Geld regiert - Collage: junge Welt |
Zweitgrößtes Parlament der Erde hat ausgesorgt:
BDI gibt Bundestag Zehnpunkteplan vor
Die
Parlamentarier waren noch gar nicht im Berliner Reichstagsgebäude
zusammengetreten, da verkündete der Bund Deutscher Industrieller bereits, wie
in den kommenden vier Jahren abgestimmt wird: »Der BDI hat ein
Zehnpunkteprogramm vorgelegt, das der Spitzenverband an alle Mitglieder der
Sondierungsteams sowie alle Abgeordneten des neuen Bundestages gesendet hat.«
Anstatt
sich »wie bisher auf die Vermeidung von Steuerschlupflöchern und
sozialpolitische Umverteilung zu konzentrieren«, müsse von nun an das Gegenteil
angestrebt werden, so BDI-Präsident Dieter Kempf in seinem Grußwort. Nämlich:
»Wachstum und Innovation«. Worte, bei denen Kinder zu weinen beginnen und die
Alten ins Jenseits starren.
Zu Beginn
der neuen Legislaturperiode am Dienstag sind die Repräsentanten nicht nur gut
vom BDI eingewiesen, sondern haben sich auch vermehrt: Im Reichstagsgebäude
treffen sich künftig 709 Berufspolitiker. Im letzten Bundestag waren es noch
631. Die BRD leistet sich damit das größte Parlament der Erde nach dem
chinesischen Volkskongress – der allerdings nur jährlich zusammentritt und fast
1,4 Milliarden Menschen zu berücksichtigen hat.
Trotz des
Gigantismus und des Zuwachses durch neue Überhang- und Ausgleichsmandate ist
der Anteil der Frauen im obersten deutschen Repräsentationsorgan gefallen:
Statt 230 werden es ab jetzt nur noch 218 sein (das entspricht 30,8 Prozent),
die mit nunmehr 491 Männern den Plenarsaal besetzen (vor vier Jahren 401).
Damit sind 90 Männer mehr im Raum und zwölf Frauen weniger. In seiner letzten
Sitzung hatte der 18. Bundestag immerhin noch schnell die Homoehe beschlossen.
Nicht nur
die Gesamtzahl der Repräsentanten nimmt zu, auch die Anzahl der lukrativen Jobs
für Helfershelfer. So steigt beispielsweise die Zahl der parlamentarischen
Staatssekretäre im Vergleich zum 2013er-Parlament weiter an.
Bei der
konstituierenden Sitzung wurde erwartungsgemäß der noch geschäftsführende
Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) zum neuen Bundestagspräsidenten gewählt.
Sein Kabinettskollege Sigmar Gabriel (SPD) hatte ihm zuvor noch schnell
attestiert, mit seiner autoritären Europapolitik einen »Scherbenhaufen« zu
hinterlassen.
Der
Kandidat der rechten AfD, Albrecht Glaser, hat bei der Wahl der sechs
Bundestagsvizepräsidenten in allen drei Wahlgängen keine Mehrheit bekommen.
Gewählt wurden dagegen Hans-Peter Friedrich (CSU), Thomas Oppermann (SPD),
Wolfgang Kubicki (FDP), Claudia Roth (Grüne) und Petra Pau (Linke).
Glaser
wird Islamophobie vorgeworfen. Ein politisch entleertes Ritual der etablierten
Fraktionen, die sich längst auf das Arrangement mit den rechten Ultras
eingestellt haben: 1994 bei der damaligen Pazifistin Antje Vollmer
(Bündnisgrüne) und in extremis bei Lothar Bisky 2005 nutzte die Versammlung die
Präsidiumswahlen auch zu entsprechenden Boykotten. Den vormaligen
Vizepräsidenten des Brandenburger Landtags Bisky mobbte das Hohe Haus
allerdings ein halbes Jahr lang, bis dieser aufgab.
Von
Anselm Lenz
Aus „junge Welt“ vom 25.10.2017
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen