Der Rassismus aus der „Mitte der Gesellschaft“
ist die Saat für faschistische Entwicklungen
Wieder
einmal ist das öffentlich vorgetragene Entsetzen groß, nachdem auf eine im Bau
befindliche Flüchtlingsunterkunft in Lübeck-Kücknitz ein Brandanschlag verübt
wurde. NPD-Aufkleber und Parolen am Ort des Geschehens weisen auf angeblich „verirrte
Rechtsradikale“ – „eine Minderheit“ – hin. Aber ist diese Tat wirklich nur dem Handeln
„einiger Verwirrter“ zuzuschreiben?
Zugegeben,
die Schleswig-Holsteinische Landesregierung und die SPD liefern mit ihrem
starsinnigen Beharren auf einer völlig überdimensionierten Erstaufnahmeunterkunft
für Flüchtlinge am Bornkamp allen Vorschub für berechtigten Widerspruch. Gerade
aus Gründen der besseren Eingliederung von Flüchtlingen in ihre Umgebung wären
mehrere kleinere Aufnahmeeinrichtungen in Lübeck sinnvoll.
Wie schon
in den 1990iger Jahren, als in der Lübecker Hafenstraße und anderswo in
Deutschland Flüchtlingsunterkünfte brannten und Menschen starben, geht solchen
Anschlägen ein politisch und medial (Bild) geschürtes rassistisches Klima aus
der „Mitte der Gesellschaft“ voraus. Der bis heute unaufgeklärte Brandanschlag
auf die Asylunterkunft in der Hafenstraße mit 10 Toten und 38 zum Teil
lebensgefährlich Verletzten jährt sich im nächsten Januar zum 20. Mal. Lübeck
ist dabei nur ein Beispiel von zahllosen Anderen in der BRD. In den neunziger
Jahren des letzten Jahrhunderts war es die Diskussion um das Asylrecht, heute
ist es die geschürte Islam-Phobie.
Der
langjährige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) wusste es schon
1988: Es droht die Gefahr einer „durchmischten und durchrassten Gesellschaft“.
Thilo Sarrazin (SPD) schrieb 2010, die „islamische Immigration“ sei geprägt
durch „fordernde, den Sozialstaat in Anspruch nehmende, kriminelle,
andersartige, frauenfeindliche Einstellungen mit fließenden Übergängen zum
Terrorismus.“ Erst Anfang diesen Jahres sprach die CSU – immerhin Bestandteil
unserer heutigen Regierung – folgerichtig wieder vom „massenhaften Asylbetrug“
und forderte: „Wer betrügt, der fliegt“.
Am
Feindbild Islam und Asylbewerber arbeiteten auch Medien, Minister und
Kirchenvertreter fleißig, sodass Menschen an Terror denken und Angst kriegen,
wenn sie eine Frau mit Kopftuch oder einen Mann mit langem Bart sehen.
Als im
Oktober 2014 über 5 000 „Hooligans gegen Salafisten“ durch Köln zogen und wenig
später die „PegidaSpaziergänge“ Tausende mobilisierten, wurde sichtbar: Dieses
von oben aufgebaute Feindbild hat eine – in dieser Größe und Kontinuität bisher
unbekannte – Massenbewegung gefunden, deren Richtung, das ist über jeden
Zweifel erhaben, nach rechts weist. Wie beständig sie ist, bleibt einstweilen
Spekulation.
Die
Formierung dieser neuen und gefährlichen Bewegung wird vom Staat unterstützt.
Die Polizei garantiert das Auftreten „Pegida“ und Faschisten in Innenstädten,
Sigmar Gabriel (SPD) attestiert ein „Recht darauf, deutschnational zu sein“.
Die sächsische Landeszentrale für politische Bildung organisierte Presseräume,
ihre Website und Veranstaltungen fördern Verständnis für „Pegida“ und deren
Positionen.
Allerspätestens
seitdem die Wahrheit über die NSU-Mordbande und ihre diversen Verquickungen mit
dem sogenannten „Verfassungsschutz“ bröckchenweise ans Licht kamen und kommen,
kann jeder der es will erkennen, dass es unheilige Verbindungen zwischen
Faschisten und Staat gibt.
Der
naserümpfende Ekel vor dem ungeschliffenen „Wir sind das Volk“- Nationalismus,
mit dem Kommentatoren und Politiker Aufmärschen wie „Pegida“ oftmals gegenübertreten,
weigerte sich auch nur in Erwägung zu ziehen, dass die Gründe solcher
Zusammenrottungen in den politischen Maßnahmen der vergangenen 25 Jahre liegen
könnten.
