Redakteure
von Nachrichtenagenturen sind Profis. Zu den reflexartigen Handlungen in diesem
Beruf gehört es, einer Straftat oder einem Verdächtigen, die noch nicht
gerichtlich abgeurteilt sind, das Adjektiv »mutmaßlich« voranzustellen. Soviel
Verbeugung vor der Unschuldsvermutung als einem Grundprinzip des Rechtsstaates
ist bisher selbst im Eifer des Nachrichtengefechts noch üblich. So gab die
Agentur Reuters am Dienstag die übereinstimmende Auffassung des US-Präsidenten
und der Bundeskanzlerin wieder, den syrischen Präsidenten »für seinen
mutmaßlichen Giftgasangriff zur Verantwortung zu ziehen«.
Wer sich
da verantworten soll, ist klar: nicht der Westen dafür, dass er nachweislich
über Jahre Kopfabschneiderbanden wie Al-Nusra und den »Islamischen Staat« aufgerüstet
und auf das letzte laizistische Regime des Nahen Ostens losgelassen hat,
sondern der nach wie vor international anerkannte Präsident Syriens für eine
Tat, die ihm eben jene Terrorpatrone aus Washington und London zur Last legen,
ohne dafür bisher andere Beweise als die vorgelegt zu haben, die ihre eigenen
regionalen Söldner produziert haben.
Genau aus
diesem Grund, Definitionsmacht zu erlangen, schäumt die westliche
Syrien-Rhetorik derzeit über wie Brausepulver. Es geht, wie der britische
Außenminister Boris Johnson offenherzig bekannte, darum, Russland »deutlich zu
machen«, dass die weitere Unterstützung Assads »nicht mehr in seinem
strategischen Interesse ist«. Das bedeutet im Klartext: Russland soll mit Blick
auf sein übergeordnetes Interesse an einem Modus vivendi mit dem Westen die vom
Völkerrecht gedeckte Unterstützung Assads einstellen und damit dem Westen den
vom Völkerrecht nicht gedeckten Sturz Assads praktisch ermöglichen. Und weil
dieses Ziel a priori feststeht, ist der Westen taub gegenüber der russischen
Forderung nach einer internationalen Untersuchung. Es sollen Fakten geschaffen
werden. Wenn sich hinterher herausstellt, dass die Vorwürfe erfunden waren,
interessiert das nur noch Historiker.
Von
Reinhard Lauterbach
aus junge Welt vom 12.04.2017
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen