Samstag, 27. Januar 2018

Deutsche Panzer gegen Kurden

Elf tote Zivilisten in Cilbire nach türkischem Luftschlag (Foto "UZ")
Türkische Armee greift in Nordsyrien an – „Internationale Gemeinschaft“ schweigsam

Der Demospruch "Deutsche Waffen morden mit in aller Welt!" ist alt, aber aktuell. Diesmal: Afrin in Nordsyrien.

Nach Monaten der Drohungen begann die türkische Armee ihren Angriff gegen die Stadt Afrin im Norden Syriens. NATO-Waffen, deutsche Leopard Panzer, Artillerie und Luftangriffe sollten Stellungen der kurdischen YPG zerstören. Kämpfer der mit der Türkei verbündeten FSA und türkische Armee-Einheiten drangen gemeinsam gegen Afrin vor – militärisch bisher ohne Erfolg.

Der Name der Operation galt wohl der „Internationalen Gemeinschaft“: „Olivenzweig“. Mit Erfolg – die internationalen Reaktionen bleiben zurückhaltend, die NATO-Staaten äußerten lediglich ihre „Besorgnis“. Auch Außenminister Gabriel sieht „mit Sorge nach Nordsyrien“ und befürchtet unkalkulierbare Risiken.

Die Regierungen von Syrien, dem Iran und Ägypten verurteilten den Angriff ebenso wie die Hisbollah als brutale und ungerechtfertigte Aggression. Frankreich fordert eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates – Afrin ist dabei jedoch nur ein Thema von mehreren. Der stellvertretende syrische Außenminister Mikdad hatte vor Tagen gedroht, die syrische Armee könnte türkische Flugzeuge über Syrien abschießen. Doch Syrien reagierte nicht militärisch auf den Angriff. Nach sieben Jahren des Krieges wäre das auch kaum realistisch.

Der russische Außenminister Lawrow hatte noch vor wenigen Tagen bestritten, dass russische Soldaten Afrin verlassen hätten. Kurz vor dem Angriff der Türkei wurden sie schließlich doch abgezogen. Für Russland ist die Türkei zurzeit ein unverzichtbarer Verbündeter – aus wirtschaftlichen Gründen und beim Versuch, zu einer Stabilisierung der Situation in Syrien zu kommen, gerade jetzt, wo der Kongress in Sotschi bevorsteht, auf dem über eine Nachkriegsordnung beraten werden soll. Und die Türkei ist einer der drei Garantiestaaten für die Deeskalationszonen. So hat sich die Regierung der Russischen Föderation offenbar mit dem Angriff abgefunden.

Die Partner der YPG , die USA, hatten 2016 die türkische Forderung akzeptiert, den kurdischen Einfluss auf die Gebiete östlich des Euphrat zu beschränken. Der türkische Ministerpräsident Yildirim erklärte damals: „Unsere Abmachung mit den USA lautet, dass sich die Kurden aus Manbidsch und der Region auf die Ostseite des Euphrats zurückziehen müssen“. Die USA wollten mit ihren kurdischen Verbündeten ein Gegengewicht gegen die syrische Regierung schaffen. Am 13. Januar verkündeten die USA den geplanten Aufbau einer kurdischen Grenztruppe im Norden Syriens. Dies war ein Schritt hin zur Spaltung Syriens – und forcierte zugleich den türkischen Angriff.

Wer erwartet hätte, die USA würden die YPG verteidigen, sah sich getäuscht. Auch die USA lassen die Türkei gewähren. Verteidigungsminister Mattis sprach von den berechtigten Sicherheitsinteressen der Türkei. Außenminister Tillerson bat um Zurückhaltung was Ausmaß und Dauer der türkischen Operation betrifft. Im Gegenzug versprach die türkische Regierung, dass sie keine Konfrontation mit US-Truppen suchen würde. Und die USA hatten der Türkei zugesichert, dass keine US-Soldaten im betreffenden Gebiet stationiert wären.

Entgegen allen Behauptungen dient das Bündnis der Kurden mit den USA letztlich nur den Interessen der USA, dem Ziel eines Regime-Change zu den Bedingungen Washingtons.

Afrin ist auf drei Seiten von Gebieten umgeben, die unter Kontrolle von Verbündeten der Türkei stehen. So gibt es nur den Weg über Aleppo, der Afrin mit den anderen Gebieten unter kurdischer Kontrolle verbindet. Hier sind am letzten Kontrollpunkt, wie Karin Leukefeld in der ‚jungen Welt‘ schrieb, eine syrische als auch eine kurdische Fahne gehisst. Die Zusammenarbeit mit Damaskus ist hier unverzichtbar. Gerade jetzt, wenn die SDF, zu denen die kurdische YPG gehört, prüfen, ob Verstärkungen nach Afrin geschickt werden können.

Tausende hatten in Europa unter kurdischen Fahnen gegen die türkische Aggression demonstriert. Der Angriff der Türkei richtet sich aber nicht nur gegen die YPG, sondern auch gegen Syrien. Die sogenannte Sicherheitszone, die die Türkei errichten will, soll auch den türkischen Einfluss auf die Nachkriegsordnung in Syrien stärken.

Von Manfred Ziegler


Selbstverteidiger des Tages:
Jens Stoltenberg / Die NATO

Der ehemalige norwegische Ministerpräsident Jens Stoltenberg hat eine wichtige Aufgabe. Er soll das europäische Gesicht der NATO sein und so den eigentlichen Hegemon der westlichen Kriegsallianz in den Hintergrund treten lassen: die USA. Das macht er ganz gut. Am Donnerstag weilte die fleischliche Sprechpuppe des Imperiums in Madrid und jammerte nicht schlecht: Desinformationskampagnen würden, gesteuert aus Russland, die friedlichen NATO-Staaten heimsuchen. So etwas darf es nicht geben, denn wenn gelogen werden soll, dass sich die Balken biegen, dann ist es die persönliche Aufgabe des Generalsekretärs.

Gesagt, getan. Zurück in Brüssel, machte sich Stoltenberg am Abend daran, das, was man als Realität bezeichnet, mit einen wirren Wust an Unwahrheiten ins Gegenteil zu verkehren. Ein Beispiel gefällig: »Die Türkei gehört zu den NATO-Staaten, die am stärksten unter Terrorismus leiden.« Wahrscheinlich meint er das finanziell. Denn all die Kopfabschneider, die wie aktuell im syrischen Afrin von der Leine gelassen werden, müssen schließlich von Ankara durchgefüttert und aufgerüstet werden, um die Region in ein Blutbad zu verwandeln.

Und weil im NATO-Sprachgebrauch ein Angriffskrieg nun einmal »Selbstverteidigung« ist, braucht sich die Türkei vom Jens aus Brüssel nichts sagen zu lassen. Lediglich einen kleinen Hinweis hat er für die Bündnispartner parat: »Aber das Vorgehen muss verhältnismäßig und maßvoll sein«. Natürlich! Was auch sonst, schnalzt es da aus Ankara. Das dortige Militär kennt sich schließlich mit den humansten Methoden der »Aufstandsbekämpfung« bestens aus, wie es beispielsweise im Februar 2016 in Cizre unter Beweis stellte, als mehr als hundert Menschen in einem Keller regelrecht massakriert wurden. Doch für Stoltenberg sind solche Tatsachen bestimmt auch nur schlicht »Desinformationen« aus Moskau.

Von Roland Zschächner
Aus „junge Welt“ vom 27.01.2018

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