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Nach G-20-Gipfel: Politiker attestieren Polizei
tadellosen Einsatz und hetzen gegen linke Zentren. Derweil häufen sich Berichte
von brutalen Übergriffen Beamter
Am
Freitag hat Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) das Vorgehen der
Polizei während des G-20-Gipfels offiziell für in allen Phasen gewaltfrei
erklärt.
Hunderte Fernseh- und Videoaufnahmen zeigen zwar ein anderes Bild, und
inzwischen ist es offiziell, dass mindestens gegen 27 Beamte wegen
»Körperverletzung im Amt« ermittelt wird. Tut nichts. Dem Rundfunksender NDR
90,3 teilte Scholz mit: »Polizeigewalt hat es nicht gegeben, das ist eine
Denunziation, die ich entschieden zurückweise.«
Etwas
anderes war am Freitag im Boulevardblatt Hamburger Morgenpost zu lesen. Dort
wurde ein Vorfall geschildert, der sich bereits am Freitag morgen im Stadtteil
Bahrenfeld ereignet hatte. Dabei waren nach Angaben Betroffener 14 Gipfelgegner
verletzt worden, elf von ihnen schwer.
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Obwohl unten bereits
Menschen mit offenen Knochenbrüchen gelegen hätten, seien weitere
hinuntergestoßen worden. Polizisten hätten währenddessen geschrien:
»Antifa-Schweine. Das ist euer Frühstück!« Zudem sei bei der Festnahme weiterer
Personen auf am Boden Liegende eingetreten worden, wobei diese weitere
Verletzungen erlitten hätten. Ein jW vorliegender Bericht einer weiteren jungen
Frau aus der Gruppe bestätigt diese Darstellung. Laut Polizei ist bislang nicht
geklärt, wie die Verletzungen der 14 Personen entstanden sind. Dies ist nur
einer von zahllosen Fällen, die mittlerweile publik geworden sind (siehe auch
jW vom 13.7.).
Zur
gleichen Zeit rufen Politik und Polizei weiter nach Kriminalisierung linker
Zentren in der gesamten Republik. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU)
hatte solche Zentren am Dienstag als »logistische Schlupflöcher« von
Gewalttätern denunziert (siehe jW vom 12.7.). Am Freitag legte Leipzigs
Polizeichef Bernd Merbitz nach. Insbesondere im Stadtteil Connewitz seien
»rechtsfreie Räume entstanden«, sagte er der Leipziger Volkszeitung. Leipzig
erlebe seit Jahren einen »Zuzug von Linksextremisten«. Ohne auch nur Indizien
dafür zu nennen, äußerte Merbitz die Überzeugung, »dass auch Sachsen und vor
allem Leipziger in Hamburg an den gewalttätigen Krawallen beteiligt waren«.
Bereits
am Donnerstag hatte Jenovan Krishnan, Bundesvorsitzender des Rings
Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS), gefordert, künftig müssten alle
Erstsemester eine »Demokratieerklärung« als »Voraussetzung für ein
Hochschulstudium in Deutschland« abgeben. Ein »Großteil der Studenten, Dozenten
und auch Hochschulleitungen« sympathisiert nach Krishnans Ansicht mit
»linksextremen Organisationen«.
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Die
Hamburger Staatsanwaltschaft prüft unterdessen mehrere Anzeigen gegen
Rote-Flora-Anwalt Andreas Beuth. Politiker von CDU, CSU und SPD fordern die
Schließung des linksautonomen Zentrums in der Hansestadt. Beuth hatte dem NDR
nach Brandschatzungen und Plünderungen im Schanzenviertel gesagt, er habe
»gewisse Sympathien für solche Aktionen«, aber nur, wenn sie in reichen
Stadtteilen stattfänden. Oberstaatsanwältin Nana Frombach sagte der Deutschen
Presseagentur am Freitag, in den Anzeigen werde der Vorwurf der Billigung von
Straftaten erhoben. Dies werde geprüft, Ermittlungen gebe es noch nicht.
