Dienstag, 18. März 2014

Was konsequente deutsche Linke im EU-Parlament machen sollten … wenn es sie gäbe

Sabine Wils steht nicht mehr auf den aussichtsreichen Spitzenplätzen der Liste der Linkspartei zu den EU-Wahlen. Die Betreiber des “RotRotGrünen Projekts” hatten auf dem Hamburger Parteitag die Mehrheit, und sie haben durchgewählt. 

Die Abgeordneten der Linkspartei im neuen EU-Parlament werden keine Linken, sondern Sozialdemokraten sein. Eine Ausnahme ist Sabine Lösing, die auf Platz 5 kandidiert. Sabine Wils hat sich vergeblich für Platz 7 der Linksparteiliste beworben. 

Sabine Wils schreibt im folgenden, von RotFuchs, Heft März 2014 übernommenen Artikel über den “Auftrag konsequenter Linker im Europarlament”. Im EU-Parlament wird sie dazu nichts mehr beitragen können. Der “Auftrag”, den sie sieht, wird von den Linkspartei-Abgeordneten nicht erfüllt werden.

Wer bisher Linkspartei gewählt hat, sollte bedenken, dass die neuen Vertreter der Linkspartei im EU-Parlament nicht die Vertreter linker Politik sind. Wer links wählen will, kann diesmal nicht Linkspartei wählen. Die Schmerzgrenze ist überschritten. Die Stimme für die DKP-Liste 17 ist nützlicher. Sie zeigt an: Bis hierher und nicht weiter. Wenn die Sozialdemokraten in der Linkspartei meinen, sie könnten durchmarschieren, ohne sich um die linke Parteiminderheit in der PdL zu kümmern, müssen sie eines Besseren belehrt werden.

Hier der Artikel von Sabine Wils, der unter dem faktischen Vorbehalt steht “… wenn es unter den künftigen EU-Parlamentariern der Linkspartei konsequente Linke gäbe”. Die wird es aber nicht geben.

Über den Auftrag konsequenter Linker im Europaparlament

 

Die real existierende EU

„Für mich ist das die Krise der EU und ihrer Institutionen. Leider spielt das Thema im Koalitionsvertrag kaum eine Rolle. Tatsache ist aber, daß uns die Krise der EU im nächsten Jahr einholen und die anderen Themen beiseiteschieben wird. Unsere Nachbarn in Europa werden einen gewaltigen Druck auf Deutschland ausüben, sobald die Regierung steht. Spätestens im Frühjahr 2014“, erklärte Helmut Schmidt in einem „Bild“-Interview am 23. Dezember 2013. 

Irland verläßt den Rettungsschirm, Spanien verzichtet auf weitere ESMHilfen, die Rezession in der EU ist gestoppt, die Börsen gehen immer weiter auf Höhenflug, der BRD-Kurs hat Deutschland gegen den Trend bestens durch die Krise geführt. Diese Botschaften hämmern aus allen großen Medien auf die Bevölkerung ein. Das Ergebnis dieser neoliberalen Verdummungspropaganda konnten wir dem Wahlergebnis entnehmen. Eine Mehrheit im Land will diesen Kurs fortsetzen, ein anderer Teil der Bevölkerung resigniert und verabschiedet sich aus der Politik. Helmut Schmidt hat hier recht. Die Wirklichkeit hinter den Meldungen sieht düster aus:

Die Krisenstaaten der EU versinken in Arbeits-, Wohnungs- und Perspektivlosigkeit. Nordafrikanische Verhältnisse ziehen dort ein. Die Verschuldungsquote der Krisenstaaten steigt weiter an. Die Austeritätspolitik verschärft die Probleme noch. Ein Schuldenschnitt für Griechenland ist unabdingbar.

Und wichtiger noch: Die Ursachen der Krise werden nicht beseitigt und produzieren immer mehr Sprengstoff, der die Lebensverhältnisse der Menschen in der EU sowie die weitere Existenz der Europäischen Union und des Euro-Raumes in Frage stellt.

Die Krise des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus und der EU wird für das kapitalistische System neue Weichenstellungen erfordern. Aber dessen Anpassungsfähigkeit ist noch nicht ausgeschöpft, ein revolutionäres Potential für eine andere Gesellschaft derzeit nicht gegeben. Linke Politik muß sich auch jenseits revolutionärer Träume in die Gestaltung des Kapitalismus einmischen. Wenn die aktuelle Krise ins Bewußtsein der Öffentlichkeit zurückkehrt, wird politisch um die Deutungshoheit gerungen werden. Dazu ist deren Verständnis in ihren Zusammenhängen notwendig, wenn die richtigen Schritte zu ihrer Bekämpfung angestrebt werden sollen.

Krisenaspekt 1:

Mit dem Übergang zur Phase des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus, der als Neoliberalismus bezeichnet wird, sollen die Profite privater Unternehmen über ein neues Verteilungsverhältnis des Mehrwerts und den Zugriff auf noch unerschlossene Geschäftsfelder gesteigert werden, auch über die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen.

Das Ergebnis ist die dramatische Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums in den kapitalistischen Staaten. Doch der Spielraum dafür wird enger, Rücksichten im Umgang mit der Arbeiterklasse der entwickelten kapitalistischen Länder werden nicht mehr genommen.
Hierfür mußte das Kapital weltweit den Rückgang an Nachfrage in Kauf nehmen. Dieser Widerspruch verschärft die Tendenz zur kapitalistischen Überakkumulationskrise. Durch für den Kapitalismus günstige historische Umstände – den Zusammenbruch der sozialistischen Staaten Europas – und Spekulationsblasen konnte diese hinausgeschoben werden. Doch seit 2008 hat sie die Weltwirtschaft fest im Griff, insbesondere jene der EU.

Linker Politik kommt hier die Aufgabe zu, massiv für eine Umverteilung des gesellschaftlichen
Reichtums einzutreten. Der Schwäche des Binnenmarkts muß auch durch sozial-ökologische Entwicklungsprogramme entgegengewirkt werden.

Krisenaspekt 2:

Dem Angebot von Kapital steht im Neoliberalismus mangels Nachfrage kein entsprechendes Angebot profitträchtiger Produktionsfelder zur Verfügung. Deshalb verbleibt die Spekulation als einzige Möglichkeit für das überschüssige Kapital, Gewinne zu erzielen. Diesem Kapitalinteresse ist die Öffnung und Liberalisierung der Finanzmärkte zu verdanken. Beim Zuschnappen der Krisenfalle werden die Staaten und damit die Bevölkerungen in die Verantwortung für die Spekulationsbanken genommen.

Linke Politik hat hier das Ziel, Spekulation zu bekämpfen und zu erschweren sowie die lebensnotwendigen Bereiche (Banken, Produktion, Rohstoffe, Nahrungsmittel und Energieversorgung) der Spekulation zu entziehen.

Krisenaspekt 3:

Im Neoliberalismus findet die Umverteilung auch über die Steuerpolitik statt. Das Schonen der Monopolprofite und Megareichen hat die Finanzierung der Staaten über Kredite herbeigeführt. Mit neoliberaler Steuerpolitik und Schuldenbremse wurden auch in Deutschland schon vor der Krise Kommunen und Länder in Existenznot gebracht. Die Rettung der Banken war hier der Eimer, der das Faß zum Überlaufen gebracht hat. Die Schuldenquote der Staaten wurde dann zum Spekulationsobjekt der Finanzmärkte.

Linke Politik verfolgt hier das Ziel, die Finanzierung der Staaten aus Steuern wieder auf die „richtigen“ kapitalkräftigen Beine zu stellen, die Finanzierung dem Kapitalmarkt zu entziehen und einen Schnitt für die öffentlichen Schulden vorzunehmen.

Krisenaspekt 4:

Mit der EU hat sich das europäische Kapital eine Staatengemeinschaft nach seinen Wünschen gestaltet. Eine Wettbewerbsunion von Staaten, die sich mit den Verträgen von Maastricht und Lissabon auf die Garantie der vier Grundfreiheiten, den freien Kapitalverkehr, freien Warenverkehr, freien Dienstleistungsverkehr und freien Personenverkehr verpflichtet hat. Alle Organe der EU – und insbesondere der Europäische Gerichtshof als letzte Instanz – haben diese neoliberalen Postulate umzusetzen.

Mit der Währungsunion hat sich dieser Prozeß beschleunigt. Ohne die Option einer Veränderung des Wechselkurses haben sich das ökonomische Ungleichgewicht innerhalb der EU und die Deindustrialisierung vieler EU-Staaten verschärft. Mit Ausbruch der globalen Überakkumulationskrise wurde dieses Auseinanderdriften der EU ins Blickfeld gerückt.

„So ist das in einer Wohngemeinschaft mit einem Elefanten als Hauptmieter und ein paar Schafen und Ziegen als Mitbewohnern. Der Elefant hat das Sagen“, hieß es unter der Schlagzeile „Europa wird germanisiert“ am 2. Januar 2014 in der Zeitung „Die Welt“. Dazu muß ich hier noch ergänzen: Der Elefant drückt die anderen nicht nur politisch, sondern auch ökonomisch an den Rand. Verschärft wurde diese Entwicklung mit der den Krisenstaaten aufgedrückten Austeritätspolitik. Mit dem Fiskalpakt, dem sogenannten Six Pack und Trimester, wird dieser Kurs für alle EU-Staaten verbindlich.

Linke Politik muß für einen angemessenen Platz jeder Volkswirtschaft in der EU eintreten. Die EU darf kein Zusammenschluß von Schuldnern und Gläubigern sein. Für Deutschland bedeutet das eine Rückkehr zum Ziel einer ausgeglichenen Leistungsbilanz, zu einer Stärkung des Binnenmarktes und einer Abkehr vom Exportdumping. Dies bricht mit der neoliberalen Politikrichtung, da damit die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums in Deutschland verändert werden würde.

