Die Novemberrevolution sei die „Geburtsstunde
unserer Demokratie“. Was sagt uns das über diese Demokratie?
Vor allen
Wahllokalen waren Posten mit Stahlhelmen, Handgranaten und Schusswaffen
aufgestellt worden“, berichtete eine Zeitung über die Wahl zur Nationalversammlung
am 19. Januar 1919 in Berlin. Regierungstruppen mit Kanonen, Patrouillen mit
Maschinengewehr auf dem Auto:
Das war
die Kulisse für die Abstimmung, die den Terror gegen die Revolution
legitimieren sollte und die die SPD-Führer zum Höhepunkt der Revolution
erklärten.
Parlament
statt Räte, Freikorps statt Volksarmee, statt Sozialismus das Versprechen auf
„Sozialisierung“ – und kapitalistische Ausbeutung unter Mitverwaltung der SPD.
Diese Wahl und diese Revolution nennen Mainstream-Medien und -Akademiker die
„Geburtsstunde der deutschen Demokratie“.
Auf ihren
Wahlplakaten warnte die SPD vor dem „Terrorismus“ der „berüchtigten
Spartakusrotte“. Während des Wahlkampfes war Gustav Noske noch
„Volksbeauftragter für Heer und Marine“, drei Wochen später durfte er sich
Reichswehrminister nennen. Unter seinem Befehl marschierten am 14. Januar
Truppen nach Berlin, in einem Aufruf an die Bevölkerung ließ Noske ausrichten:
„Neuen Gewalttätigkeiten der Spartakusleute muss durch die Waffengewalt
vorgebeugt werden.“
Beerdigung Karl Liebknechts 1919 |
Noske
ließ vorbeugen. Am folgenden Abend würden die Mörder mit Schulterstücken Rosa
Luxemburgs Leiche in den Landwehrkanal werfen und behaupten, dass sie Karl
Liebknecht „auf der Flucht“ erschossen hätten.
Bundespräsident
Frank-Walter Steinmeier lobte in seiner Rede im Bundestag am 9. November die
Revolution – „Aufbruch in die Moderne“, „Viele ihrer Errungenschaften prägen
heute unser Land“. Nicht nur gleiches Wahlrecht, auch für Frauen, „auch
Grundsteine des modernen Sozialstaats legte diese Revolution: Achtstundentag,
Tarifpartnerschaft, Mitbestimmung durch Betriebsräte – all das steht für den
sozialen Fortschritt, der damals inmitten der Nachkriegswirren begann“ – so
hört es sich an, wenn ein Bundespräsident auf die Geschichte blickt, um uns zu
erklären, dass wir in der besten möglichen Gesellschaft leben.
Völlig
falsch ist es nicht, was Steinmeier sagt: Die Bevölkerung erkämpfte damals
soziale Verbesserungen und demokratische Rechte. Was er unterschlägt: Wofür die
Massenbewegung kämpfte und was die SPD-Führer den Menschen versprachen war
etwas anderes. Produktion für die eigenen Bedürfnisse statt
Acht-Stunden-Ausbeutung, die Wirtschaft in gesellschaftlichem Eigentum statt
„Mitbestimmung“. Die Errungenschaften der Novemberrevolution konnte die
Bewegung nur erkämpfen, weil sie ein ganz anderes Ziel als unsere heutige
„Demokratie“ im Sinn hatte, die „Demokratie“ der Weimarer Nationalversammlung
war nur das Zugeständnis, um die Menschen ruhigzustellen, weil Kanonen und
Maschinengewehre dafür nicht ausreichten.
Noch
etwas anderes sagt uns das Bild von der „Geburtsstunde der Demokratie“: Sie
baut darauf auf, dass SPD-Führer reaktionäre Freikorps revolutionäre Arbeiter
niederschlagen ließen. Sie baut auf dem Mord an Liebknecht und Luxemburg.
Nach der
Befreiung vom Faschismus wurde der deutsche Imperialismus erneut zur Demokratie
gezwungen – und wieder gehörte dazu: Die Bewegung gegen die Remilitarisierung
unterdrücken, KPD verbieten, Kommunisten einsperren oder mit Berufsverbot
verfolgen.
So wurde
1919 das geboren, was unsere Regierung eine Demokratie nennt: Die Konzerne
behielten die Kontrolle über den Staat, die revolutionären Arbeiter begruben
ihre Toten.
Von Olaf
Matthes
Aus „unsere zeit (UZ) – Zeitung der DKP“ vom 11. Januar 2019
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen