Flexibilität beeinträchtigt Familienleben und
Gesundheit
Nach
Schätzungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung DIW arbeiten in
Deutschland rund fünf Prozent aller Beschäftigten auf Abruf. Das sind etwa 1,5
Millionen Menschen und damit zum Beispiel deutlich mehr als diejenigen, die als
Leih- oder Zeitarbeiter malochen müssen. Besonders hoch ist die Quote in
kleinen Betrieben, in Branchen wie dem Einzelhandel, der Gastronomie, bei den
Minijobbern und immer mehr auch im Bereich Gesundheit und Pflege.
KAPOVAZ,
die „Kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit“, ist das Gegenteil einer
Alternative, um Erwerbstätigkeit und private Lebensgestaltung besser zu
vereinbaren und ein existenzsicherndes Auskommen zu ermöglichen. Arbeit auf
Abruf ist die auf die Spitze getriebene Form der atypischen und prekären Beschäftigung.
Dabei wird zur Profitmaximierung das unternehmerische Risiko voll auf die mies
bezahlten Beschäftigten abgewälzt.
In der
Regel funktioniert das so: Die Beschäftigten haben einen Vertrag, der ihnen ein
Minimum an Stunden zusichert, zum Beispiel 40 Stunden im Monat. Tatsächlich
werden sie allerdings oft deutlich länger eingesetzt – auf „freiwilliger“
Basis. Wann sie arbeiten, wieviel sie arbeiten und wieviel Geld sie am Ende des
Monats tatsächlich verdient haben werden, wissen die Beschäftigten vorher
nicht. Das macht sowohl die zeitliche als auch die finanzielle Planung
schwierig bis unmöglich, und das unternehmerische Risiko wird auf die
Beschäftigten abgewälzt. Laufen die Geschäfte gut, ist auch das Einkommen gut.
Bei Flaute, wenn wenig zu tun ist, haben die Abrufarbeiter Pech gehabt. Dennoch
können sie sich keinen Zweitjob suchen, da sie jederzeit damit rechnen müssen,
per Telefon zum Arbeitsplatz 1 kommandiert zu werden. Über das Vorliegen des
Bedarfsfalls entscheidet allein der Arbeitgeber.
Der §12
des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) bietet den Betrieben und
Unternehmen die Grundlage für diese moderne, extrem ausbeuterische
Tagleöhnerei. Darin heißt es: „Arbeitgeber und Arbeitnehmer können vereinbaren,
dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung entsprechend dem Arbeitsanfall zu
erbringen hat (Arbeit auf Abruf).“ Im WSI-Report vom November 2014 (neuere
Zahlen liegen mir nicht vor, M. D.) wird festgestellt, dass damals schon acht Prozent
der Betriebe in Deutschland Arbeit auf Abruf nutzten. Die „Welt am Sonntag“
meldete Ende 2016, dass bei der Spielzeugkette Toys R Us 90 Prozent der
Angestellten mit flexiblen Teilzeitverträgen ausgestattet seien. Eine Studie
des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) aus dem Jahr 2015
stellte fest, dass jeder zehnte unbefristet Beschäftigte auf Abruf arbeite.
Alle
Vorteile dieser Beschäftigungsform liegen einzig und allein bei den Betrieben
und Unternehmen. Die damit ihre interne Flexibilität nahezu kostenlos steigern,
Leerzeiten minimieren und Arbeitskosten erheblich reduzieren. Arbeit auf Abruf
ist eine wirksame Umgehungsstrategie der Unternehmer angesichts der stärkeren
Regulierung bei Leiharbeit und Werkverträgen. Es ist daher zu erwarten, dass
dieses „Beschäftigungsmodell“ weiter wuchern wird, falls es seitens der
Gewerkschaften und Politik nicht daran gehindert wird.
Aus dem
SPD-geführten Arbeitsministerium war unlängst laut „Stern“ zu vernehmen, Arbeit
auf Abruf sei „eine zulässige arbeitsrechtliche Gestaltungsform“. Anders sieht
es Annelie Buntenbach vom DGB-Bundesvorstand. Sie forderte jüngst, KAPOVAZ die
gesetzliche Grundlage zu entziehen und den §12 TzBfG zu streichen: „Ohne eine
ausreichende Planbarkeit bei den Arbeitszeiten wird die Vereinbarkeit von Beruf
und Privatleben, Kindern oder ehrenamtlicher Arbeit zur reinen Schimäre.“
Arbeitszeiten müssen verlässlich planbar sein.
Deshalb
sollte ‚Arbeit auf Abruf‘ – wie zum Beispiel auch in Österreich – untersagt
werden. Dem ist nichts – außer unserem Kampf dagegen – hinzuzufügen!
Von
Manfred Dietenberger
aus „unsere zeit (UZ) – Zeitung der DKP“ vom 21. April 2017
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