Elf tote Zivilisten in Cilbire nach türkischem Luftschlag (Foto "UZ") |
Türkische Armee greift
in Nordsyrien an – „Internationale Gemeinschaft“ schweigsam
Der
Demospruch "Deutsche Waffen morden mit in aller Welt!" ist alt, aber
aktuell. Diesmal: Afrin in Nordsyrien.
Nach
Monaten der Drohungen begann die türkische Armee ihren Angriff gegen die Stadt
Afrin im Norden Syriens. NATO-Waffen, deutsche Leopard Panzer, Artillerie und
Luftangriffe sollten Stellungen der kurdischen YPG zerstören. Kämpfer der mit
der Türkei verbündeten FSA und türkische Armee-Einheiten drangen gemeinsam
gegen Afrin vor – militärisch bisher ohne Erfolg.
Die
Regierungen von Syrien, dem Iran und Ägypten verurteilten den Angriff ebenso
wie die Hisbollah als brutale und ungerechtfertigte Aggression. Frankreich
fordert eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates – Afrin ist dabei jedoch nur
ein Thema von mehreren. Der stellvertretende syrische Außenminister Mikdad
hatte vor Tagen gedroht, die syrische Armee könnte türkische Flugzeuge über
Syrien abschießen. Doch Syrien reagierte nicht militärisch auf den Angriff.
Nach sieben Jahren des Krieges wäre das auch kaum realistisch.
Der
russische Außenminister Lawrow hatte noch vor wenigen Tagen bestritten, dass
russische Soldaten Afrin verlassen hätten. Kurz vor dem Angriff der Türkei
wurden sie schließlich doch abgezogen. Für Russland ist die Türkei zurzeit ein
unverzichtbarer Verbündeter – aus wirtschaftlichen Gründen und beim Versuch, zu
einer Stabilisierung der Situation in Syrien zu kommen, gerade jetzt, wo der
Kongress in Sotschi bevorsteht, auf dem über eine Nachkriegsordnung beraten
werden soll. Und die Türkei ist einer der drei Garantiestaaten für die
Deeskalationszonen. So hat sich die Regierung der Russischen Föderation
offenbar mit dem Angriff abgefunden.
Die
Partner der YPG , die USA, hatten 2016 die türkische Forderung akzeptiert, den
kurdischen Einfluss auf die Gebiete östlich des Euphrat zu beschränken. Der
türkische Ministerpräsident Yildirim erklärte damals: „Unsere Abmachung mit den
USA lautet, dass sich die Kurden aus Manbidsch und der Region auf die Ostseite
des Euphrats zurückziehen müssen“. Die USA wollten mit ihren kurdischen
Verbündeten ein Gegengewicht gegen die syrische Regierung schaffen. Am 13.
Januar verkündeten die USA den geplanten Aufbau einer kurdischen Grenztruppe im
Norden Syriens. Dies war ein Schritt hin zur Spaltung Syriens – und forcierte
zugleich den türkischen Angriff.
Wer
erwartet hätte, die USA würden die YPG verteidigen, sah sich getäuscht. Auch
die USA lassen die Türkei gewähren. Verteidigungsminister Mattis sprach von den
berechtigten Sicherheitsinteressen der Türkei. Außenminister Tillerson bat um
Zurückhaltung was Ausmaß und Dauer der türkischen Operation betrifft. Im
Gegenzug versprach die türkische Regierung, dass sie keine Konfrontation mit
US-Truppen suchen würde. Und die USA hatten der Türkei zugesichert, dass keine
US-Soldaten im betreffenden Gebiet stationiert wären.
Entgegen
allen Behauptungen dient das Bündnis der Kurden mit den USA letztlich nur den
Interessen der USA, dem Ziel eines Regime-Change zu den Bedingungen
Washingtons.
Afrin
ist auf drei Seiten von Gebieten umgeben, die unter Kontrolle von Verbündeten
der Türkei stehen. So gibt es nur den Weg über Aleppo, der Afrin mit den
anderen Gebieten unter kurdischer Kontrolle verbindet. Hier sind am letzten
Kontrollpunkt, wie Karin Leukefeld in der ‚jungen Welt‘ schrieb, eine syrische
als auch eine kurdische Fahne gehisst. Die Zusammenarbeit mit Damaskus ist hier
unverzichtbar. Gerade jetzt, wenn die SDF, zu denen die kurdische YPG gehört,
prüfen, ob Verstärkungen nach Afrin geschickt werden können.
Tausende
hatten in Europa unter kurdischen Fahnen gegen die türkische Aggression
demonstriert. Der Angriff der Türkei richtet sich aber nicht nur gegen die YPG,
sondern auch gegen Syrien. Die sogenannte Sicherheitszone, die die Türkei
errichten will, soll auch den türkischen Einfluss auf die Nachkriegsordnung in
Syrien stärken.
Von Manfred Ziegler
Selbstverteidiger des
Tages:
Jens Stoltenberg / Die
NATO
Der
ehemalige norwegische Ministerpräsident Jens Stoltenberg hat eine wichtige
Aufgabe. Er soll das europäische Gesicht der NATO sein und so den eigentlichen
Hegemon der westlichen Kriegsallianz in den Hintergrund treten lassen: die USA.
Das macht er ganz gut. Am Donnerstag weilte die fleischliche Sprechpuppe des
Imperiums in Madrid und jammerte nicht schlecht: Desinformationskampagnen
würden, gesteuert aus Russland, die friedlichen NATO-Staaten heimsuchen. So
etwas darf es nicht geben, denn wenn gelogen werden soll, dass sich die Balken
biegen, dann ist es die persönliche Aufgabe des Generalsekretärs.
Gesagt,
getan. Zurück in Brüssel, machte sich Stoltenberg am Abend daran, das, was man
als Realität bezeichnet, mit einen wirren Wust an Unwahrheiten ins Gegenteil zu
verkehren. Ein Beispiel gefällig: »Die Türkei gehört zu den NATO-Staaten, die
am stärksten unter Terrorismus leiden.« Wahrscheinlich meint er das finanziell.
Denn all die Kopfabschneider, die wie aktuell im syrischen Afrin von der Leine
gelassen werden, müssen schließlich von Ankara durchgefüttert und aufgerüstet
werden, um die Region in ein Blutbad zu verwandeln.
Und
weil im NATO-Sprachgebrauch ein Angriffskrieg nun einmal »Selbstverteidigung«
ist, braucht sich die Türkei vom Jens aus Brüssel nichts sagen zu lassen.
Lediglich einen kleinen Hinweis hat er für die Bündnispartner parat: »Aber das
Vorgehen muss verhältnismäßig und maßvoll sein«. Natürlich! Was auch sonst,
schnalzt es da aus Ankara. Das dortige Militär kennt sich schließlich mit den
humansten Methoden der »Aufstandsbekämpfung« bestens aus, wie es beispielsweise
im Februar 2016 in Cizre unter Beweis stellte, als mehr als hundert Menschen in
einem Keller regelrecht massakriert wurden. Doch für Stoltenberg sind solche
Tatsachen bestimmt auch nur schlicht »Desinformationen« aus Moskau.
Von Roland Zschächner
Aus „junge Welt“ vom 27.01.2018
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