Die
weitgehende Zerschlagung des Sozialstaates, die Beseitigung des
Normalarbeitsverhältnisses, die Gängelei von Amts wegen jede Arbeit anzunehmen
– und sei sie auch noch so entwürdigend und schlecht bezahlt – all diese per
Parlamentsbeschluss umgesetzten Schritte haben hunderttausende Staatsbürger als
Vereinzelte und Ausgegrenzte zurückgelassen, die sich tagein, tagaus einem
erbarmungslosen Konkurrenzkampf stellen und ihre Haut zu Markte tragen müssen.
Es
dürften vor allem solche Leute sein, die sich da auf Dresdens Straßen als ein
einig Volk zusammenfinden, um ein Erlebnis von Gemeinschaft zu erfahren, das
sich in der restlichen Woche nicht einstellen will: Abgehängte, mit Hartz IV
Abgespeiste, kleine Selbständige, deren Inventar der Bank gehört, auch Arbeiter
und Angestellte, deren Beschäftigungsverhältnis prekär ist, Leute jedenfalls,
die den Abstieg fürchten oder ihn schon hinter sich haben.
Als in
sächsischen Städten vor 25 Jahren schon einmal der Ruf „Wir sind das Volk“
erscholl, da ging es den einen, denen mit den Bürgerrechtlerbärten, um mehr
Demokratie. Die anderen aber, die mit den Deutschlandfahnen, wollten die
D-Mark. Sie trieb die Sehnsucht nach Teilhabe am rheinischen Kapitalismus mit
seinen Konsumverheißungen an. Der von Erhardt versprochene „Wohlstand für alle“
in einer formierten Gesellschaft mit unbefristeten, gutdotierten
Arbeitsverhältnissen und sicheren Renten war, was diese Leute begehrten. Doch
statt des eigenen Heims gab es Hartz IV.
Ein
Vierteljahrhundert später hat man nicht begriffen, dass die ersehnte Ruhe, die
Sorglosigkeit und Unbedrängtheit einer provinziellen Bonner Republik, in der an
Weltpolitik kaum gedacht werden konnte, nicht zu haben war. Man hat nicht
begriffen, dass gerade die Existenz des Staates, der ihnen unerträglich
geworden war, die Voraussetzung und die Garantie jener goldenen Zustände im
Westen abgab, derer man teilhaftig zu werden verlangte. Das Verschwinden der
DDR bedeutete das Verschwinden der alten BRD.
Der heutige
ungezügelte Kapitalismus basiert auf einer rein wirtschaftlichen Freiheit, die
auch „die Freiheit“ arm zu sein einschließt. „Ein solcher Freiheitsbegriff hat
merkwürdige Konsequenzen: Ein verarmter Mensch, der Arbeit für Hungerlöhne
annehmen muss, weil andernfalls seine Existenz gefährdet wäre, ist aus dieser
Perspektive frei… Ein reicher Mensch hingegen, dem staatliche Strukturen Geld
wegnehmen, um es Ärmeren zu geben, ist aus dieser Perspektive nicht frei.“ beschreibt
es der Gewerkschafter Patrick Schreiner in einem neuen Beitrag zum neoliberalen
Gesellschaftssystem („Unterwerfung als Freiheit - Leben im Neoliberalismus“, Patrick Schreiner, PapyRossa Verlag, 2015)
Noch
etwas hat sich in der jüngsten Zeit in dieser Republik an Neuem ergeben. Mit
der AfD ist in den vergangenen Jahren eine Kraft entstanden, die sich dauerhaft
rechts von der CDU ihren Platz erobern könnte. Noch ist nicht eindeutig
ausgemacht, wohin die Reise geht. Noch lässt sich nicht mit aller Klarheit
sagen, welche Teile des Kapitals hinter dieser sogenannten „Alternative für
Deutschland“, die als Marktradikal und Deutschnational beschrieben wird,
stehen. So viel ist aber klar: diese Partei ist eine Partei des Kapitals oder
besser gesagt bestimmter Teile. Ein paar Hinweise gibt es gleichwohl. In einer
leider kaum beachteten Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung vom September 2013
wurden die Positionen deutscher Wirtschaftsverbände zur Eurokrise untersucht.
Auffällig daran war in welch verblüffender Weise die Positionen des Verbandes
der Familienunternehmen mit denen der AfD übereinstimmten.
Während
sich also einerseits im Inneren angeblich „nur Deutschnationale“ und Neofaschisten
formieren und Anhang gewinnen, führt der deutsche Imperialismus international wieder
Krieg oder lässt Kriege führen.
Einstweilen
wird dieses Programm mit einer ethischen Ummantelung betrieben. Es gehe um
Demokratie und Menschenrechte, heißt es allenthalben. Das macht die Sache nicht
minder reaktionär. Es geht tatsächlich um Kontrolle und Vorherrschaft über
andere Länder und Zugriff auf Rohstoffe. Dies schafft somit die Armut, die
Flucht und Flüchtlinge erzeugt, vor denen wir dann wieder durch Verschärfungen
im Asylrecht und Europas aggressive Grenzpatrouille „Frontex“ „geschützt“
werden müssen.
60.000.000
Menschen sind auf der Flucht. 230.000.000 (Millionen!) Kinder leben in Länder
und Regionen, die mit Kriegen überzogen sind. Die reichen imperialistischen
Länder stellen 25 % der Weltbevölkerung, verbrauchen aber über 60 % der
Nahrungsmittel. So viele Menschen sind auf der Flucht, weil die
Lebensbedingungen in Afrika dramatisch schlecht sind. Eroberungs- und
Bürgerkriege toben – mit direkter oder indirekter deutscher Beteiligung – z. B.
in Afghanistan, dem Irak, Libyen, Syrien oder dem Jemen, welche durch
schändliche Rüstungs- und Waffenexporte bewusst inszeniert werden. Landraub in
Afrika, massive Ausbeutung von Ölfeldern, leergefischt Küsten sind Konsequenzen
der imperialistischen Realität. Agrarimporte, tonnenweise Hühnerschenkel und
Billigfleisch aus der EU zerstören die Lebensexistenz von Hunderttausenden!
Die
Ursachen für Flucht – und damit auch die Flüchtlinge – schafft die herrschende
imperialistische Politik also selber. Genau wie die Abertausenden von Toten im
Mittelmeer durch die massive Einmauerung Europas. Alle aktuellen
Militäraktionen der Gegenwart sind nur Krokodilstränen hierzu.
Im
eigenen Land verstärkt der kapitalistische Staat wiederum seine Angriffe auf
die Rechte der Bevölkerung. Die Einschränkung des Streikrechts durch die
sogenannte „Tarifeinheit“, die Möglichkeit, den Personalausweis zu entziehen,
die Vorratsdatenspeicherung, der Aufbau einer speziellen „AntiTerrorEinheit“
der Bundespolizei: Die Bourgeoisie wappnet sich gegen die Arbeiterklasse. Für
die Ausweitung der Kriegsführung, für die Abwälzung der Krisenlasten sorgt der
bürgerliche Staat durch eine reaktionäre, aggressive Bewegung und den Umbau des
Staatsapparats vor.
In
Zeiten, in denen die Arbeiterbewegung komatös darniederliegt, ist das
Bewußtsein von der Zugehörigkeit zu einer Klasse verschütt gegangen. An seine
Stelle tritt die Verbundenheit mit der Nation, die sich nach außen gegen
Eindringlinge abgrenzt.
Dementsprechend
klingen denn auch die einschlägigen, bei Pegida – aber auch bei Teilen der
bürgerlich-Konservativen – nachzulesenden Forderungen: »Null-Toleranz-Politik«,
»sofortige Abschiebung«, »verstärkte Wiedereinreisekontrollen«.
Angerufen
wird damit der starke Staat, sich endlich zu rühren. Sollte er das nicht tun,
werde man, so die unterschwellige Drohung, eben selbst Hand anlegen. Die „Pegida“
und „Hogesa“-Demonstranten tragen in ihrer Ordnungssehnsucht längst schon
Uniform im Geiste. Darin äußert sich bei aller Unzufriedenheit und Wut ein
prinzipielles Einverständnis mit den staatlichen Einrichtungen. Im Tausch für
die erteilte Loyalität wird eine restriktivere Einwanderungspolitik verlangt.
Auch hier
ist noch nicht klar, ob und welche Fraktion des Kapitals sich dieses Potential
der Straße zu Nutzen zu machen beabsichtigt. Immerhin ist aber deutlich
geworden, dass es eine Arbeitsteilung zwischen Straße und Staat gibt.
Bereits
Ende November 2014, da war „Pegida“ schon bundesweit Mediengespräch, verkündete
Sachsens christdemokratischer Innenminister Markus Ulbig, er werde »eine
spezialisierte Gruppe bei der Polizei einsetzen, die sich mit den straffälligen
Asylbewerbern intensiv beschäftigen wird«.
Der
Zeitpunkt der in der Dresdner Morgenpost platzierten Ansage dürfte kaum
zufällig gewählt worden sein und konnte als staatsaktives Signal an die
„Patriotischen Europäer“ verstanden werden. Ihr war zu entnehmen, dass nach
Auffassung Ulbigs Asylbewerberheime offenbar Orte sind, an denen Kriminelles
ausbaldowert wird und nicht etwa solche, die des permanenten Schutzes vor
Leuten bedürfen, die sich ihren Stimulus zur ausländerfeindlichen Tat auf
Zusammenrottungen wie denen von „Pegida“ abholen.
