I. Zu den ökonomischen Grundlagen der
Aggressivität
Kapitalismus
braucht Expansion. Schon die Frühphase, die sogenannte „ursprüngliche
Akkumulation“ ging einher mit kolonialen Eroberungen. In der Zeit der Industrialisierung
hatten Länder, die Kolonien besaßen, wie England, aufgrund ihres Zugangs zu
Märkten und Rohstoffen einen „Wettbewerbsvorteil“ und entwickelten sich
schneller als andere.
·
Im
1. Leitsatz heißt es: „Der gegenwärtige Weltkrieg ist weder der Willkür
bestimmter Persönlichkeiten, noch dem ‚Rassenhass der Völker‘ entsprungen,
sondern den weltwirtschaftlichen, d.h., weltkapitalistischen Profitbedürfnissen
und den imperialistischen Gegensätzen.“
·
Der
2. Leitsatz sagt zu den ökonomischen Gründen: „Kapitalkonzentration,
Großbetriebsentfaltung, Produktivitätssteigerung, aber auch industrielle
Vereinseitigung der Produktion zusammen mit der Planlosigkeit der gesamten
kapitalistischen Wirtschaft führen zu chronischer Überproduktion. Der
Elendslohn des Proletariats …die emporgetriebenen Warenpreise unterbinden den
inländischen Absatz. Es wächst daher stetig das Bedürfnis nach ausländischen
Absatzmärkten. Die aus der kapitalistischen Ausbeutung stammende, riesenhafte
Kapitalaufhäufung drängt nach gewinnbringender Anlage. Solche Anlagesphären mit
besonders günstigen Profitaussichten sind die Länder des zu erweckenden oder
erwachenden Kapitalismus (Kolonien, Halbkulturstaaten). Bei dieser Jagd nach
monopolistischer Ausnutzung von Warenabsatzmärkten, Rohstoffgebieten und
sicheren Kapitalanlageplätzen geraten die Kapitalistencliquen der verschiedenen
Großstaaten einander ins Gehege.“
·
Käte
Duncker beschreibt im Gewand der Situation von 1914 einen Grundzug des gesamten
monopolkapitalistischen Stadiums des Kapitalismus: die chronische
Überakkumulation als Basis des Kapitalexports. Überakkumulation1 ist
ein Kapitalüberschuss, der sich – gemessen an der zahlungsfähigen Nachfrage –
nicht profitabel verwerten läßt. Er wird in den zyklischen Krisen nicht mehr
vernichtet, da die Monopole durch Kapazitätsplanung Entwertungen verringern
können. Die „Reinigungsfunktion“ der zyklischen Krisen wird untergraben. Die
Überakkumulation wird chronisch. Davon spricht schon Friedrich Engels.
Seit der
Krise 1974/75 tritt die chronische Überakkumulation wieder zutage. In den
Jahrzehnten davor wurde sie durch Kriegszerstörungen, Wiederaufbau und
Ausweitung der inneren Nachfrage absorbiert. Nach 1974/75 und forciert durch den
neoliberalen Ausweg aus dieser Krise wurde sie in Form von Überkapazitäten und
als „Anlagenotstand“ zum Dauerzustand. Mögliche innerkapitalistische Auswege
aus der Überakkumulation sind:
·
Zentralisation
des Kapitals (die Großen erhöhen ihren Marktanteil, indem sie die Kleinen
vernichten);
·
Kapitalanlage
im Ausland (Kapitalexport, „Globalisierung“);
·
Staatsaufträge
und -ausgaben (Infrastruktur, Rüstung, Großprojekte, aber auch:
Sozialleistungen, Gesundheit, Bildung, Lohnersatzleistungen);
·
Spekulation,
Aufblähung des Finanzsektors, „Casinokapitalismus“;
·
Kriegszerstörungen
und Wiederaufbau.
Die
Entwicklung zum staatsmonopolistische Kapitalismus (SMK) und die Hauptvarianten
seiner Regulierung sind in diesen systemimmanenten Lösungen bereits angelegt.
Selbstregulierung des Kapitalismus setzt freie Konkurrenz voraus.
Monopolistische Konkurrenz verdrängt und verzerrt die freie Konkurrenz.2
Das schwächt die Selbstregulierungskräfte und fordert die Staatseinmischung
heraus. Die Macht der Monopole verbindet sich mit der Macht des Staates zu
einem einheitlichen, aber nicht widerspruchsfreien Mechanismus. Aus Zeitgründen
beschränke ich mich auf die Überakkumulationskrise als einer wesentlichen
ökonomischen Grundlage für kapitalistische Aggressivität, auch wenn es nicht die
einzige Ursache ist.3
II. Was hat sich durch die „Globalisierung“
verändert?
Historisch
setzte sich der staatsmonopolistische Kapitalismus (SMK) nicht linear, sondern
in Schüben durch, hauptsächlich angestoßen durch Kriege und Krisen. Zunächst
trat er in Form der Kriegswirtschaft des ersten Weltkriegs in Erscheinung. Der
nächste Schub kam in der Weltwirtschaftskrise ab 1929 und während des zweiten
Weltkriegs in den Varianten des Faschismus in Deutschland/Italien und des New
Deal in den USA. Die volle Durchsetzung des SMK erfolgte nach 1945, im Rahmen
des internationalen Bretton Woods Systems, welches an der Erfahrung des New
Deal orientiert war.
Die
ökonomische Kernstruktur des SMK, das Geflecht aus Monopolen und Staat, wurde
mit der „Globalisierung“ nicht beseitigt. Verändert hat sich die Art und Weise
der Regulierung. Es kam auf dem Boden der Kernstruktur des SMK zum Wechsel von
einer eher keynesianisch orientierten Variante hin zur neoliberalen Variante
der Regulierung.
Lenin
sagte über die Wechsel in den Herrschaftsmethoden der Bourgeoisie: „Nicht aus
böser Absicht einzelner Personen und nicht zufällig geht die Bourgeoisie von
der einen Methode zur anderen über, sondern infolge der radikalen Widersprüche
ihrer eigenen Lage.“4 Eugen Varga betonte die Sprunghaftigkeit der
Entwicklung des SMK, weil die Bourgeoisie am liebsten ohne Staatseinmischung
auskomme und diese immer wieder abzuschütteln versuche. Trotz dieser
Gegentendenz nehme die Staatseinmischung jedoch stets weiter zu.5
Diese Aussagen treffen auch auf die Veränderungen im Gefolge der Krise 1974/75
zu.
In der
Weltwirtschaftskrise 1974/75 hatte sich die keynesianische Regulierungsweise
erschöpft. Die Bourgeoisien versuchten, die Verwertungsschwierigkeiten des
Kapitals zu überwinden, indem sie in einem brutalen Klassenkampf von oben das
neoliberale Regime durchsetzten. Thatcher, Reagan gingen damit voran. Der
vermeintliche Triumph des neoliberalen Credos „Privat vor Staat“, die
Entfesselung der Finanzmärkte, endete 2008 in der größten Staatseinmischung
aller Zeiten, der Bankenrettung. Doch auch vor der jüngsten Krise gaben die
Notenbanken der großen Staaten den Takt für die Börsen schon vor.
Deregulierung,
Privatisierung und Weltmarktorientierung trieben die Vergesellschaftung der
Produktion, aber zugleich auch die weltwirtschaftlichen Ungleichgewichte weiter
voran. Die Krisenanfälligkeit des Systems und die Notwendigkeit von
Staatsinterventionen nahmen damit ebenfalls zu.
Ohne
umfassende staatliche Regulierung kann beim heutigen Niveau der
Vergesellschaftung der Produktivkräfte die Ökonomie nicht funktionieren. So ist
auch unter dem neoliberalen Regime die Staatsquote nie gesunken: Sie stieg in
der BRD 1970-78 von 40 auf 48,8% und liegt bis heute bei 48%. Der „schlanke
Staat“ ist Propaganda, Verschleierung der Umverteilung von unten nach oben.
