Mittwoch, 25. Oktober 2017

Geld regiert

Geld regiert - Collage: junge Welt
Zweitgrößtes Parlament der Erde hat ausgesorgt: BDI gibt Bundestag Zehnpunkteplan vor

Die Parlamentarier waren noch gar nicht im Berliner Reichstagsgebäude zusammengetreten, da verkündete der Bund Deutscher Industrieller bereits, wie in den kommenden vier Jahren abgestimmt wird: »Der BDI hat ein Zehnpunkteprogramm vorgelegt, das der Spitzenverband an alle Mitglieder der Sondierungsteams sowie alle Abgeordneten des neuen Bundestages gesendet hat.«

Anstatt sich »wie bisher auf die Vermeidung von Steuerschlupflöchern und sozialpolitische Umverteilung zu konzentrieren«, müsse von nun an das Gegenteil angestrebt werden, so BDI-Präsident Dieter Kempf in seinem Grußwort. Nämlich: »Wachstum und Innovation«. Worte, bei denen Kinder zu weinen beginnen und die Alten ins Jenseits starren.

Doch der Krieg soll nicht nur gegen den sozialen Frieden im Innern verschärft geführt werden. »Statt weiterer sozialer Wohltaten« müsse die Regierung auch die »Rohstoffversorgung für Zukunftstechnologien sicherstellen«. Ein unverhohlener Tipp an die Feldmützen – und das deutsche Verteidigungsministerium, ganz gleich, ob die Stimmen von einer Mehrheit von Unionsparteien, FDP und Bündnis 90/Die Grünen kommen (»Jamaika«) oder wem auch immer.

Zu Beginn der neuen Legislaturperiode am Dienstag sind die Repräsentanten nicht nur gut vom BDI eingewiesen, sondern haben sich auch vermehrt: Im Reichstagsgebäude treffen sich künftig 709 Berufspolitiker. Im letzten Bundestag waren es noch 631. Die BRD leistet sich damit das größte Parlament der Erde nach dem chinesischen Volkskongress – der allerdings nur jährlich zusammentritt und fast 1,4 Milliarden Menschen zu berücksichtigen hat.

Trotz des Gigantismus und des Zuwachses durch neue Überhang- und Ausgleichsmandate ist der Anteil der Frauen im obersten deutschen Repräsentationsorgan gefallen: Statt 230 werden es ab jetzt nur noch 218 sein (das entspricht 30,8 Prozent), die mit nunmehr 491 Männern den Plenarsaal besetzen (vor vier Jahren 401). Damit sind 90 Männer mehr im Raum und zwölf Frauen weniger. In seiner letzten Sitzung hatte der 18. Bundestag immerhin noch schnell die Homoehe beschlossen.

Nicht nur die Gesamtzahl der Repräsentanten nimmt zu, auch die Anzahl der lukrativen Jobs für Helfershelfer. So steigt beispielsweise die Zahl der parlamentarischen Staatssekretäre im Vergleich zum 2013er-Parlament weiter an.

Bei der konstituierenden Sitzung wurde erwartungsgemäß der noch geschäftsführende Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) zum neuen Bundestagspräsidenten gewählt. Sein Kabinettskollege Sigmar Gabriel (SPD) hatte ihm zuvor noch schnell attestiert, mit seiner autoritären Europapolitik einen »Scherbenhaufen« zu hinterlassen.

Der Kandidat der rechten AfD, Albrecht Glaser, hat bei der Wahl der sechs Bundestagsvizepräsidenten in allen drei Wahlgängen keine Mehrheit bekommen. Gewählt wurden dagegen Hans-Peter Friedrich (CSU), Thomas Oppermann (SPD), Wolfgang Kubicki (FDP), Claudia Roth (Grüne) und Petra Pau (Linke).

Glaser wird Islamophobie vorgeworfen. Ein politisch entleertes Ritual der etablierten Fraktionen, die sich längst auf das Arrangement mit den rechten Ultras eingestellt haben: 1994 bei der damaligen Pazifistin Antje Vollmer (Bündnisgrüne) und in extremis bei Lothar Bisky 2005 nutzte die Versammlung die Präsidiumswahlen auch zu entsprechenden Boykotten. Den vormaligen Vizepräsidenten des Brandenburger Landtags Bisky mobbte das Hohe Haus allerdings ein halbes Jahr lang, bis dieser aufgab.

Von Anselm Lenz
Aus „junge Welt“ vom 25.10.2017

Keine Kommentare: