FLÜCHTLINGSRAT
SCHLESWIG-HOLSTEIN e.V.
PRESSEERKLÄRUNG
Kiel,
7.1.2016
Seit
Herbst 2015 gilt der Konsens zwischen Bund und Ländern, dass Bleiberechts- und
Integrationsförderung für Flüchtlinge nach dem Aschenputtel-Prinzip, einem
Programm systematischer ethnisch hergeleiteter Chancenungerechtigkeiten,
gestalten solle:
Diese
Politik hat mit dem, was noch im Mai 2015 der Kieler Flüchtlingspakt – immerhin
mit Unterstützung der Kommunen, Städte und Gemeinden des Bundeslandes – als
künftiges Konzept einer integrationsorientierten Flüchtlingsaufnahme
versprochen hatte, rein gar nichts mehr zu tun. Irritationen in Verwaltungen
und Verbänden sind also kaum überraschend. Die Diskrepanz der politischen
Ansätze leistet aber denen Vorschub, die schon immer Anhänger einer
restriktiven Asylpolitik gewesen sind.
Damit,
dass Bürgermeister Bernd Saxe sich ausgerechnet im Vormonat zum 20. Jahrestag
des Brandanschlages auf die Flüchtlingsunterkunft in der Lübecker Hafenstraße
mit der Ankündigung 1.000 Flüchtlinge abschieben zu wollen, als
Stammtischclaqueur medial inszeniert, bleibt er sich treu. Dass Bürgermeister
Saxe dabei "Nacht und Nebel"-Abschiebungen eine Absage erteilt, ist
angesichts der laufenden Lübecker Abschiebungspraxis hingegen unglaubwürdig.
Dem Bürgermeister fehlen offenbar nicht nur Überblick über die eigene
Verwaltungspraxis und humanitäres Gespür sondern auch jegliche Sachkenntnis
bzgl. zuwanderungs- und integrationspolitischer Bedarfslagen.
Zu danken
ist der lokalen Unterstützungsszene, u.a. dem Lübecker Flüchtlingsforum und der
Kirche, für die entschiedenen kritischen Kommentierungen und Ankündigungen einer
an den Nöten der Betroffenen ausgerichteten widerständigen solidarischen
Praxis. Bleibt zu hoffen, dass auch andere Institutionen der Zivilgesellschaft
der Hansestadt ihrem Bürgermeister alsbald nachdrücklich den Kopf waschen und
ihn auf den Boden der auch in Lübeck herrschenden flüchtlings-, demographie-
und arbeitsmarktpolitischen Bedarfstatsachen zurückholen.
Erfreulich
ist zu lesen, dass das Ministerium für Inneres und Bundesangelegenheiten
Schleswig-Holstein Saxes Vorstoß zurückhaltend gegenüber steht. Dort werde an
einem Konzept gearbeitet, dass auf Freiwilligkeit der Ausreise setze.
„Doch
auch ein solches Rückkehrkonzept des Landes muss den humanitären Lackmustest
noch bestehen“, mahnt Andrea Dallek vom Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein. Ohne
ein regelmäßiges Beratungsangebot darüber, welche arbeitsmarktorientierten
Wiedereinreisemöglichkeiten bestehen und wie diese den Betroffenen tatsächlich
zugänglich sind, ohne ein Programm das Möglichkeiten der Weiterwanderung in
andere Einwanderungsstaaten vorhält und ohne robuste finanzielle
Rückkehrintegrationshilfen für ausreisepflichtige Personen, würde die
angestrebte Freiwilligkeit der Rückkehr wohl allenfalls Behauptungsqualität
erlangen, ist Dallek überzeugt.
Der
Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein lehnt die Vollstreckung von
Massenabschiebungen als Mittel der Flüchtlingspolitik ab. Weder bedeutet
Erfolglosigkeit im Asylverfahren das Ende bleiberechtlicher Perspektiven, noch
sind Abschiebungsaktionen als Abschreckungsmaßnahmen gegen künftige AsylzuwanderInnen
geeignet.
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