Krisenaspekt 5:

Die Grundrechte-Charta ist dem Vertrag von Lissabon nur als Protokoll beigefügt. In der real existierenden EU verpflichtet Eigentum nicht, hat Eigentum nicht dem Gemeinwohl zu dienen, und es geht auch keine Macht vom Volke aus. Derartige Aussagen und die Grundrechte der Menschen verbleiben in der Verantwortungder jeweiligen Nationalstaaten. Die EU stellt die Arena zur Verfügung, auf der die Wirtschaften und ihre Staaten gegeneinander um die Aufteilung des Kuchens drängen. Steuer-, Infrastruktur- und Sozialpolitik sind die möglichen Hebel für die Nationalstaaten. Die EU sichert den „diskriminierungsfreien“ Marktzugang aller Konkurrenten. Ausbaden müssen diesenDumpingwettbewerb die Völker.

Die Folgen dieses Weges hat Die Linke/PDS schon in ihren Stellungnahmen zu den Verträgen von Maastricht und Lissabon sowie bei der Einführung der Währungsunion beschrieben. Nun sind diese Warnungen Wirklichkeit geworden. Die real existierende EU, die sich auf die Verträge mit ihren Grundfreiheiten des Neoliberalismus gründet, ist kein Projekt eines solidarischen Europas. In dieser EU ist jeder Nationalstaat der Feind des anderen im Kampf um Märkte und Ressourcen. Egoistischer Nationalismus wird in reinster Form ausgelebt.
Linke Politik muß sich für eine Ablösungder Verträge von Maastricht und Lissabon mit ihrer Konkurrenzorientierung einsetzen.

Ein solidarisches Europa – mit dieser real existierenden EU? Das geht nur über eine inhaltliche Grundlage, die für alle eine Win-Win-Situation darstellt. In der derzeitigen EU gibt es keine realistische Option für einen solchen Neubeginn in seiner Gesamtheit. Die notwendigen Veränderungen der Verträge verlangen die Einstimmigkeit. Wie sollen sich die Menschen, egal ob sie sich als „Sieger“ oder „Verlierer“ empfinden, gleichzeitig auf ein soziales Europa einigen? Behalten die Regeln von Lissabon ihre Gültigkeit, bis auch der letzte EU-Staat bekehrt ist?

Die Mehrheit der Bevölkerung in allen EU-Staaten – eventuelle Ausnahmen sind Griechenland und Zypern – ist dem Denken des Neoliberalismus verhaftet und wählt dessen Parteien. Die Bundestagswahlen haben dies für Deutschland mit den Ergebnissen für CDU/FDP/Grüne/SPD/AfD demonstriert. Erst wenn sich die Menschen der beteiligten Staaten auf Zusammenarbeitstatt Konkurrenz, auf das Recht eines guten Lebens in jedem beteiligten Staat verständigt haben, ist ein solches solidarisches Europa möglich. Bisher hat diese Voraussetzung nie bestanden. In Deutschland wurde die real existierende EU als Wachstumsimpuls für die Wirtschaft verkauft, die Arbeitsplätze schafft und möglichst nichts kostet. Linke Politik setzt sich für die Schaffung eines anderen Europa ein, einer Gemeinschaft von Staaten auf solidarischer Ebene.

Die LINKE hat bisher ihre Position einer grundsätzlichen Ablehnung dieser real existierenden EU in der Bevölkerung nicht deutlich machen können: Diejenigen, auf deren Kosten das Erfolgsmodell „Exportland Deutschland“ mit Hartz IV und prekärer Beschäftigung, Rente erst ab 67 und anderen Abbauprogrammen aufgebaut wurde, sehen in der LINKEN keine Kraft der Ablehnung der real existierenden EU und bleiben der Wahl fern. Diejenigen, die an den Erfolg des Modells Deutschland glauben, weil die anderen EU-Staaten schlechter dastehen, unterstützen die Agenda-Parteien. Diese Bevölkerungsgruppen werden wir nur erreichen, wenn linke Politik das Scheitern der aktuellen Politik der Wettbewerbsorientierung mit ihrer Agenda 2010 sowie die Profiteure deutlich benennt und eine Alternative anbieten kann.

Die Krisenprozesse im Euro-Raum werden neben dem aktuellen Krisenmanagement die Diskussion zur Übertragung von mehr Rechten auf die EU-Ebene, verbunden mit einer „Demokratisierung“ der EU, also mehr Rechten für das EU-Parlament, vorantreiben. Jede Vertiefung der real existierenden EU erfolgt auf ihrer bisherigen Vertragsgrundlage. Wie kann da eine gemeinsame Wirtschaftsregierung die Wettbewerbsfreiheit der deutschen Industrie einschränken wollen?

Die Forderung nach mehr Entscheidungsrechten für das Europäische Parlament verkennt, daß dieses in großer Mehrheit aus den egoistischen Interessen der jeweiligen nationalen Kapitale Politik macht.

Demokratie aber ist mehr als lediglich eine Versammlung von gewählten Parlamentariern. Demokratie verlangt Gemeinsamkeit und Solidarität, eine Öffentlichkeit, in der die politische Willensbildung stattfindet, und ein Verständnis von Gemeinschaft. Das hat diese Europäische Union nicht zu bieten. Demokratie findet derzeit nur in nationalen Grenzen statt. Diese bereits existierende Demokratie muß gestärkt und erhalten bleiben.

von Sabine Wils

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