Die
meisten Menschen der nachgewachsenen Generationen kennen den sogenannten
Radikalenerlass und die massenhaften Berufsverbote, die in den 1970er und -80er
Jahren gegen Beamte des öffentlichen Dienstes ausgesprochen wurden, bestenfalls
nur noch vom Hörensagen. Die Opfer wurden bis heute nicht rehabilitiert.
Das Thema
ist so gut wie tabu. Der hier verlinkte Beitrag des ZDF ist eine Ausnahme. Er
ruft ein Kapitel bundesdeutscher Geschichte in Erinnerung, das bis heute
nachwirkt. Sehenswert!
Hier der
Link:
3,5
Millionen Überprüfungen durch den „Verfassungsschutz“, 11000 Berufsverbotsverfahren,
2200 Disziplinarverfahren, 1250 Ablehnungen von Bewerbungen sowie 265
Entlassungen aus dem Öffentlichen Dienst, so lautet die jeder Demokratie
hohnsprechende Bilanz als Folge des sogenannten Radikalenerlasses von Januar
1972. Willy Brandt galt als Initiator dieser innenpolitischen Repression die
außenpolitische Entspannungspolitik konterkarierend. Später bezeichnete der
Kanzler der neuen Ostpolitik den Ministerpräsidentenbeschluss als Fehler,
freilich ohne die politischen Konsequenzen geschweige denn die Notwendigkeit
der Rehabilitierung zu thematisieren.
Parallel
zu den Berufsverboten im Öffentlichen Dienst begann die Verdrängung
gewerkschaftlich und sozialistisch engagierter Journalisten aus privaten und
öffentlichen Medien in Presse, Rundfunk oder Fernsehen. Obwohl im Öffentlichen
Dienst ein verfassungsrechtlicher Schutz vor politischer Diskriminierung
besteht, auf den sich die Beschäftigten berufen können, wurden Auftrittsverbote
gegen Künstler in den öffentlich-rechtlichen Medien verfügt, u.a. gegen den
kürzlich verstorbenen Ossietzky-Mitherausgeber Dietrich Kittner. Bis zu
höchsten Gerichten wie dem BVerwG und BVerfG wurde der Schutz vor politischer
Diskriminierung gebeugt. Eine ganze Generation sah sich konfrontiert mit dem
staatlichen Druck der Einschüchterung und Entpolitisierung.
Folgen
dieser Entdemokratisierung wirken bis heute in den beruflichen und familiären
Biographien nach. So etwa verwehrte die niedersächsische Landesregierung unter
Ernst Albrecht dem Lehrer Matthias Wietzer 1978 die Einstellung in den
Schuldienst nach dreistündiger „Anhörung“ im Niedersächsischen Innenministerium
u.a. wegen seiner Aktivitäten für den Marxistischen Studentenbund Spartakus
(MSB) und die DKP sowie einer Spende über 20 DM im Jahr 1973 an die Zeitung
„UZ“. Nach jahrelangem politischen Kampf und fünf Gerichtsverfahren um seine
Einstellung erfolgte erst 1991 die Übernahme in den Schuldienst. Nun arbeitet
er seit 22 Jahren an der Brinker Schule im niedersächsischen Langenhagen und
bekam 2009 eine Dankesurkunde der Niedersächsischen Landesregierung „für
25-jährige gewissenhafte Pflichterfüllung“. Eine behördliche Stelle teilte ihm
allerdings später auf Anfrage mit, dass er bei Erreichen der Altersgrenze 2017
bei weiterer Vollzeittätigkeit einen Ruhegehaltsanspruch von 53,88 % erreichen
werde, was einem reduzierten Pensionsanspruch von ca. 500 Euro monatlich
entspricht und somit eine lebenslange Abstrafung darstellt. Nicht wenige der
Betroffenen wird es noch härter treffen, ihnen droht das Absinken in die Altersarmut.
Nach
1989/90 wurde im Osten des Landes die Abwicklung real-sozialistischer Ökonomie
durch die Verfügung flächendeckender Berufsverbote ergänzt, deren Geschichte
nicht einmal in Ansätzen geschrieben ist. Die politische Überwachung
funktioniert seitdem so dicht, wie es sich Geheimdienste der 70er und 80er
Jahre kaum zu träumen wagten. In Zeiten, da in vielen Arbeitsverhältnissen alle
Sicherheiten aufgekündigt wurden, leben 12 Millionen arbeitsfähige Menschen in
Deutschland mit Einkommen unter 700 Euro. So kann sich eine Berufsverbotspraxis
verdeckt durchsetzen. Die Angst, nach der Befristung den Arbeitsplatz zu
verlieren oder unter einer Vielzahl von Bewerbern erst gar nicht zum
Einstellungsgespräch geladen zu werden, aktiviert die Schere im Kopf, erzeugt
enormen Anpassungsdruck. Da kann die Frage, den „Ossietzky“ zu abonnieren oder
besser nicht, als Existenzfrage gewertet werden.
Einer
Gruppe ehemals Betroffener gelang es 2012 aus Anlass des 40. Jahrestages des
Ministerpräsidentenbeschlusses die Bewegung gegen Berufsverbote in
verschiedenen Regionen der alten BRD wieder zu beleben. Die GEW hat auf Bundes-
und Landesebene Unterstützung signalisiert, in Bremen und Niedersachsen
erzielten parlamentarische Initiativen erste Betroffenheit. Ob die zentralen
Anliegen dieser Demokratiebewegung, den Ministerpräsidentenbeschluss zu
streichen, die Betroffenen politisch und materiell zu rehabilitieren gelingt,
werden die weiteren Aktivitäten der regionalen und bundesweiten Initiativen
zeigen. (…)
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