Die Leistungen des Sozialismus in der DDR
lassen sich an den heutigen Zuständen ablesen: Kriege, Not, Elend und ein
deutscher Imperialismus, der wieder einmal auf dem Sprung ist. Betrachtungen
zur Konterrevolution vor 25 Jahren.
Von Patrik Köbele
Der 3.
Oktober 1990 war ein schwarzer Tag für die gesamte Linke in Deutschland und
darüber hinaus. Die Ereignisse und Entwicklungen, die an dieses Datum geknüpft
sind, fügten ihr eine schwere Niederlage zu, von der sie sich bis heute nicht
erholt hat. Verkümmerung und Verfall, Resignation und Orientierungslosigkeit
waren das unmittelbare Ergebnis, das noch immer das Fortkommen einer
grundsätzlichen Opposition lähmt. Auch wenn damit noch lange keine Lösung
geboten wird, spricht viel dafür, sich des eigenen Erbes zu besinnen, auch und
vor allem angesichts der gegenwärtigen Misere. Oder anders gesagt: Das
Verhältnis zum realen Sozialismus in Europa und im Speziellen zur DDR ist für
jeden Linken ein Prüfstein, der ehrlich den Anspruch hat, den gegenwärtigen
Kapitalismus zu überwinden und eine sozialistische Entwicklung einzuleiten.
Das aber
wird nur gelingen, wenn man sich grundsätzlich auf die Seite des Sozialismus
stellt, so, wie er sein soll, aber eben auch so, wie er war. Man entschuldigt
sich nicht beim Klassengegner – nicht für die einstmalige Verteidigung des
Sozialismus und auch nicht für dabei gemachte Fehler. An einer Fehleranalyse
hat dieser Klassengegner nämlich naturgemäß kein Interesse. Bei SPD und Grünen,
die irgendwann einmal zumindest vorgaben, etwas anderes zu wollen als die reine
Bewahrung des Kapitalismus, verhält es sich nicht unbedingt anders. Um gar
nicht in die Nähe einer Sympathie für den gewesenen wie den zukünftigen
Sozialismus zu geraten, bitten sie um nachträgliche Entschuldigung für das
Wagnis der Überwindung des Kapitalismus, leisten Abbitte für ehemals radikalere
Positionen, wünschen Pardon für die Enteignung der Faschismusförderer und
Kriegsverbrecher, der Großkonzerne und Junker. Es geht ihnen um die Verbreitung
ihrer »Wahrheit«: Der Sozialismus hatte keine Fehler, der Sozialismus war der
Fehler. Bedauerlicherweise lässt sich auch von der Linkspartei bzw. ihrer
Vorgängerorganisation nicht behaupten, dass sie in dieser Frage Haltung
bewiesen hätte. Das Bekenntnis zu einem wie auch immer gestalteten Sozialismus
ist zwar nach wie vor programmatisch verankert, ein Bezug zur Vergangenheit in
den letzten Jahren aber weitgehend gekappt worden. Das Bedürfnis, sich für die
Taten oder Untaten der DDR entschuldigen zu müssen, erschien so zwanghaft, dass
man sich fragen musste, wann eigentlich das nächste »Mea culpa« ausgesprochen
würde. Signalisiert wird damit: Auch wir wollen mit dem gewesenen Sozialismus
nichts mehr zu tun haben. Dabei gibt es gute Gründe, sich seiner zu erinnern.
Von der Kette gelassen
Palast der Republik,
Volkshaus der sozialistischen Arbeiterbewegung
Foto: jW-Archiv
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Auch als
es ihn gab, hatte der Imperialismus nicht aufgehört, das zu tun, was er am
besten kann und was ihn so verabscheuungswürdig macht: Er raubte, er mordete,
er führte Krieg. Letzteres besonders brutal auch und gerade gegen Versuche,
eine Gesellschaft jenseits von Unterwerfung, Kolonialismus und Kapitalismus zu
errichten, wie in Korea und Vietnam. Gleichwohl zwang dieser Sozialismus seinen
Kontrahenten zu einer veränderten Strategie. Der jederzeitige offene Einsatz
des Militärs war ihm nicht mehr ohne weiteres möglich. Zugleich nivellierte der
Sozialismus die Gegensätze zwischen den imperialistischen Staaten so stark,
dass diese Kriege gegeneinander unterließen und auch kaum mehr ihre
Stellvertreterkriege untereinander ausfochten. Anders als irgendwann einmal
behauptet, war der Imperialismus zu keiner Zeit »friedensfähig«. Aber der reale
Sozialismus zwang ihn zu einer relativen Friedlichkeit.
Das war
einmal. Heute erleben wir eine Welt, in der Krieg wieder zum Normalzustand
geworden ist. Seit der durch SPD und Grüne organisierten Teilnahme der
Bundeswehr am völkerrechtswidrigen Bombardement gegen Jugoslawien 1999 ist auch
der deutsche Imperialismus wieder dabei. Nach dem Ende der DDR konnte er sich
von einem quasi gefesselten Imperialismus zu einer Macht entwickeln, die über
die Kontrolle des EU-Hinterlands daran arbeitet, den Abstand zum
US-Imperialismus zu verringern. Dabei gilt jedoch: Der Jugoslawien-Krieg hätte
im Falle einer da noch existierenden DDR nie stattgefunden, die derzeit
schlimmste Gefahr für den Frieden, die NATO-Osterweiterung, wäre ohne Umwälzung
der ehedem sozialistischen Staaten nicht möglich gewesen. Die Vorstellung, mit
militärischen Mitteln ließe sich unter den obwaltenden Umständen irgendetwas
zum Besseren wenden, weisen Kommunisten als illusionär und verhängnisvoll
zurück. Zudem darf angenommen werden, dass eine Billigung von Kriegseinsätzen
ganz gleich welcher Art die letzte Bedingung einer Regierungsbeteiligung
darstellt. Kräfte in- und außerhalb der Linkspartei arbeiten seit langem daran,
dieses Ticket zu lösen. Die ersten Schritte sind längst gegangen, ehemals
konsequente Positionen bereits unterminiert. Wenig spricht dafür, dass dieser
Trend zu stoppen ist.
Weltweit
60 Millionen Menschen befinden sich in diesen Tagen auf der Flucht, Tausende
ertrinken im Mittelmeer, etliche ersticken in Lkw. Und in diesem Land finden
erneut rechte Aufmärsche gegen Flüchtlinge statt, ereignen sich beinahe täglich
Anschläge auf deren Unterbringungsstätten. Die katastrophalen Ausmaße dieser
Zustände stehen in einem ursächlichen Zusammenhang mit einem System, das
infolge seines alles beherrschenden Profit-, Konkurrenz- und
Ausbeutungsprinzips gleichsam naturwüchsig Elend, Not und Krieg produziert.
Angesichts
dessen ist eine zweite Leistung des Sozialismus kaum in ihrer historischen
Größe zu erfassen. Er ermöglichte und förderte (politisch, finanziell und
teilweise auch durch militärische Unterstützung) die Zurückdrängung von
Kolonialismus und Neokolonialismus. Befreiungsbewegungen in den damals direkt abhängigen
Ländern konnten genauso auf die Unterstützung der DDR zählen wie
fortschrittliche und Friedenskräfte in den kapitalistischen. Da floss viel
Geld, auch an die DKP, genauso wie an Kräfte der Friedens- und der
antifaschistischen Bewegung in der BRD. Viele wussten das, einige schämten sich
deswegen. Aber musste sich die DDR dafür schämen, dass sie das tat? Sicher
nicht. Der Imperialismus finanzierte seinerseits die Konterrevolutionen in
Chile und Portugal und lieferte Waffen zur Liquidierung der Fortschrittskräfte
weltweit.
Formieren und niederwalzen
Deutlich
ist heute spürbar, was zu Zeiten der Existenz des realen Sozialismus mancher
Gewerkschafter nur hinter vorgehaltener Hand aussprach: Die DDR saß bei
Tarifgesprächen als unsichtbarer Verhandlungspartner mit am Tisch. Zu manchem
Zugeständnis war das Kapital damals bereit. Denn der BRD kam auch eine
Schaufensterfunktion zu: Es sollte ein Land präsentiert werden, das »Wohlstand
für alle« garantierte und ein schier unerschöpfliches Warenreservoir zu bieten
hatte; ein Land zumal, in dem die Integration der Arbeiterklasse großenteils
gelingt und die Sozialstaatsillusion weitgehend verfängt.
