Mittwoch, 28. Oktober 2015

„Erfolgsfaktor Sozialpartnerschaft“ – für wen?

Ein Diskussionsbeitrag des Delegierten und DKP-Mitglieds Jürgen B. auf dem 23. ordentlichen Gewerkschaftstag der IG Metall, der am 24. Oktober endete – und die Reaktion des (jetzt) ehemaligen IGM-Vorsitzenden, Detlef Wetzel.


Liebe Kolleginnen und Kollegen, 
am gestrigen Tag haben wir unseren Kongress begonnen. Aufgabe dieses Kongresses ist es, unsere Arbeit, unsere Gewerkschaftsarbeit einer positiven, aber auch einer kritischen Betrachtung zu unterziehen. Sind wir mit unseren Analysen, mit unseren Einschätzungen an den realen Problemen im Betrieb und in der Gesellschaft? Sind wir mit der Einschätzung unseres Noch-Vorsitzenden, dass die Sozialpartnerschaft ein Erfolgsrezept ist, auf dem richtigen Weg?

Die Sozialpartnerschaft – so wurde gestern berichtet – ist ein wichtiger Erfolgsfaktor der deutschen Wirtschaft. Sozialpartnerschaft bedeutet nichts anderes – so wurde
gestern ebenfalls berichtet -, als dass Arbeitgeber und Gewerkschaften gemeinsam Verantwortung tragen. Wenn dem so ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, warum wird der prekäre Bereich in unseren Betrieben und in der Gesellschaft immer größer?
Wenn dem so ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, warum sinkt die Lohnquote, warum wird die Arbeitszeit immer mehr verlängert und warum wird der Druck auf unsere Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben immer schlimmer?

Wenn dem so ist, warum werden unsere sozialen Errungenschaften immer weiter abgebaut? Heute zahlen wir für die Erhöhung von Krankenkassenbeiträgen alleine.
Es gab mal eine Zeit, da wurde das von beiden getan. Wenn dem so ist, dass die Verantwortung auf beiden Seiten liegt, warum wird der Reichtum in unserem Land für wenige immer größer? Mittlerweile ist es ein gesellschaftlicher Skandal, in wie wenigen Händen der Reichtum konzentriert ist.
Es mag sein, dass die Sozialpartnerschaft ein Erfolgsfaktor der deutschen Wirtschaft ist. Aber ist sie das auch für uns?

Wenn wir nüchtern die Fakten analysieren, haben wir sicherlich einige Erfolge. Aber in Summe, im Saldo befinden wir uns doch alle in permanenten Abwehrkämpfen.
Der Alltag in den Betrieben, auch in unserer Ortsverwaltung, ist durch Abwehrkämpfe geprägt. Von Partnerschaft kann in den Betrieben keine Rede sein.
Kolleginnen und Kollegen, das, was wir auf diesem Kongress darstellen, hat teilweise mit der realen Welt wenig zu tun. Manchmal frage ich mich: Was geht in den
Köpfen unserer Führung so vor? Ich nehme als Beispiel die IG Metall-Zeitung vom August dieses Jahres. In dieser Zeitung machen wir Werbung für ein Sportauto. Für
dieses Auto, so schreiben wir, kostet ein Schlüssel in Wagenfarbe 952 Euro, eine Fußmatte kostet 1.190 Euro, ein Kofferset 17.731 Euro. Das Auto selbst schlappe 768.000 Euro.
Dann schreiben wir in der gleichen Zeitung, der Preis stört nicht. Alle 918 Exemplare
sind bereits verkauft. Zwei stehen bei mir in der Garage. (Heiterkeit – Beifall)
Für viele Menschen, so wird geschrieben, ist ein rasanter Sportwagen ein Traum. Ich zitiere die Metallzeitung unserer Organisation vom August.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, hat das noch etwas mit der realen Arbeitswelt zu tun? Dass wir die Autos bauen müssen, ist klar. Aber ist dies das, was unsere Kolleginnen
und Kollegen bewegt?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, statt die Sozialpartnerschaft zu hofieren, sollten wir unsere Kolleginnen und Kollegen aufklären, dass nur eine interessenorientierte, eine gesellschaftskritische und eine systemkritische IG Metall eine Chance hat, unsere Besitzstände zu verteidigen. (Beifall)

