Auch M. Sonneborn stimmte gemeinsam mit den Rechten, Foto: junge Welt |
EU-Parlament
setzt Faschismus und Kommunismus gleich. Scharfe Kritik von ehemaligen
Widerstandskämpfern
Beschlüsse
des Europäischen Parlaments sorgen selten für größere Aufregung – zu wenig
realen Einfluss hat diese Kammer auf die Politik der EU. Deshalb hat es auch
einige Tage gedauert, bis es zu Reaktionen auf eine Resolution kam, die in der
vergangenen Woche von den Abgeordneten in Strasbourg verabschiedet wurde. Unter
der Überschrift »Bedeutung des europäischen Geschichtsbewusstseins für die
Zukunft Europas« behaupten die Parlamentarier unter anderem, dass »die
kommunistische Sowjetunion und das nationalsozialistische Deutsche Reich (…)
die Weichen für den Zweiten Weltkrieg stellten« und fordern »eine gemeinsame
Erinnerungskultur, die die Verbrechen faschistischer, stalinistischer und
anderer totalitärer und autoritärer Regime früherer Zeiten ablehnt«. Man
versteigt sich sogar zu der Aussage, dass Russland »noch immer das größte Opfer
des kommunistischen Totalitarismus« sei und »so lange kein demokratischer
Staat« werde, »wie die Regierung, die politische Elite und die politische
Propaganda nicht nachlassen, die kommunistischen Verbrechen zu verharmlosen und
das totalitäre Sowjetregime zu verherrlichen«. Befürwortet werden in dem Papier
das Verbot kommunistischer Symbole und das Entfernen von Mahnmalen, die an die
Befreiung Europas durch die Rote Armee erinnern.
Das sei
ein »ideologischer Rückfall in die schlimmsten Zeiten des Kalten Krieges«,
reagierte die Internationale Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) am Montag
in einer Stellungnahme auf die Resolution. Die in der Resolution vorgenommene
Rekonstruktion der Ereignisse, die zum Zweiten Weltkrieg führten, sei
»verbohrt, voreingenommen, instrumentell und hat keine wissenschaftliche
Grundlage«. Der Text »setzt die Unterdrücker und Unterdrückten, Opfer und
Schlächter, Eindringlinge und Befreier gleich«. Der russische Außenminister
Sergej Lawrow ging in einem am Freitag in der Zeitschrift Russia in Global
Politics veröffentlichten Beitrag nur indirekt auf den Parlamentsbeschluss ein:
»Was Europa betrifft, kommen die Kümmerer einer liberalen Idee ziemlich gut mit
Massenverletzungen der Rechte der russischsprachigen Bevölkerung in mehreren
Ländern der EU und ihrer Nachbarn aus.«
Walter
Baier, Vorstandsmitglied der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ)
kritisiert unter der Überschrift »Rechtsradikale Geschichtsrevisionisten und
Hosenscheißer«, dass alle österreichischen EU-Abgeordneten »gemeinsam mit den
Rechtsradikalen und Neonazis« für die Resolution votiert hätten, »in der die
Hauptschuld am Zweiten Weltkrieg der Sowjetunion angelastet und das Verbot
Kommunistischer Parteien gutgeheißen wird«. Er weist darauf hin, dass
»›Kleinigkeiten‹ wie die Komplizenschaft der Westmächte bei der Erdrosselung
der spanischen Republik durch die Franco-Faschisten, der beinahe ohne Einspruch
vollzogene ›Anschluss Österreichs‹ und die Opferung der Tschechoslowakei im
Münchner Abkommen« in der Resolution übergangen wurden. Es sei »erschreckend,
dass sich Sozialdemokraten, Grüne auf der einen und Orban-Leute und
Neofaschisten vom Schlage der FPÖ auf der anderen Seite ein dreiviertel
Jahrhundert nach der Befreiung auf eine gemeinsame Interpretation des Zweiten
Weltkrieges einigen«.
Aus der
Bundesrepublik votierten nur die Abgeordneten der Linksfraktion gegen den
Antrag, für ihn stimmten dagegen unter anderem die Grünen Franziska »Ska«
Keller und Sven Giegold sowie ihr für die Partei »Die PARTEI« gewählter
Fraktionskollege Nico Semsrott sowie dessen fraktionsloser Parteifreund Martin
Sonneborn. Auch die sozialdemokratischen, christdemokratischen, liberalen
widersetzten sich nicht, während sich die AfD-Abgeordneten der Stimme
enthielten.
Von André
Scheer
Aus „junge Welt“ vom 26.09.2019
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