Alles
wurde anders mit dem Datum 3. Oktober 1990. Die Zerschlagung der Industrie in
der DDR und eine wachsende Massenarbeitslosigkeit in ganz Deutschland waren
geeignete Anknüpfungspunkte für eine Offensive des Kapitals. Wie so oft in
solchen Fällen bediente man sich zur Ausführung der schlimmsten Angriffe auf
die Rechte und Errungenschaften der Arbeiterbewegung deren immer noch
maßgebenden und einflussreichen Teils – der alten Sozialdemokratie. Agenda 2010
und Hartz-Gesetze waren die Waffen, mit denen man Deutschland im Verhältnis zu
seiner Produktivität zu einem Niedriglohnland zurechtstutzte. Das wiederum
schuf die Voraussetzung dafür, die übrigen Staaten der EU – der Beseitigung der
Zollschranken und der Einführung des Euro sei Dank – mit deutschen Exportwaren
zu überschwemmen, niederzuwalzen, auszupowern.
Exportorientierung
und Strukturreformen auf der einen, der Verlust einer über den Kapitalismus
hinausgehenden Perspektive seitens reformistischer politischer Kräfte und der
Gewerkschaften – auch eine Folge der Ergebnisse des 3. Oktober 1990 – auf der
anderen Seite ließen die Ideologie der Standortlogik innerhalb der
Arbeiterbewegung triumphieren. Die unreflektierte Hinnahme dieser Ideologie vor
allem bei den Funktionären der Arbeiterbewegung, die auf die
Bewusstseinsbildung der gesamten Klasse keinen unerheblichen Einfluss ausüben,
hatte und hat verheerende Folgen. Denn sie suggeriert, es gebe eine
Interessenübereinstimmung zwischen Kapital und Arbeit, zwischen Herrschenden
und Beherrschten.
Die
Akzeptanz einer solchen Behauptung ist aber die Bedingung, den Nationalismus
massenwirksam werden zu lassen. Beispiele, auf welche Weise dieser
Nationalismus geschürt werden kann, sind in der jüngeren Zeit hinlänglich
bekannt geworden. Prominent und hässlich ist da der, wenn nicht medial
ersonnene, so zumindest schrill verstärkte Ruf: »Wir zahlen nicht für faule
Griechen«. Zum Zwecke einer Formierung aller Deutschen richtet sich so etwas
dann schnell gegen die Flüchtlinge, denen unterstellt wird, sie seien
»Wirtschaftsflüchtlinge«, die ohne Gegenleistung vom im Schweiße unseres
Angesichts erarbeiteten Wohlstand profitieren wollten und daher
schnellstmöglich in »sichere Drittstaaten« abgeschoben gehörten.
Eine
solche nationalistische Formierung vermag immer auch der Aggression nach außen
zu dienen, wie sich das in der Feindmarkierung »des Russen« im Zuge der
Ukraine-Krise wieder einmal beobachten ließ. Die Kommunisten in der BRD gehen
davon aus, dass eine wachsende Aggressivität des deutschen Imperialismus nach
innen und nach außen bevorsteht. Die weitgehende ideologische Entwaffnung der
Arbeiterbewegung stellt dabei eine erhebliche Gefahr dar. Gleichwohl müssen auf
der Grundlage dieser Einschätzung Wege für ein gemeinsames Handeln aller Linken
und der Kräfte des Friedens gefunden werden.
Der Widerspenstigen Zähmung
Eine
weitere Entwicklung seit dem 3. Oktober 1990 ist in Augenschein zu nehmen bzw.
darf von denjenigen, die noch auf irgendeine Weise an einer
gesellschaftsverändernden Perspektive festhalten wollen, nicht übersehen
werden. In der DDR wurden Fehler im Umgang mit der Macht begangen. Hauptmoment
der Schwäche dieses Staates gegen Ende seiner Existenz war, dass die
Arbeiterklasse kein Bewusstsein mehr von ihrer führenden Rolle besaß und die
kommunistische Partei das Vertrauen ebendieser Klasse eingebüßt hatte. Dieser
Umstand ist nach wie vor gründlich zu analysieren, anstatt ihn, wie es heute in
der Regel geschieht, moralisch zu bewerten.
