dazu aus?

#Brexit war zweifellos kein linkes Projekt. Von UKIP bis Boris Johnson: die entscheidenden und populärsten player für Brexit standen rechts, argumentierten erkennbar nationalistisch, islamfeindlich, kulturalistisch und rassistisch. Die Frage der Mitgliedschaft zur EU hat in Großbritannien immer schon Kapital und Bevölkerung gespalten. Das war bei den Verhandlungen für den Beitritt zur damaligen EG so, kam im Auftritt von Maggie – „I want my money back“ – Thatcher 1975 zum Ausdruck und zeigt sich auch jetzt. Das unterscheidet die Stimmung in GB von der in anderen Staaten, auch der BRD. In dieser Haltung kommt Uneinheitliches auf einen nur scheinbar einheitlichen Ausdruck: es gibt vermeintlich  gute Gründe, gegen die EU zu sein, und es gibt reaktionäre, ebensolche auf beiden Seiten für den Verbleib.

Die EU ist nicht gegründet worden, um Nationalismus und Rassismus zu bekämpfen. Sie war und ist kein linkes Projekt, und Linke, die sich auf dieses Projekt „kritisch“ einlassen wollen, werden von ihm absorbiert und schwächen dadurch die notwendige Opposition gegen es. Die EU ist ein imperialistisches Staatenbündnis, bemüht, zwischenimperialistische Spannungen im europäischen Raum zu koordinieren und so gemeinsam im Konkurrenzkampf mit dem Imperialismus der USA, Russlands, Japans, Chinas und anderer Staaten besser bestehen zu können. Sie entstand auf den Fundamenten imperialistischer Vorgänger: von der Montanunion und der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) über EWG und EG. Dabei ging es, außer in feierlichen Reden, letztlich nie um Emanzipation und Menschenrechte, noch nicht einmal um die Verhinderung von Kriegen – mit der Ausnahme solcher, die die Mitgliedsstaaten gegeneinander führen könnten. Es ging um die gemeinsame Einsicht, als Bündnis vermeintlich bessere Chancen bei der imperialistischen Aufteilung der Welt zu haben – eine Hoffnung, die von vornherein den Keim innerer Konflikte in sich tragen muß. Für dieses Vorhaben wurden hohe Werte in Anspruch genommen und bei Gelegenheit triumphalistisch anderen, vermeintlich weniger weit zivilisierten, entgegengehalten. Zwischen der Aufklärungsgeschichte Europas, die, anders als Max Webers Forschungsprogramm oder Jürgen Habermas heute behaupten, historisch keineswegs einmalig war, und „Europa“, staatenbundförmig organisiert als EU, wurde nicht mehr unterschieden – von rechts bis fast überall auch ganz links. (Analog dazu redet man gerne von „Amerika“ wenn man die USA meint.)

Nach der Ablösung des Kapitalismus der freien Konkurrenz in den 18870er/1880er Jahren entwickelten sich die Staaten Europas imperialistisch. Ein Ergebnis dessen war der 1. Weltkrieg, in dem der zu spät gekommene, der jüngste und frechste Räuber, das wilhelminische Deutschland, seinen „Platz an der Sonne“ militärisch einforderte, nach der „Weltmacht griff“ (Fritz Fischer). Die seinerzeitigen deutschen Kriegszieldebatten sind deshalb so wichtig, weil ohne ihre Kenntnis der Richtungssinn deutscher Außenpolitik bis heute nicht wirklich zu verstehen ist. Der deutsche Nazifaschismus, die Sho’ah und der Zweite Weltkrieg sind in letzter Instanz Ergebnis eines ersten Scheiterns des deutschen Imperialismus auf dem Weg zur „Weltgeltung“.

Die EU dient heute in erster Linie nicht etwa der Einhegung solcher imperialistischen Ansprüche. Sie hat sich in der Zwischenzeit zum Machtverstärker der Ziele des deutschen Imperialismus gewandelt, der sie weithin dominiert. Das funktioniert nicht immer und nicht reibungslos, aber immer besser, wie zuletzt die Krisen um die Ukraine und um die Finanzen Griechenlands deutlich gezeigt haben. Nach dem bekannten Diktum eines sozialdemokratischen Aussenpolitikers stellt die EU explizit das entscheidende Werkzeug beim nunmehr dritten Anlauf dar, die alten Ziele des deutschen Imperialismus endlich doch noch zu erreichen (vgl. dazu aktuell: German Foreign Policy, Der erste Austritt), also die Fortsetzung der deutschen „Misère“ (F.Engels).

Das ist der Sinn der EU – und nicht etwa die Gestaltung von Völkerfreundschaft, Solidarität und Menschenrechten. In der Haltung der EU zur sogenannten „Flüchtlingskrise“ kommt das mehr als deutlich zum Ausdruck. FRONTEX ist ihr wahres Gesicht. Rechtsförmige Grundlagen hat diese Haltung der EU im Verfassungsvertrag von Lissabon, in dem alle Vertragsmitglieder ausdrücklich auf eine kapitalistische Ökonomie und auf Aufrüstung verpflichtet werden. Ein Jenseits des Kapitalismus  oder auch nur Abrüstung sind im Rahmen der EU nicht nur nicht vorgesehen, sie auch nur anzustreben ist nach Geist und Buchstaben des Vertrages illegal.

Mitten im Gemetzel des 1. Weltkriegs, im August 1915, veröffentlichte Lenin seine bis heute für das Verständnis dieser Entwicklung unverzichtbare kurze Schrift „Über die Losung der Vereinigten Staaten von Europa“.  Darin stellte er dar, daß aufgrund der Gesetzmäßigkeit ungleichmäßiger Entwicklung imperialistischer Ökonomien Bündnisse wie die heutige EU nicht funktionieren können – es sei denn unter dem zeitweiligen Diktat eines jeweils relativ stärksten Imperialismus. Er charakterisierte deshalb das, was heute die EU ist, als „reaktionär oder unmöglich„. Brexit ist nichts anderes als eine  Momentaufnahme, ein historischer Ausdruck der bleibenden Richtigkeit dieser Analyse Lenins.

Das gilt, wie man gerade sehen kann, ausdrücklich auch gegen alle „linken“ reformistischen Versuche, aus der EU unter Absehung ihres imperialistischen, das heisst aggressiven und reaktionären Charakters, irgendetwas Fortschrittliches oder „Emanzipatorisches“ machen zu wollen und sei es das Projekt eines „solidarischen Europas von unten“ – jedenfalls, solange nicht klar ist, daß das im Rahmen der EU nicht möglich sein wird. Das gleicht dem Versuch, einen Tiger auf vegane Diät zu setzen. Die EU kann nicht „transformiert“, sie muß von unten abgeschafft werden. Das folgt schon aus ihrem Charakter als Staatenbündnis.

Diejenigen, die für Brexit gestimmt haben, werden nur in einer winzigen Minderheit von dieser Einsicht geleitet worden sein (Beispiel: CP of Britain, in „Morning Star“ / Erklärung der CPB nach dem Referendum).  Diejenigen, die gegen Brexit gestimmt haben, werden das in nicht geringen Teilen aufgrund reformistischer Illusionen über die nach ihrer Hoffnung wenigstens potentiell fortschrittsfreundlichen  Ziele der EU, ja „Europas“  getan haben. Abgesehen von der hier nicht interessierenden gesellschaftlichen Rechten, sei sie konservativ oder liberal: die gesellschaftliche Linke ist in dieser Frage tief gespalten. Ihr größerer Teil empfindet und argumentiert im Kern in dieser Frage sozialdemokratisch, und das heißt: prokapitalistisch.

Der tiefere Grund hierfür liegt darin, daß die eigentliche Alternative nicht lauten kann: Brexit ja – oder nein. Darin liegt eine Analogie zum griechischen Referendum des Sommers 2015, wie es von SYRIZA, dem jüngsten Projekt der Sozialdemokratie in Europa, vorgelegt worden war.

Eine so in den Kern der Sache vordringende und differenzierte Analyse der Lage in Großbritannien, wie sie Georgios Marinos von der Führung der KP Griechenland (KKE) jüngst bei einer Versammlung seiner in Großbritannien lebenden Genossinnen und Genossen anlässlich des dortigen Referendums vortrug, zeigt, daß es nicht einfach um Brexit gehen kann. Die nun entschiedene Abstimmung um Brexit ist lediglich Ausdruck der Situation in der EU, genauer: seiner von vornherein notwendig brüchigen, weil auf kapitalistischen Ungleicheits- und Konkurrenzverhältnissen im Innern wie im Äußern gelegten Fundamente. Wer dieses Bündnis von Staaten illusionsfrei sieht, die sich vertraglich auf Kapitalismus,  FRONTEX, push-back-Aktionen gegen refugees, ja auf Rüstung und damit auf Krieg verpflichten, wird sich darüber nicht wundern. [update: Einschätzung in eine ähnliche Richtung durch German Foreign Policy}Daß die eigentliche Alternative nicht „Brexit, ja oder nein“ lautet, ist nur Ausdruck der Tatsache, daß die Alternative generell nicht „Euro, ja oder nein“ oder auch „EU – ja oder nein“ lautet.  Eine linke Version der Frage  nach dem Sinn  der EU als imperialistisches  Staatenbündnis insgesamt muß  lauten: „Imperialismus – ja oder nein.“

Der Imperialismus der EU-Staaten ist die heutige Form ihres Kapitalismus. Die wachsende Ungleichheit der Lebensbedingungen in den imperialistischen Staaten und die zwischenimperialistische Konkurrenz dieser Staaten untereinander – sie sind der Boden, auf dem Nationalismus, Rassismus, Faschismus und Krieg im Europa von heute gedeihen.

Brexit zeigt auch: entscheidender Kampfplatz um den Sturz des Imperialismus bleiben, allen „antinationalen“ Illusionen zum Trotz, die imperialistischen Nationalstaaten. Sie stellen nach wie vor die Arenen dar, in denen die Kämpfe derer stattfinden, die in internationalistischer Solidarität von unten für eine grundlegende Alternative zum Kapitalismus auftreten wollen.

