Das
EU-Diktat gegen Griechenland fordert viele Opfer. Über ein einziges davon bin
ich nicht unglücklich: Die Strategie der EU-Linken ist nach der Abdankung von
Alexis Tsipras als Gegner der Austeritätspolitik unter die Räder gekommen.
Seit über
einem Jahr hatte sich die Politik dieser Gruppierung darauf gestützt, am
Beispiel von Griechenland und der „Linkspartei“ Syriza zeigen zu können, dass
progressive Reformen im Interesse der Bevölkerung innerhalb dieser EU zuerst in
einem Land und dann überall möglich sein würden. Marxistische Analysen der EU
als gegen die Bevölkerung gerichtete Herrschaftsform des Großkapitals, die sich
gegenüber demokratischen Verhältnissen abschottet, wurden als dogmatisch
abgetan.
Es wäre
sicherlich interessant, sich in Aussendungen der Bundes-KPÖ oder in Artikel der
Bildungseinrichtung transform zu vertiefen, die rund um den 25. Jänner 2015
(der Tag des Wahlsieges von Syriza) und danach veröffentlicht worden sind. Es
genügt aber die Feststellung, dass dabei die Herrschaft der Phrase über die
Analyse so deutlich wurde wie selten. Nur ein Beispiel für viele: Mirko Messner
am 25. Jänner an Tsipras: „Ihr habt die Weichen gestellt. EUROPA IST SEIT HEUTE
NICHT MEHR DASSELBE. Die gegen die Bevölkerung gerichtete Verarmungspolitik
zugunsten der Konzerne, Banken und Superreichen mitsamt Merkels Markt-Konformität,
die sich die
Demokratie unterordnet, muss ein Ende haben.“
Weniger
als 6 Monate danach ist klar: Die Entscheidungsträger in der EU haben alle
Hoffnungen, die mit der Entwicklung in Griechenland verbunden waren, ausradiert
und den ehemaligen Spitzenkandidaten der EU-Linkspartei dazu degradiert,
erniedrigende Maßnahmen des Sozialabbaus in seinem Land durchzuführen. Dafür
darf er Ministerpräsident bleiben. Die EU hat ihren Charakter und ihre Funktion
auf brutale Weise gezeigt. Und das haben Millionen von Menschen verstanden.
Kein Lernprozess
Eigentlich
müsste bei der EU-Linkspartei (und der deutschen Partei Die Linke – Anmerkung der
Red.) jetzt ein Lernprozess einsetzen. Vor allem jene, die am eifrigsten den
Weihrauchkessel für die gescheiterte Strategie geschwungen haben, müssten jetzt
schweigen oder in die zweite Reihe zurücktreten.
Das ist
aber nicht der Fall. Pierre Laurent (Vorsitzender der Französischen KP und der
EU-Linkspartei) veröffentlichte am Montag, 13. Juli ein Kommuniqué, in dem er
das Diktat von Brüssel als „Kompromiss“ bezeichnete und den „Mut“ des
griechischen Regierungschefs lobte. (Erfreulicherweise fand diese Haltung in
der PCF keine mehrheitliche Unterstützung. Die KP-Mandatare stimmten im
französischen Parlament gegen den Erpressungspakt).
Und die
einflussreichen Funktionäre der Bildungseinrichtung transform, Elisabeth
Gauthier und Walter Baier (beide gebürtige Österreicher) stellten in einem
Artikel vom 16. Juli 2015 die Sachlage so dar, als hätten die EU-Eliten durch
ihre konkrete Politik die Idee der „europäischen Einheit“ gefährdet. Dass zur
„europäischen Einheit“ unter der Herrschaft des Großkapitals auch eine
EU-Kolonie gehört – wie Griechenland es jetzt geworden ist – kommt ihnen nicht
in den Sinn. Und sie sprechen die griechischeRegierung von jeder Verantwortung
für die Niederlage frei. Das sehen bekanntlich weite Teile der griechischen
Öffentlichkeit und auch viele Aktivisten der Partei Syriza anders.
Umdenken?
Die
EU-Linkspartei wurde im Jahr 2004 gegründet und sollte nach den damaligen
Worten von Walter Baier ein neues Subjekt der revolutionären Veränderung in
Europa werden. All jene, die in diesem Projekt das Vehikel der Anpassung von
politischen Kräften links der Sozialdemokratie an die EU sahen, wurden als
rückwärtsgewandte Sektierer ausgegrenzt.
