Vor zehn Jahren gründete sich die Partei Die Linke (PDL) mit
klaren oppositionellen und kapitalismuskritischen Grundsätzen.
Mittlerweile ist die Partei fest im Staatsbetrieb verankert und muss achtgeben, ihr ursprüngliches Profil nicht gänzlich zu verlieren.
Mittlerweile ist die Partei fest im Staatsbetrieb verankert und muss achtgeben, ihr ursprüngliches Profil nicht gänzlich zu verlieren.
Am 16.
Juni 2017 jährt sich die Gründung der Partei Die Linke zum zehnten Mal.
Zweijährigen Verhandlungen von Funktionsträgern beider Parteien folgten
getrennte Parteitage von PDS und der »Wahlalternative Arbeit und soziale
Gerechtigkeit« (WASG) sowie anschließend der Verschmelzungsparteitag in Berlin.
Beide hatten bereits am 18. September 2005 unter dem Namen Linkspartei.PDS und
den Spitzenkandidaten Gregor Gysi und Oskar Lafontaine an den vorgezogenen
Bundestagswahlen teilgenommen und 8,7 Prozent der Zweitstimmen erhalten.
In den
Jahren 2002 ff. gab es auf neue Weise und aus unterschiedlichen Gründen ein
gesellschaftliches Bedürfnis nach einer kämpferischen Linkspartei. Es war die
Zeit, da die neoliberale Kapitaloffensive gegen die abhängig Arbeitenden heftige
Formen annahm. Unter Bundeskanzler Gerhard Schröder kam es nach dessen
Wiederwahl am 22. Oktober 2002 mit der Agenda 2010 zum massivsten Angriff auf
den in den 1950er und 1960er Jahren in der Bundesrepublik geschaffenen
sozialstaatlichen Klassenkompromiss.
Nach der
Regierungserklärung vom 14. März 2003 brachte die Bundesregierung zügig eine
Reihe von Konterreformen in den Bundestag ein. Der Kündigungsschutz wurde
gelockert, die Zumutbarkeitsregelungen bei der Ablehnung von Arbeitsangeboten
verschärft. Es kam zur Beschränkung des Arbeitslosengeldes auf grundsätzlich
zwölf Monate und das statt der Arbeitslosenhilfe eingeführte Arbeitslosengeld
II wurde ausschließlich an die Bedürftigkeit gekoppelt und auf
Sozialhilfeniveau abgesenkt. Dagegen protestierten viele Menschen, in den
Gewerkschaften und in der SPD selbst. Das öffentliche Bewusstsein veränderte
sich. Bei Millionen kam es zu einer spontanen Politisierung.
Bloß noch eine zweite sozialdemokratische Partei? - Foto junge Welt |
Im Sommer
2004 entwickelte sich die größte gesellschaftliche Protestbewegung im
vereinigten Deutschland. Bis zu 400.000 Teilnehmer in 140 Städten nahmen über
viele Wochen hinweg an den Montagsdemonstrationen teil. Allein in Leipzig und
Berlin demonstrierten am 23. August 2004 gut 30.000 bzw. 20.000 Menschen. Die
SPD wurde von einer tiefen Krise erfasst. Im Vorfeld der am 19. September in
Sachsen stattfindenden Landtagswahlen konnte die dortige SPD kaum einen
Infostand aufstellen, ohne dass empörte Bürgerinnen und Bürger ihn alsbald
stürmten. Der SPD liefen die Mitglieder und dann in den folgenden Jahren auch
die Wählerinnen und Wähler davon. Im Verlaufe des Jahres 2004 traten von den
651.000 Mitgliedern der SPD etwa 40.000 aus, im ersten Quartal 2005 dann
21.616. Aktive ehemalige SPD-Mitglieder, linke Gewerkschafter und »heimatlose«
Linke kamen im Laufe des Jahres 2004 insbesondere im Verein »Wahlalternative
Arbeit und soziale Gerechtigkeit« (WASG) zusammen, der sich am 22. Januar 2005
zur Partei konstituierte.
Die PDS
war offensichtlich nicht die Organisation, die von denjenigen, die zur
Gegenwehr gegen die Agenda 2010 bereit waren, in der Mehrheit als ihre Partei
anerkannt wurde. Hervorgegangen aus der SED hatten sich in ihr Intellektuelle,
Wissenschaftler und politische Funktionsträger aus der DDR zusammen mit
»Altlinken« aus Westdeutschland an die Spitze gestellt. Die PDS hatte sich in
den 1990er Jahren viel Anerkennung als eine Partei erworben, die entschieden
für ostdeutsche Interessen eintrat. Sie kämpfte im Bundestag, in den
ostdeutschen Landtagen und außerparlamentarisch gegen Deindustrialisierung,
gegen die Abwicklung des öffentlichen Dienstes der DDR, gegen die Diffamierung
des sozialistischen Staates und gegen den Bereicherungsfeldzug der
westdeutschen Banken und Konzerne auf Kosten der ostdeutschen Eigentümer. Mit
dem Einzug der PDS 1990 in den Bundestag gab es dort wieder eine Partei, die
den gesellschaftlichen Klassenantagonismus thematisierte und sich auf die Seite
der Lohnarbeiter gegen das Kapital stellte. In den 1990er Jahren profilierte
sie sich im Bundestag als einzige Antikriegspartei, die gegen den
Jugoslawien-Krieg und die Auslandseinsätze der Bundeswehr in aller Welt
opponierte.
Im
Vorfeld der Intensivierung der neoliberalen Kapitaloffensive unter Gerhard
Schröder während dessen zweiter Kanzlerschaft war die linke politische Strahlkraft
der PDS verblasst. Bereits seit Mitte der 1990er Jahre sah sie sich zunehmend
als Regierungspartei im Wartestand. Unter Roland Claus tolerierte sie in
Sachsen-Anhalt eine rot-grüne bzw. eine SPD-Minderheitsregierung. Von 1998 an
regierte sie in Mecklenburg-Vorpommern mit. Nach dem Wahlergebnis von 22,6
Prozent bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus am 21. Oktober 2001
schloss sie am 17. Januar 2002 mit Klaus Wowereit eine Koalitionsvereinbarung
ab, in der sich die unterzeichnenden Parteien zur NATO und zur »westliche(n)
Wertegemeinschaft« bekannten und von den »Unrechtstaten der DDR« sprachen. Bei
der Bundestagswahl im September 2002 erhielt sie in Berlin noch 11,3 Prozent
der Zweitstimmen, im Bundesgebiet insgesamt vier Prozent.
Auf dem
Münsteraner Parteitag im April 2000 hatte die Parteiführung der PDS vergeblich
versucht, eine Einzelfallprüfung bei UN-mandatierten Auslandseinsätzen der
Bundeswehr durchzusetzen. Eine innerparteiliche Opposition bereitete den
»Reformlinken« dann zweieinhalb Jahre später im Oktober 2002 auf dem Geraer
Parteitag eine sichtbare Niederlage, als sie Gabriele Zimmer zur
Parteivorsitzenden wählte und Dietmar Bartsch ablehnte. Aber schon im Juni 2003
wurde Zimmer von Lothar Bisky abgelöst. Einige Monate später entsorgte die PDS
mit dem Chemnitzer Programm den Marxismus.
Nicht
PDS-Oppositionelle, sondern die gesellschaftlichen Bewegung gegen Hartz IV
erzwangen eine Revitalisierung der Linken als Partei Die Linke. Deren Gründung
war nicht schlechthin eine Sache von Absprachen zwischen den Führungen von PDS
und WASG, sondern das Ergebnis eines großen, wenn auch letztlich erfolglosen
Klassenkampfes von unten gegen die Agenda 2010.
Gesamtdeutsche Partei
Mit ihrer
Konstituierung war nicht nur eine größere Partei, sondern eine mit einem recht
klaren linken Profil entstanden. Überdies hatte sich die Parteienlandschaft
insgesamt verändert. Konfrontiert mit der Agenda 2010 und den damit
einhergehenden Klassenauseinandersetzungen trat der Charakter der
Bundestagsparteien SPD, Bündnisgrüne, CDU/CSU und FDP als neoliberales
Parteienkartell deutlich hervor. Ein »linkes Lager« im Parteiensystem war
nirgendwo zu erkennen. Die Zustimmung zur SPD war bei den Bundestagswahlen 2009
nach 38 Prozent der Stimmen 2002 auf 23 Prozent abgeschmolzen.
Mit der
Vereinigung von PDS und WASG entstand eine gesamtdeutsche Partei. Sie erhielt
in Westdeutschland (auch in Westberlin) bei Bundestagswahlen und bei
zahlreichen Landtagswahlen mehr als fünf Prozent der Stimmen und vereinigte in
ihren Reihen im Westteil des Landes deutlich mehr linke Gewerkschafter,
Sozialdemokraten und Bewegungsaktivisten als die PDS.
Die neu
entstandene Partei korrigierte die 2003 auf dem Chemnitzer Parteitag
beschlossene Linie, legte 2011 mit dem Erfurter Programm eine taugliche
Lageanalyse des gegenwärtigen Kapitalismus vor und bekannte sich zu einer Reihe
von marxistischen Grundsätzen. Sie bezeichnete sich als Partei, die »für einen
Systemwechsel« kämpft. Damit verlor der ehemalige Mehrheitsflügel der
»Reformlinken« in der PDS zunächst an Einfluss.
Die
Partei Die Linke verstand es, sich mit ihrer Programmatik, ihrem Personal sowie
mit ihren an den Interessen der abhängig Arbeitenden ausgerichteten sozialen
und politischen Forderungen als glaubhafte linke Wahlalternative gegen das
neoliberale Parteienkartell zu etablieren. Sie fand Anerkennung als
Friedenspartei, als Protestpartei, als Partei der Prekarisierten, als
antikapitalistische und systemverändernde Partei sowie als
Antiprivatisierungspartei. Sie verlor überall dort an politischer
Glaubwürdigkeit und politischer Stärke, wo sie ihre Grundsätze zur Disposition
stellte und sich als Regierungspartei an der neoliberalen Politik beteiligte.
Der PDS
gehörten am Tage des Zusammenschlusses 63.385 Mitglieder an (davon in den
westdeutschen Bundesländern etwa 5.700); die WASG hatte 10.500 Mitglieder. Bis
2009 wuchs die Zahl der Genossinnen und Genossen der Partei Die Linke auf
78.066. Danach verringerte sie sich. 2016 hatte sie noch 58.910 Mitglieder.
Nicht nur
die Mitgliederentwicklung, auch die Wahlerfolge der Partei erreichten 2009
ihren Höhepunkt. Bei der Bundestagswahl votierten 5,2 Millionen Wähler für Die
Linke. Das waren gut eine Million Stimmen mehr als 2005 und etwa drei Millionen
mehr als 2002. Während die PDS bei der Bundestagswahl 2002 1,1 Prozent ihrer
Stimmen in den westdeutschen Ländern erhalten hatte, waren es 2009 8,3 Prozent.
In Ostdeutschland erzielte sie in Sachsen-Anhalt mit 32,4 Prozent ihr bestes
Ergebnis, in Westdeutschland mit 21,2 Prozent im Saarland, aber selbst in
Bayern bekam sie 6,5 Prozent der Zweitstimmen. 25 Prozent der Erwerbslosen, 18
bzw. zwölf Prozent der Arbeiter und Angestellten wählten die Partei. Bei der Bundestagswahl
2013 fiel sie dann auf 3,8 Millionen Zweitstimmen und 8,6 Prozent zurück. Ihr
Anteil unter den Arbeitern und Angestellten verringerte sich auf zwölf bzw.
sieben Prozent.
Die große
Erfolgsstory der Linken währte so nur wenige Jahre. Es war vor allem eine
westdeutsche Erfolgsgeschichte. Im Osten ging ihr Stimmenanteil bei
Landtagswahlen (außer in Thüringen 2009 und 2014 sowie in Berlin 2016)
kontinuierlich zurück. Die heutige Krise der Partei ist vor allem eine Krise
der ostdeutschen Landesverbände.
Glaubwürdigkeitskrise
Innerhalb
der Partei wird regelrecht verdrängt, dass es einen Zusammenhang zwischen
Regierungsfixierung und Organisationskrise gibt, zwischen dem Kurs des
Mitregierens in den ostdeutschen Bundesländern, dem Verlust an linkem
politischen Profil und den anhaltenden Stimmenverlusten bei Landtagswahlen.
Im Jahre
2009 trat Die Linke in die brandenburgische Landesregierung ein. In den Jahren
2014 bis 2016 orientierte sie dann im Vorfeld aller ostdeutschen Landtagswahlen
überall auf »die Übernahme von Regierungsverantwortung« zusammen mit SPD und
Bündnisgrünen zwecks Erreichung eines »politischen Richtungswechsels« gegen die
neoliberale Politik. Regierungen unter Einschluss der Partei kamen in Thüringen
und Berlin zustande. Den in den Wahlkämpfen versprochenen Richtungswechsel gab
es indes nirgends. In den Ländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und
Mecklenburg-Vorpommern orientierte Die Linke gleichfalls aufs Mitregieren,
konnte aber im Gegensatz zu Thüringen damit keine Wählerinnen und Wähler
motivieren.
Innerhalb
der Partei Die Linke ist es im Zusammenhang mit den praktischen Erfahrungen als
Regierungspartei und ihren damit zusammenhängenden Wahlniederlagen zu keiner
ernsthaften kritischen Debatte gekommen. Auf keinem Bundes- und keinem
Landesparteitag legten Vorstände eine Bilanz der Erfahrungen, der Erfolge und Misserfolge
vor. Die Wählerverluste wurden ohne große Diskussionen hingenommen. Auch der
Bundesvorstand legte keine Bilanz der Regierungstätigkeiten vor.
Thüringen neoliberal
Seit dem
5. Dezember 2014 steht Bodo Ramelow als Ministerpräsident der Thüringer
Landesregierung vor. Die Landesvorsitzende Susanne Hennig-Wellsow versprach,
das werde ein »Meilenstein linker Politik«1. Tatsächlich ist diese Regierung
ein besonders drastisches Beispiel dafür geworden, dass nach vollmundigen
Ankündigungen der politische Richtungswechsel ausgeblieben ist, darob aber
beredtes Schweigen herrscht. Es zeigte sich erneut, dass die
Gestaltungsmöglichkeiten von den gegebenen ökonomischen, politischen und
rechtlichen Verhältnisse beschränkt werden, mithin für linke Politik sehr wenig
Spielraum besteht.
Zweieinhalb
Jahre Regierungszeit in Thüringen unter Bodo Ramelow sind vorbei. Die sozialen
und politischen Zustände haben sich nicht verändert. Die Regierungspolitik hat
sich nur minimal in wenigen Punkten verbessert, aber der Landesverband hat an
Glaubwürdigkeit verloren. Die Partei ist nicht zuletzt unter dem Druck des
bürgerlichen Politikbetriebes zu einer zweiten sozialdemokratischen Partei
geworden, die sich mit den gesellschaftlichen und politischen Zuständen
weitgehend ausgesöhnt, zahlreiche Grundsätze aufgegeben hat und vielen
Leitbildern der bürgerlichen Propaganda zustimmt. Sie hat keinen politischen
Richtungswechsel herbeigeführt, sondern lediglich dem Neoliberalismus ein etwas
menschlicheres Antlitz gegeben.
Thüringen: Da lacht das Kapital - Foto junge Welt |
Ansonsten
aber unterscheidet sich die Art des Regierens wenig von der üblichen Praxis.
Trotz Bedenken hat Ramelow der Schuldenbremse als Eckpfeiler der neoliberalen
Haushaltspolitik zugestimmt. Gegen erheblichen Widerstand ist die
Landesregierung dabei, eine Funktional- und Gebietsreform durchzusetzen, die
Bürgernähe verringert. Bereits in der Koalitionsvereinbarung bekannte sich die
Partei zu »Sozialpartnerschaft und verantwortlichem Unternehmertum«.
Hinsichtlich der institutionellen Abrechnung mit der DDR hat die
Landesregierung alle anderen ostdeutschen Landesregierungen übertroffen. Sie
hat an die Stelle einer abgewogenen und differenzierten Bewertung der DDR deren
Diffamierung als Unrechtsstaat gesetzt. In zwei Berichten an den Landtag über
die »Aufarbeitung der SED-Diktatur« wird dargelegt, wie dies im
Schulunterricht, in der Forschung und im politischen Leben noch intensiver
erfolgen soll.
In ihrem
Wahlprogramm von 2014 hatte Die Linke in Thüringen die Auflösung des
Landesamtes für Verfassungsschutz angekündigt. Sie hatte die »abträgliche
Befugnis« des Verfassungsschutzes zum »Grundrechtseingriff« kritisiert, die
»sich gegen jeden Menschen, den der Verfassungsschutz als
›verfassungsfeindlich‹ einstuft« richte.2
Mittlerweile
hat der Thüringer Verfassungsschutz mehr Mitarbeiter und einen größeren
Haushalt als vorher: Im Juni 2016 waren es 103 Stellen (2013: 97); der Etat für
2016 betrug 7,5 Millionen Euro (2013: 6,7 Millionen Euro). Nach wie vor
diffamiert das Landesamt linke Organisationen als verfassungsfeindlich. In
seinem Bericht für 2014 und 2015 werden, wie gehabt, die Kommunistische
Plattform in der Linken, die DKP, die Rote Hilfe e.V. und die Antifaschistische
Aktion Gotha als Organisationen genannt, die die »freiheitliche demokratische
Grundordnung« gefährden.
