Der Beginn des Zweiten Weltkrieges in
Schulgeschichtsbüchern der Bundesrepublik
Wer
sich hierzulande verlässlich informieren will, welche Geschichtsbilder den
Herrschenden und Regierenden als ihren Zwecken dienlich erscheinen, kann das
auf einfachem Wege tun. Er braucht nur in Bücher zu schauen, die von Staats
wegen zum Gebrauch in öffentlichen Schulen zugelassen sind.
Ursachensuche
Zwei
Publikationen vermerken ausdrücklich, dass es über die Entstehung und
Verursachung des Zweiten Weltkrieges und die Kriegsschuld keinen Streit gebe.
Die Autoren nennen den Krieg, der am 1. September 1939 begann, sämtlich Hitlers
KriegEr habe ihn gewollt, geplant, auf ihn hinarbeiten und ihn schließlich per Befehl
eröffnen lassen. Und dieser Krieg sei eine Erscheinung sui generis, er besitze
Singularität, die ihm durch seinen »rassenpolitischen Charakter verliehen«
worden sei (Cornelsen, S. 95). Zur Bekräftigung dieser Sicht wird die eines
Vorurteils und einer Parteinahme unverdächtige Neue Zürcher Zeitung vom 4.
September 1939 mit dem Satz zitiert, dass »die Verantwortung für diese
europäische Katastrophe auf einem Mann liegt, der ... mit Name und Vorname
bezeichnet werden kann« (Buchner 2, S. 186).
In
Hitlers Außenpolitik seien zwei Phasen zu unterscheiden, die der Revisions- und
die folgende der Expansionspolitik (Cornelsen, S. 200). Völlig allein und
einsam habe der Diktator sich auf diesem Kurs jedoch nicht befunden. Die
sogenannten Nahziele Hitlers seien auch die der konservativen deutschen Eliten
und traditionellen Führungsschichten gewesen (Buchner 3, S. 11). Die aber
hätten in der zweiten Phase nicht mehr mitgemacht. Beweisen würden dies die
Biographien Hjalmar Schachts, der seinen Platz als Reichswirtschaftsminister
1937 und als Reichsbankpräsident 1939 räumte, und des Generals Ludwig Beck, der
als Chef des Heeresgeneralstabes 1938 abtrat (Cornelsen, S. 201). In einem Band
wird darauf verwiesen, dass Rüstungskapitalisten an den Profiten interessiert gewesen
wären, die ihnen aus den Staatsaufträgen zuwuchsen, und Generale am Ruhm, der
auf den Kriegspfad lockte. Doch reiht sie diese Erwähnung eher in eine
besondere Kategorie von Mittätern oder Mitläufern ein, und nicht in eine
Gruppe, die für den Weg in den Krieg besondere Verantwortung auf sich geladen
hat.
Eine
darüber hinausgehende Einordnung der deutschen Außenpolitik in die
voraufgegangene Geschichte erfolgt nicht. Mit einer Ausnahme: Deren Text ist
aus Joachim C. Fests Hitler-Biographie entliehen. Zitiert werden Passagen, die
von der „Kontinuität des deutschen Weltmachtstrebens“ vom Kaiser- ins
Hitlerreich handeln, die sich auch anhand der Rolle »gesellschaftlicher
Gruppen« verfolgen lasse (Buchner 3, S. 28-29).
In den
Bänden nimmt bei aller Abstufung pädagogischer Ansprüche und verfügbaren
Platzes die Vorgeschichte des Krieges einen herausragenden Platz ein. Ohne dass
Fragen zum Thema zugespitzt würden, wie dieser Krieg sich womöglich hätte
verhindern lassen, steht dabei jedoch im Zentrum die Appeasement-Politik, die
Großbritannien mit dem Flottenvertrag 1935 einleitete. Unter den Motiven, die
London dabei antrieben, wird in einer Publikation nahezu nebenher und mit
nebelhafter Wortwahl erwähnt: »Der offen zur Schau gestellte Antibolschewismus
Hitlers kam den bürgerlichen Politikern Westeuropas gar nicht einmal
ungelegen«.
