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Städte und Gemeinden erste Verlierer
Am 29. Juni 2012 beschlossen
Bundestag und Bundesrat mit 2/3tel Mehrheit die Zustimmung Deutschlands zum
EU-Fiskalpakt. Die Auswirkungen dieser Beschlüsse werden alle Menschen in
Europa sehr bald schon am eigenen Leib erfahren dürfen – nicht nur in
Griechenland, Portugal, Spanien oder sonst wo in Südeuropa, sondern auch hier
vor Ort, in jeder Kommune, im ganzen Land. Auch in Lübeck und Ostholstein werden
wir von den Konsequenzen dieser Politik im Interesse des Großkapitals nicht verschont
bleiben.
UZ: Bundestag und Bundesrat
haben mit 2/3-Mehrheit dem Fiskalpakt zugestimmt. Welche Konsequenzen sind mit
dem Fiskalpakt verbunden?
Michael Gerber: Mit dem
Fiskalpakt, zu dem sich 25 der 27 EU-Länder verpflichten, soll ab 2013 die
Staatsverschuldung begrenzt werden. Faktisch wird damit die Schuldenbremse von
2020 auf das nächste Jahr vorgezogen. Die Neuverschuldung der öffentlichen
Haushalte soll zunächst auf 0,5 Prozent und später auf 0,35 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts der jeweiligen Länder reduziert werden. Die öffentlichen
Schulden, die 60 Prozent der nationalen Wirtschaftsleistung überschreiten, müssen
dann jährlich um 5 Prozent abgebaut werden. Damit sind Bund, Land und Kommunen
verpflichtet, 20 Jahre lang jährlich mindestens 25 Milliarden Schulden
abzubauen. Diese Mittel sollen vorrangig durch Ausgabenkürzungen erzielt
werden. Der Fiskalpakt schreibt vor, dass die "Wettbewerbsfähigkeit"
gefördert werden soll. Damit sollen Steuererhöhungen für Reiche und Konzerne
ausgeschlossen werden. Die Konsequenz sind drastische Kürzungen in den
Bereichen Bildung, Soziales und Kultur, weiterhin niedrige Löhne und die
Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen. Die Folgen sind in Griechenland,
Spanien und Portugal zu besichtigen: Die sinkenden Reallöhne bewirken eine
Reduzierung der Binnennachfrage, Produktion und Steuereinnahmen sinken und die
Neuverschuldung der Staaten steigt.
UZ: Welche Auswirkungen hat
der Fiskalpakt für die Kommunen?
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Michael Gerber: Die gesamte
öffentliche Neuverschuldung ist durch den Fiskalpakt künftig auf jährlich 12
und später auf 9 Milliarden Euro beschränkt. Allein die Kassenkredite der
Kommunen haben sich im letzten Jahr um 6 Milliarden Euro auf 45 Milliarden Euro
erhöht. Damit wird bereits die Hälfte der möglichen Neuverschuldung von Bund,
Ländern und Kommunen durch die steigenden Kassenkredite der Städte in Anspruch
genommen. Für notwendige Investitionen in die kommunale Infrastruktur bleibt
kein Spielraum mehr. Gerd Landsberg vom Deutschen Städte- und Gemeindebund
warnt: "Wir riskieren die Handlungs- und Investitionsfähigkeit der
öffentlichen Hand." Martin Lehrer vom NRW Städte- und Gemeindebund äußerte
sich besorgt. " Die Gefahr besteht, wenn der Bund seinen Haushalt sanieren
will, dass er versucht, kostenträchtige Aufgaben auf die Länder abzuwälzen -
und die Länder könnten dasselbe mit den Kommunen tun." Das Deutsche
Institut für Urbanistik sieht bereits durch die Schuldenbremse große Probleme
auf die Kommunen zukommen, indem überproportional steigende Sozialausgaben und
die fehlenden Möglichkeiten, Zukunftsinvestitionen tätigen zu können, zu einer
sich selbst verstärkenden Abwärtsspirale führen werden. Betrugen die
Sachinvestitionen der Kommunen in NRW je Einwohner im Jahre 2000 noch 229 Euro,
sind diese im letzten Jahr auf 164 Euro gesunken. Dieser Trend wird sich in
Zukunft weiter verstärken. Die verschiedenen Warnungen zeigen deutlich, dass
die Städte und Gemeinden die ersten Verlierer des Fiskalpaktes sein werden.