Integrationspotential
Die
widersprüchliche Entwicklung der Partei ist nur zu verstehen, wenn man sie vor
dem Hintergrund der Funktionsweise des in Deutschland bestehenden
parlamentarischen Regierungssystems betrachtet. Das versorgt die Parteien
reichlich mit staatlichen Geldern und Ämtern und zwingt sie, zu »Maschinen« in
einem permanenten Wahlkampf zu werden. Vor allem dies bedingt seine enorme
Integrationskraft, systemoppositionelle Parteien und Abgeordnete zu »mäßigen«
und schließlich einzubinden. Die staatliche Parteienfinanzierung, die
Finanzierung von deren Parlamentsarbeit und die staatlichen Gelder für ihre
sechs Stiftungen summieren sich auf deutlich mehr als eine Milliarde Euro. Auch
eine linke Partei unterliegt unweigerlich den Versuchungen des Geldes. Dies
prägt die Interessenlage derjenigen, die in ihr oder für sie arbeiten.
Gegensätze? |
Die Linke
hat gegenüber der PDS bei den Einnahmen aus der Staatskasse zum Teil kräftig
zugelegt, vor allem hinsichtlich der Höhe der Fraktionszuschüsse im Bundestag3
und der Zuwendungen für die Rosa-Luxemburg-Stiftung. Sie ist im Jahr ihres 10.
Jubiläums in drei Bundesländern Regierungspartei mit erweiterten Möglichkeiten
der Ämterpatronage, aber auch der Einflussnahme auf die Bundesgesetzgebung über
den Bundesrat. Sie hat dort z. B. am 2. Juni 2017 mit ihrem Ja zum
Gesetzespaket zur Neuregelung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern
einer Privatisierung von Autobahnen den Weg gebahnt, was immerhin in einer
Erklärung des Bundesvorstandes als »falsch« bezeichnet wird.
Die
Partei hat derzeit 228 Abgeordnete, sieben im Europaparlament, 64 im Bundestag
und 157 in zehn der 16 Bundesländer. Im Jahre 2000 hatte die PDS 193
Abgeordnete, sechs im Europaparlament, 36 im Bundestag und 151 in den sechs
ostdeutschen Landtagen. Erheblich angewachsen ist die Zahl der voll- und
teilzeitbeschäftigten Mitarbeiter im Bundestag. Im Jahre 2000 waren es bei der
PDS-Fraktion 142, im Jahre 2009 bei der Bundestagsfraktion der Linken 622. Die
parteinahe Rosa-Luxemburg-Stiftung erhielt in den Jahren 1999 und 2000
staatliche Einnahmen aus dem Bundeshaushalt in Höhe von 4,1 bzw. 9,5 Millionen
DM.4 Im Jahre 2014 bekam die RLS an Zuwendungen aus dem Bundeshaushalt
erheblich mehr: 52 Millionen Euro.5
Die
Integrationskraft des parlamentarischen Regierungssystems wirkt in der Tendenz
und nicht absolut. Besonders in der Bundestagsfraktion und im Bundesvorstand
gibt es zahlreiche Abgeordnete bzw. Mitglieder mit klaren antimilitaristischen
und antikapitalistischen Positionen, die sich nicht einbinden lassen, sondern
diese Standpunkte unbeirrt vertreten und danach handeln.