Nicht
übersehen werden darf auch die herrschaftssichernde Rolle des Staates. Er ist
ideeller Gesamtkapitalist und Instrument der Klassenherrschaft. Er sorgt für
die Akzeptanz des Systems in der Bevölkerung. Dazu muss er den inneren
Kräfteverhältnissen Rechnung tragen, den Mittelstand einbinden und die Mehrheit
der Arbeiterklasse integrieren. Die Widersprüchlichkeit seiner Aufgaben
erfordert die relative Selbstständigkeit des Staates.
Diese
Funktionen verbleiben bei den Nationalstaaten. Sie sind mit der
„Globalisierung“ nicht an „internationale Institutionen“ übergegangen. Vielmehr
wurden die großen Nationalstaaten zu den Hauptträgern der internationalen
Regulierung:
·
Zunächst
haben sie die heimischen Großkonzerne durch Privatisierungen, Deregulierungen
und Umverteilung von unten nach oben (bei uns vor allem durch Schröders und
Eichels Reformen) für ihre Rolle als Global Players fit gemacht.
·
Vorhandene
Gremien der internationalen Regulierung (wie IWF, Weltbank) wurden neoliberal
umgewidmet. Neue Gremien etablierten sich: In den 1970ern die G7, in der
jüngsten Krise die G20, das heißt die G7 plus die BRICS-Länder.
Die
Anpassung der Staaten an die Weltmarktkonkurrenz erfolgte auf unterschiedliche
Weise. Seit der Zypernkrise spricht man gern von „Geschäftsmodellen“ der
Staaten. Die Theorie des SMK geht von spezifischen nationalen SMK-Varianten
aus. Sie resultieren aus der unterschiedlichen Stellung des jeweiligen Landes
in der internationalen Arbeitsteilung, aus unterschiedlichen historischen und
kulturellen Traditionen und aus unterschiedlichen Klassenverhältnissen in den
einzelnen Ländern. So gibt es
·
in
Frankreich die etatistische Variante, aufgrund der langen Tradition des
Zentralismus, mit dem Staat in vielen Konzernen als Mehrheitseigner, mit der
Planification, mit einer traditionell kämpferischen Arbeiterklasse und einer
noch relativ stark binnenorientierten Wirtschaft;
·
in
Deutschland die eher privatmonopolistische Variante mit Exportüberschüssen als
Geschäftsmodell (ununterbrochen seit 1951), mit der „Stabilitätspolitik“ (=
Kostensenkung für die Reproduktion der Arbeitskraft), mit „Sozialpartnerschaft“
(Wettbewerbskorporatismus) und einem relativ großen Mittelstand;
·
in
den USA und GB Ökonomien mit relativ großem Finanzsektor, einem großen
Militär-Industrie-Komplex, mit Leistungsbilanzdefizit und dem Interesse, die
deutschen Exportüberschüsse zugunsten eigener Exporte zu verringern (darin gibt
es eine Interessenidentität mit Frankreich und Italien).
Die
Interessenunterschiede prallen auch auf den Gipfeln aufeinander und begründen
rivalisierende ökonomische Strategien der Staaten. “Während Frankreichs
Haushaltssünden unbehelligt bleiben, steht Deutschland wegen seiner
Exportüberschüsse am Pranger”, klagte erst kürzlich wieder die FAZ.6
III. Zu den internationalen
Kräfteverschiebungen
Nach 1945
waren die USA unangefochtener Hegemon im kapitalistischen Weltsystem. Es gab
zugleich die Systemkonkurrenz zum sozialistischen Lager. Mit dem Sozialismus
ging es zunächst aufwärts. Parallel brach das Kolonialsystem zusammen. In
vielen kapitalistischen Ländern war das Kräfteverhältnis für die Arbeiterklasse
nach der Niederlage des Faschismus günstig. In Westdeutschland halfen die USA
als Besatzungsmacht der deutschen Monopolbourgeoisie wieder auf die Beine,
ermöglichten ihren Wiederaufstieg und die Remilitarisierung der BRD als
Bollwerk gegen den Sozialismus.