Auch wenn ich damit nicht auf komplette Zustimmung stoße, bleibt es eine Wahrheit: Die reale Welt ist durch den Gegensatz von Arbeit und Kapital geprägt. Ein Euro von uns muss immer gegen den Willen der anderen erkämpft werden. Dies den Kolleginnen und Kollegen zu erklären, ist unsere Aufgabe, und nicht diese Sozialpartnerschaft zu bejubeln, die es sowieso nicht gibt. (Beifall)

Machen wir es nicht, werden wir weitere Rückschritte in unseren sozialen Standards hinnehmen müssen. Ich hoffe, dass wir auf diesem Kongress damit beginnen, diesen Widerspruch unseren Kolleginnen und Kollegen zu erläutern. Dafür ist unsere metallzeitung wichtig, und nicht für Kampagnen für Autos. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. (Beifall)

Auf diesen Beitrag reagierte Detlef Wetzel folgendermaßen:

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
erst einmal ganz herzlichen Dank für die vielen Diskussionsbeiträge.

Da soll mir noch mal jemand sagen, diese IG Metall diskutiert nicht.

Es ist jetzt ein bisschen ungünstig, nicht weil so viele gesprochen haben, sondern weil ich jetzt nicht eine halbe Stunde Pause habe, um die ganzen Wortbeiträge ein
bisschen zu sortieren. Insofern seht es mir nach, wenn ich das nicht systematisch mache.

Jürgen, zur Sozialpartnerschaft: Wenn Du unterstellen würdest, dass Sozialpartnerschaft Friede, Freundschaft, Eierkuchen ist, dann hättest Du Recht. Aber ich glaube,
Sozialpartnerschaft ist etwas anderes, insbesondere wie wir unsere Arbeit als Gewerkschaft verstehen. Wir sind mitgliederorientiert, wir sind beteiligungsorientiert,
wir sind konfliktorientiert. Dort, wo wir mit den Arbeitgebern gemeinsame Interessen haben, wie zum Beispiel bei der Frage CO2, bei der Frage der Zukunft der Industrie
und bei vielen anderen Themen mehr, wären wir mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn wir nicht gemeinsam mit anderen gesellschaftlichen Kräften versuchen würden, unsere Interessen durchzusetzen. Insofern teile ich das nicht. Insbesondere auch deshalb, weil beispielsweise die Selbstverwaltung der Bundesagentur für Arbeit, die Selbstverwaltung der Krankenkassen, um nur mal zwei Beispiele zu nennen, wo wir natürlich auch mit den Arbeitgebern und der öffentlichen Hand zusammensitzen,
sozusagen die Inkarnation der Sozialpartnerschaft ist. Kein Mensch würde ja verlangen, dass wir aus der Bundesagentur für Arbeit oder aus den Verwaltungsräten der Krankenkassen ausscheiden, nur weil wir das Wort Sozialpartnerschaft nicht so mögen.

Also, ich meine, da sollten wir nicht das Kind mit dem Bade ausschütten.

Anmerkung der Redaktion: 
Die Blog-Redaktion des DKP-Lübeck / Ostholstein merkt zu dieser Reaktion Wetzels an, dass der Kollege Wetzel hier einem Missverständnis erliegt: Das Problem mit der Sozialpartnerschaft besteht nicht im Mitarbeiten von Gremien der Bundesagentur für Arbeit oder den Krankenkassen, um zwei Beispiele aufzugreifen. Das Problem besteht darin, dass – um bei den Beispielen zu bleiben – die Erhöhungen der Krankenkassebeiträge allein von den Lohnabhängigen gezahlt werden und die ALG-II-Sätze inkl. Sanktionen Menschen ohne Arbeit in die Verelendung treiben. Übrigens auch die Kolleginnen und Kollegen mit einem Leiharbeitsvertrag bei eienem Vorzeige-Konzern in Sachen „Sozialpartnerschaft“ wie Volkswagen, die  jetzt vor die Tür gesetzt werden im Zuge des VW-Skandals – ein Skandal, den allein das VW-Management und die Konzernführung zu verantworten haben. Das Problem mit der Sozialpartnerschaft ist kurzum, dass von Wetzels „unsere Interessen durchzusetzen“, (leider) nicht die Rede sein kann.

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