Trotz »Brexit« und Austeritätsdiktaten: Die
Militarisierung der Europäischen Union schreitet voran
Ausgerechnet
Viktor Orbán hat die Debatte über den Aufbau einer EU-Armee wieder angestoßen.
»Wir müssen der Sicherheit Vorrang einräumen und den Aufbau einer gemeinsamen
europäischen Armee beginnen«, forderte der nicht gerade als Verfechter einer
engen Integration bekannte ungarische Ministerpräsident, als er am 24. August
in Warschau mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zusammentraf. Merkel besprach im
Rahmen ihrer letztwöchigen EU-Rundreise an diesem Tag mit den
Ministerpräsidenten der Visegrad-Staaten (Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn),
wie es mit dem Staatenbund nach dem Austritt Großbritanniens weitergehen soll.
Beim informellen EU-Gipfel am 16. September in Bratislava könnten erste
tragfähige Konzepte für die erstrebte Neuformierung der EU vorliegen.
Klar ist:
Die EU ist in vielerlei Hinsicht ziemlich zerstritten, zentrifugale Tendenzen
verstärken sich; die Suche nach einem gemeinsamen Nenner, auf dem die
Konsolidierung des Bündnisses gründen könnte, ist durchaus kompliziert. »Es
geht darum, den Status quo zu halten und ein weiteres Auseinanderdriften der EU
zu verhindern«, so fasste ein nicht namentlich genannter Diplomat die
Problemlage unlängst gegenüber der Süddeutschen Zeitung zusammen. Der Mann fuhr
fort: »Das einzige Thema, auf das sich alle zurzeit einigen können, ist die
Parole: mehr Sicherheit.« Und tatsächlich – seit einiger Zeit werden immer mehr
Papiere publiziert, immer mehr Resolutionen verkündet, die den Ausbau der
Grenzabschottung, der Überwachung und der Repression (siehe unten), aber eben
auch die weitere Militarisierung der EU verlangen.

In
Vorbereitung auf den informellen EU-Gipfel in Bratislava werden – natürlich
unter maßgeblicher deutscher Mitwirkung – bereits konkrete Vorstöße in die
Richtung unternommen. Man wünsche sich eine »stärkere« EU »mit einer vertieften
und wirksameren gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik«, teilten die
Außenminister des »Weimarer Dreiecks« (Deutschland, Frankreich, Polen) am
Sonntag in einer »gemeinsamen Erklärung« mit. Anknüpfend an die jüngst
vorgelegte außenpolitische Strategie der EU solle nun »eine substantielle
Folgestrategie im Bereich Sicherheit und Verteidigung« erstellt werden. Der
Europäische Rat solle einmal pro Jahr »im Format eines ›Europäischen
Sicherheitsrats‹ tagen, der sich mit strategischen Fragen der inneren und
äußeren Sicherheit befasst, die untrennbar miteinander verbunden sind«. Darüber
hinaus benötige die EU für ihre Militärinterventionen »eine europäische zivile
und militärische Planungs- und Führungsfähigkeit« – also ein eigenständiges
Hauptquartier. Die »Entwicklung einer starken und wettbewerbsfähigen
Verteidigungswirtschaft in Europa« sei ebenfalls unumgänglich.
Der
Gedanke, die Einigung der EU durch das Medium des Krieges voranzutreiben, ist
nicht neu. Das »europäische Projekt einer gemeinsamen Sicherheits- und
Verteidigungspolitik« werde »ein Motor für das weitere Zusammenwachsen Europas
sein«, hatte der damalige Außenminister Guido Westerwelle bereits im Februar
2010 auf der »Münchner Sicherheitskonferenz« prophezeit. »Ein stehendes Heer
für die Union aller Staaten – das wäre fast schon so etwas wie ein neues
Rückgrat für Europa«, kommentierte die Süddeutsche Zeitung einige Monate
später. Nun, Berlin hat Erfahrung damit, die Integration divergierender Staaten
mit Hilfe gemeinsamer Waffengänge durchzusetzen: Im Jahr 1870 entstand aus dem
Krieg gegen Frankreich das Deutsche Reich.
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