Selbstredend
bestreitet niemand, dass die Politik der Beschwichtigung durch Zugeständnisse
eine verfehlte Antwort auf den deutschen Kurs darstellte. Doch werden dem
erklärende und gleichsam entschuldigende Gründe hinzugefügt. Die einzige scharf
kritische Stimme unter zwölf in einem Buch zitierten ist die Winston
Churchills. Das Vorgehen der britischen Regierung wird als »Politik des
Ausgleichs gegenüber Diktatoren« bezeichnet, zudem seien die Beteiligten einem
Irrtum verfallen, in ihrem Tun und Lassen hätte sich »geistige Trägheit«
ausgedrückt (Cornelsen, S. 219-222). So informiert sollen Schüler dann folgende
Aufgabe angehen: »Schreiben Sie einen Leitartikel zum ‚Münchener Abkommen’ aus
der Sicht eines Befürworters und einen aus der eines Gegners der
Appeasement-Politik« (ebenda, S. 222).
Zur
letztlich verhängnisvollen Strategie der Westmächte sei es gekommen, weil diese
auf eine Konfrontation mit dem hochrüstenden Deutschland militärisch nicht
vorbereitet gewesen seien, sich innenpolitisch noch immer mit den Folgen der
Weltwirtschaftskrise auseinandersetzen mussten und namentlich England Probleme
in seinen Kolonien zu bewältigen gehabt hätte, so dass man sich insgesamt Ruhe
und Frieden in Europa gewünscht habe. Daher sei es zur Reise des britischen
Regierungschefs Neville Chamberlain und und seines französischen Amtskollegen
Edouard Daladier nach München und dem nach der Stadt benannten Vertrag
gekommen. Der Leser erfährt, dass dort ohne die Tschechoslowakei über deren
Kopf hinweg verhandelt und das Abkommen geschlossen wurde. Er erfährt aber
nicht, dass Frankreich mit der Tschechoslowakei so verfuhr, obwohl beide
Staaten seit 1935 durch einen Beistandsvertrag verbündet waren. Und auch nicht,
dass das Verfahren von München der Sowjetunion den Stuhl vor die Tür Europas
setzte und sie erneut in eben jene Lage brachte, aus der herauszukommen sie
sich seit 1933 verstärkt bemühte. Davon gibt es eine Ausnahme: »Bewusst hatten
sie (die Westmächte, K. P.) die UdSSR noch von der Münchener Konferenz
ausgeschlossen« (Cornelsen, S. 202).
Kein Sicherheitssystem
Im
Buchner Verlag werden die Anstrengungen des Kremls erwähnt, angesichts der sich
abzeichnenden Bedrohung Verbündete zu finden und sich deshalb dem Westen
anzunähern (Buchner 3, S. 12). Sie habe »den Schulterschluss mit den ehemaligen
Alliierten (gemeint sind offenbar die Verbündeten des einstigen Zarenreichs,
K.P.)« gesucht (Buchner 2, S. 182). Auf diesem Kurs, das erwähnen mehrere
Autoren, wurde die UdSSR 1934 Mitglied des Völkerbundes. Aber dass sie damit
Anschluss an ein System der kollektiven Sicherheit erstrebt habe (Buchner 3, S.
12), ist ein Phantasieprodukt. Es waren vielmehr zuerst der französische
Außenminister Louis Barthou, der 1934 bei einem Attentat tödlich verletzt
wurde, und dann Maxim Litwinow, sein sowjetischer Amtskollege, die ein derartiges
System als erste anstrebten. Dessen Kristallisationskern hätte jener mit den
Maiverträgen 1935 zwischen Moskau, Prag und Paris geschaffene Verbund werden
können (Die Verträge werden immerhin in einem Buch so erwähnt: »Die UdSSR
schloss mit Frankreich und der Tschechoslowakei Beistandspakte für den Fall
eines bewaffneten Angriffs von außen« (Buchner 3, S. 13). Doch London
torpedierte das Projekt, und weder die Regierung in Warschau noch die in
Bukarest ergriff die Chance, hier eine Front schaffen zu helfen, die den
Aggressor hätte abgeschrecken können.
Keine
für die Schülerhand bestimmte Darstellung arbeitet die einzige in der Mitte der
dreißiger Jahre noch existierende Alternative europäischer Politik heraus und
die hieß – tertium non datur – kollektive Sicherheit oder Appeasement-Politik.
Als letztere mit der Zerschlagung der Tschechoslowakei im März 1939 einen
Bankrott erlitt, versuchte Litwinow sofort, diese kollektiven
Sicherheitsbestrebungen zu reanimieren. Vergeblich. Davon ist in keinem Buch die
Rede.
