Wir sind es leid!
Die Propaganda-Lügen der Herrschenden
machen wir nicht mit, denn wir wissen wofür sie diese brauchen: Sie sollen
den Menschen, die immer mehr begreifen, dass dieses kapitalistische System
ihnen die Zukunft raubt, den Blick auf die wirkliche Alternative nehmen – auf den
Sozialismus.
Wir halten es (nicht nur) am 70. Jahrestag der DDR mit dem
deutschen Dramatiker, Lyriker, Erzähler und Essayist Peter-Hacks und rufen laut
aus: "Wessen sollten wir uns rühmen, wenn nicht der DDR?"
Staatlich
verordnete Armut durch Agenda 2010, kaum bezahlbarer Wohnraum, monatelanges
Warten auf einen Facharzttermin, zu wenig Möglichkeiten wohnortnaher,
qualifizierter Kinderbetreuung, fehlende Ausbildungsplätze und BAföG-Anträge,
die schon durch ihren schieren Umfang dafür sorgen, dass weniger Anträge
gestellt werden, als es Berechtigte gäbe – von diesen Bedingungen ist der
Alltag der Menschen in Deutschland geprägt.
Das
Leben der Menschen in der BRD ist – wie alles – dem Profit untergeordnet. Warum
für einen KiTa-Platz um die Ecke sorgen, wenn die Berufstätige auch trotz eines
Wegs von einer halben Stunde pünktlich bei der Arbeit erscheint oder Mütter mit
Teilzeitjobs, Kindern und Haushalt jonglieren können? Warum vernünftige
Verkehrskonzepte planen, wenn man auch durch den Berufsverkehr zur Arbeit
kommt?
Wie
kann das Leben, der Alltag, aussehen, wenn nicht der Profit, sondern die
Bedürfnisse der Menschen im Vordergrund stehen?
Mehr als nur Arbeit: Junge Facharbeiterin (Foto: UZ-Archiv) |
Die
in der BRD oft verlachten Plattenbauten lösten nicht nur die dringenden
Probleme des Wohnraums, sondern folgten einem Konzept, das die Siedlungen
(anders als Hochhaus-Ghettos im Westen) zu tatsächlichen Lebensräumen machten.
Zentral dabei war, dass es in Plattenbaubezirken Sozialeinrichtungen wie
Kindergärten, Jugendclubs, die HO-Gaststätte und Einkaufsmöglichkeiten gab –
für die Bewohner zu Fuß bequem erreichbar.
Kulturelle
Teilhabe – in der heutigen BRD für viele nicht mehr zu bezahlen – war
wesentliches Merkmal des Alltagslebens in der DDR. Staatlich subventionierte
Bücher, Theater und Opernhäuser gehörten dazu genauso wie Kulturhäuser in
Wohnbezirken, Betriebssportvereine und die „Woche des Buches“.
Mehr-Klassen-Medizin,
in der der eine sofort dran kommt und der andere Monate wartet, gab es in der
DDR nicht. Mit einem System von Polikliniken, in denen die unterschiedlichen
Ärzte und Fachärzte gebündelt waren, stand der Bevölkerung medizinische
Versorgung verschiedener Fachrichtung zur ambulanten Behandlung zur Verfügung.
Friedensmacht
Vor 70 Jahren wurde die DDR gegründet
Militärtransporte
quer durch die Republik, um NATO-Manöver an der Grenze zu Russland durchführen
zu können? Kündigung des INF-Vertrages durch die USA, Krieg in Europa? Seit
1990 fehlt es an einer militärischen Gegenmacht, die dem Imperialismus seine
Grenzen aufzeigt. Die DDR war eine solche Gegenmacht. Sie war ein bewaffneter
Friedensstaat.
Drei
Autoren – Dieter W. Feuerstein, Uli Brockmeyer und Arnold Schölzel – schreiben
über ihre Sicht auf und ihre Tätigkeit für die DDR.
Militärische Gegenmacht
Die DDR hat Krieg verhindert. Ihr Erbe ist für die
Friedensbewegung enorm wichtig
Von Arnold Schölzel*
Am
9. November 2014 waren die deutschen Großmedien und die etablierten Parteien
der alten Bundesrepublik vollauf damit beschäftigt, das, was sie „Mauerfall“
nennen, was aber eine Grenzöffnung war, zu feiern. An diesem 25. Jahrestag
stellten junge Leute auf dem Berliner Alexanderplatz ein Transparent auf, das
fast über den halben Platz reichte. Auf ihm war zu lesen: „Diese Grenze wurde
aufgehoben, damit wir gemeinsam wieder in den Krieg ziehen.“
Die
Initiatoren fanden Vergnügen an der Aktion, gründeten den Verein „Unentdecktes
Land“ und stellten das Transparent am 3. Oktober 2015 und am 13. August 2016
erneut in Berlin auf.