Selbst
die negativen Erfahrungen mit der Regierungsbeteiligung der Partei Rifondazione
Comunista in Italien oder der KP in Frankreich brachten kein Umdenken. Positive
Veränderungen wären nur mehr im Rahmen der EU möglich, wurde gesagt.
Als die
große Krise 2008 einsetzte, wurde die Sprache innerhalb der EU-Linkspartei
wieder radikaler, die gesellschaftliche Entwicklung hatte die Klassenfrage
wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Was man aber nicht aufgab, das war die
Hoffnung darauf, dass – entweder durch Wahlen oder durch die Einsicht der
Herrschenden – eine Reform der EU im Interesse der Bevölkerung möglich wäre.
Selbst
als die entscheidenden Bewegungen auf nationaler Ebene immer stärker wurden,
glaubte man noch immer an den Vorrang der transnationalen, „gesamteuropäischen“
Initiativen. Dass diese nicht stattfanden und dass alle Versuche der
EU-Linkspartei auf dieser Ebene Erfolge zu erzielen, scheiterten, nahm man
nicht zu Kenntnis.
Was jetzt?
Was
jetzt? Kommunistische Parteien versuchen, Schlussfolgerungen aus der
Entwicklung in Griechenland zu ziehen. Die KP Portugals (PCP) erklärt: „Was die
Realität, beginnend bei unserem eigenen Land, zeigt, ist, dass die
Herrschaftspolitiken und -instrumente der Europäischen Union – vom Euro zum
Haushaltsvertrag – der Entwicklung und dem wirtschaftlichen und sozialen
Fortschritt entgegenstehen und unüberwindliche Hindernisse für die Entwicklung
von Politiken zugunsten der legitimen Interessen und Erwartungen der Völker in
Berücksichtigung von Volkswillen und Souveränität darstellen.“
Und die
steirische KPÖ betont: “Die EU hat unter deutscher Führung ein Exempel
statuiert. Anhand des griechischen Beispiels soll demonstriert werden, dass es
aus dem neoliberalen Teufelskreis keinen Ausweg gibt. Wer es trotzdem versucht,
wird auf internationaler Bühne vorgeführt. Das Signal: Es gibt keine
Alternative zu Austerität und Neoliberalismus. Das soll ein für alle Mal in den
Köpfen der Menschen in ganz Europa verankert werden. (…) Die steirische KPÖ
steht an der Seite der Griechinnen und Griechen, die für eine soziale,
friedliche und demokratische Entwicklung ihres Landes eintreten. Eine solche
wird es, in Griechenland wie in Österreich, innerhalb der EU nicht geben.“
Ausgehend
von dieser Analyse muss es jetzt darum gehen, im eigenen Land alle Angriffe auf
die sozialen und demokratischen RECHTE der Bevölkerung abzuwehren und konkrete
Formen der Solidarität mit den Menschen in den anderen Mitgliedsstaaten der EU
zu finden. Dabei darf auch der Austritt aus der EU kein Tabu sein.
Denn das
ist ein Hauptfehler der Strategie der EU-Linkspartei: EU und Euro werden als
unumstößliche Tatsachen begriffen und nicht als Einrichtungen, die von Menschen
geschaffen wurden und von Menschen auch wieder überwunden werden können. Man
muss alle Phänomene aber in ihrem inneren Zusammenhang und in ihrer Entwicklung
begreifen. Alles kann ein Ende haben, selbst die EU.
Wird es in der EU-Linkspartei zu einer Änderung
des Kurses kommen?
Wird man
zu einer grundsätzlichen Kritik an der EU finden? Das wäre positiv. Allerdings
gibt es historische Beispiele, die ernüchtern. Der 1. imperialistische
Weltkrieg 1914 – 1918 war eine mächtige Widerlegung aller Vorstellungen der
reformistischen Sozialdemokratie.
Trotzdem
ging man in und nach den Revolutionen 1918/1919 noch weiter nach rechts und
begriff sich in der großen Weltwirtschaftskrise, die zum Faschismus führte, als
Arzt am Krankenbett des Kapitalismus. Erste Reaktionen – vor allem das
übergroße Verständnis für die Taktik von Alexis Tsipras, die ihm den Posten des
Ministerpräsidenten rettete, deuten darauf hin, dass wir auch im Jahr 2015 von
dieser Seite noch negative Überraschungen erwarten können.
Von Franz Stephan Parteder
Franz Stephan Parteder ist ehemaliger
Vorsitzender der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ) Steiermark
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