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Strafrecht gegen Kritiker und Schwache. Die
staatlichen Angriffe auf Linke und Migranten werden immer vielfältiger,
verfolgen jedoch alle das gleiche Ziel: Die Schwächung missliebiger
Organisationen
Der
offensive Rechtsruck, der nunmehr seit einigen Jahren nicht nur in der
Bundesrepublik, sondern in ganz Europa zu beobachten ist, bleibt vor allem für
die Linke, für Migrantinnen und Migranten und auch für Umweltschützer nicht
folgenlos. Vor dem Hintergrund vielerorts zweistelliger Wahlergebnisse der
völkisch-nationalistischen AfD sind rechte Positionen, die vor nicht allzu
langer Zeit noch als eher randständig klassifiziert worden wären, heutzutage
wieder sagbar geworden.
Diese Entwicklung geht einher mit einer von der
etablierten Politik, von Polizei- und Geheimdienstbehörden ausgehenden
repressiven Verschärfung des Kampfes gegen missliebige Meinungen, Personen und
Organisationen – und zwar auf verschiedenen Ebenen. Der Null-Toleranz-Ansatz in
der Sicherheits- und Strafpolitik beschneidet die Grund- und Freiheitsrechte
gegenwärtig in einem Tempo, das schwindelig macht. Von Staats wegen findet
dieser Tage vor allem das Feindstrafrecht Anwendung, das den zu Gegnern
erklärten Kritikern der gesellschaftlichen Ordnung die Bürgerrechte verweigert.
Nicht mehr Bürgerrechtspartei
Hätte man
dem Druck des Koalitionspartners SPD nicht nachgegeben, wären die
Verschärfungen des Polizeigesetzes spätestens nach der im Herbst anstehenden
Landtagswahl noch deutlicher ausgefallen, lautet die Logik der »demokratischen
Sozialisten« in Brandenburg. Diese Sichtweise stieß nach der Abstimmung auf
entschiedene Kritik anderer Mitglieder von Die Linke. So verwies der
niedersächsische Bundestagsabgeordnete Victor Perli am vergangenen Donnerstag
auf Nachfrage dieser Zeitung auf das geltende Programm der Partei.
»Parlamentarische Bündnisse mit anderen politischen Kräften gehen wir dann ein,
wenn dies den von uns angestrebten Richtungswechsel in Politik und Gesellschaft
fördert«, heißt es dort. Genau an dieser Maßgabe hätten sich die Brandenburger
jedoch nicht orientiert. »Eine Linke, die Verschlechterungen mitträgt, um noch
drastischere Verschlechterungen zu verhindern, würde sich auf Dauer überflüssig
machen«, warnte Perli. Er warf den linken Abgeordneten im Potsdamer Landtag
vor, »die Chance verpasst« zu haben, »das krass verschärfte Polizeigesetz zu
verhindern«, womit sie den »Regierungsfrieden über das Programm und die
Beschlusslage der Partei gestellt« hätten. »Damit schadet die Brandenburger
Linke dem Ansehen ihrer Regierungsarbeit in der Bundespartei und dem Wirken der
Linken gegen die Verschlechterung der Polizeigesetze in anderen Bundesländern«,
so der Bundestagsabgeordnete. »Es ist besser, nicht zu regieren als schlecht zu
regieren«, befand Perli.
Zwar sei
es »zweifellos ein Erfolg der Linken in Brandenburg, dass das Gesetz auf den
Einsatz von Trojanern zur Überwachung der verschlüsselten Telekommunikation
verzichtet«, in anderen Bereichen, »die im Alltag viel wirksamer sein dürften,
ist es allerdings bei wesentlichen Verschlechterungen geblieben: Der Gefahrenbegriff
wird auf das Vorfeld konkreter Gefahren im Bereich des Terrorismus ausgeweitet,
Speicherfristen für Bild- und Tonaufnahmen werden von 48 Stunden auf zwei
Wochen verlängert, Observationen für längere Zeiträume ermöglicht«, stellte
Perli klar. Auch die neue Meldeauflage richte sich nach Verdacht gegen mögliche
»Störer« bei Versammlungen. Hinzu komme, dass »trotz der erheblich
ausgeweiteten polizeilichen Befugnisse die Einführung eines Polizeibeauftragten
nicht erreicht« worden sei.