Aus
dieser diplomatischen Initiative Moskaus gingen einzig jene dreiseitigen
Verhandlungen hervor, zu denen sich Militärs der französischen und der
britischen Streitkräfte in der Stadt an der Moskwa einfanden. Von diesen und
den Hemmnissen, die sie scheitern ließen, ist, wo sie erwähnt werden, nur
nebenher die Rede. Niemand benennt die unüberwindbaren
Meinungsverschiedenheiten über Charakter und Ausmaß der gegenseitigen
Verpflichtungen. Ohne Beleg für die Verursachung wird in einem Band geschrieben,
die Verhandlungen hätten sich, »von Stalin durchaus nicht ungewollt« hingezogen
(Cornelsen, S. 202). Behauptet wird die Unaufrichtigkeit des Kremls, der
Parallelgespräche mit Deutschland führte, die auch als »raffiniertes
Doppelspiel« (Buchner 3, S. 19) bezeichnet werden.
Der Nichtangriffsvertrag
Kein
einzelnes Thema aus der Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges nimmt in den
Schulgeschichtsbüchern in Wort und Bild so viel Platz ein wie der
deutsch-sowjetische Nichtangriffsvertrag vom 23. August 1939, der meist als
Hitler-Stalin-Pakt bezeichnet wird. Es gibt in den untersuchten Bänden in einem
ein Foto, das Hitler am Tisch mit Chamberlain und Daladier abbildet, aber keine
Karikatur des einen oder anderen. Hingegen findet sich in jedem entweder ein
Foto vom Vertragsabschluss im Kreml, darauf Stalin der deutschen Delegation
zuprostend, oder eine Karikatur (V u. W, S. 137), die ihn und Hitler als
Komplizen und fröhliches Gaunerduo darstellen (Buchner 3, S. 9). Manche Autoren
liefern beides. Und die des in Mecklenburg-Vorpommern eingeführten Lehrbuches
erteilen Schülern den »Arbeitsauftrag«: »Erläutere die Sicht auf den
Hitler-Stalin-Pakt, die in der Karikatur zum Ausdruck kommt« (V u. W, S. 138).
In den
Texten wird der Vertragsabschluss zunächst als »Sensation«, »Überraschungscoup«
und »spektakulärer Erfolg der deutschen Diplomatie« bezeichnet. Niemand stellt
die naheliegende Frage, wer die Sowjetunion in jene Lage manövriert hatte, in
der die Idee einer kollektiven Wappnung gegen den deutschen Aggressor nicht mehr
war als ein schöner Traum. So standen die Politiker in Moskau vor der
Entscheidung, den Dingen ihren Lauf zu lassen oder die Chance zu ergreifen, die
ihnen die deutsche Offerte eines Nichtangriffsvertrages bot, die freilich ein
Konkurrenzangebot wider das in Berlin gefürchtete Dreierbündnis darstellte. In
diesem Moment erst vollzogen die Vertreter der UdSSR jene abrupte Wendung, die
ihnen die Aussicht verschaffte, ihren Staat aus dem nahen Krieg auf unbestimmte
Zeit herauszuhalten. Aus einem Krieg, dessen vorhersehbares baldiges Ergebnis
sein würde, dass die Sowjetunion mit dem faschistischen Reich eine mehrere
hundert Kilometer lange Landgrenze erhielt.
Nur war
es dahin nicht in einem »Doppelspiel« gekommen. Die Verhandlungen, die mit
Deutschland geführt wurden, betrafen die längste Zeit allein die Zukunft der
erstarrten wirtschaftlichen Beziehungen beider Länder und kamen im August zum
Abschluss. In den Sitzungen mit den nicht mit verbindlichen Vollmachten
ausgestatteten Offizieren der Westmächte hingegen wurde die Möglichkeit
erörtert, zu einem militärischen Dreibund zu gelangen, der ohne die
Genehmigungen Polens und Rumäniens für Durchmarschrechte sowjetischer Truppen
nicht funktionstüchtig werden konnte. Wo letzteres erwähnt wird, muss angemerkt
werden, dass sich Polen dagegen sperrte. Es habe sich davor »nicht weniger als
vor einer deutschen Aggression« gefürchtet (Cornelsen, S. 202). Dass die
Verhandlungen unter einem sich verschärfenden Zeitdruck stattfanden, schien in
den Hauptstädten an der Themse und der Seine keine ihr Verhalten
beschleunigenden Impulse auszulösen. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass London
und Paris doch nach ihrer Münchener Politik an der Reihe waren,
vertrauensbildende Maßnahmen zu ergreifen. Statt dessen nährten sie mit ihrer
Art, die Beratungen zu verschleppen, das auf beiden Seiten ohnehin vorhandene
Misstrauen.