Knapper
als in diesem Satz lässt sich kaum zusammenfassen, was die DDR in der deutschen
Geschichte bedeutete. Ich halte seine Propagierung für eine der besten Aktionen
für Frieden in den vergangenen Jahren.
Er
gibt eine konkrete Erfahrung wieder: Ein sozialistischer Staat benötigt keinen
Krieg, ist aber vom ersten Tag seiner Existenz an dazu gezwungen, sich
bewaffnet zu verteidigen, Grenzen zu ziehen. Eine kapitalistische Umgebung
bedeutet Konterrevolution und Krieg.
Das
war die Erfahrung der Sowjetunion. Armeegeneral Heinz Keßler (1920–2017), von
1985 bis 1989 DDR-Verteidigungsminister, erinnerte 2016 daran, dass diese Lehre
schon vor dem Sieg über den Faschismus für ein künftiges Deutschland gezogen
wurde: „In meiner Diskussionsrede auf der Gründungskonferenz des
Nationalkomitees ‚Freies Deutschland’ (NKFD) in Krasnogorsk am 12./13. Juli
1943 habe ich leidenschaftlich vor allem im Interesse der deutschen Jugend
appelliert: ‚Wir wollen ein Deutschland, wo die Voraussetzung geschaffen ist,
dass es nie wieder einen solchen Krieg gibt.’“
Bei Planung und Bau neuer Siedlungen... (Foto UZ-Archiv) |
Dieses
Zitat stammt aus einer Broschüre mit dem Titel „Soldaten für den Frieden“, die
mich ähnlich wie „Unentdecktes Land“ beeindruckt hat. Das Heft wurde 2017 von
der „Initiativgemeinschaft zum Schutz der sozialen Rechte ehemaliger
Angehöriger der bewaffneten Organe und der Zollverwaltung der DDR e. V.“ (ISOR)
und dem „Verband zur Pflege der Traditionen der Nationalen Volksarmee und der
Grenztruppen der DDR“ herausgegeben. Es enthält den titelgebenden Appell
führender DDR-Militärs und lesenswerte Beiträge, in denen sie begründen, was
sie zu dessen Unterzeichnung bewogen hat.
In
dem 2015 zum 70. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus zuerst veröffentlichten
Appell heißt es, dass „das Kriegsgeschehen wiederum Europa erreicht hat“. Die
Strategie der USA ziele offensichtlich darauf ab, „Russland als Konkurrenten
auszuschalten und die Europäische Union zu schwächen“. Die NATO sei immer näher
an die Grenzen Russlands herangerückt und mit dem „Versuch, die Ukraine in die
EU und in die NATO aufzunehmen, sollte der Cordon sanitaire von den baltischen
Staaten bis zum Schwarzen Meer geschlossen werden, um Russland vom restlichen
Europa zu isolieren“. Zusammenfassend heißt es: „Die forcierte Militarisierung
Osteuropas ist kein Spiel mit dem Feuer – es ist ein Spiel mit dem Krieg!“
Gewarnt wird, hier beginne bereits „ein Verbrechen an der Menschheit“.