In den
1970er und 1980er Jahren stiegen Deutschland und Japan zu Konkurrenten der USA
auf. Die Niederlage in Vietnam, die Dollarkrise, die Bildung der OPEC markieren
in den 1970ern den Beginn des Niedergangs der US-Hegemonie. Der kurze Aufstieg
Japans endete Anfang der 1990er in einer Bankenkrise und in Jahrzehnten der
Stagnation und Depression. Dank der schwelenden Eurokrise droht der EU eine
ähnliche Perspektive.
Nach dem
Zusammenbruch des Sozialismus, in den 1990ern schien der Kapitalismus noch
einmal unter der Hegemonie der USA zu triumphieren (Kapitalimporte, New Economy
Boom). Doch war die US-Hegemonie bereits untergraben, da die USA sich zunehmend
verschuldeten. Parallel begann der Aufstieg Chinas, das nach Deutschland und
Japan zum Hauptgläubigerland der USA wurde. Vor allem nach 2000 und
beschleunigt durch die Krise ab 2008 verschoben sich die Gewichte in der
Weltwirtschaft zugunsten der BRICS.
Laut
UNCTAD gibt es weltweit etwa 82000 Transnationale Konzerne (TNKs), von denen
über 70% aus den reichen kapitalistischen Ländern kommen. Etwa 30% des
Warenhandels sind Intrakonzernhandel, etwa 80% Handel innerhalb von
Güterketten.7 Das bedeutet, dass die ökonomische Macht der Staaten
weitgehend von ihrem Anteil an den größten TNKs abhängt.
Entwicklungsmöglichkeiten schwächerer Staaten hängen vom Ausmaß ab, in dem es
ihren Unternehmen gelingt, in internationalen Güterketten aufzusteigen. Das ist
vor allem China gelungen, mit Hilfe der Öffnungpolitik seit 1978, kombiniert
mit Kapitalverkehrskontrollen, die die eigene Wirtschaftssouveränität sichern.
·
Die
jährliche Liste des Magazins Fortune zur Verteilung der 500 größten Konzerne
der Welt auf die Länder zeigt für 2012 folgende Kräfteverhältnisse:
o
Danach
kamen mehr als 3/5 (310 der 500) allein aus den G7-Staaten USA, Japan, GER, F,
GB, Canada und Italien,
o
weitere
73 kamen aus China. G7 + China = knapp 4/5 der 500 größten TNKs.
o
Die
restlichen 100 TNKs kamen aus den übrigen 185 UNO-Mitgliedstaaten, d.h., aus
den meisten Ländern kam keiner der 500 Größten.
·
Ein
Vergleich der Fortune-Listen 1980-2012 zeigt den allmählichen Abstieg der USA,
die Stagnation Japans und der EU und den Aufstieg Chinas. Es bestätigt sich das
Gesetz der Ungleichmäßigkeit der Entwicklung von Unternehmen, Industriezweigen
und Ländern – das die materielle Grundlage dafür ist, dass es zu Kämpfen um
eine Neuaufteilung von Einflusssphären kommt.8
Gegenwärtig
fürchten die USA und ihre Verbündeten, dass sie die Regeln und Standards in der
Weltwirtschaft nicht mehr lange diktieren können:
·
Ihre
Forderungen an die aufsteigenden Länder lauten: „Rechtssicherheit“ (=
Sicherheit des Privateigentums) und freier Kapitalverkehr (= Recht auf
Übernahmen). So fordern sie von China: „Der Joint Venture Zwang muss weg!“
·
Die
BRICS fordern eine Reform der internationalen Institutionen (UNO-Sicherheitsrat,
IWF, Weltbank) mit dem Ziel einer gleichberechtigten Kooperation.
