Wahlen in Großbritannien
Klare,
selbstbewusste linke Politik ohne Anbiederung an eine wie auch immer geartete
»Mitte« kann erfolgreich sein. Das haben Jeremy Corbyn und seine Verbündeten im
britischen Wahlkampf bewiesen. Die Hindernisse waren riesig. Eines davon war
nicht zuletzt der Großteil der eigenen Parlamentsfraktion.
Zahlreiche
Labour-Abgeordnete hatten es abgelehnt, ihren Parteichef in ihren Wahlkreisen
auftreten zu lassen. Darunter zum Beispiel die Abgeordnete Joan Ryan im
Londoner Wahlkreis Enfield North. Sie verbot ihren Wahlhelfern das Verteilen
des von Corbyn ausgearbeiteten Wahlprogramms und behauptete wiederholt, Theresa
May sei viel populärer.
Dabei
musste man am Vorabend des Wahltages nur nach Islington schauen, dem Wahlkreis
des Labour-Parteichefs. Als Corbyns Wahlkampfbus dort eintraf, ereigneten sich
Szenen, als habe der FC Arsenal gerade den Europapokal nach London geholt.
Tausende säumten die Straßen, »Corbyn, Corbyn« Sprechchöre überall. Ähnliches
hatte sich in den Tagen zuvor im ganzen Land abgespielt.
Theresa
Mays Mantra der vergangenen Wochen war es, für »starke und stabile« Führung zu
sorgen. Damit hat es sich nun erledigt. Unter der Oberfläche haben die lange
unterdrückten Flügelkämpfe der verschiedenen miteinander verfeindeten
parteiinternen Fraktionen wieder begonnen zu toben. Es ist nur eine Frage der
Zeit, bis sich diese offen bemerkbar machen.
Die
Herausforderung für Corbyn und Co. besteht nun darin, keinen Meter, keinen
Schritt zurückzuweichen. Unter Corbyns jugendlichen Unterstützern und innerhalb
der Gewerkschaftsbewegung wächst die Erkenntnis, dass eine Auseinandersetzung
mit dem blairistischen Flügel der Partei notwendiger denn je ist. Wenn die
Rechten in Labour versuchen sollten, in den nächsten Tagen gegen Corbyn zu
agieren, werden Zehntausende bereitstehen, ihn zu verteidigen. Damit diese
Stimmung anhält, muss Corbyn jeden Versuch abwehren, sein Wahlprogramm
aufzuweichen.
John
McDonnells Vorstoß, die Formierung einer Labour-Minderheitsregierung zu
fordern, war ein Schritt in die richtige Richtung. Doch es liegt auch an den
Zehntausenden, die zu den Wahlkampfevents gekommen sind, sich jetzt politisch
zu organisieren und den Kampf für die Umsetzung des Corbyn-Programms auf die
Straße zu tragen. Und es liegt an den Gewerkschaften, dem mit Streiks das
nötige Rückgrat zu geben.
Die
Wahlen vom 8. Juni haben ein neues Kapitel der britischen Geschichte
aufgeschlagen. Der Mythos, dass große Teile der britischen Arbeiter nach rechts
gerückt seien, ist widerlegt worden.
Von
Christian Bunke, Manchester
aus „junge Welt“ vom 10.06.2017
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