Es
ist kein Zufall, dass dies von DDR-Militärs ausgeht. Das Wissen um die Folgen
eines Krieges im dichtbesiedelten Europa hat mit zur Gründung der DDR
beigetragen und ihre Militärpolitik geprägt. Es war das Wissen nicht nur von
Kommunisten, sondern auch von bürgerlichen Politikern und von ehemaligen
Wehrmachtsmilitärs, die über das NKFD an die Seite der KPD und der SED
gelangten. Keßler beschrieb die Lage nach 1945 in Europa so: „Der Pulverdampf
war noch nicht verzogen, da begann man im Westen des Landes im engen
Zusammenwirken mit den USA mit der Wiederaufrüstung der BRD. Das konnten und
durften wir nicht ohne entsprechende Gegenmaßnahmen zulassen.“
Vor
allem aber: Immer wieder drängten politische und militärische Führung der BRD
darauf, den Kalten Krieg in einen heißen umschlagen zu lassen. Hier sei ein
Beispiel aus dem August 1960 angeführt. Damals war ein Papier bekannt geworden,
in dem Generale der Bundeswehr deren Atombewaffnung forderten. Inhalt und Ton
führten zu heftigen Reaktionen auch im westlichen Ausland. Im Text hieß es:
„Der Bolschewismus respektiert nur die Macht, sonst nichts (…). Die Bundeswehr
kann weder auf die allgemeine Wehrpflicht noch auf die Zugehörigkeit zur NATO,
noch auf eine atomare Bewaffnung verzichten. Wenn die Bundeswehr diese
militärischen Forderungen stellt, greift sie nicht in die Parteipolitik ein
(…). Es ist aber Aufgabe der Bundeswehr, der politischen Führung rechtzeitig
und klar zu sagen, welche Mittel sie zur Erfüllung ihres Auftrages braucht und
was sie mit den ihr bewilligten Mitteln leisten kann.“
Diese
Strategen waren unbelehrbar, wie ich 1967 als Angehöriger der Bundeswehr selbst
erfahren konnte, und ihre heutigen Nachfolger, die zum Beispiel öffentlich von
einem neuen Krieg wie im Kosovo träumen, sind es auch. Sie respektieren nur
militärische Gegenmacht. Die fehlt in der Mitte Europas seit 1990. Wenn heute
die Aktivisten von „Unentdecktes Land“ oder erfahrene Militärs ihre Stimme
gegen Krieg und Kriegsvorbereitung erheben, dann hat das zwingend mit dem
DDR-Erbe zu tun. Seine Pflege und Verbreitung ist aus meiner Sicht für die
deutsche Friedensbewegung insgesamt enorm wichtig.
*Arnold Schölzel (Jahrgang 1947) desertierte 1967 aus der
Bundeswehr, um dem Wehrdienst zu entgehen und siedelte in die DDR über. Er
arbeitete zunächst als Hilfsarbeiter, studierte Philosophie an der
Humboldt-Universität Berlin und promovierte 1982.
Schölzel war von 2000 bis Ende Juli 2016 Chefredakteur und
bis Ende März 2019 stellvertretender Chefredakteur der Tageszeitung „junge
Welt“. Er ist seit dem 1. April 2019 Chefredakteur der Monatsschrift „RotFuchs“
„Wir müssen den Gegner zum Frieden zwingen“
Warum DDR-Spione „Kundschafter für den Frieden“ waren
Von Dieter W. Feuerstein*
...standen soziale Einrichtungen im Mittelpunkt. (Foto: UZ-Archiv) |
„Wie
konntest du nur für ein solches Regime arbeiten?“ Ja, in der Tat, da gab es
schon einiges an kulturellen und gesellschaftlichen Unterschieden zum anderen
Teil Deutschlands. Nicht wenigen erschien das Leben im Westen besser, oder
zumindest einfacher. Darüber, dass dort das „Einfacher“ direkt zusammen hing
mit der Höhe des verfügbaren Kontostands, war vielen nicht wirklich bewusst. Wo
sollten diese Erfahrungen auch herkommen? Waren die elementaren Bedürfnisse
doch erfüllt. Angst vor Hunger, Obdachlosigkeit, sozialem Abseits durch
Arbeitslosigkeit und weiterer „Errungenschaften“ einer auf privaten Profit
ausgerichteten Gesellschaft brauchte in der DDR nun wirklich niemand zu haben.
Seien
wir doch mal ehrlich zu uns selbst; in Sachen Agitation und Propaganda war die
BRD der DDR immer überlegen. Wohl doch kein Zufall, dass montags um 21 Uhr regelmäßig
attraktive Filme auf den Westkanälen liefen und Karl-Eduard von Schnitzler, der
in seiner wöchentlichen Sendung „Der Schwarze Kanal“ mit Ausschnitten aus
Westreportagen einen anderen Blick auf die BRD vermitteln wollte, mit Spott und
Häme überzogen wurde.