Mangelhafte
Analyse ist auch mit Blick auf das kapitalistische Deutschland in seiner
politischen Form der bürgerlichen Demokratie festzustellen. Da wird nicht mehr
nach seinem Wesen als Herrschaft des Kapitals bzw. des Monopolkapitals gefragt,
und über die Fragen der Macht zu reden, gilt als unfein. Das entwaffnet die
Linkskräfte, lässt sie durch ihre bloße Parlamentsfixierung verkümmern. Gegen
den Kampf um und in bürgerlichen Parlamenten ist nichts einzuwenden, er sollte
auch nicht unterschätzt werden. Sobald man allerdings dem Trugschluss aufsitzt,
sie seien die realen Stätten der Macht, hat man die Erkenntnisse der
politischen Ökonomie und der marxistischen Staatstheorie ad acta gelegt. In den
Parlamenten kann dann ungestört geschehen, was eine der Funktionen der
Parlamente ist: der Widerspenstigen Zähmung. Der Vorgang lässt sich dieser Tage
einmal mehr im Bundestag beobachten.
In der
DDR war das Recht auf Arbeit verwirklicht, Arbeitslosigkeit im Grunde
unbekannt. Diese Leistung lässt sich 25 Jahre nach ihrer Beseitigung nur noch
negativ erfassen: Die Drangsal der Erwerbslosen und der Ausgegrenzten und deren
Gängelei von Staats wegen. Letztlich aber betrifft das die gesamte Klasse.
Erwerbslosigkeit ist auch ein Kampf- und Spaltungsmittel. Sie ist der
beständige Druck, der von der »Reservearmee« auf den in Lohn und Brot stehenden
Teil der Klasse ausgeht. Eine hohe Arbeitslosenquote bildete die Rechtfertigung
der vergangenen Angriffe unter der Bezeichnung Agenda 2010. Weitere Attacken
mit dem Ziel einer fortschreitenden Aushöhlung des Streikrechts werden geführt
bzw. sind in Planung. Man denke nur an das jüngste Urteil gegen den von der
Spartengewerkschaft Cockpit organisierten Streik der Piloten. Schwer
vorstellbar, dass man sich das bei Fortexistenz der DDR, bei einem
Weiterbestehen des realen Sozialismus getraut hätte. Allerdings darf bei dieser
Angelegenheit nicht übersehen werden, dass sich der Widerstand der großen
Gewerkschaften bisher in engen Grenzen hält, bisweilen sogar die Kooperation
mit dem Kapital gesucht wird, wie das unrühmliche Beispiel Tarifeinheitsgesetz
beweist.
Man mag
nun gar behaupten, dass auch die faktische Abschaffung des sozialen
Wohnungsbaus nicht möglich gewesen wäre, gäbe es noch den Konkurrenten von
jenseits der Elbe. Bereits vor 1989 waren die Wohnungen in der BRD eine
lukrative Einkommensquelle und die Mieten oft sehr hoch. Trotzdem konnte es
sich der westdeutsche Staat nicht leisten, im direkten Vergleich mit der DDR,
die um genügend Wohnraum für alle kämpfte, abgehängt zu werden. Die Wohnungen
in der BRD waren daher nicht selten schöner und komfortabler. Gleichwohl wird
heute ein ganz grundsätzlicher Unterschied des Städtebaus erkennbar. Die
Plattenbauten des Ostens verfielen im Westen schon zum Zeitpunkt ihrer
Errichtung der Verdammnis, man sah in ihnen schauderhafte Wohnghettos. Heute
sind diese Siedlungen mancherorts tatsächlich Stätten der Vereinzelung, der
Vereinsamung und der Verwahrlosung. Dies aber einzig deshalb, weil sie der
entscheidenden städtebaulichen Komponente der DDR beraubt wurden: der
wohnortnahen Sozialeinrichtungen, die heute oft als Ruinen vergangener
gesellschaftlicher Verhältnisse in der Mitte der Wohnbezirke vor sich hin
rotten. Was lässt sich daraus lernen? Der Kapitalismus orientiert sich an
Profit und Geldvermehrung, der Sozialismus hatte selbst in der Zeit des Kampfes
gegen den Wohnungsmangel ein neues Prinzip hervorgebracht. Eine Stadtplanung, der
nicht an Profit, sondern an den Interessen der Menschen gelegen war.