Während
sich die Mehrheit der Abgeordneten der Brandenburger Linksfraktion überzeugt
gab, mit der Gesetzesnovellierung »eine ausgewogene Balance zwischen
Sicherheitsanforderungen und Freiheitsrechten hergestellt zu haben«,
bescheinigte auch das »Bündnis gegen das neue Polizeigesetz in Brandenburg« den
Linken im Landtag, aufgrund der »fast geschlossenen Zustimmung« zum Gesetz
»keine Partei der Bürgerrechte mehr« zu sein. Einzig die Landtagsabgeordneten
Volkmar Schöneburg und Isabelle Vandré hatten sich nicht dem Fraktionsdruck
gebeugt. Schöneburg, von 2009 bis 2013 immerhin Landesjustizminister, enthielt
sich der Stimme, Vandré stimmte gegen das Polizeigesetz. »Der von den meisten
bundesdeutschen Innenministern vorgegebene Sicherheitsdiskurs darf nicht nur
passiv mitgeführt werden, ihm muss ein ebenso breiter Diskurs um die
Freiheitsrechte des einzelnen entgegengesetzt werden. Wir dürfen nicht nur
darüber sprechen, ob und wie wir die Polizei technisch stärker aufrüsten. Wir
müssen auch garantieren, dass das Leben der einzelnen langfristig nicht einer
autoritären Überwachung und Kontrolle preisgegeben wird«, stellten beide in
einer am vergangenen Mittwoch veröffentlichten Erklärung klar.
Demonstration gegen das neue Brandenburger Polizeigesetz, Foto: junge Welt |
Auch in
den anderen Landesverbänden ist die Verärgerung über die Brandenburger Genossinnen
und Genossen groß. Dies gilt vor allen Dingen für Bayern, Nordrhein-Westfalen
und Niedersachsen, wo sich Die Linke in breiten Bündnissen gegen die dortigen
Gesetzesverschärfungen gestellt und in München, Düsseldorf und Hannover
mehrfach Demonstrationen mit teils mehreren zehntausend Bürgerrechtlern
mitorganisiert hatte.
Der Kotau
der Brandenburger wird indessen in Sachsen, wo ebenfalls in diesem Jahr ein
neuer Landtag gewählt wird, als »Störfaktor« und »Tabubruch« bewertet, wie
Klaus Bartl, der rechtspolitische Sprecher der sächsischen Linksfraktion, am
vergangenen Donnerstag auf jW-Anfrage betonte. »Die Politik der Brandenburger
Partei macht es für uns schwer, als verlässliche Partnerin im Kampf gegen den
Abbau demokratischer Rechte wahrgenommen zu werden. Während wir uns auf der
Straße und im Parlament für Bürgerrechte stark machen und das von der
sächsischen Staatsregierung aus CDU und SPD geplante Polizeigesetz mittels
eines Normenkontrollverfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof des Freistaates überprüfen
lassen wollen, stimmt Die Linke anderenorts ohne Grund und Verstand den
Verschärfungen zu«, monierte Bartl.
In
Nordrhein-Westfalen kündigte der Bürgerrechtsverein Digitalcourage e. V. vor
wenigen Tagen ebenfalls an, das im Dezember des vergangenen Jahres beschlossene
Polizeigesetz von Landesinnenminister Herbert Reul (CDU) juristisch überprüfen
lassen zu wollen. »Seit die Verschärfung in Kraft getreten ist, darf die
Landespolizei in NRW Menschen mit Staatstrojanern und elektronischen Fußfesseln
überwachen oder Kontaktverbote und Aufenthaltsvorgaben aussprechen«, warnten
die Bürgerrechtler. Mit dem Gesetz würden die Grundsätze des Rechtsstaats
angegriffen. Schließlich dürfe die Polizei »bereits handeln, bevor von einer
Person eine konkrete Gefahr ausgeht«. Das rücke die Arbeit der Polizei näher an
die eines Geheimdienstes und kratze an der Unschuldsvermutung. Da man keine
Polizeibefugnisse wolle, »die gegen Terror nutzlos sind, aber Grundrechte
aushöhlen«, bereite man derzeit eine Verfassungsbeschwerde vor, heißt es bei
Digitalcourage.
All das
ficht die Brandenburger Linke jedoch nicht an. Sie hat sich weder von den
Bestimmungen des Parteiprogramms noch von einem am 10. März ergangenen
Beschluss des Bundesausschusses der Partei beeindrucken lassen, in dem der
Landesverband aufgefordert worden war, »kein neues Polizeigesetz mitzutragen,
das polizeiliche Befugnisse ausweitet und Grundrechte abbaut«. Zudem hatten
rund hundert Linke-Politiker, darunter eine Reihe von Mitgliedern des
Bundestages, verschiedener Landtagsfraktionen und des Parteivorstandes, die
eigenen Genossen aufgefordert, dem Grundrechteabbau die Zustimmung zu
verweigern. Sie blieben ungehört.