Das
macht die Sache – gerade „Wessis“ gegenüber – nicht einfacher mit der Antwort
auf die eingangs gestellte Frage, die im Grunde weniger als Frage, denn als
Vorwurf gemeint ist. Auch erlebte ich eine Zeit erheblicher Selbstzweifel, als
immer mehr Glatzköpfe das Straßenbild im Osten prägten, die Ossis nicht den
kleinen Finger rührten, als die Goldgräber aus dem wilden Westen sich ihr
Volkseigentum unter den Nagel rissen, die Sozialsicherungen herausgeschraubt,
Renten mit Strafen belegt, akademische Titel entzogen und die Menschen ihrer
Lebensleistung beraubt wurden.
Sechs
Tage nach der Vereinigung ging es für mich erst mal in den Knast. Nach Ende der
Isolation war ich der – um ein Vielfaches gesteigerter – Propaganda hilflos
ausgeliefert. Zuspruch gab es in dieser Zeit bestenfalls von Wärtern, die aus
allen Teilen der DDR zur Umschulung in den Westen geschickt wurden, oder von
jenen kleinkriminellen Mitgefangenen, die bereits entsprechende Einrichtungen
in Jena oder Bautzen kannten und mir fast einvernehmlich versicherten, dass das
Essen für Inhaftierte in Berlin-Hohenschönhausen viel besser schmecke als das
in München-Stadelheim.
Auf
den Boden der Realität brachten mich dann – nur drei Monate später – die
politischen Realitäten. Seit den Tagen im Mai des Jahres 1945 kämpfte kein
deutscher Soldat mehr in fremden Ländern. Und nun, im Januar 1991, stritten die
Abgeordneten im Bundestag darüber, ob das Grundgesetz geändert oder neu
interpretiert werden müsse. Was war geschehen? Eine Allianz westlicher Staaten
bereitete einen Krieg gegen den Irak vor und das neue Großdeutschland wollte
unbedingt dabei sein; noch verhalten zwar durch AWACS-Besatzung und
Alpha-Jet-Staffel, aber immerhin: Der Einstieg war geschafft.
Plantschen direkt vor der Haustür (Foto: UZ-Archiv) |
Da
taten die so oft gehörten Worte meines Führungsoffiziers und Referatsleiters
der Hauptverwaltung Aufklärung, zu dessen Aufgabe es gehörte, die Quellen im
Operationsgebiet bei Laune zu halten, ihre nachhaltige Wirkung. „Dieter, wir
müssen den Gegner zum Frieden zwingen – von alleine ist er dazu nicht bereit.“
Jetzt,
da die Geschichte ihre Wahrheit offenbart hatte, musste kein Gedanke mehr daran
verschwendet werden, ob diese Worte Propagandafloskeln waren oder aus der
psychologischen Trickkiste stammten. Neben der konsequenten Umsetzung der
Erfahrungen des 2. Weltkriegs und der faschistischen Barbarei gehörte der
absolute Friedenswille der DDR zu den entscheidenden Gründen, meinen
persönlichen und beruflichen Werdegang in den Dienst der DDR zu stellen.
Als
Offizier der DDR-Aufklärung gehört es sich nun mal, Befehlen Gehorsam zu
schenken. Auch dann, wenn es einem gegen den Strich geht. In den 1980ern sollte
ich innerhalb des größten westdeutschen Rüstungskonzerns eine neue Stelle
antreten. Zum ersten Mal Personalverantwortung, ein eigenes Projekt und ein
gewaltiger Verdienstzuwachs erwarteten mich. Der angedachte Aufgabenbereich war
der Vorläufer des Abfangjägers „Eurofighter“ und nicht länger das mit
Atombomben bestückte Angriffsflugzeug Tornado.
Die
Entscheidung, dieses Angebot auszuschlagen, erfolgte – vermutlich in enger
Abstimmung mit unseren Freunden in Moskau – einzig im Hinblick auf die
Sicherheitsinteressen der Staaten des Warschauer Vertrags. Hätte auch nur
ansatzweise die Absicht bestanden, den Westen zu überfallen, hätte ich den
Auftrag erhalten, gegen die Westverteidigung vorzugehen. So aber blieb es
dabei, im Rahmen meiner Möglichkeiten alles dafür zu tun, dass aus dem
Waffensystem „Tornado“ ein fliegender Papiertiger wird.