Ob solche
Maßnahmen, zu denen der Staat immer wieder griff, wenn es darauf ankam, einen
angestachelten wütenden Mob wieder zu bändigen, ausreichen werden, um einer
sichtbarer werdenden Legitimationskrise noch einmal Herr zu werden, ist noch
nicht ausgemacht.
Als
Alternative steht schon das ganze Spektrum rechter Organisationen und Vordenker
bereit. „Freie Kameradschaften“, NPD, Verfechter der konservativen Revolution
wie Götz Kubitschek, der rege Querfrontler und selbsternannte
Nationalbolschewik Jürgen Elsässer – sie alle sehen in „Pegida“ den endlich
erwachsenen Massenanhang zur Realisierung ihrer eigenen Ziele und Zwecke.
In der
AfD könnte, mit Pegida als Schwungmasse, der nationalkonservative Flügel um
Alexander Gauland und Frauke Petry gegen den von Bernd Lucke und Hans-Olaf
Henkel repräsentierten nationalliberalen letztlich obsiegen. Wer auch immer
sich durchsetzen wird, zu prognostizieren, dass sich diese Republik weiter nach
rechts entwickeln wird, ist nicht gewagt. Friedlicher wird sie dadurch gewiss
nicht – weder nach innen noch nach außen.
Radikaler
Imperialismus nach Außen und ungezügelter Kapitalismus nach Innen, dies
kennzeichnet die gegenwärtige Politik und bestätigt eindrucksvoll Lenins These
vom „Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“.
Noch
stehen wir sicher nicht vor der Errichtung einer faschistischen Diktatur, aber der
Antifaschist und Kommunist Georgi Dimitroff formulierte die Bedeutung des
Kampfes gegen alle dahin gehenden Tendenzen: „Genossen, man darf sich den
Machtantritt des Faschismus nicht so simpel und glatt vorstellen, als ob
irgendein Komitee des Finanzkapitals den Beschluss fasst, an diesem und diesem
Tage die faschistische Diktatur aufzurichten. (…) Wer in den
Vorbereitungsetappen nicht gegen die reaktionären Maßnahmen der Bourgeoisie und
gegen den anwachsenden Faschismus kämpft, der ist nicht imstande, den Sieg des
Faschismus zu verhindern, der erleichtert ihn vielmehr.“
In
diversen Ländern dulden, ja fördern, unsere imperialen Herrscher wieder offen
faschistische Regime: in Ungarn oder der Ukraine zum Beispiel. Noch sind in
Deutschland die Biedermänner und Brandstifter, die Deutschnationalen und
offenen Faschisten nicht direkt gewollt.
»Faschismus
an der Macht ist die offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten,
chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals.« definierte
Georgi Dimitroff den Faschismus auf dem VII. Weltkongress der Komintern (25.
Juli bis 20. August 1935).
Neben dem
rassistischen und antisemitischen Standbein ist unbestreitbar die dritte –
heute gern verschwiegene – tragende Säule der faschistischen Ideologie der
Kampf gegen die Arbeiterbewegung, gegen den Marxismus, gegen die
Gewerkschaften, gegen alle fortschrittlichen Kräfte.
Wie
gesagt, noch stehen wir sicher nicht vor der Errichtung einer faschistischen
Diktatur. Wenn nun zukünftig aber immer mehr Menschen, wie aktuell in Südeuropa
(Griechenland, Spanien, Italien), gegen die unmenschlichen Auswüchse des
Kapitalismus, des Imperialismus, aufstehen und Widerstand leisten, was passiert
dann? Wird dann für das Kapital die faschistische Karte doch wieder
interessant? Das muss verhindert werden!
In diesem
Kontext muss man die aktuellen Ereignisse sehen, dann wird deutlich, warum der
Widerstand bereits jetzt unverzichtbar ist!
Daher fordern wir Lübecker Kommunistinnen und
Kommunisten 70 Jahre nach der Befreiung vom Faschismus und im Angesicht der
Ereignisse in der Hafenstraße, am Bornkamp und in Kücknitz:
Wehret den Anfängen! Nichts und Niemand ist
vergessen!
Organisiert den Widerstand!
Keine weiteren Asylrechtsverschärfungen!
Keine Militäreinsätze im Mittelmeer!
Lübeck heißt Flüchtlinge willkommen – Kein
Fußbreit den Faschisten!
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