Illusionstheater »Rot-Rot-Grün«
Der
Bundesvorstand hat am 3. Dezember 2016 nach intensiver Diskussion und
zahlreichen Veränderungen bei fünf Gegenstimmen und vier Enthaltungen dem
Wahlstrategiepapier der Partei für die Bundestagswahl 2017 zugestimmt. Der vom
Bundesvorstand mit Mehrheit abgelehnte Entwurf vom September hatte sich noch
für eine offensive Wahlkampfführung zugunsten von »Rot-Rot-Grün« ausgesprochen:
»Das Land braucht eine linke Regierung oder es droht eine rechte«.6
In ihrem
Strategiepapier setzt Die Linke auf inhaltliche Eigenständigkeit. Verwiesen
wird auf die richtige Feststellung im Grundsatzprogramm von Erfurt, dass es »Kernaufgabe
der Linken (ist) zur Veränderung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse
beizutragen«. Diese Position wird indes dann wieder verlassen, wenn es heißt,
die neoliberale Politik könne durch eine andere Politik ersetzt werden, wenn
die »demokratisch-legitimierte(n) Institutionen die gesellschaftliche
Entwicklung politisch gestalten und das nicht den Konzernen und Banken
überlassen«. Das Grundsatzprogramm von Erfurt sieht da derzeit keine reale
Möglichkeit: »Die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung werden
ebenso wie das Staatshandeln und die Politik entscheidend von den Interessen
des Kapitals bestimmt.«
Einige
Bundesminister von Die Linke würden daran überhaupt nichts ändern. Sie wären
eingebunden in ein Regierungssystem, dessen Markenzeichen die Fortsetzung des
Neoliberalismus und der Kriegführung in aller Welt ist. Eine Teilnahme an der
Bundesregierung würde das Unternehmen Die Linke zehn Jahre nach seiner
Konstituierung als oppositionelle Kraft, als wichtiger Teil von Gegenmacht beenden.
Die abhängig Arbeitenden, die linken sozialen, antimilitaristischen und
politischen Bewegungen hätten im Bundestag keine Stimme mehr.
Machtpolitische Gegebenheiten
Es gibt
in der Partei zum einen eine Praxis des Mitregierens in den Bundesländern, die sie
in den bürgerlichen Politikbetrieb einordnet. Sie wird dabei unweigerlich zur
Vollstreckerin neoliberaler Politik. Die Interessen der beteiligten Politiker
verbinden sich mit den Interessen der ökonomisch Herrschenden. Zum anderen gibt
es nach wie vor einen von der Partei getragenen Widerstand gegen die
neoliberale Politik, gegen die NATO und Auslandseinsätze der Bundeswehr. Diese
Sowohl-als-auch-Politik, flankiert von einem Verständnis des »sozialistischen
Pluralismus« als politische Beliebigkeit, unterminiert Glaubwürdigkeit und den
Anspruch der Partei, auf einem Fundament sozialistischer Grundsätze zu stehen.
Weder die Diskussion über rote Haltelinien, die bei Regierungsbündnissen
einzuhalten sind, noch der an sich richtige Hinweis, dass im Falle einer
solchen Beteiligung die »Chance« bestehen muss, »linke Politik zu machen«,7
haben der Partei geholfen, hinsichtlich dieser Frage eine überzeugende Position
zu entwickeln. Die »Chance« für eine linke Politik in der Regierung ist eine
strukturelle Frage und keine des Willens. Wer nüchternen Blicks hinsieht, wird
feststellen, dass diese Chance derzeit nicht besteht.
Von
Ekkehard Lieberam
Gekürzter und redaktionell bearbeiteter Text. Der vollständige Text des Artikels erscheint im Bulletin des „Geraer Sozialistischer Dialog“, Nr. 52.
Anmerkungen
1 Susanne Hennig-Wellsow: Mit Links regieren!
In: Dies. (Hg.): Mit Links regieren? Wie Rot-Rot-Grün in Thüringen geht,
Hamburg 2015, S. 40
2 »Wann, wenn nicht jetzt? Thüringen sozial
regieren«, Programm der Partei Die Linke Thüringen zur Landtagswahl 2014,
Beschluss des 4. Landesparteitages, 2. Tagung, 22. März 2014 in Sömmerda, S. 44
3 Die Fraktionszuwendungen im Bundestag für die
PDS im Jahre 1999 betrugen 11,96 Millionen DM, die für Die Linke im Jahre 2015
12,6 Millionen Euro. Vgl. »Bekanntmachungen der geprüften Rechnungen der
Fraktionen«, Deutscher Bundestag, Drucksache 14/4040, S. 11 und Drucksache
18/9490, S. 8
4 Jahresbericht 1999/2000, Rosa Luxemburg
Stiftung, 12. November 2001, S. 76
5 Jahresbericht 2015 der
Rosa-Luxemburg-Stiftung, Juni 2016, S. 85
6 Strategischer Ansatz für die Bundestagswahl
2017, Wahlstrategie für Die Linke, Bundeswahlkampfleiter Matthias Höhn, 12. September
2016, S. 2
7 Sahra Wagenknecht: Linke Politik statt
»Rot-Rot-Grün«, in: Thies Gleiss/Inge Höger/Lucy Redler/Sascha Stanicic (Hg.):
Nach Goldschätzen graben, Regenwürmer finden. Die Linke und das Regieren, Köln
2016, S. 214
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