Donnerstag, 7. Januar 2016

Flüchtlingsrat kritisiert auf Selektion und Abschiebung gerichtete Flüchtlingspolitik in Lübeck

Rückkehrförderung muss Wiedereinreise oder Weiterwanderung ermöglichen

FLÜCHTLINGSRAT SCHLESWIG-HOLSTEIN e.V.
PRESSEERKLÄRUNG
Kiel, 7.1.2016

Seit Herbst 2015 gilt der Konsens zwischen Bund und Ländern, dass Bleiberechts- und Integrationsförderung für Flüchtlinge nach dem Aschenputtel-Prinzip, einem Programm systematischer ethnisch hergeleiteter Chancenungerechtigkeiten, gestalten solle:

Denen mit einer „guten Bleibeperspektive“ – eine vom Bundesinnenministerium dekretierte Liste weist hier ausschließlich die Herkunftsländer Syrien, Irak, Iran und Eritrea aus – werden schnelle Asylverfahren und schon vor der rechtskräftigen Anerkennung zugängliche Integrationsförderangebote gewährt. Diejenigen mit „schlechter Bleibeperspektive“ – womit nicht allein Asylsuchende und diskriminierte ethnische Minderheiten aus vermeintlich sicheren Herkunftsländern, sondern auch die aus allen sonstigen unwirtlichen Weltenorten gemeint sind – haben verstärkt negative Asylentscheidungen, Verweigerung von Förderung und ggf. Aufenthaltsbeendigung zu gewärtigen.

Diese Politik hat mit dem, was noch im Mai 2015 der Kieler Flüchtlingspakt – immerhin mit Unterstützung der Kommunen, Städte und Gemeinden des Bundeslandes – als künftiges Konzept einer integrationsorientierten Flüchtlingsaufnahme versprochen hatte, rein gar nichts mehr zu tun. Irritationen in Verwaltungen und Verbänden sind also kaum überraschend. Die Diskrepanz der politischen Ansätze leistet aber denen Vorschub, die schon immer Anhänger einer restriktiven Asylpolitik gewesen sind.

Damit, dass Bürgermeister Bernd Saxe sich ausgerechnet im Vormonat zum 20. Jahrestag des Brandanschlages auf die Flüchtlingsunterkunft in der Lübecker Hafenstraße mit der Ankündigung 1.000 Flüchtlinge abschieben zu wollen, als Stammtischclaqueur medial inszeniert, bleibt er sich treu. Dass Bürgermeister Saxe dabei "Nacht und Nebel"-Abschiebungen eine Absage erteilt, ist angesichts der laufenden Lübecker Abschiebungspraxis hingegen unglaubwürdig. Dem Bürgermeister fehlen offenbar nicht nur Überblick über die eigene Verwaltungspraxis und humanitäres Gespür sondern auch jegliche Sachkenntnis bzgl. zuwanderungs- und integrationspolitischer Bedarfslagen.

Zu danken ist der lokalen Unterstützungsszene, u.a. dem Lübecker Flüchtlingsforum und der Kirche, für die entschiedenen kritischen Kommentierungen und Ankündigungen einer an den Nöten der Betroffenen ausgerichteten widerständigen solidarischen Praxis. Bleibt zu hoffen, dass auch andere Institutionen der Zivilgesellschaft der Hansestadt ihrem Bürgermeister alsbald nachdrücklich den Kopf waschen und ihn auf den Boden der auch in Lübeck herrschenden flüchtlings-, demographie- und arbeitsmarktpolitischen Bedarfstatsachen zurückholen.

Erfreulich ist zu lesen, dass das Ministerium für Inneres und Bundesangelegenheiten Schleswig-Holstein Saxes Vorstoß zurückhaltend gegenüber steht. Dort werde an einem Konzept gearbeitet, dass auf Freiwilligkeit der Ausreise setze.

„Doch auch ein solches Rückkehrkonzept des Landes muss den humanitären Lackmustest noch bestehen“, mahnt Andrea Dallek vom Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein. Ohne ein regelmäßiges Beratungsangebot darüber, welche arbeitsmarktorientierten Wiedereinreisemöglichkeiten bestehen und wie diese den Betroffenen tatsächlich zugänglich sind, ohne ein Programm das Möglichkeiten der Weiterwanderung in andere Einwanderungsstaaten vorhält und ohne robuste finanzielle Rückkehrintegrationshilfen für ausreisepflichtige Personen, würde die angestrebte Freiwilligkeit der Rückkehr wohl allenfalls Behauptungsqualität erlangen, ist Dallek überzeugt.

Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein lehnt die Vollstreckung von Massenabschiebungen als Mittel der Flüchtlingspolitik ab. Weder bedeutet Erfolglosigkeit im Asylverfahren das Ende bleiberechtlicher Perspektiven, noch sind Abschiebungsaktionen als Abschreckungsmaßnahmen gegen künftige AsylzuwanderInnen geeignet.

Refugees welcome – Bleiberecht und Integrationsförderung für ausnahmslos alle Flüchtlinge! 
 

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