Das
Onlinenachrichtenportal BuzzFeed News berichtete unterdessen am Freitag, von
den offiziell 476 im Zusammenhang mit dem G-20-Gipfel verletzten Polizisten
hätten mehr als die Hälfte bereits vor der heißen Protestphase ab dem 6. Juli
ihre Verletzungen gemeldet. Zudem seien viele Beschwerden nicht auf
Zusammenstöße mit Demonstranten zurückzuführen gewesen. So seien zum Beispiel
Kreislaufprobleme und Beeinträchtigungen bei Pfeffersprayeinsätzen gegen
Demonstranten ebenfalls zu den Verletzungen gezählt worden. Das gehe aus
Anfragen von BuzzFeed News an alle 16 Landespolizeibehörden und die
Bundespolizei hervor. In der »heißen Einsatzphase« wurden demnach 231 Beamte
verletzt, davon lediglich 21 so schwer, dass sie auch am Folgetag oder länger
nicht arbeiten konnten. Offiziell gelten zwei Mitarbeiter der Bundespolizei als
schwerverletzt .
Zur
genauen Begründung des Akkreditierungsentzugs für Journalisten nach
Gipfelbeginn halten sich Bundeskriminalamt (BKA) und Bundesregierung weiter
bedeckt. Das Bundesinnenministerium teilte aber am Freitag mit, unter den
ausgesperrten Korrespondenten und Fotografen seien »verurteilte linksextreme
Straftäter« und ein mutmaßlicher »Reichsbürger« gewesen. Die Süddeutsche
Zeitung hatte am Donnerstag unter Berufung auf »Sicherheitskreise« berichtet,
dass Journalisten, gegen die es Sicherheitsbedenken gebe, mindestens seit dem
G-8-Gipfel in Heiligendamm vor zehn Jahren von deutschen Polizisten »beaufsichtigt«
würden. Das Innenministerium versicherte daraufhin, es gebe keine »heimliche«
Überwachung von Pressevertretern.
Von Jana
Frielinghaus
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»Die Rote Flora gehört zu uns«
Stellungnahme von Geschäftsinhabern aus dem
Hamburger Schanzenviertel
Am Mittwoch, dem 12. Juli 2017, wandten sich
die Betreiber diverser Geschäfte im Hamburger Schanzenviertel mit einer
Stellungnahme via Facebook an die Öffentlichkeit. Sie ziehen darin eine Bilanz
der Ereignisse in ihrem Viertel vom vergangenen Wochenende, welche wir an
dieser Stelle dokumentieren:
+++
STELLUNGNAHME ZU DEN EREIGNISSEN VOM WOCHENENDE +++
Wir,
einige Geschäfts- und Gewerbetreibende des Hamburger Schanzenviertels, sehen
uns genötigt, in Anbetracht der Berichterstattung und des öffentlichen Diskurses,
unsere Sicht der Ereignisse zu den Ausschreitungen im Zuge des G20-Gipfels zu
schildern.
In der
Nacht vom 7. auf den 8. Juli 2017 tobte eine Menge für Stunden auf der Straße,
plünderte einige Läden, bei vielen anderen gingen die Scheiben zu Bruch, es
wurden brennende Barrikaden errichtet und mit der Polizei gerungen.
Uns fällt
es in Anbetracht der Wahllosigkeit der Zerstörung schwer, darin die
Artikulation einer politischen Überzeugung zu erkennen, noch viel weniger die
Idee einer neuen, besseren Welt.
Wir
beobachteten das Geschehen leicht verängstigt und skeptisch vor Ort und aus
unseren Fenstern in den Straßen unseres Viertels.
Aber die
Komplexität der Dynamik, die sich in dieser Nacht hier Bahn gebrochen hat,
sehen wir weder in den Medien noch bei der Polizei oder im öffentlichen Diskurs
angemessen reflektiert.
Ja, wir
haben direkt gesehen, wie Scheiben zerbarsten, Parkautomaten herausgerissen,
Bankautomaten zerschlagen, Straßenschilder abgebrochen und das Pflaster
aufgerissen wurde.