An
diesen Tatsachen vorbei wird in einem Schulbuch behauptet, dass Großbritannien
und Frankreich »trotz intensiver Bemühungen« ein Bündnis mit der UdSSR nicht
erreicht hätten (Buchner 1, S. 99). Auch in einem anderen Band, in dem die
Verhandlungen »über ein Bündnis unter möglicher polnischer Beteiligung« erwähnt
werden, wird über ihren Verlauf und die Ursachen ihres Scheiterns geschwiegen
(Buchner 2, S. 184). In die Rolle von Buridans Esel, der sich zwischen zwei
gleich großen und gleich weit entfernten Heuhaufen nicht entscheiden kann und
deswegen verhungert, wollte sich die Sowjetunion nicht begeben. Ihre Führung
entschied unter dem Drängen der deutschen Regierung und auch dem von Hitler
persönlich, das keinen Zweifel am Ernst des Angebots ließ, auf den deutschen
Vorschlag einzugehen, der zudem die Möglichkeit bot, dafür einen Preis
auszuhandeln.
Wessen Verantwortung?
Erörtert
wird das den Übereinkünften zugrunde liegende Generalinteresse der
Vertragspartner. Dasjenige Hitlers bestand darin, einen Zweifrontenkrieg
abzuwenden und erst allein Polen und danach die Westmächte anzugreifen.
Gleichzeitig erhielten die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschem Reich und UdSSR
damit einen politischen Rahmen. Über Stalins Motive wird geschrieben: Er
»wollte in jedem Falle seine Einflusssphäre in Osteuropa auch im Kriegsfalle
gesichert wissen. So konnte er sich bei dem zu erwartenden Angriff Deutschlands
aus allen Kampfhandlungen heraushalten« (Buchner 2, S. 184).
Nur in
einem Band lässt sich eine relativ sachliche Darstellung der sowjetischen
Antriebe lesen: »Stalin bekam eine Atempause für die innere Festigung seines
Staates. Auch schien die Gefahr eines großen Bündnisses aller Gegner der
Sowjetunion, wie in den Jahren 1919/1920, vorerst gebannt« (Diesterweg, S.
153). Das hinderte die Autoren indessen nicht, die Schüler danach mit
Darstellungen von Historikern bekanntzumachen, die Stalin zum Mitschuldigen am
Zweiten Weltkrieg erklären. Zitiert wird der Stalin- und Trotzki-Biograph Isaac
Deutscher: »Stalin konnte nicht darüber im Zweifel sein, dass er (...) damit
(mit dem Vertragsabschluss – K. P.) den zweiten Weltkrieg entfesselte«. Worauf
der (west)deutsche Historiker Karl Dietrich Erdmann mit der These folgt:
»Stalin hätte es in der Hand gehabt, den Krieg zu verhindern«. Er hätte sich
dazu nur mit den Westmächten verbünden müssen. Zwischen Deutscher und Erdmann
kommen zwei DDR-Historiker, das ist ein Unikat, mit dem Verweis zu Wort, Hitler
hatte sich auf den Kriegsbeginn gegenüber den Generalen bereits im Frühjahr
1939 festgelegt und erklärt, eine spätere Offensive werde nur die eigenen
Siegesaussichten verschlechtern. Am Ende sollen die Schüler die konträren
Standpunkte »abwägen« und sich »eine Meinung bilden«. Die Buchautoren haben
keine oder lassen sie jedenfalls nicht erkennen.
Anders
jene eines weiteren Lehrbuches, die Schülern die Beantwortung folgender Frage
zur Aufgabe machen: »Welchen Sinn hatten die Vereinbarungen für beide Staaten?«
(Buchner 3, S. 27) Ihre Vorgabe lautet, sofern es die UdSSR betrifft: »Stalin
konnte sich aus einem europäischen Kriege einstweilen heraushalten«. Darüber
hinaus wird postuliert, er habe mit dem Vertrag weltrevolutionäre Ziele fördern
wollen: »Der Konflikt der hochindustrialisierten kapitalistischen Mächte
Europas untereinander schien ihm hingegen nützlich für die Verbreitung der
Revolution des Proletariats.« Zu seinem Kalkül hätte auch gehört, »zu einem
günstigen Zeitpunkt entscheidend ins Geschehen einzugreifen.« Das angebotene
Fazit lautet: »Seine Rechnung ist ... insgesamt aufgegangen« (Buchner 3, S.
22).