Heutige
Schüler und Studenten haben die Existenz der DDR nicht mehr bewusst erlebt. Sie
haben mithin auch nicht mehr erlebt, dass das Bildungssystem der BRD einmal von
anderer Gestalt war. Heute besteht eine unverkennbare Ausrichtung der
Bildungsanstalten und der Lehrinhalte an den Verwertungsinteressen des
Kapitals. Dafür stehen die Schlagworte G 12 und Bologna-Reform, also die
Einführung des Bachelor- und Masterstudiums. Etabliert hat man letztlich ein
Bildungswesen der gesellschaftlichen Spaltung, das tendenziell die Masse der
Menschen mit Grundwissen versorgt und einer kleinen Elite spezielle Techniken
und Herrschaftswissen beibringt. In Zeiten, als es noch zwei deutsche Staaten gab,
war das etwas anders. Bildungsprivilegien wurden zaghaft abgebaut, dem
dreigliedrigen Schulsystem war die Integrierte Gesamtschule zur Seite gestellt,
und Arbeiterkinder waren an Universitäten nicht mehr ganz die Exoten, die sie
heute wieder zu werden drohen. Die alte BRD stand damals gehörig unter Druck,
den ein einheitliches und durchgängiges Bildungswesen der DDR sowie Ansätze der
Aufhebung der Trennung von Kopf- und Handarbeit, wie sie im polytechnischen
Bildungswesen zum Ausdruck kamen, ausübten. Damalige Forderungen der
Gewerkschaftsjugend und der Schülerbewegung in der BRD lesen sich heute wie
Aufrufe zur Revolution. Sie waren allerdings – solange es die DDR gab –
keineswegs unrealistisch.
\"Verordnet\", na und?
Ein
letzter Aspekt dessen, was war, aber nicht mehr ist. Der Antifaschismus der
DDR, heißt es allenthalben, sei »verordnet« gewesen. Ein Dauerbrenner der
Verleumdungen. Der Antifaschismus war, im Gegensatz zu den westdeutschen
Zuständen, den Statuten der DDR gewissermaßen eingeschrieben. Antifaschisten
bauten diesen Staat auf, Antifaschismus war dort Bildungsauftrag. Insofern mag
man ihn verordnet nennen. Über seinen Inhalt ist damit noch nichts ausgesagt.
Die Mühe einer Auseinandersetzung auf dieser Ebene macht man sich selten. Wer
dem untergegangenen Staat vorwirft, er habe seinen Antifaschismus »verordnet«,
den empört, dass es überhaupt einen gegeben hat. In der BRD existierte er
offiziell erst gar nicht. Faschisten waren beteiligt am Aufbau und
Funktionieren eines Staatsapparats, von dem Jahrzehnte später herauskam, dass
er von den Umtrieben einer neonazistischen Mordorganisation intime Kenntnisse
besaß und sein Personal im Umfeld der Täter agieren ließ. Man mag sich die
Frage vorlegen, was mehr Unbehagen bereitet: Ein Staat, der Antifaschismus
verordnet, oder einer, der die NSU-Morde an Migranten tatenlos mit ansieht,
begleitet und mitunter gar fördert?
Wenn
behauptet wird, die relative Stärke der Faschisten im Osten sei die Folge der
autoritären Strukturen der DDR, so geht das einigermaßen weit an den realen
Ursachen vorbei. Wahr dürfte vielmehr sein, dass man verunsicherte und auch
wütende Menschen in deindustrialisierten und kahlgeschlagenen, eher verdorrten
als blühenden Landschaften zurückgelassen hat, die für die Demagogie organisierter,
nicht selten aus dem Westen importierter (auch das sollte man nicht vergessen)
faschistischer Kader empfänglich wurden. Faschistische Pogrome hat es in der
DDR jedenfalls nie gegeben.
Es
bestand hier nicht, wenn auch dieser Vorwurf erhoben werden mag, die Absicht,
Untergegangenes zu beschwören, auf dass es bald wiederkehre. Aber die
Leistungen der DDR und des Sozialismus lassen sich ein Vierteljahrhundert nach
ihrem Ableben durch ihren Verlust sehr genau bemessen. Die bloße Existenz der
DDR verhinderte einen Wiederaufstieg des deutschen Imperialismus, der
heutzutage zum Wehe der Bevölkerungen anderer Staaten eine unheilvolle
Machtstellung auf dem europäischen Kontinent einnimmt. Man muss die DDR nicht
gemocht haben, um sich zu dieser Erkenntnis durchzuringen. Es gibt einen
zutreffenden Satz des ungarischen Marxisten Georg Lukács, der so geht: »Der
schlechteste Sozialismus ist besser als der beste Kapitalismus.« Daran war zu
erinnern.
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