Diese Alternative kann nicht  in Referenden erreicht werden. Sie wird, das zeigt die Geschichte des Imperialismus seit der Pariser Commune, nur revolutionär erkämpft werden können und ihr Ziel kann nichts anderes sein als der Sozialismus / Kommunismus. Der Imperialismus ist der Vorabend der proletarischen Revolution.


3. Übernommen von RATIONALGALERIE:
Good bye England! Guten Morgen Deutschland
Autor: U. Gellermann, 24. Juni 2016

Von allen öffentlichen Lippen tropft, nach dem Brexit, eine neue Europäsche Union: Jetzt müsse sie aber sozialer werden, jetzt müsse man aber den kleinen Leuten mal den Sinn der EU erklären, jetzt müssen man aber mal die EU besser machen. Besser für wen? Für die Griechen, die von der EU in Hunger und Selbstmord getrieben wurden? Für die Spanier oder Portugiesen, deren Jugend ohne Zukunft ist? Für die Balten, die in Massen ihre Länder verlassen und vor dem neoliberalen Würgegriff in andere Länder fliehen? Für die Deutschen, denen aus dem Thatcher-Blair-England die Agenda 2010 importiert wurde? Für die Ukrainer, die man mit der Schimäre eines besseren EU-Lebens in einen Konflikt mit Russland gezwungen hat?

Der Brexit sei traurig, belehrt uns der Außenmeier, die Silberlocke auf dem Kopf der übergroßen Koalition. Todtraurig für die Hartz Vierer, die jetzt nicht mehr mal eben nach London jetten können? Beklagenswert für die Frauen an den Supermarktkassen, deren private Pfund-Sterling-Reserven nun entwertet werden? Trostlos für die deutschen Hooligans, denen die Reise zu einer ordentlichen Prügelei in Manchester bald erschwert sein wird? Nein. Deprimierend wird es für die deutsche Waffenindustrie, die Handelserschwernisse fürchtet, denn immerhin hatte sie im ersten Halbjahr 2015 bereits für 1,5 Milliarden Rüstungsdreck an das Vereinigte Königreich verkauft. Hoffnungslos für die Finanzbanker, deren ständige Boni-Erhöhungen in der Londoner City vorgelebt und zur Nachahmung empfohlen wurden. Erschreckend für alle Atlantiker, denn Großbritannien war und ist der treueste europäische Partner in allen Kriegen der USA.

Es seien mehr als 2.500 deutsche Unternehmen, die Niederlassungen in Großbritannien hätten, barmt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG. An die über 5.000 deutschen Unternehmen in Russland, deren Existenz durch EU-Sanktionen gefährdet wurden, hat man jüngst noch kaum einen Gedanken verschwendet. Etwa dieselbe Zahl an Unternehmen existiert in China. Müssen Russland und China jetzt schnell in die EU, um die englische Lücke zu schließen? Und weiter denkt die SÜDDEUTSCHE über die Kosten nach, die jetzt auf „uns“ zukommen: Denn die Briten haben bisher „knapp fünf Milliarden Euro Netto pro Jahr aufgebracht. Fällt ihr Beitrag weg, wird Deutschland den Löwen-Anteil übernehmen müssen.“ Ach, ja, wer sagt das? Die Leute, die seit Jahr und Tag ihren Export über „unsere“ EU-Zuschüsse finanzieren. – Eine große Welle der Traurigkeit soll über das Land schwappen, damit „wir“ uns den Kopf der Unternehmer und ihrer Polit-Bürokratie in deutschen und europäischen Ämtern zerbrechen. Es gibt kein wir, es gibt nur die oder uns.

Aber es sind doch die Rechten, die Gaulands, die LePens, die Straches, die das Ende der Europäischen Union fordern, referiert der Mainstream schaudernd. Stimmt. Dankend haben die Rechten den Platz einer europäische Linken eingenommen, die wie Gregor Gysi die Einordnung der EU als eine “neoliberale, militaristische und weithin undemokratische Macht“ nicht unterschreiben wollte, die mit der EU äugelte, statt sie infrage zustellen. Es sind jene Linke, die schon das Wort „Nation“ für einen Nazi-Begriff halten und kokett mit dem Begriff „Anti-Deutsch“ im selben Bett wie die USA liegen. Als wäre die Nation nicht einfach existent, wie das Wetter existiert und auch die Schwerkraft. Als wäre die Nation eine Frage von Wollen und Mögen. Und nicht ein Frage von Machen und Tun.

In den nächsten Tagen und Wochen wird ein Gewitter scheinbar guter Ratschläge zur Rettung der EU über uns hereinbrechen. Wir sollen uns den Kopf der EU-Profiteure zerbrechen und ja nicht auf andere, eigene Gedanken kommen. Zum Beispiel auf den, dass die Europäische Union im Fall Ukraine zum Kriegsprojekt geworden ist. Zum NATO-Vorfeld. Zum trojanischen Pferd der USA. Wer nicht die Kraft hat, diese Europäische Union radikal zu ändern, der sollte aus ihr fliehen. Guten Morgen Deutschland.

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