Mehrere
Darstellungen zeichnen Stalin als den europäischen Politiker, in dessen Hand
die Entscheidung über Krieg und Frieden lag, und der, da sie zugunsten des
Krieges fiel, auch der letztlich für ihn verantwortliche ist. Für 1939 wird
festgestellt: »Die Schlüsselrolle in Europa gegen Hitler fiel Stalin zu«
(Diesterweg 1, S. 386). Auch Schüler in Mecklenburg lesen: Mit dem Abschluss des
Nichtangriffsvertrages »war der Weg frei für Hitler. Am 1. September 1939
begann der Zweite Weltkrieg« (V u. W, S. 137). In einem Band lautet der
abschließende Satz zur Vorgeschichte des Krieges: »Stalin hoffte ihn (Hitler,
K. P.) in einen vernichtenden Krieg mit den Westmächten zu treiben«
(Westermann, S. 94). Und dass ihm dies gelungen sei, geht aus einem anderen
Text hervor: »Noch am selben Tag der Vertragsunterzeichnung legte Hitler den
26. August als Termin für den Angriff auf Polen fest«. Mit diesem Wissen sollen
Schüler die Frage beantworten: »Lässt sich aus dem ‚Hitler-Stalin-Pakt’ eine
Mitverantwortung der Sowjetunion an dem Ausbruch des Krieges ableiten?«
(Buchner 1, S. 99 u. 101) Eine verwandte, milder formulierte Beschreibung der
Wirkung des Vertrages besagt, dass Hitler nun »die Bedingungen für einen
militärischen Angriff gegen Polen als gegeben« ansah (Cornelsen, S. 202).
In
Wahrheit hatte Hitler, so in einer weiteren Ansprache vor Generalen, die
Eröffnung des Angriffs nicht an die Vermeidung eines Zweifrontenkrieges, nicht
an das Stillhalten der Westmächte gebunden: »Auch wenn im Westen Krieg
ausbricht, bleibt Vernichtung Polens im Vordergrund« (Eine längere Passage aus
der Mitschrift von Hitlers Rede mit diesem Satz zitiert Buchner 1, S. 100). Das
hieß, er schloss ein Eingreifen der Westmächte nicht aus und bestimmte, auch in
diesem Falle werde der Schwerpunkt der Kriegshandlungen zunächst im Osten
liegen. Mit dem in Moskau geschlossenen Vertrag wuchs freilich seine Hoffnung
auf einen Separatkrieg im Osten. Doch zu keinem Zeitpunkt war der eine
Bedingung für seinen Angriffsbefehl.
In
einem Geschichtsbuch wird eine Sicht geboten, die Stalin nicht zum
Kriegsmitschuldigen Hitlers macht. Nach der Feststellung, dass Hitler den Krieg
»entfesselte«, wird geschrieben, dass Stalins Paktschluss (der an erster
Stelle, K. P.), Chamberlains »Appeasement« und die französische Defensivpolitik
das deutsche Vorgehen im Vorfeld erleichterten« (Diesterweg 1, S. 397). Das
bewirkten die hier aufgezählten Tatsachen jedoch in sehr unterschiedlichem
Grad.
Bei
allen Unterschieden im Einzelnen verbindet die durchmusterten
Schulgeschichtsbücher eine im Wesentlichen einheitliche Darstellung der
geschilderten Zeitspanne. Unterschiede existieren in Schärfe oder Milde der
Wortwahl bei der Charakterisierung von Ereignissen, Entscheidungen oder
Personen, sind also gleichsam von quantitativer Natur. Und es gibt sie auch in
der Deutlichkeit, mit der die Verfasser eigene Standpunkte ausdrücken.
Insgesamt entsprechen die Lehrbuchtexte den in der Fachwissenschaft
vorherrschenden Darstellungen.
Quellen: Ausgewählte Schulbücher für den
Geschichtsunterricht
- (Buchner 1): Das waren Zeiten. Das 20. Jahrhundert, C. C. Buchner Verlag, Bamberg 2002
- (Buchner 2): Weimarer Republik und NS-Staat, C. C. Buchner Verlag, Bamberg 2000
- (Buchner 3): Vom Zweiten Weltkrieg bis zur Gegenwart. Ausgabe B, C. C. Buchner Verlag, Bamberg 1995
- (Cornelsen): Geschichtsbuch Oberstufe, Bd. 2: Das 20. Jahrhundert, Cornelsen Verlag Berlin 1996
- (Diesterweg): Epochen und Strukturen. Grundzüge einer Universalgeschichte für die Oberstufe, B. II: Vom Absolutismus bis zur Gegenwart, Verlag Moritz Diesterweg Frankfurt a. M. 1996
- (Vu.W): Geschichte plus. Klasse 9. Mecklenburg-Vorpommern, Volk und Wissen Verlag, Berlin 2003
- (Westermann): Anno 4, Bd. IV: Das 20. Jahrhundert, Westermann Braunschweig 1997
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