Welche
Gedanken und Absichten dahinter standen, ein ziviles Verkehrsflugzeug heimlich
und unerkannt mit Spionagetechnik auszustatten, mag sich jeder selbst
vorstellen. Dass es der DDR-Aufklärung gemeinsam gelang, dem Westen auch hier
kräftig in die Suppe zu spucken, erfüllt mich bis heute mit Stolz. Zum
nachrichtendienstlichen Handwerk gehört selbstverständlich das Prinzip „jeder
erfährt nur das, was er zur Erfüllung seines Auftrags benötigt“. So kann ich
nur vermuten, dass diese Aktion ausschlaggebend dafür war, mir den Leninorden,
die höchste Auszeichnung der Sowjetunion, zu verleihen. Da war es mal wieder
gelungen, eine militärische Provokation des Gegners bereits im Keim zu
ersticken.
Auftrag
erfüllt!
* Dieter W. Feuerstein (Jahrgang 1955) war an der
Technischen Universität Westberlin tätig, arbeitete dann als Diplomingenieur
bei Messerschmitt-Bölkow-Blohm, wo unter anderem Teile der Kampfflugzeuge
„Tornado“ und „Eurofighter“ für NATO-Staaten gebaut wurden.
Er war von 1973 bis zum 3. Oktober 1990 Angehöriger der
Hauptverwaltung Aufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR,
letzter Dienstgrad: Major. Seine Enttarnung und Festnahme erfolgte am 9.
Oktober 1990. Feuerstein wurde zu acht Jahren Gefängnis verurteilt, seine
Haftzeit dauerte dann vom 9. Oktober 1990 bis zum 7. Oktober 1994.
Indoktrination für den Frieden
Erinnerungen an den Friedensstaat DDR
Von Uli Brockmeyer*
Dieser
Tage fiel mir eine alte, leicht vergilbte Fotografie in die Hände, aufgenommen
vor rund 60 Jahren in meiner Heimatstadt Brandenburg, der damaligen
Stahlarbeiterstadt an der Havel. Die Stadt liegt, wie seit über tausend Jahren,
heute immer noch an der Havel, nur von den zeitweise rund zehntausend
Stahlarbeitern ist nicht viel mehr als eine Erinnerung geblieben …
Auf
dem Foto ist eine belebte Straßenecke im Zentrum der Stadt zu sehen, das damals
noch von einigen Ruinen aus dem Zweiten Weltkrieg gezeichnet war. An einer
Giebelwand ein großes Wandbild, das drei Jugendliche vor der Fahne der Freien
Deutschen Jugend zeigt und dazu die Aufforderung: „Kämpft mit der Jugend für
Frieden und Wohlstand!“
Zu
jener Zeit hatte ich im Kindergarten des Volkseigenen Betriebes (VEB) Stahl-
und Walzwerk das Lied von der kleinen weißen Friedenstaube gelernt, wie
tausende andere Kinder in der jungen DDR in hunderten anderen Kindergärten:
„Kleine
weiße Friedenstaube,
fliege
übers Land.
Allen
Menschen, groß‘ und kleinen,
bist
Du wohlbekannt“.
In
einer weiteren Strophe heißt es:
„Fliege
übers große Wasser,
über
Berg und Tal,
bringe
allen Menschen Frieden,
grüß
sie tausendmal“.
Indoktrination,
sagen manche dazu. Man könnte sogar sagen, eine Anmaßung, so wenige Jahre nach
dem Krieg, den Deutsche über die halbe Welt hereingebrochen hatten. Vielleicht
war es eine Anmaßung – aber nicht weniger als eben das, den Wunsch nach Frieden
auf der ganzen Welt, hatte sich der junge Staat DDR auf die Fahnen geschrieben.
Nachdem
ich in der Heinrich-Heine-Schule endlich das ABC beherrschen gelernt hatte,
konnte ich auch nach und nach erfassen, was dort im Foyer mit ehernen
Buchstaben an der Wand zu lesen war: „Laßt das Licht des Friedens scheinen, daß
nie eine Mutter mehr ihren Sohn beweint.“
Zeilen
aus der Nationalhymne der DDR, geschrieben von dem deutschen Kommunisten
Johannes R. Becher – Zeilen, verlacht und verspottet jenseits der Elbe damals
als „Spalterhymne“; und verachtet, auch weil da von Frieden die Rede war.