Gesinnungssteuerrecht
Derweil
gehen die Behörden dort, wo weder Polizei- noch Strafrecht greifen, mitunter
auch andere Wege, um missliebige Organisationen in ihrer Arbeit zu behindern
und insgesamt zu schwächen. Nachdem der Bundesfinanzhof dem
globalisierungskritischen Netzwerk ATTAC in einem Ende Februar veröffentlichten
Urteil den Status der Gemeinnützigkeit, der Organisationen steuerrechtlich
begünstigt, aberkannt hatte, geraten mehr und mehr auch andere Organisationen
ins Visier der Behörden.
So droht
aktuell vor allem der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der
Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) in Nordrhein-Westfalen der
Entzug der Gemeinnützigkeit. Wie die Vereinigung im Februar bekanntgab, hätten
verschiedene »nordrhein-westfälische Finanzämter in einer konzertierten Aktion
und in gleichlautenden Schreiben« damit gedroht, dem Landesverband »sowie
mehreren selbständigen Kreisvereinigungen« sogar rückwirkend »die
Gemeinnützigkeit zu entziehen«.
»Nordrhein-Westfalen
stünde mit dem Vorgehen gegen die VVN-BdA und dem Entzug der Gemeinnützigkeit
einzigartig da. Als traditionsreiche und älteste Organisation des deutschen
Widerstandes und der Naziopfer fordern wir die sofortige Einstellung der gegen
die VVN-BdA gerichteten Maßnahmen. Eine solche konzertierte Aktion hat es in
Nordrhein-Westfalen nicht einmal in Zeiten des Kalten Krieges gegeben«,
schreiben die Nazigegner in einer im Februar veröffentlichten Erklärung. Die
Regierung von Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) habe »offenbar den
Anspruch, sich an die Spitze der politischen Anti-Antifa zu stellen«.
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Tatsächlich
sind die Finanzbehörden im bevölkerungsreichsten Bundesland Vorreiter darin,
linke Organisationen kleinzuhalten. Von ähnlichen Angriffen der Behörden waren
in der Vergangenheit bereits 2010 der Frauenverband Courage und 2009 der
Duisburger Verein »Initiativ e. V.« betroffen. Ähnliche
Einschüchterungsversuche gab es 2015 in Frankfurt am Main, wo das Finanzamt dem
»Verein für soziale und politische Rechte von Prostituierten«, Doña Carmen, die
Gemeinnützigkeit aberkannte. Nachdem sich der Verein dagegen juristisch zur
Wehr gesetzt hatte, gab das Finanzamt klein bei und erkannte Doña Carmen die
Gemeinnützigkeit wieder zu. Auch aufgrund der eigenen Erfahrungen
solidarisierte sich der Verein im Februar mit den Globalisierungskritikern:
»Gerade im Hinblick auf die Verteidigung der Rechte von Sexarbeiterinnen und
Sexarbeitern gegen rechtliche und gesellschaftliche Diskriminierung durch das
von der herrschenden politischen Klasse verabschiedete
Prostituiertenschutzgesetz erweist sich das Münchner Urteil als unmittelbare
Bedrohung«, urteilte Doña Carmen in einer Erklärung von Ende Februar. Doch nicht
nur Beratungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter sind betroffen,
sondern auch Organisationen wie beispielsweise die Deutsche AIDS-Hilfe e. V.
oder Pro Familia, in deren Satzung es heißt: »Pro Familia verfolgt seine Ziele
ferner durch Einflussnahme auf Gesetzgebung und Verwaltung.« Dieser
»Verdrängungsprozess aus dem öffentlichen Raum« habe, so lässt sich bei Doña
Carmen lesen, »erhebliche und nicht hinnehmbare negative Folgen für die von
diesen Organisationen beratenen und betreuten Menschen«.
Aktuell
sind es zudem Umwelt- und Klimaschutzorganisationen, denen in naher Zukunft der
Entzug der Gemeinnützigkeit drohen könnte. Im Visier stehen die »Deutsche
Umwelthilfe«, die mit ihren Klagen wegen schlechter Luft in den Städten für
Dieselfahrverbote verantwortlich gemacht wird, der Tierrechtsverein »PETA« und
das Kampagnennetzwerk Campact. Während die CDU bereits bei ihrem jüngsten
Parteitag im Dezember 2018 in Hamburg beschlossen hatte, der Umwelthilfe die
Gemeinnützigkeit entziehen lassen zu wollen, flankieren AfD und FDP derlei
Pläne derzeit mittels parlamentarischer Anfragen im Bundestag. So wollte die
FDP beispielsweise kürzlich von der Bundesregierung wissen, in welchem Umfang
die Umwelthilfe Projektförderungen des Bundes erhalten habe.