UZ: Trotzdem haben die
Spitzenverbände der Kommunen sich in Stellungnahmen positiv zum Fiskalpakt
geäußert.
Michael Gerber: Die
Inkonsequenz des Deutschen Städtetages wird in einer Stellungnahme seines
Präsidenten, des Münchener Oberbürgermeisters Christian Ude, deutlich:
"Die Städte unterstützen den Fiskalpakt. Sie müssen aber befürchten, dass
die Umsetzung im Ergebnis zu einer Einschränkung ihrer Haushaltsautonomie und
damit letztlich ihrer politischen Handlungsfähigkeit führt." Die
Zustimmung der Kommunen, obwohl selber nicht einbezogen in den
Verhandlungspoker zwischen Bundesregierung und Ländern sowie mit den Spitzen
von SPD und Grünen, unter Ausschluss der Partei "Die Linke", wurde
mit vagen Zugeständnissen der Bundesregierung erreicht. Danach will sich der
Bund in dem neuen Bundesleistungsgesetz nach 2013 an den Kosten für die Hilfen
für Menschen mit Behinderungen beteiligen. Darüber hinaus gibt es die Absicht des
Bundes, früher als vereinbart von den Kommunen die Ausgaben für die
Grundsicherung zu übernehmen. Dies alles wird aber nicht verhindern, dass die
Sozialausgaben für die Gemeinden auch in Zukunft weiter steigen werden. Die
Kommunen haben bereits bei der Einführung von Hartz IV die Erfahrung gemacht,
dass ihre Zustimmung mit angeblichen Entlastungen bei den Kosten für die
Unterkunft für Bedarfsgemeinschaften erkauft wurde. In den Folgejahren hat der
Bund seine Beteiligung an diesen Kosten immer weiter reduziert. Die Städte sind
von der Bundesregierung im Stich gelassen worden. Das Ergebnis ist ein
steigender Schuldenberg und die Handlungsunfähigkeit der Gemeinden.
UZ: Der DGB und
Einzelgewerkschaften haben sehr deutlich den Fiskalpakt kritisiert. Kann der
Fiskalpakt trotz der Zustimmung von Bundestag und Bundesrat noch gestoppt
werden?
Michael Gerber, Foto: kommunisten.de |
Michael Gerber: Der
DGB-Vorsitzende Michael Sommer hat einen Stopp des Fiskalpaktes und der
Schuldenbremse gefordert. Mit dem Fiskalpakt werden die Deregulierung der
Arbeitsmärkte und die Aussetzung sozialer und kollektiver Grundrechte
vorangetrieben, kritisierte der DGBVorsitzende. Noch deutlicher äußerte sich
der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske, der den Fiskalpakt bezeichnet als
"ein Instrument, das die Demokratie schwächt, ökonomisch schädlich und
sozial unverträglich ist." Völlig zu Recht kritisiert "Die
Linke" im Bundestag den Fiskalpakt als grundgesetzwidrig und hat daher
Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Die Entscheidung, ob der
Fiskalpakt Wirklichkeit wird, hängt jedoch künftig daran, ob sich bei uns im
Ansatz ein ähnlicher Widerstand in den Betrieben und den Kommunen gegen diese
unsoziale Politik entwickelt wie in Griechenland, Portugal, Spanien oder
Italien. Die Banken sind wieder einmal die Gewinner. Sie leihen sich faktisch
umsonst Geld bei der Europäischen Zentralbank und verdienen sich mit Krediten
an die Städte und Gemeinden eine goldene Nase. Banken müssen vergesellschaftet
und Hedgefonds verboten werden. Statt die Kommunen kaputtzusparen, müssen ihre
Schulden bei den Banken gestrichen werden. Die Stadt gehört uns und nicht den
Banken!
unsere zeit - Zeitung der DKP, 6. Juli 2012
Die Fragen stellte
Werner Sarbok
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