Als
Kinder standen wir im Mai oft an den Straßen, wenn die Friedensfahrt, die
Internationale Radfernfahrt für den Frieden, die jeweils am 8. Mai, dem Tag der
Befreiung, in Berlin, Prag oder in Warschau gestartet wurde, wieder einmal
durch unsere Stadt kam. Wir fieberten den pfeilschnellen Fahrern entgegen,
jubelten „Täve, Täve“, auf der Suche nach unserem Spitzenfahrer „Täve“ Schur,
und freuten uns über den Anblick der Fahrer der jeweils besten Mannschaft, die
blaue Trikots trugen mit dem Abbild der kleinen weißen Friedenstaube von Pablo
Picasso.
Ja,
es stimmt, die Verantwortlichen im Staat DDR gaben sich große Mühe, uns Kinder
zu „indoktrinieren“. Aber nachdem zuvor jahrzehntelang Generationen von Kindern
und Jugendlichen mit dem Gift der Verachtung gegenüber anderen Völkern, mit
Rassenhass und Antikommunismus indoktriniert worden waren – wofür das deutsche
Volk und fast alle Völker Europas die Rechnung zu zahlen hatten –, blieb
denjenigen, die nun die Führung des neuen Staates übernommen hatten, keine
Alternative, als uns von frühester Jugend an mit dem Gedanken des Friedens und
der Freundschaft zu anderen Völkern vertraut zu machen.
Die
DDR, der erste Staat auf deutschem Boden, in dem den Kriegstreibern durch die
Enteignung der Produktionsmittel die wirtschaftliche und die politische Macht
genommen worden war, sollte ein Staat des Friedens sein – eine Anmaßung, die
uns die Enteigneten niemals verziehen haben.
Nicht
genug damit. In der DDR wurde auch eine Armee aufgestellt, um den errungenen
Frieden zu schützen, der, das ist belegt, durchaus auch militärisch bedroht
war. Im Unterschied zur Armee der Bundesrepublik Deutschland wurde die
Nationale Volksarmee der DDR jedoch nicht von Offizieren aufgebaut, die zuvor
in der „Legion Condor“ im Krieg gegen die Spanische Republik und dann in der
faschistischen Wehrmacht Kriegserfahrungen, Dienstränge und Orden erworben
hatten – sondern von gestandenen Antifaschisten. Viele von ihnen hatten in den
Reihen der Internationalen Brigaden die Spanische Republik gegen die
spanischen, deutschen und italienischen Faschisten verteidigt, andere waren
politische Gefangene in den faschistischen Konzentrationslagern und
Gefängnissen gewesen, einige von ihnen hatten sogar ihre militärischen
Erfahrungen in den Reihen der Sowjetarmee im Kampf gegen den Faschismus
gesammelt.
Für
immer im Gedächtnis bleiben wird mir jener kampferprobte Kommandeur, der uns
eines Tages im Sommer 1971 in der Uniform eines Obersten der Grenztruppen der
DDR gegenüber saß und aus seinem Leben berichtete. Er war 1936 als junger
Kommunist dem Ruf der Kommunistischen Internationale zur Verteidigung der
Spanischen Republik gefolgt, kämpfte als Leutnant in einer Einheit der
Interbrigaden. Nach der Niederlage der Republik gelang ihm die Flucht in die
Sowjetunion, wo er nach dem Überfall Hitlerdeutschlands seinen Platz in den
Reihen der Sowjetarmee fand und als Leutnant an der Befreiung seiner Heimat
teilnahm. Später gehörte er dann zu den Gründern der Nationalen Volksarmee der
DDR.
Er
war sichtlich stolz darauf, Offizier in der ersten und einzigen Armee eines
deutschen Staates zu sein, die niemals an einem Krieg gegen andere Völker
beteiligt war. Der berechtigte Stolz klang vor allem aus seinen Worten, die er
uns zum Abschied sagte: „Ich war Soldat in drei Armeen – und jedes Mal in der
richtigen!“ Welcher deutsche Offizier konnte so etwas von sich sagen?
Auf
dem Foto mit dem Wandbild aus den 50er Jahren ist die Straße zu sehen, die ein
Dutzend Jahre zuvor noch „Adolf-Hitler-Straße“ geheißen hatte. Sie war
inzwischen in „Hauptstraße“ umbenannt worden. Deren östliche Verlängerung hieß
zu Zeiten der DDR „Friedensstraße“. Diesen Namen hat man irgendwann nach 1990
in „Sankt-Annen-Straße“ geändert.
In
der letzten Strophe des Kinderliedes heißt es:
„Und
wir wünschen für die Reise
Freude
und viel Glück.
Kleine
weiße Friedenstaube,
komm
recht bald zurück!“
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