Kurz nach
dem Urteil des Bundesfinanzhofs zum Entzug der Gemeinnützigkeit von ATTAC hatte
die Antikorruptionsorganisation Transparency International Deutschland e. V.
»eine Gefährdung der politischen Arbeit kritischer
Nichtregierungsorganisationen in Deutschland« ausgemacht. Mit dem Entzug der
Gemeinnützigkeit drohten »der Verlust von Reputation in der Gesellschaft
einerseits und der Wegfall notwendiger Finanzierungsmittel für die
zivilgesellschaftliche Arbeit andererseits«. Entscheidend sei jedoch »die politische
Dimension des Urteils, das zu einer verfassungsrechtlich bedenklichen
Einschränkung der zivilgesellschaftlichen Meinungsbildung in der Gesellschaft
führen« könne. »Der Gemeinnützigkeitsstatus darf nicht als politisches
Druckmittel von seiten politischer Parteien oder gar Ministerien genutzt
werden, wie es im Moment sogar Staatssekretäre tun«, kritisierte Hartmut
Bäumer, stellvertretender Vorsitzender von Transparency Deutschland. Es stehe
zu befürchten, »dass in Zukunft vermehrt sich angegriffen fühlende politische
Akteure versuchen, auf diese Weise unliebsame Kritik auszuschalten. Die Debatte
um die Grenzen der Gemeinnützigkeit ist wichtig, aber mit einer derartigen
Interpretation ist politischer Willkür Tür und Tor geöffnet«, so Bäumer weiter.
Ähnlich
äußerte sich auch der Vorsitzende der Naturfreunde Deutschlands. Michael Müller
übte deutliche Kritik am Entzug der Gemeinnützigkeit von ATTAC, »einer
Vereinigung der Bürgerinnen und Bürger, die für ein gerechtes Steuersystem«
kämpfe. »Heißt das etwa umgekehrt, die Gelddealer und Spekulanten, die mit
ihren riskanten Tricks 2008 die Weltwirtschaft an den Rand des Abgrunds geführt
haben, arbeiteten im Interesse des Gemeinwesens?« fragte Müller. Der
Bundesfinanzhof habe »unserem Gemeinwesen einen schlechten Dienst erwiesen«.
Schließlich gehöre die Globalisierungskritik zur Demokratie. »Die
Finanzgerichte sollten sich mit den Spekulanten und ihren dubiosen Methoden
beschäftigen, statt unbequeme Kritik abzuwürgen«. Es scheine »aber Methode zu
werden, Kritiker mundtot zu machen«. Nichts anderes passiere auch bei der
Deutschen Umwelthilfe, so Müller weiter.
Während
Vereine, die als (eher) links gelten, von den Behörden angegriffen werden,
haben neoliberale oder rechtsextreme Vereine bisher wenig zu fürchten, obwohl
der Bundesfinanzhof verlangt, dass gemeinnützige Organisationen in »geistiger
Offenheit« agieren müssten. Erwähnt seien in diesem Zusammenhang etwa die
Bertelsmann-Stiftung, die Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik, die die
Rüstungslobby vertritt, der Förderverein der Initiative Neue Soziale
Marktwirtschaft, der maßgeblich von Arbeitgeberverbänden getragen wird, aber
auch der als rechtsextrem geltende Verein »Uniter«, zu dem sich unter anderem
KSK-Soldaten zusammengeschlossen haben, oder das rassistische Hetzportal
»Jouwatch«.
Kriminalisierungsoffensive
Mit
staatlichen Attacken anderer Art haben unterdessen Flüchtlingsorganisationen
und Abschiebegegner zu rechnen. So wandte sich die Düsseldorfer
Flüchtlingsorganisation »Stay!« im Februar an die Öffentlichkeit und
kritisierte den von Bundesinnen- und Heimatminister Horst Seehofer (CSU)
vorgelegten Entwurf für ein »Geordnete-Rückkehr-Gesetz«. Darin drohe Seehofer
nicht nur all jenen, die »nicht aktiv« an ihrer Ausreise mitwirkten – zum
Beispiel weil sie keine Papiere vorweisen können – mit Abschiebehaft. Vielmehr
bedrohe er »auch jene zivilgesellschaftlichen Kräfte«, die den Geflüchteten in
ihrer Not zur Seite stünden. »Der Gesetzentwurf sieht Freiheitsstrafen von bis
zu drei Jahren für jeden vor, der die Vollstreckung einer Abschiebung
beeinträchtigt, indem er etwa ›geplante Zeitpunkte oder Zeiträume einer
bevorstehenden Abschiebung veröffentlicht. Dies gilt ebenso für die Verbreitung
an einen unbekannten Personenkreis, etwa in einem geschlossenen Newsletter oder
sozialen Netzwerken, oder gegenüber einem ausreisepflichtigen Ausländer‹«. Im
Klartext heiße das, »dass wir – sofern der Gesetzentwurf durchkommt – mit
Haftstrafen rechnen müssen, wenn wir zukünftig in der Beratung darüber
informieren, dass in den nächsten Tagen voraussichtlich Abschiebeflüge in die
Herkunftsländer unserer Klientinnen und Klienten stattfinden«, warnten die
Flüchtlingsunterstützer, die zugleich betonten, sich von Seehofers Plänen nicht
abschrecken lassen zu wollen.
Von etwas
anderer Art – und trotzdem im gleichen Zusammenhang zu betrachten – sind
derweil aktuelle Maßnahmen in Sachsen. Diese richten sich maßgeblich gegen
Drogenkonsumenten und Menschen, die unter Armut leiden und deshalb zu kleineren
Diebstählen und zum Schwarzfahren gezwungen sind. So hatten der sächsische
Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) und sein Generalstaatsanwalt Hans Strobl
Mitte Februar eine »Rundverfügung des Generalstaatsanwaltes zur einheitlichen
Strafverfolgungspraxis und Strafzumessung« vorgestellt. Dieser Erlass sieht
nichts Geringeres vor, als Verfahren wegen Diebstahls oder Schwarzfahrens,
deren jeweiliger Schaden höher als zehn Euro eingestuft wird, künftig nicht
mehr wegen »Geringfügigkeit« nach Paragraph 153 StPO einzustellen. Auch die
Praxis der Verfahrenseinstellung bei bloßem Besitz von Betäubungsmitteln in nur
geringen Mengen soll beendet werden.
»Bei
Betäubungsmitteldelikten werden die Tagessätze für den Erwerb oder Besitz
geringer Mengen gravierend angehoben und bei Verdacht des Vorliegens eines
Handelstatbestandes von vornherein in Freiheitsstrafen ›umorientiert‹, bei
einer Erhöhung des Freiheitsstrafrahmens bei Mengen an Crystal bis fünf Gramm
von bislang sechs Monaten auf nunmehr ein Jahr«, berichtete der
Linke-Innenpolitiker Klaus Bartl in der Debatte des sächsischen Landtages am
13. März. Bartl warf daher in der Landtagsdebatte die Frage auf, mit »welcher
rechtsstaatlichen Rechtfertigung in Zukunft der in Sachsen beim Schwarzfahren,
Kleinstdiebstahl im Laden oder beim Marihuana-Pfeifchen-Rauchen ertappte
›Kriminelle‹ wesentlich schlechter wegkommt als in Berlin, Schleswig-Holstein
oder Erfurt«. Dem sächsischen Justizminister warf der Linke-Rechtspolitiker
vor, einen Wettbewerb mit der AfD um Stammtischstimmen ausgerufen haben, der
geeignet sei, die Republik zu verändern und »zum Kollaps jedenfalls der
Strafrechtspflege an den Gerichten in Sachsen führen« werde.
Den Zusammenhang sehen
Der
öffentliche Aufschrei über die verschiedenen Gesetzesverschärfungen, die sich
bisher allesamt gegen Linke, Migranten und deren Unterstützer, gegen
Bürgerrechtler und gesellschaftlich marginalisierte Gruppen richten, ist bisher
ausgeblieben. Ein Grund dafür dürfte sein, dass die unterschiedlichen Methoden
der repressiven Gesetzesverschärfungen bisher nur selten als gemeinsam zu
betrachtende Strategie von Staat, Behörden und etablierter Politik wahrgenommen
werden. Sollte die Mehrheit der Menschen davor weiter die Augen verschließen
und keinerlei Widerstand organisieren, droht ihnen, schon in kürzester Zeit in
einem Land aufzuwachen, das sie nicht mehr wiedererkennen werden. Die
gesetzlichen Grundlagen für einen Polizeistaat und eine damit einhergehende
faktische Rechtlosigkeit unliebsamer Kreise sind jedenfalls bereits gelegt.
Von
Markus Bernhardt
Aus „junge Welt“ vom 18.03.2019
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