Wir haben
aber auch gesehen, wie viele Tage in Folge völlig unverhältnismäßig bei jeder
Kleinigkeit der Wasserwerfer zum Einsatz kam. Wie Menschen von uniformierten
und behelmten Beamten ohne Grund geschubst oder auch vom Fahrrad geschlagen
wurden.
Tagelang.
Dies darf
bei der Berücksichtigung der Ereignisse nicht unter den Teppich gekehrt werden.
Zum
Höhepunkt dieser Auseinandersetzung soll in der Nacht von Freitag und Samstag
nun ein „Schwarzer Block“ in unserem Stadtteil gewütet haben.
Dies
können wir aus eigener Beobachtung nicht bestätigen, die außerhalb der direkten
Konfrontation mit der Polizei nun von der Presse beklagten Schäden sind nur zu
einem kleinen Teil auf diese Menschen zurückzuführen.
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Der weit
größere Teil waren erlebnishungrige Jugendliche sowie Voyeure und Partyvolk,
denen wir eher auf dem Schlagermove, beim Fußballspiel oder Bushido-Konzert
über den Weg laufen würden als auf einer linksradikalen Demo.
Es waren
betrunkene junge Männer, die wir auf dem Baugerüst sahen, die mit Flaschen
warfen – hierbei von einem geplanten „Hinterhalt“ und Bedrohung für Leib und
Leben der Beamten zu sprechen, ist für uns nicht nachvollziehbar.
Überwiegend
diese Leute waren es auch, die – nachdem die Scheiben eingeschlagen waren – in
die Geschäfte einstiegen und beladen mit Diebesgut das Weite suchten.
Die
besoffen in einem Akt sportlicher Selbstüberschätzung mit nacktem Oberkörper
aus 50 Metern Entfernung Flaschen auf Wasserwerfer warfen, die zwischen anderen
Menschen herniedergingen, während Herumstehende mit Bier in der Hand sie
anfeuerten und Handyvideos machten.
Es war
eher die Mischung aus Wut auf die Polizei, Enthemmung durch Alkohol, der Frust
über die eigene Existenz und die Gier nach Spektakel – durch alle anwesenden
Personengruppen hindurch –, die sich hier Bahn brach.
Das war
kein linker Protest gegen den G20-Gipfel. Hier von linken AktivistInnen zu
sprechen wäre verkürzt und falsch.
Wir haben
neben all der Gewalt und Zerstörung an dem Tag viele Situationen gesehen, in
denen offenbar gut organisierte, schwarz gekleidete Vermummte teilweise
gemeinsam mit Anwohnern eingeschritten sind, um andere davon abzuhalten,
kleine, inhabergeführte Läden anzugehen. Die anderen Vermummten die
Eisenstangen aus der Hand nahmen, die Nachbarn halfen, ihre Fahrräder in
Sicherheit zu bringen und sinnlosen Flaschenbewurf entschieden unterbanden. Die
auch ein Feuer löschten, als im verwüsteten und geplünderten „Flying Tiger
Copenhagen“ Jugendliche versuchten, mit Leuchtspurmunition einen Brand zu
legen, obwohl das Haus bewohnt ist.
Es liegt
nicht an uns zu bestimmen, was hier falsch gelaufen ist, welche Aktion zu
welcher Reaktion geführt hat.
Was wir
aber sagen können: Wir leben und arbeiten hier, bekommen seit vielen Wochen
mit, wie das „Schaufenster moderner Polizeiarbeit“ ein Klima der Ohnmacht,
Angst und daraus resultierender Wut erzeugt.
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Dass
diese nachvollziehbare Wut sich am Wochenende nun wahllos, blind und stumpf auf
diese Art und Weise artikulierte, bedauern wir sehr. Es lässt uns auch heute
noch vollkommen erschüttert zurück.