·
Die
alten imperialistischen Mächte verteidigen ihre bisherige Monopolstellung und
zögern Reformen hinaus. Auf politisch-militärischem Gebiet betreiben sie die
Eindämmung der BRICSs (NATO-Osterweiterung, Einkreisung Chinas).
Die
US-Bourgeoisie setzt weiter auf die Rolle der USA als unverzichtbare
Führungsmacht in der Welt. Die US-Politik versucht den Übergang zu einer
multipolaren Weltordnung zu verhindern. Davon geht in der Übergangsperiode eine
permanente Kriegsgefahr aus.
IV. Zur Rolle der Bundesrepublik
Für die
bundesdeutschen Konzerne spielten Weltmarktorientierung und Auslandsexpansion
immer eine zentrale Rolle. Fast alle von ihnen sind sowohl in den USA als auch
in den BRICS-Ländern „aufgestellt“. 2014 gingen von den deutschen Exporten 58%
in die EU, 8,5% in die USA, 13,4% nach Asien, davon nach China 6,6%, in die
ASEAN-Staaten 2%, nach Japan 1,5% und nach Indien 0,8%.9 Russland
fiel in der Rangliste vom 11. auf den 13. Platz, wegen der Sanktionen und wegen
des Rubelverfalls. Der Nutzen von guten Kooperationsbeziehungen Deutschlands zu
den BRICS-Staaten bleibt außer Frage.
Dennoch
legte im Herbst 2013 die SWP ein Strategiepapier vor, das neue Akzente setzt:
„Neue Macht – Neue Verantwortung“10; zum Inhalt gehört:
·
eine
bündnispolitische Klarstellung: „bewährte Bündnisse“, wie UNO, NATO und EU
sollen danach Vorrang haben vor der Kooperation mit den Schwellenländern;
·
angesichts
der Hinwendung der USA zum Pazifik müsse Deutschland seiner „neuen Macht“11
auch mit einer „neuen Verantwortung“ gerecht werden und dies, falls nötig, auch
mit militärischen Mitteln. Dazu sei der in der deutschen Bevölkerung
verbreitete Pazifismus zu überwinden.
Vorstöße
von der Leyens, Steinmeiers und Gaucks unterstrichen diese Linie 2014. Auch der
jüngste Merkel-Hollande-Vorstoß für Minsk II ändert nichts an ihrer Gültigkeit.
Das zeitweilige und partielle Heraustreten aus dem Schatten Obamas drückt eine
gewisse Distanz zum chaotischen, aus Berliner Sicht zu unbesonnen auf
Eskalation setzenden Militarismus der US-Regierung aus und die Angst, für die
damit angerichteten Schäden aufkommen zu müssen. Eine Abkehr vom eigenen Kurs
auf verstärkte Militarisierung, um in den Konflikten der Welt und in der NATO
stärker mitmischen zu können, bedeutet es nicht.
Es ist
davon auszugehen, dass die Linie der Regierung mit den Konzernspitzen
abgestimmt ist. Die führenden bürgerlichen Medien schwenkten nahtlos auf diesen
Kurs ein, indem sie die Russophobie anheizen. Das stößt auf zuvor nicht
gekannte Kritik in den Leserspalten. Auch aus dem Unternehmerlager kommen
Hinweise auf Interessenunterschiede zu den USA. Zwei Fraktionen im deutschen
Kapital auszumachen, eine transatlantische und eine pro-russische, halte ich dennoch
für verfrüht, auch wenn manche Konzerne stärker betroffen sind als andere.
Hauptsächlich resultieren die Differenzen zwischen „Atlantikern“ und
„Russlandverstehern“ aus objektiven Widersprüchen in den Interessen der
deutschen Bourgeoisie:
·
Widersprüche
in den ökonomischen Interessen: Man ist am Handel mit Russland interessiert,
will aber auch keinen Ärger auf dem US-Binnenmarkt. (Hier diente die Bestrafung
der BNP Paribas durch die USA als deutliche Warnung.)
·
Widersprüche
zwischen politisch-strategischen und ökonomischen Interessen:
o
Man
will das TTIP und die Kooperation mit den USA gegen die BRICS als die
langfristig gefährlicheren Konkurrenten, aber nicht auf Kosten der eigenen
Expansion in den BRICS.
o
Militärpolitisch
ist man auf absehbare Zeit auf die NATO angewiesen, in der die USA das Sagen
haben. Andererseits will man in Russland investieren
(„Modernisierungspartnerschaft“). Die Investitionen deutscher Konzerne in
Russland betragen eine Mehrfaches der Investitionen von US-Konzernen dort, bei
Eskalation des Konflikts drohen hohe Verluste.
·
Friedrich
Merz12 meinte zu möglichen Sanktionsverlusten: „Mit diesem Risiko
war und bleibt bis auf weiteres jedes wirtschaftliche Engagement in Russland
behaftet.“13 Auch das eine Drohung.
·
BGA-Präsident
Anton Börner klagte über die Sanktionen, sagte aber andererseits: „Derzeit
erleben wir eine Rückkehr zum Primat der Politik.“ Die Schwellenländer würden
„machtbewusster“. Er lobte das TTIP weil es „auf der Basis von
unternehmerischer Freiheit und freier Konsumentenentscheidung die Chance für
globale Standards bietet, die wir zusammen mit den USA zur Zeit noch prägen
können.“ Und er sagte: „Länder wie China oder Russland müssen von uns
übernehmen, was fairer Wettbewerb und freies Handeln bedeutet und nicht wir die
Regeln ideologisch ausgerichteter Staaten und deren Gesellschaftsformen.“14
Trotz
innerer Widersprüche steht die deutsche Monopolbourgeoisie hinter der
Strategie, im Rahmen der NATO mehr Verantwortung zu übernehmen, dafür
aufzurüsten und den USA Lasten abzunehmen. Sie nutzt die Probleme der
Überdehnung des absteigenden Hegemons, um ihre eigenen Expansionsinteressen zu
verfolgen, was partielle Widersprüche zur US-Politik immer mal einschließt.
Als
Friedensbewegung und im Interesse der Lohnabhängigen muss uns daran gelegen
sein, jeden Riss im Lager der Herrschenden zu nutzen, um Deeskalation,
Kooperation statt Konfrontation, Entmilitarisierung und Abrüstung
durchzusetzen. Die Rolle der NATO als eines den Frieden und die Demokratie
bedrohenden Bündnisses gilt es deutlich zu machen, um zunehmenden Druck für
einen Austritt zu entwickeln.
1914
endeten Käte Dunckers „Leitsätze“: „Das deutsche klassenbewußte Proletariat
bekämpft den Kapitalismus als Todesfeind der sozialistischen Befreiung der
Arbeiterschaft. Es kann daher in der Förderung des deutschen Imperialismus
keine Förderung der proletarischen Klasseninteressen sehen. Auch für die
kapitalistische Gegenwart erscheint dem Proletariat der Ausbau des inneren
Marktes wichtiger als der des äußeren. Hebung des inneren Marktes würde höheren
Lohn voraussetzen und höhere Löhne gewährleisten. Der Kapitalexport dagegen
steigert die im Wesen des Kapitalismus beruhende Ausbeutung durch Lohndruck und
Preisteuerung. Die Notlage des Proletariats wird dazu verschärft durch die
militärische Rüstungsbelastung und das entsetzliche Kriegselend. So fordern die
Lebensinteressen des Proletariats den unermüdlichen Kampf gegen den
Imperialismus. Ein Kampf, der nur geführt werden kann in dem Bewußtsein, dass
allein der Sozialismus diese imperialistische Stufe der kapitalistischen
Entwicklung und die dauernde Weltkriegsgefahr abschließen und überwinden kann.“
Auch das
ist aktuell geblieben.
Anmerkungen:
1
Überakkumulation ist nach Marx „Überproduktion von Kapital” und „heißt nie
etwas anderes als Überproduktion von Produktionsmitteln, Arbeits- und
Lebensmitteln-, die als Kapital fungieren können.” (Kapital III, MEW 25, S.
261ff.)
2 Lenin:
„Nirgendwo in der Welt hat der Monopolkapitalismus ohne freie Konkurrenz in
einer ganzen Reihe von Wirtschaftszweigen existiert und wird er je existieren
[…] Sagte Marx von der Manufaktur, sie sei ein Überbau über der massenhaften
Kleinproduktion gewesen, so sind Imperialismus und Finanzkapitalismus ein
Überbau über dem alten Kapitalismus. Zerstört man seine Spitze, so tritt der
alte Kapitalismus zutage.“ (W. I. Lenin, VIII. Parteitag der KPR(B), LW 29, S.
153)
3 Vgl.
Hilferding: „… das Finanzkapital will nicht Freiheit, sondern Herrschaft; es
hat keinen Sinn für die Selbständigkeit des Einzelkapitalisten, sondern
verlangt seine Bindung; es verabscheut die Anarchie der Konkurrenz und will die
Organisation, freilich nur, um auf immer höherer Stufenleiter die Konkurrenz aufnehmen
zu können. Aber um dies durchzusetzen, um seine Übermacht zu erhalten und zu
vergrößern, braucht es den Staat, der ihm durch seine Zollpolitik und
Tarifpolitik den inländischen Markt sichern, die Eroberung ausländischer Märkte
erleichtern soll. Es braucht einen politisch mächtigen Staat, der in seiner
Handelspolitik nicht auf die entgegengesetzten Interessen anderer Staaten
Rücksicht nehmen muss. (…) Das Finanzkapital braucht endlich einen Staat, der
stark genug ist, um Expansionspolitik treiben und neue Kolonien sich
einverleiben zu können.“ (Rudolf Hilferding, Das Finanzkapital, Berlin 1955, S.
502f.)
4 W.I.Lenin,
Die Differenzen in der europäischen Arbeiterbewegung, LW 16, S. 356
5 Eugen
Varga, Sprunghafter Prozess, in: Junge Welt 22.11.2014
6 „In
Berlin wächst der Unmut über Juncker“, FAZ 4.3.2015 – Zu den SMK-Varianten vgl.
Gretchen Binus/Beate Landefeld/Andreas Wehr, Staatsmonopolistischer
Kapitalismus. Köln 2014, S. 27f.
7 World
Investment Report 2009
8 „unter
dem Kapitalismus ist für die Aufteilung der Interessen- und Einflusssphären,
der Kolonien usw. eine andere Grundlage als die Stärke der daran Beteiligten,
ihre allgemeinwirtschaftliche, finanzielle, militärische und sonstige Stärke,
nicht denkbar. Die Stärke der Beteiligten aber ändert sich ungleichmäßig, denn
eine gleichmäßige Entwicklung der einzelnen Unternehmungen, Trusts,
Industriezweige und Länder kann es unter dem Kapitalismus nicht geben.“ (Der
Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, LW 22,S. 300)
9 Frank
Robaschik, Deutsche Exporte nach Asien wuchsen 2014 weiter kräftig, Germany
Trade and Invest, 27.2.2015 –
http://www.gtai.de/GTAI/Navigation/DE/Trade/maerkte,did=1183626.html
10 Neue
Macht – Neue Verantwortung. Elemente einer deutschen Außen- und
Sicherheitspolitik für eine Welt im Umbruch. Ein Papier der Stiftung
Wissenschaft und Politik (SWP) und des German Marshall Fund (GMF). 2013
11 Gemeint
ist wohl der Machtzuwachs durch Einverleibung der DDR und Deutschlands Rolle
als Hegemonialmacht der EU.
12 Vorsitzender
der Atlantikbrücke, Mitglied der Trilateralen Kommission (USA, EU, Japan /
gegründet von Rockefeller)
13 Friedrich
Merz, Nun ist der Westen gefordert, in: Handelsblatt 47 (2014), S. 52
14 Klaus
Fischer, TTIP statt Sanktionen, Junge Welt 19.11.2014
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