Dennoch
sehen wir den Ursprung dieser Wut in der verfehlten Politik des Rot-Grünen
Senats, der sich nach Außen im Blitzlichtgewitter der internationalen Presse
sonnen möchte, nach Innen aber vollkommen weggetaucht ist und einer
hochmilitarisierten Polizei das komplette Management dieses Großereignisses auf
allen Ebenen überlassen hat.
Dieser
Senat hat der Polizei eine „Carte Blanche“ ausgestellt – aber dass die im
Rahmen eines solchen Gipfels mitten in einer Millionenstadt entstehenden
Probleme, Fragen und sozialen Implikationen nicht nur mit polizeitaktischen und
repressiven Mitteln beantwortet werden können, scheint im besoffenen Taumel der
quasi monarchischen Inszenierung von Macht und Glamour vollkommen unter den
Tisch gefallen zu sein.
Dass
einem dies um die Ohren fliegen muss, wäre mit einem Mindestmaß an politischem
Weitblick absehbar gewesen.
Wenn Olaf
Scholz jetzt von einer inakzeptablen „Verrohung“, der wir „uns alle
entgegenstellen müssen“, spricht, können wir dem nur beizupflichten.
Dass die
Verrohung aber auch die Konsequenz einer Gesellschaft ist, in der jeglicher abweichende
politische Ausdruck pauschal kriminalisiert und mit Sondergesetzen und
militarisierten Einheiten polizeilich bekämpft wird, darf dabei nicht
unberücksichtigt bleiben.
Aber bei
all der Erschütterung über die Ereignisse vom Wochenende muss auch gesagt
werden:
Es sind
zwar apokalyptische, dunkle, rußgeschwärzte Bilder aus unserem Viertel, die um
die Welt gingen.
Von der
Realität eines Bürgerkriegs waren wir aber weit entfernt.
Anstatt
weiter an der Hysterieschraube zu drehen sollte jetzt Besonnenheit und
Reflexion Einzug in die Diskussion halten.
Die
Straße steht immer noch, ab Montag öffneten die meisten Geschäfte ganz regulär,
der Schaden an Personen hält sich in Grenzen.
Wir hatten
als Anwohner mehr Angst vor den mit Maschinengewehren auf unsere Nachbarn
zielenden bewaffneten Spezialeinheiten als vor den alkoholisierten Halbstarken,
die sich gestern hier ausgetobt haben.
Die sind
dumm, lästig und schlagen hier Scheiben ein, erschießen dich aber im
Zweifelsfall nicht.
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Der für
die Meisten von uns Gewerbetreibende weit größere Schaden entsteht durch die
Landflucht unserer Kunden, die keine Lust auf die vielen Eingriffe und
Einschränkungen durch den Gipfel hatten – durch die Lieferanten, die uns seit
vergangenem Dienstag nicht mehr beliefern konnten, durch das Ausbleiben unserer
Gäste.
An den
damit einhergehenden Umsatzeinbußen werden wir noch sehr lange zu knapsen
haben.
Wir leben
seit vielen Jahren in friedlicher, oft auch freundschaftlich-solidarischer
Nachbarschaft mit allen Formen des Protestes, die hier im Viertel beheimatet
sind, wozu für uns selbstverständlich und nicht-verhandelbar auch die Rote
Flora gehört.
Daran
wird auch dieses Wochenende rein gar nichts ändern.
In dem
Wissen, dass dieses überflüssige Spektakel nun vorbei ist, hoffen wir, dass die
Polizei ein maßvolles Verhältnis zur Demokratie und den in ihr lebenden
Menschen findet, dass wir alle nach Wochen und Monaten der Hysterie und der
Einschränkungen zur Ruhe kommen und unseren Alltag mit all den großen und
kleinen Widersprüchen wieder gemeinsam angehen können.
Einige
Geschäftstreibende aus dem Schanzenviertel
BISTRO
CARMAGNOLE
CANTINA
POPULAR
DIE
DRUCKEREI - SPIELZEUGLADEN SCHANZENVIERTEL
ZARDOZ
SCHALLPLATTEN
EIS
SCHMIDT
JIM
BURRITO'S
TIP TOP
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